In Berlin soll gerade ein Teil der weltberühmten East Side Gallery abgerissen werden - zugunsten neuer Luxuswohnungen. Nicht nur Touristen, die diese Stadt für ihre noch nicht ganz totsanierte Art lieben, fragen sich: Spinnen die?
Berlin - 'Verzeihung', fragt sehr höflich Monica Gunawan aus Papua-Neuguinea. 'Das ist doch ein Monument, finden sie nicht?' Monica Gunawan spaziert gerade mit ihrem Mann an der East Side Gallery entlang, dem längsten Reststück Berliner Mauer, das es noch gibt. Ein von Künstlern bunt bemalter Riegel zieht sich hier 1,3 Kilometer durch die Stadt und den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, er steht nicht weit entfernt von der Spree und da, wo mal der Todesstreifen war.
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Um Zugänge zu den Grundstücken an der Spree zu schaffen, wurde am Freitag damit begonnen Mauerstücke der East Side Galleryzu entfernen. Nachdem sich mehrere hundert Menschen eingefunden hatten, um gegen den Abriss zu protestieren, wurden die Arbeiten vorerst abgebrochen.
Frau Gunawan und ihr Mann nicken, sie wissen das längst alles, jetzt wollen sie Fotos von der weltberühmten Betonwand machen. Die beiden sind für die Flitterwochen in Europa, drei Tage haben sie für Deutschland. 'Das hier', sagt der junge Ehemann, 'sollte der Höhepunkt sein.' Er guckt jetzt etwas ratlos auf einen turmhohen Kran, der hinter der Mauer aufgefahren ist. Er soll sie einreißen. 'Also', rutscht es Frau Gunawan heraus, 'spinnen die?'
Sie spinnen, das sagen nach den Menschen aus Papua-Neuguinea jetzt auch die in Berlin. Sie sagen es im Radio, im Fernsehen und auf der Straße, sie sagen es im Senat und im Bundestag. Nur, dass eben keiner schuld daran sein will, dass Berlin dabei ist, ein weltbekanntes Denkmal zu zerstören, das Teil des Berliner Gedenkstättenkonzepts ist, dazu unter Denkmalschutz steht und zu den größten Touristenattraktionen der Stadt gehört.
Die East Side Gallery, das war bis 1989 Teil der Hinterlandmauer in Ost-Berlin, und es haben sich hier, in Schussweite der Wachtürme, dramatische Szenen abgespielt. 1972 ertrank auf der Kreuzberger Seite der Spree der achtjährige Cengaver Katranci, DDR-Wasserschutzpolizisten sahen zu. Auch andere kamen hier um, auf der Flucht, bevor Berlins längstes verbleibendes Mauerstück nach der Wende von internationalen Künstlern zur Freiluftgalerie umgestaltet und vor fünf Jahren für 2,5Millionen restauriert wurde.
Die Grundstücke dahinter, zwischen Spree und Mauer, wurden verkauft und fielen über Jahre in Dornröschenschlaf. Hier blühte eine wilde, allseits beliebte Landschaft von Strandbars. Nun aber steigen die Immobilienpreise in Berlin, und die ersten Investoren wollen bauen. Ein gewisser Maik Uwe Hinkel plant an der Mühlenstraße einen 63 Meter hohen Wohnturm für Luxusapartments, er gilt bereits als Berlins bestgehasstes Gebäude. Daneben soll ein 150 Meter langer Blockbau wachsen.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat 2008 eine Baugenehmigung erteilt. Dann brachen Proteste los, auch weil erste Neubauten am Spreeufer von erlesener Scheußlichkeit waren. Der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz bekam kalte Füße. Er lavierte, versuchte aus Bauland einen Park zu machen und den Senat zu einem Grundstückstausch zu bewegen. Ein Park, bitte sehr, heißt es beim Senat. Aber das Land bezahlt nicht für Fehler des Bezirks und rückt kein Grundstück zum Tausch heraus. Der Investor aber will jetzt eine Verbindung zwischen seinem Grund und der Mühlenstraße, er soll einen Rechtstitel für den Mauerdurchbruch haben - und die Zustimmung vom Denkmalschutz. Wenn stimmt, was aus Senatskreisen durchsickerte, wurden noch drei weitere Mauerdurchbrüche beantragt. Der Fall liegt beim Verwaltungsgericht. In der Stadt aber bricht nun ein Sturm los.
