Die Piratin Marina Weisband hat ein Buch über Demokratie geschrieben: Politik soll Menschen glücklich machen - irgendwie
Im Herbst 2011 war es eine ernste Frage, ob man die Berliner Piraten ins Abgeordnetenhaus wählen sollte. Dafür sprachen auch die Fortschritte des digitalen Wandels, aber nicht sie allein. Es fehlte in der Stadt eine politische Kraft, der man glauben mochte, dass sie Bürger als Bürger ernst nehmen wollte, eine liberale Kraft jenseits von Milieuschutzfuror, Rücksichtnahmen auf Bezirksverbände, und unbelastet von allzu viel Vergangenheit. Da boten die Piraten etwas Neues - und dem Wähler die Möglichkeit, sich politisch nicht so genau festzulegen. Das sei alles ziemlich pubertär, höhnte ein Freund. Aber hatte er recht?
Über die Absichten der Piratenpartei und deren kurze Geschichte ließe man sich von niemandem lieber aufklären als von Marina Weisband. Dank ihrer Biografie müsste sie über die richtige Mischung aus Distanz und Nähe verfügen. Geboren in Kiew, kam sie mit ihrer Familie Mitte der Neunzigerjahre nach Deutschland, 2009 trat sie in die Piratenpartei ein, gut ein Jahr war sie deren Politische Geschäftsführerin, bis sie sich im Mai 2012 verabschiedete, auch um ihr Psychologie-Studium zu beenden. In ihrem ersten Buch erzählt sie 'kurz aus dem Leben', räsoniert über 'politische Systeme' und trägt nachdenkliche Sätze über 'Menschen in der Politik zusammen'. Leider ist 'Wir nennen es Politik' gründlich misslungen. Es steht fast nichts darin außer Absichtserklärungen und Thesen, die keinen zweiten Blick vertragen. Über ihr Leben berichtet Weisband zurückhaltend, mit sympathischer Diskretion. Da bleibt als Fazit nur: Politiker sind auch nur Menschen. Echt?
Marina Weisband: Einst Deutschlands liebste Jungpolitikerin, jetzt Buchautorin
Über die Piraten erfährt man fade Anekdoten und sonst nichts, worüber nicht eine halbe Stunde Googeln mehr Aufschluss böte. Was Weisband politisch will? Die Welt besser machen, klar. Dazu sollen sich irgendwie alle anstrengen. Das war"s. Nichts Konkretes über Datenschutz, Urheberrecht, Informationsfreiheit, auch nichts Genaues über Schul- oder Gesundheitspolitik oder ein anderes Thema. Es sei denn, man ist mit Aufforderungen zu zivilisiertem Verhalten zufrieden. Es bleibt alles so allgemein wie möglich, nie wird es komplexer als die 'Sendung mit der Maus'. Wenn die Sätze mal nicht berückend schlicht sind, klingt es so: 'Eine junge Idee knospte so langsam in den Synapsen in der hinteren Ecke des kollektiven Bewusstseins auf.' Nun wird der Leser gleich eingangs gewarnt: 'Nehmen Sie dieses Buch nicht zu ernst. Es ist von einer 24-jährigen Studentin geschrieben, also was kann man davon erwarten?' Schon ist man verstimmt. Außenpolitische Exkurse à la Helmut Schmidt hatte niemand erwartet, aber wenigstens Interessantes über ein paar Monate inmitten der erfolgreichsten neuen Partei der Berliner Republik. Aber das ist nicht im Angebot, stattdessen - wie es im Selbstlob heißt, 'viele, viele frische Ideen' und 'viel Motivation'.
