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Himmelsstürmer im Formationflug

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Schreiben lernen - geht das überhaupt? Ein Besuch am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig

Fliegen Kraniche eigentlich Formation? Gänse bilden ja im Flug ein V am Himmel', überlegt eine Studentin. 'Kraniche vielleicht ein großes K?', schlägt ihr Kommilitone vor. Hier in Leipzig wird gekalauert, gekichert, und man verdreht die Augen wie in den meisten anderen Uni-Seminaren auch. Mit einem Unterschied: Die etwa 25 Anwesenden in dem hohen, hellen, verwinkelten Raum sind angehende Romanautorinnen, Dramatiker und Lyrikerinnen. Sie studieren 'Literarisches Schreiben' am Deutschen Literaturinstitut. Ein künstlerischer Studiengang mit prominenten Absolventen wie Juli Zeh, Olga Grjasnowa, Clemens Meyer oder Judith Zander, der vom Kulturbetrieb in schönster Uneinigkeit bald gefeiert, bald verflucht wird.

Seit 17 Jahren existiert das Schriftsteller-Studium nun - wieder, muss man sagen, denn dessen Vorgänger, das 'Literaturinstitut Johannes R. Becher', war 1990 nach der Wende aufgelöst worden. Studierende besetzten daraufhin das Institutsgebäude. Sie fanden prominente Unterstützer wie den Schriftsteller Erich Loest oder den Literaturwissenschaftler Walter Jens für den Kampf um eine Neugründung. Diesmal nach dem Vorbild des 'Iowa Writers" Workshop' und unter dem Dach der Universität Leipzig. Jährlich werden bis zu zwanzig Erstsemester aufgenommen. Als Institut ist das DLL bundesweit einmalig, ähnliche Möglichkeiten bieten Studiengänge wie 'Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus' in Hildesheim und 'Szenisches Schreiben' in Berlin.



Kann man Schreiben wirklich studieren? Am DLL wird das zumindest angeboten.

Im ersten Stock des Instituts, einer grauen, rundlichen, irgendwie elefantenähnlichen Jugendstilvilla, kehrt die Konzentration zurück zum Text. Diskutiert wird 'Intro', eine Kurzgeschichte über einen Journalisten. Kann man literarisches Schreiben lernen? Diese ewige, latent vorwurfsvolle Frage wird hier einfach durch die Praxis beantwortet - man tut es. Im Kurzgeschichte-Kurs des Schriftstellers und Institutsleiters Josef Haslinger ('Opernball') benennen die Teilnehmer reihum Eindrücke und Kritikpunkte. Ein plötzlicher Tempuswechsel in 'Intro' fällt auf, außerdem die allzu deutliche ironische Distanz des Erzählers. Insgesamt kommt die Geschichte gut an, vor allem lakonisch präzise Beobachtungen wie diese: 'Die Funktionsoberflächen unserer Jacken knirschen, wenn wir etwas sagen oder nichts sagen und dazu die Arme heben.'

Nicht der Inhalt steht zur Debatte, sondern Motive, Bildsprache, Klang, Präzision. Argumentiert wird höflich, fast zurückhaltend. Manche würden sich, nachdem der Schock des ersten persönlichen Feedbacks überwunden ist, ab und zu sogar klarere Worte wünschen. Der Verfasser ist schließlich hier, um herauszufinden, ob sein Text funktioniert, ob er, wie Haslinger es nennt, 'seine eigene Poetik schafft'. Was das heißt? 'Dass ein Text Überzeugungskraft entwickelt, ausgehend vom Stil, vom Umgang mit Sprache.'

Wer kommt auf die Idee, studierter Schriftsteller zu werden? Nach 16 Jahren am Institut sieht Haslinger ein Muster. 'Der typische Student hier hat ein anderes Studium begonnen, war dort unglücklich und hat mit dem Schreiben einfach nicht aufgehört.' Juli Zeh beispielsweise schrieb schon als Kind heimlich, studierte dann Jura und hörte irgendwann zufällig vom DLL. Heute zählt sie mit Bestsellern wie 'Nullzeit' zu den prominenten zeitgenössischen Autorinnen. Nicht ohne Stolz erzählt Haslinger von einer weiteren Besonderheit: Man braucht hier kein Abitur, wenn die literarische Begabung überzeugend ist.

In drei Jahren Bachelorstudium sind nur zwei Seminare verpflichtend: 'Erzähltheorie' und 'Exemplarische Werke'. Die weiteren Credit Points erwirbt man in Kursen wie Prosa, Szenisches Schreiben, Recherche, Literaturbetrieb und literarische Berufsfelder, Essay, Grundlagen filmischen Erzählens, Hörspiel oder Text und Komposition. Mit der Institutsleitung wechseln sich die Professoren ab: Josef Haslinger, der Germanist und Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel und Michael Lentz, bekannt als Lyriker und Lautpoet, nebenbei ebenfalls promovierter Literaturwissenschaftler. Auch die Gastdozenten kommen aus der Praxis, Herta Müller, Ilija Trojanow und Sibylle Lewitscharoff waren schon hier.

