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Ein starkes Signal

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Neubürger aus dem europäischen Ausland dürfen ihren alten Pass behalten. Das sollte auch für Türkischstämmige gelten.

Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat angeregt, das Staatsangehörigkeitsrecht zu ändern. Der 'Doppelpass' soll zulässig sein. Neu ist der Vorschlag nicht - aber dringlicher denn je. Er sollte schon 1999 verwirklicht werden, zu Beginn der rot-grünen Ära, als das Staatsangehörigkeitsrecht neu geregelt wurde. Der Versuch scheiterte damals, weil die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Roland Koch im hessischen Landtagswahlkampf in Fußgängerzonen Protest-Unterschriften gegen den Gesetzentwurf sammelte. Koch gewann dadurch die Wahl.

Um das rot-grüne Reformprojekt überhaupt zu retten und im Bundesrat zustimmungsfähig zu machen, wurde mithilfe des sozialliberal geführten Landes Rheinland-Pfalz - übrigens unter tätiger Mitwirkung Rainer Brüderles - ein Kompromiss ausgehandelt. Danach erhalten Migranten nicht erst nach 15 Jahren, wie das ursprünglich vorgesehen war, sondern nach acht Jahren das Recht auf Einbürgerung, für gemischt-nationale Ehen gibt es weitere Erleichterungen. Doch die Mehrstaatigkeit soll weiterhin vermieden werden. Und: Kinder aus der zweiten und dritten Einwanderer-Generation müssen sich im Alter zwischen 18 und 23 Jahren entweder für die deutsche Staatsangehörigkeit oder diejenige des Herkunftslandes ihrer Eltern entscheiden. Dieses 'Optionsmodell' ist die Achillesferse der gesamten Reform, die zum Jahresbeginn 2000 in Kraft trat.





Schon lange kritisieren Migrantenverbände, Wissenschaftler und die parlamentarische Opposition die Optionslösung. Regierungssprecher Steffen Seibert beschwor jetzt angesichts der wieder aufgeflammten Diskussion die 'Vermeidung der Mehrstaatigkeit' als weiterhin geltende Maxime der Koalition. Dabei gab es schon vor 1998 auch in den Reihen von CDU und FDP Abgeordnete, die mit der Tolerierung des 'Doppelpasses' liebäugelten - darunter die sogenannten Jungen Wilden, zu denen auch der heutige Umweltminister Peter Altmaier zählte. Jetzt, sieben Monate vor der Bundestagswahl, wittert die FDP ihre Chance zur Profilierung und Abgrenzung vom Koalitionspartner.

Angesichts dieses Meinungsbildes fragt man sich, warum in den 13 Jahren seit Inkrafttreten der verwässerten Staatsangehörigkeitsreform keine Gesetzesnovelle zustande gekommen ist. Der Grund: Sie gilt als unpopulär. In vielen Deutschen schlummert eine tiefe Missgunst gegenüber anderen, die - vermeintlich oder tatsächlich - ein Privileg genießen dürfen. Ich erinnere mich daran, wie während der Doppelpass-Kampagne in Hessen manche ansonsten durchaus reformfreudige Mitbürger fragten: 'Warum soll ein Ausländer zwei Pässe haben? Ich habe doch auch nur einen!' So redeten beileibe nicht nur CDU-Anhänger, sondern auch SPD-Mitglieder. Doppelstaatler seien 'nicht Fisch und nicht Fleisch', von Loyalitätskonflikten zerrissen.

Der zweite Grund: Zwar wird Integration in der deutschen Politik mittlerweile hoch bewertet, jedoch allein als Bringschuld der Einwanderer verstanden. Dass auch die aufnehmende Gesellschaft Zeichen des Entgegenkommens und des Verständnisses für die Bedürfnisse der Migranten setzen sollte, leuchtet nur wenigen ein. Dabei ist erfolgreiche Integration ein wechselseitiger Prozess der Annäherung mit dem Ziel, friedlich auf der Basis der Werte unseres Grundgesetzes miteinander zu leben.

Es gibt durchaus Menschen wie den aus Marokko stammenden 24-jährigen Younes Ouaquasse (inzwischen Bundesvorstandsmitglied der CDU), der sich bewusst nur für den deutschen Pass entschieden hat. Er wolle sich 'keine Hintertür' offen lassen, sagte er in einem Interview. Für die Mehrheit der Migranten gilt jedoch, dass sie die Bindung zur Kultur, Tradition und Wesensart ihres Herkunftslandes wahren wollen. Eine 18-jährige Berliner Schülerin, Tochter türkischer Einwanderer, antwortete auf die Frage, welche Staatsangehörigkeit sie wählen würde: 'Ich bleibe ja wohl in Deutschland, also: die deutsche. Aber vielleicht gehe ich auch in die Türkei ... Ach, ich möchte doch beide. Und ich bin ja auch beides.'

Mehrstaatigkeit ist kein Wunschziel, sie soll lediglich dem Einbürgerungswunsch nicht entgegenstehen. Und sie ist in Deutschland längst Realität. Es leben unter uns viele Doppelstaatler, der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident David McAllister ist beispielsweise einer. Zu ihnen gehören Zuwanderer aus Ländern, die ihre Bürger nicht aus der Staatsangehörigkeit entlassen, zum Beispiel Iran und Marokko; zu ihnen gehören vor allem aber EU-Bürger, die seit 2007 ihre Staatsbürgerschaft nicht mehr aufgeben müssen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes durften im Jahr 2011 rund 50 Prozent der Neubürger ihren alten Pass behalten. All das hat unsere Republik nicht aus den Angeln gehoben. Die Argumente gegen die doppelte Staatsbürgerschaft stehen somit auf schwankendem Boden.

Damit verstärkt sich aber bei den anderen Migranten das Gefühl, als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden. Es trifft vor allem die große Gruppe Türkischstämmiger. Und mit der wachsenden Anzahl von Zuwanderern aus süd- und südosteuropäischen EU-Ländern wird sich die Schieflage noch verstärken. Viele Junge mit türkischen Wurzeln sind drauf und dran, sich von dieser Gesellschaft abzuwenden. Auch solche an der Spitze der sozialen Pyramide, die Repräsentanten der neuen Eliten mit Migrationsgeschichte, hadern mit den ausländerrechtlichen Regularien in Deutschland. Nach neueren Untersuchungen spielen rund 40 Prozent der türkischstämmigen Studierenden mit dem Gedanken wegzuziehen. Keine gute Entwicklung in einem Land, das auf qualifizierte und talentierte Zuwanderer angewiesen ist. Der zweite Pass und der Verzicht auf die Optionspflicht wären ein kraftvollerer Beitrag zu der oft beschworenen 'Willkommenskultur' als die vielerorts schon liebevoll gestalteten Einbürgerungsfeierlichkeiten in Rathäusern und Festsälen.

Und dann ist da noch etwas. Acht von zehn Mordopfern der rechtsextremen Terrorgruppe NSU waren türkischstämmige Einwanderer. Bislang haben die Hinterbliebenen zwar gute Worte der Anteilnahme und der Scham gehört, auch die berechtigte Kritik an der schleppenden Ermittlungs- und Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden. Eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts wäre darüber hinaus ein klares, entschiedenes Signal gegen Fremdenfeindlichkeit. Und sie könnte mehr Gerechtigkeit in der Einwanderungspolitik schaffen. Ich bin sicher: Ein Proteststurm würde diesmal ausbleiben. Die Gesellschaft des Jahres 2013 ist ein Stück weiter als anno 1999. Gottlob.

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