Frisch? Wenn man 'Politik' sage, 'wehe im gleichen Atemzug der Geruch von Anzügen und Geld, Konferenztischen und weißhaarigen Männern mit'. Das Klischee ist wenigstens so alt wie der Rezensent. Der Rest der versprochenen Frische verdankt sich absichtlicher und daher vereinnahmender Naivität. 'Damit wir uns nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen, haben wir Kommunikation entwickelt, die komplex genug ist, um uns auf Kompromisse und Regeln zu einigen.' Haben 'wir' das vor 40000 Jahren getan - oder als Paul den Klassenkasper gab? Egal. Hier wird man mit Teenager-Rousseauismus abgespeist: Ominöse Kollektivsubjekte erfinden mal dies, mal das. Ihre Beispiele entnimmt Weisband gern einem fiktiven Dorf. Aufs wirre Nebeneinander der großen Städte, auf die Alltäglichkeit des Unvereinbaren und auf die damit verbundene Chance zum stetigen Rollenwechsel geht sie nicht ein. Sie mag es halt überschaubar, kleine Gemeinschaften.
Ihren Titel hat Weisband von Holm Friebe und Sascha Lobo geborgt, die in 'Wir nennen es Arbeit' 2006 über die 'digitale Bohème' aufklärten. Weisband dagegen tut so, als sei sie die Erste, die über Probleme und Reformbedarf der repräsentativen Demokratie nachdenkt. Sie schöpft allein aus dem 'Ich', schreibt aus einem völlig wirklichkeitsleeren, geschichtsfreien Raum heraus, in dem forcierter guter Wille das Fehlen von Fakten, Kontroversen, Konflikten kompensieren muss.
'Politik hat das Ziel, alle Menschen möglichst glücklich zu machen.' Das sei, behauptet sie, eine Banalität, wie 'der Ball ist rund'. Menschen, die die Rundheit von Bällen bestreiten, kann man wahrscheinlich ungestraft ignorieren, nicht aber die vielen, die von Politik nicht glücklich gemacht werden wollen. Soll nicht Politik Menschen davon abhalten, sich die Köpfe einzuschlagen, einander Leid anzutun? Oder soll sie Bedingungen schaffen, unter denen jeder möglichst ungehindert seiner Vorstellung vom Glück nachrennen kann? Oder ist ein Zustand ohne Politik zu wünschen, indem nur noch verwaltet wird? Es gab und gibt darüber Streit. Aber Streit, Interessenkonflikte spielen bei Weisband höchstens am Rande eine Rolle, ihr Ziel ist Harmonie durch Dauerkommunikation.
Sie, die für 'ihre Generation' sprechen will, glaubt sich dabei mit der Vernunft und der Zeit im Bunde. Sie träumt von netzkonformer Demokratie. 'Liquid democracy' ermögliche ständige Diskussionen und Ideenaustausch: 'eine ganz neue Form der Mitbestimmung. Eine Form, die die Vorteile von direkter und repräsentativer Demokratie miteinander vereint.' In der 'liquiden Demokratie' kann man seine Stimmen je nach Thema und Tagesform delegieren, man hat einfach mehr Optionen als in der Parteiendemokratie. Ganz wichtig für alle: 'Neugier, Offenheit und die Bereitschaft, sich selbst und seine Positionen in einem Lernprozess zu ändern'.
Wem vor Hinterzimmern graut, wer die Lernfähigkeit von Institutionen und umständliche Verfahren gering schätzt, wer findet, dass alle Menschen sich mehr Mühe geben sollten, der findet hier ein anstrengungslos zu lesendes Erbauungsbuch. Wem an Transparenz und zeitgemäßen Formen des Bürgerseins liegt, der stellt nach der Lektüre ernüchtert fest, dass auch Weisband 'in einer Scheinrealität' vor sich hindümpelt. Erstaunlich schnell ist die frische politische Kraft bei der Floskelproduktion in volkspädagogischer Absicht gelandet: 'Wir wollen die Gesellschaft gestalten, in der wir noch viele, viele Jahre leben wollen.' Bitte, gern.
Marina Weisband: Wir nennen es Politik. Ideen für eine zeitgemäße Demokratie. Tropen bei Klett-Cotta, Stuttgart 2013. 174 Seiten, 16,95 Euro.
