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Wer suchet, hat noch lange nicht gefunden

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Nach dem Kompromiss zum Atommüll-Endlager ist weiter unklar: Wohin in der Zwischenzeit mit dem Müll?

Der am Sonntag gefundene Kompromiss zu einer bundesweiten Suche nach einem Atommüll-Endlager wirft eine Menge offener Fragen auf. Ungeklärt ist vor allem, wohin der ursprünglich für das Zwischenlager Gorleben geplante Atommüll künftig transportiert werden soll.

Nach Auskunft der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS), die für die Energieversorger zentrale Zwischenlager im niedersächsischen Gorleben sowie im nordrhein-westfälischen Ahaus betreibt, gibt es derzeit deutschlandweit kein weiteres Lager, das eine Genehmigung zur Einlagerung sogenannter verglaster Wiederaufarbeitungs-Abfälle in Castor-Behältern besitzt. Dieser Aspekt sei am Sonntag, als Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) den Kompromiss verkündet habe, 'wohl ein wenig zu kurz gekommen', sagte ein Sprecher der GNS. Zwar kann grundsätzlich jeder Betreiber eines Zwischenlagers eine solche Genehmigung beantragen. Aber das Interesse daran scheint bislang gering zu sein. Und ob sich das ändert, lässt sich nicht vorhersagen. 'Niemand kann die Betreiber dazu zwingen', sagte der GNS-Sprecher weiter.



Wohin mit dem Atommüll?

Altmaier hatte sich am Sonntag mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Landesumweltminister Stefan Wenzel (Grüne) darauf verständigt, eine aus 24 Personen bestehende Enquetekommission einzurichten, die bis 2015 die Grundlagen und Vergleichskriterien für die bundesweite Suche nach einem Atommüll-Endlager erarbeiten soll. Bis zur Sommerpause soll dies im 'Standortsuchgesetz' verankert werden. Ein erster Entwurf dessen ist bereits vor einiger Zeit vorgelegt worden. Am 7. April soll eine Bund-Länder-Runde endgültig über den Kompromiss entscheiden.

Niedersachsens rot-grüne Landesregierung hofft, dass über die noch zu erarbeitenden Kriterien für die Endlagersuche der hochumstrittene Salzstock Gorleben ausscheiden wird, der seit 1977 im Fokus steht. Um den Verdacht der Gorleben-Gegner zu entkräften, hinter den Kulissen sei eine Entscheidung für Gorleben bereits gefallen, sollen nach der Verabschiedung des Gesetzes keine weiteren Castoren mit Atommüll mehr in das dortige oberirdische Zwischenlager transportiert werden. Ein Sprecher Altmaiers sagte am Montag, es sei noch keine Vorfestlegung getroffen, wohin der Müll stattdessen gehen solle. Neben zentralen Lagern wie Gorleben und Ahaus haben unter anderem die neun noch laufenden Kernkraftwerke eigene Zwischenlager. Allerdings sind die Genehmigungen immer begrenzt auf konkrete Mengen, Behälter und Arten von Abfällen. Als Altmaier, Weil und Wenzel am Sonntag den Stopp für weitere Transporte nach Gorleben verkündeten, hatten sie lediglich gesagt, dass noch geplante Transporte 'auf andere Zwischenlager verteilt' werden sollten. Dazu sei die Zustimmung der betroffenen Bundesländer erforderlich. Was sie nicht erwähnten: Auch die Betreiber der Zwischenlager - und damit die privaten AKW-Betreiber - müssen dazu Ja sagen.

Das sind die vier großen Energieversorger RWE, Eon, EnBW und Vattenfall. Diese sind grundsätzlich verpflichtet, den von ihnen produzierten radioaktiven Müll auch selbst zu entsorgen. Genau aus diesem Grund sind sie Eigentümer der GNS geworden, die in ihrem Auftrag sowohl die früheren Transporte zu Wiederaufarbeitungsanlagen im Ausland als auch die Rücktransporte von dort nach Ahaus und Gorleben organisiert. Aber unter den vier Energieriesen gibt es wenig Verständnis dafür, dass nun 'allein aus politischen Gründen' eines der Zwischenlager von weiteren Einlagerungen ausgenommen wird.

Die nächsten Transporte nach Gorleben stehen 2015 an. Dann müssen fünf Castor-Behälter aus dem französischen La Hague nach Deutschland gebracht werden. Dazu ist Deutschland völkerrechtlich verpflichtet. Hinzu kommen 21 Behälter mit hochradioaktivem Material aus dem britischen Sellafield. Wohin sie transportiert werden sollen, ist unklar. 'Das wird Teil der Gespräche sein, die jetzt geführt werden müssen', sagte Altmaiers Sprecher. Sollte der Bund die Hoffnung gehegt haben, die nächsten Castor-Transporte könnten zur Not in die staatlich betriebenen Energiewerke Nord in Greifswald geliefert werden, wird er wohl enttäuscht werden. Dort wird auch Atommüll gelagert, aber nur aus staatlichen Reaktoren wie Forschungsreaktoren. Nach SZ-Informationen will das Unternehmen daran nichts ändern.

Trotz der vielen offenen Fragen begrüßte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Kompromiss. Sie habe immer gehofft, dass es noch in dieser Legislaturperiode möglich sei, 'diesen wirklich bitteren, jahrzehntelangen Streit ad acta zu legen', sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen lobte die Einigung. 'Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir einen nationalen Konsens noch in dieser Legislaturperiode erreichen werden.' Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hatten nach SZ-Informationen an dem Kompromiss mitgewirkt. Beide hätten ihre zunächst widerstrebenden Parteikollegen in Hannover gedrängt, Gorleben nicht mehr von vornherein auszuschließen, hieß es. Eine Übereinkunft sei angesichts der Kompromissbereitschaft Altmaiers dringend angeraten.

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