Derzeit unterrichten der isländisch-deutsche Schriftsteller und DLL-Absolvent Kristof Magnusson und Kathrin Röggla. Sie schreibt dokumentarisch-politische Dramen und Romane und bietet ein Seminar über literarische Grenzgänger an. Ihr gefällt das breite Spektrum der Studierenden, von jungen Abiturienten bis zu Akademikerinnen und Leuten mit zwanzig Jahren Berufserfahrung. Als Außenstehende hört sie bei Studierenden etwas heraus, das selten so formuliert wird, 'die Angst, die viele begleitet, es nicht zu schaffen, nicht zu genügen. Der Literaturmarkt ist eng geworden, das schlägt sich auch hier nieder'.

Mit den tatsächlichen Erfolgen von Leipziger Absolventinnen und Absolventen seit der Jahrtausendwende fand auch ein Kampfbegriff Einzug in die Feuilletons: 'Institutsprosa' - will heißen: handwerklich tadellos, aber inhaltlich schwach. Olga Grjasnowa, die mit ihrem Debütroman 'Der Russe ist einer, der Birken liebt' 2012 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis stand, vermutet: 'Ich glaube, das hat mit einem bestimmten Frauenbild zu tun: Es waren immer Frauen, denen Institutsprosa vorgeworfen wurde, Romane, in denen es angeblich nur um Berlin, Orientierungslosigkeit und Liebesgeschichten geht. Bei Männern hieß es dann Popliteratur und war großartig.' Ihr eigener DLL-Jahrgang lässt sich kaum über einen Kamm scheren: Kerstin Preiwuß veröffentlicht heute Lyrik bei Suhrkamp, Simon Urban hat den DDR-Krimi 'Plan D' geschrieben, Oliver Kluck wird als Shootingstar der zeitgenössischen Dramatik gefeiert.

Ihr Studium war für Grjasnowa ein Wendepunkt: 'Auf einmal bekommt es eine Art Legitimation, sich die Zeit fürs Schreiben zu nehmen', sagt die Autorin, die gerade an ihrem zweiten Roman arbeitet. In Leipzig fehlte ihr allerdings die Theorie, also verbrachte sie ein Auslandssemester am wissenschaftlicher ausgerichteten Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und ein halbes Jahr mit 'Szenischem Schreiben' an der UdK in Berlin. Neben dem Feedback der Kommilitonen halfen ihr vor allem die Recherche-Seminare am DLL, zum Beispiel mit der südkoreanischen Autorin You-Il Kang: 'Mit ihr waren wir in der Gerichtsmedizin, wo uns gezeigt wurde, wie eine Leiche aussieht, wie sie sich anfühlt. Oder wir haben das Polizeipräsidium besucht, wo es um das Schießen mit scharfer Munition ging.'

Im Bachelor probiert man alle literarischen Gattungen durch. Masterstudierende dagegen bewerben sich mit einem konkreten Romanprojekt. Die Arbeit daran begleiten Seminare wie 'Methodik, Poetik und Ästhetik des Literarischen Schreibens' bei Hans-Ulrich Treichel. Hier geht es um Literaturtheorie, doch mit dem Ziel, das eigene Schreiben zu überprüfen und zu verorten. Jonathan Böhm, dessen Textentwurf gerade besprochen wird, sagt: 'Schreiben heißt für mich, Grenzen zu überwinden. Sich seinen eigenen inneren Barrieren zu nähern.' Und irgendwie steht plötzlich die große Frage 'Warum schreiben wir eigentlich?' im Raum. 'Selbstdarstellung, ist doch klar', lautet einer der ersten Vorschläge, der mit breitem Grinsen quittiert wird. Um die Realität ästhetisch zu verarbeiten, meinen andere, um zu verstehen, etwas fassbar zu machen. Treichel bringt den Philosophen Hans Blumenberg ins Spiel: 'Der Schrecken, der zur Sprache zurückgefunden hat, ist schon ausgestanden.' Ein beruhigender Gedanke, nicht zuletzt für die Studierenden, die bald ihre Poetik-Essays abgeben müssen.

Gut schreiben ist die eine Sache, die andere ist, damit sichtbar zu werden. Mit diesem Ziel wurde vor zwölf Jahren die 'Tippgemeinschaft' gegründet, eine studentische Anthologie, die immer zur Buchmesse erscheint. Für die jährlich wechselnde Redaktion ist es jedes Mal ein Sprung ins kalte Wasser, erzählt Juliane Stadelmann. Sie kümmert sich mit sechs anderen um Textakquise, Lektorat, Gestaltung, Presse und Finanzierung - erstmals auch durch Crowdfunding -, denn die Publikation ist komplett unabhängig vom Institut. Die viele Arbeit mit der Anthologie sieht Stadelmann, die als ausgebildete Schauspielerin über das szenische Schreiben zur Literatur kam, positiv: 'Es ist gesund, wenn man sich ab und zu Wege aus dem Elfenbeintürmchen sucht und ins echte Leben geht.' Der Abdruck in der 'Tippgemeinschaft' ist für viele Studierende wichtig als Erstveröffentlichung, die für Stipendien oder Publikationen oft vorausgesetzt wird.

In der Leipziger Literaturszene präsent zu sein, ist auch das Ziel der Veranstaltungsreihe 'Hausdurchsuchung'. Die Studierenden um Magdalena Schrefel bringen Literatur an ungewöhnliche Orte, etwa eine Lyriklesung in den Waschsalon. Ihre Zwischenbilanz nach drei Semestern am DLL? Die Kulturwissenschaftlerin aus Wien hat gelernt, sich literarisch mehr zuzutrauen und daran zu glauben, 'dass die eigenen Ideen wirklich erzählenswert sind'.

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