Im Herbst 2011 war es eine ernste Frage, ob man die Berliner Piraten ins Abgeordnetenhaus wählen sollte. Dafür sprachen auch die Fortschritte des digitalen Wandels, aber nicht sie allein. Es fehlte in der Stadt eine politische Kraft, der man glauben mochte, dass sie Bürger als Bürger ernst nehmen wollte, eine liberale Kraft jenseits von Milieuschutzfuror, Rücksichtnahmen auf Bezirksverbände, und unbelastet von allzu viel Vergangenheit. Da boten die Piraten etwas Neues - und dem Wähler die Möglichkeit, sich politisch nicht so genau festzulegen. Das sei alles ziemlich pubertär, höhnte ein Freund. Aber hatte er recht?
Über die Absichten der Piratenpartei und deren kurze Geschichte ließe man sich von niemandem lieber aufklären als von Marina Weisband. Dank ihrer Biografie müsste sie über die richtige Mischung aus Distanz und Nähe verfügen. Geboren in Kiew, kam sie mit ihrer Familie Mitte der Neunzigerjahre nach Deutschland, 2009 trat sie in die Piratenpartei ein, gut ein Jahr war sie deren Politische Geschäftsführerin, bis sie sich im Mai 2012 verabschiedete, auch um ihr Psychologie-Studium zu beenden. In ihrem ersten Buch erzählt sie 'kurz aus dem Leben', räsoniert über 'politische Systeme' und trägt nachdenkliche Sätze über 'Menschen in der Politik zusammen'. Leider ist 'Wir nennen es Politik' gründlich misslungen. Es steht fast nichts darin außer Absichtserklärungen und Thesen, die keinen zweiten Blick vertragen. Über ihr Leben berichtet Weisband zurückhaltend, mit sympathischer Diskretion. Da bleibt als Fazit nur: Politiker sind auch nur Menschen. Echt?
Marina Weisband: Einst Deutschlands liebste Jungpolitikerin, jetzt Buchautorin
Über die Piraten erfährt man fade Anekdoten und sonst nichts, worüber nicht eine halbe Stunde Googeln mehr Aufschluss böte. Was Weisband politisch will? Die Welt besser machen, klar. Dazu sollen sich irgendwie alle anstrengen. Das war"s. Nichts Konkretes über Datenschutz, Urheberrecht, Informationsfreiheit, auch nichts Genaues über Schul- oder Gesundheitspolitik oder ein anderes Thema. Es sei denn, man ist mit Aufforderungen zu zivilisiertem Verhalten zufrieden. Es bleibt alles so allgemein wie möglich, nie wird es komplexer als die 'Sendung mit der Maus'. Wenn die Sätze mal nicht berückend schlicht sind, klingt es so: 'Eine junge Idee knospte so langsam in den Synapsen in der hinteren Ecke des kollektiven Bewusstseins auf.' Nun wird der Leser gleich eingangs gewarnt: 'Nehmen Sie dieses Buch nicht zu ernst. Es ist von einer 24-jährigen Studentin geschrieben, also was kann man davon erwarten?' Schon ist man verstimmt. Außenpolitische Exkurse à la Helmut Schmidt hatte niemand erwartet, aber wenigstens Interessantes über ein paar Monate inmitten der erfolgreichsten neuen Partei der Berliner Republik. Aber das ist nicht im Angebot, stattdessen - wie es im Selbstlob heißt, 'viele, viele frische Ideen' und 'viel Motivation'.