'Schande!', rufen Demonstranten, die am Freitag an der East Side Gallery zusehen, wie ein Arbeiter zwei Stahlkrallen oben an der Mauer befestigt. Es ist kurz nach acht Uhr, viele Gegner des Mauerabrisses haben sich noch nicht aus dem Bett geschält. 'Ihr vergreift euch an einem Denkmal!', schreit einer. Ein Ruck, der Kranführer zieht das Stahlseil an. 22 Meter Wand sollen hier weg, zunächst aber ist der DDR-Beton überlegen. Die Kralle rutscht ab, die Mauer bleibt stehen, die Demonstranten johlen, auch ein weiterer Versuch schlägt fehl. 'Versager', rufen die Protestierer. Blaulicht und Sirene, die Polizei ist da, vier Mannschaftswagen tauchen auf, Hunde jaulen.
Es ist eine seltene Berliner Mischung, die sich hier vor ein Denkmal stellt. Junge Leute mit Dreadlocks stehen da neben einem CDU-Politiker und älteren Herren aus der Hausbesetzerszene. Und Thierry Noir, ein Künstler, der die East Side Gallery bemalt hat. 'Sie muss für die jungen Leute erhalten werden,', sagt er, da ruckt es wieder, und das erste Mauersegment schwebt gen Himmel. Die Demonstranten stürmen vor, Sprechchöre setzen ein: 'Die Mauer muss bleiben! Wowi muss weg!' Der Regoerende Berliner Oberbürgermeister Klaus Wowereit weilt an diesem Tag in Brüssel.
In der Kulturverwaltung heißt es unterdessen, man sei 'überrascht' über den Abriss. 'Wir können nicht zu lassen, dass die letzten authentischen Mauerteile der Gewerbeindustrie weichen müssen', schimpft die CDU-Bundestagsabgeordnete Monika Grütters. In CDU wie SPD findet man die Sache 'empörend'. Wie sie zu stoppen ist, sagt allerdings keiner.
Es ist dann die Polizei, die den Spuk beendet. 'Meine Damen und Herren, hier spricht die liebe Polizei', tönt es nach stundenlangem Gerangel aus dem Lautsprecher. 'Die Bauarbeiten werden eingestellt, vorerst.' Da jubelt der Protestpulk, und jemand ruft: 'Wir kommen wieder!' Das dürften die Investoren ähnlich sehen.
Berlin - 'Verzeihung', fragt sehr höflich Monica Gunawan aus Papua-Neuguinea. 'Das ist doch ein Monument, finden sie nicht?' Monica Gunawan spaziert gerade mit ihrem Mann an der East Side Gallery entlang, dem längsten Reststück Berliner Mauer, das es noch gibt. Ein von Künstlern bunt bemalter Riegel zieht sich hier 1,3 Kilometer durch die Stadt und den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, er steht nicht weit entfernt von der Spree und da, wo mal der Todesstreifen war.
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Um Zugänge zu den Grundstücken an der Spree zu schaffen, wurde am Freitag damit begonnen Mauerstücke der East Side Galleryzu entfernen. Nachdem sich mehrere hundert Menschen eingefunden hatten, um gegen den Abriss zu protestieren, wurden die Arbeiten vorerst abgebrochen.
Frau Gunawan und ihr Mann nicken, sie wissen das längst alles, jetzt wollen sie Fotos von der weltberühmten Betonwand machen. Die beiden sind für die Flitterwochen in Europa, drei Tage haben sie für Deutschland. 'Das hier', sagt der junge Ehemann, 'sollte der Höhepunkt sein.' Er guckt jetzt etwas ratlos auf einen turmhohen Kran, der hinter der Mauer aufgefahren ist. Er soll sie einreißen. 'Also', rutscht es Frau Gunawan heraus, 'spinnen die?'
Sie spinnen, das sagen nach den Menschen aus Papua-Neuguinea jetzt auch die in Berlin. Sie sagen es im Radio, im Fernsehen und auf der Straße, sie sagen es im Senat und im Bundestag. Nur, dass eben keiner schuld daran sein will, dass Berlin dabei ist, ein weltbekanntes Denkmal zu zerstören, das Teil des Berliner Gedenkstättenkonzepts ist, dazu unter Denkmalschutz steht und zu den größten Touristenattraktionen der Stadt gehört.