Frisch? Wenn man 'Politik' sage, 'wehe im gleichen Atemzug der Geruch von Anzügen und Geld, Konferenztischen und weißhaarigen Männern mit'. Das Klischee ist wenigstens so alt wie der Rezensent. Der Rest der versprochenen Frische verdankt sich absichtlicher und daher vereinnahmender Naivität. 'Damit wir uns nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen, haben wir Kommunikation entwickelt, die komplex genug ist, um uns auf Kompromisse und Regeln zu einigen.' Haben 'wir' das vor 40000 Jahren getan - oder als Paul den Klassenkasper gab? Egal. Hier wird man mit Teenager-Rousseauismus abgespeist: Ominöse Kollektivsubjekte erfinden mal dies, mal das. Ihre Beispiele entnimmt Weisband gern einem fiktiven Dorf. Aufs wirre Nebeneinander der großen Städte, auf die Alltäglichkeit des Unvereinbaren und auf die damit verbundene Chance zum stetigen Rollenwechsel geht sie nicht ein. Sie mag es halt überschaubar, kleine Gemeinschaften.
Ihren Titel hat Weisband von Holm Friebe und Sascha Lobo geborgt, die in 'Wir nennen es Arbeit' 2006 über die 'digitale Bohème' aufklärten. Weisband dagegen tut so, als sei sie die Erste, die über Probleme und Reformbedarf der repräsentativen Demokratie nachdenkt. Sie schöpft allein aus dem 'Ich', schreibt aus einem völlig wirklichkeitsleeren, geschichtsfreien Raum heraus, in dem forcierter guter Wille das Fehlen von Fakten, Kontroversen, Konflikten kompensieren muss.
'Politik hat das Ziel, alle Menschen möglichst glücklich zu machen.' Das sei, behauptet sie, eine Banalität, wie 'der Ball ist rund'. Menschen, die die Rundheit von Bällen bestreiten, kann man wahrscheinlich ungestraft ignorieren, nicht aber die vielen, die von Politik nicht glücklich gemacht werden wollen. Soll nicht Politik Menschen davon abhalten, sich die Köpfe einzuschlagen, einander Leid anzutun? Oder soll sie Bedingungen schaffen, unter denen jeder möglichst ungehindert seiner Vorstellung vom Glück nachrennen kann? Oder ist ein Zustand ohne Politik zu wünschen, indem nur noch verwaltet wird? Es gab und gibt darüber Streit. Aber Streit, Interessenkonflikte spielen bei Weisband höchstens am Rande eine Rolle, ihr Ziel ist Harmonie durch Dauerkommunikation.
Sie, die für 'ihre Generation' sprechen will, glaubt sich dabei mit der Vernunft und der Zeit im Bunde. Sie träumt von netzkonformer Demokratie. 'Liquid democracy' ermögliche ständige Diskussionen und Ideenaustausch: 'eine ganz neue Form der Mitbestimmung. Eine Form, die die Vorteile von direkter und repräsentativer Demokratie miteinander vereint.' In der 'liquiden Demokratie' kann man seine Stimmen je nach Thema und Tagesform delegieren, man hat einfach mehr Optionen als in der Parteiendemokratie. Ganz wichtig für alle: 'Neugier, Offenheit und die Bereitschaft, sich selbst und seine Positionen in einem Lernprozess zu ändern'.
Wem vor Hinterzimmern graut, wer die Lernfähigkeit von Institutionen und umständliche Verfahren gering schätzt, wer findet, dass alle Menschen sich mehr Mühe geben sollten, der findet hier ein anstrengungslos zu lesendes Erbauungsbuch. Wem an Transparenz und zeitgemäßen Formen des Bürgerseins liegt, der stellt nach der Lektüre ernüchtert fest, dass auch Weisband 'in einer Scheinrealität' vor sich hindümpelt. Erstaunlich schnell ist die frische politische Kraft bei der Floskelproduktion in volkspädagogischer Absicht gelandet: 'Wir wollen die Gesellschaft gestalten, in der wir noch viele, viele Jahre leben wollen.' Bitte, gern.
Marina Weisband: Wir nennen es Politik. Ideen für eine zeitgemäße Demokratie. Tropen bei Klett-Cotta, Stuttgart 2013. 174 Seiten, 16,95 Euro.