Die East Side Gallery, das war bis 1989 Teil der Hinterlandmauer in Ost-Berlin, und es haben sich hier, in Schussweite der Wachtürme, dramatische Szenen abgespielt. 1972 ertrank auf der Kreuzberger Seite der Spree der achtjährige Cengaver Katranci, DDR-Wasserschutzpolizisten sahen zu. Auch andere kamen hier um, auf der Flucht, bevor Berlins längstes verbleibendes Mauerstück nach der Wende von internationalen Künstlern zur Freiluftgalerie umgestaltet und vor fünf Jahren für 2,5Millionen restauriert wurde.
Die Grundstücke dahinter, zwischen Spree und Mauer, wurden verkauft und fielen über Jahre in Dornröschenschlaf. Hier blühte eine wilde, allseits beliebte Landschaft von Strandbars. Nun aber steigen die Immobilienpreise in Berlin, und die ersten Investoren wollen bauen. Ein gewisser Maik Uwe Hinkel plant an der Mühlenstraße einen 63 Meter hohen Wohnturm für Luxusapartments, er gilt bereits als Berlins bestgehasstes Gebäude. Daneben soll ein 150 Meter langer Blockbau wachsen.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat 2008 eine Baugenehmigung erteilt. Dann brachen Proteste los, auch weil erste Neubauten am Spreeufer von erlesener Scheußlichkeit waren. Der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz bekam kalte Füße. Er lavierte, versuchte aus Bauland einen Park zu machen und den Senat zu einem Grundstückstausch zu bewegen. Ein Park, bitte sehr, heißt es beim Senat. Aber das Land bezahlt nicht für Fehler des Bezirks und rückt kein Grundstück zum Tausch heraus. Der Investor aber will jetzt eine Verbindung zwischen seinem Grund und der Mühlenstraße, er soll einen Rechtstitel für den Mauerdurchbruch haben - und die Zustimmung vom Denkmalschutz. Wenn stimmt, was aus Senatskreisen durchsickerte, wurden noch drei weitere Mauerdurchbrüche beantragt. Der Fall liegt beim Verwaltungsgericht. In der Stadt aber bricht nun ein Sturm los.
'Schande!', rufen Demonstranten, die am Freitag an der East Side Gallery zusehen, wie ein Arbeiter zwei Stahlkrallen oben an der Mauer befestigt. Es ist kurz nach acht Uhr, viele Gegner des Mauerabrisses haben sich noch nicht aus dem Bett geschält. 'Ihr vergreift euch an einem Denkmal!', schreit einer. Ein Ruck, der Kranführer zieht das Stahlseil an. 22 Meter Wand sollen hier weg, zunächst aber ist der DDR-Beton überlegen. Die Kralle rutscht ab, die Mauer bleibt stehen, die Demonstranten johlen, auch ein weiterer Versuch schlägt fehl. 'Versager', rufen die Protestierer. Blaulicht und Sirene, die Polizei ist da, vier Mannschaftswagen tauchen auf, Hunde jaulen.
Es ist eine seltene Berliner Mischung, die sich hier vor ein Denkmal stellt. Junge Leute mit Dreadlocks stehen da neben einem CDU-Politiker und älteren Herren aus der Hausbesetzerszene. Und Thierry Noir, ein Künstler, der die East Side Gallery bemalt hat. 'Sie muss für die jungen Leute erhalten werden,', sagt er, da ruckt es wieder, und das erste Mauersegment schwebt gen Himmel. Die Demonstranten stürmen vor, Sprechchöre setzen ein: 'Die Mauer muss bleiben! Wowi muss weg!' Der Regoerende Berliner Oberbürgermeister Klaus Wowereit weilt an diesem Tag in Brüssel.
In der Kulturverwaltung heißt es unterdessen, man sei 'überrascht' über den Abriss. 'Wir können nicht zu lassen, dass die letzten authentischen Mauerteile der Gewerbeindustrie weichen müssen', schimpft die CDU-Bundestagsabgeordnete Monika Grütters. In CDU wie SPD findet man die Sache 'empörend'. Wie sie zu stoppen ist, sagt allerdings keiner.
Es ist dann die Polizei, die den Spuk beendet. 'Meine Damen und Herren, hier spricht die liebe Polizei', tönt es nach stundenlangem Gerangel aus dem Lautsprecher. 'Die Bauarbeiten werden eingestellt, vorerst.' Da jubelt der Protestpulk, und jemand ruft: 'Wir kommen wieder!' Das dürften die Investoren ähnlich sehen.