Gegen New Yorker Pop-Tristesse hilft nur irrer Lärm aus Europa.
Wenn ich mir allabendlich ein kleines Loch in die Schneedecke hinter der Mehrzweckturnhalle schaufle, um ein wenig das Gras wachsen zu hören, dann dringt regelmäßig an meine kalten Ohren, dass ein paar lieb gewonnene Allgemeinplätze auch nicht mehr das sind, was sie mal waren.
"Einige meiner besten Freunde stammen aus Brooklyn und Bielefeld. Aber die Musik, die Mode, die Kunst, die Galerien, das Straßenbild lassen dann doch zu wünschen übrig."
So murren die Hipster im gefrorenen Boden über Produkte der Apfel-Sekte, sie benutzen dafür sogar Ausdrücke der Fäkalsprache. Was Pop angeht, so sind sich die Maikäferlarven einig, dass der Fusselbart seine besten Tage gesehen hat und ... Moment, halt, stopp! Der Fusselbart? Der Gesichtsflokati für Erstsemester? Dieses untrügliche Signum eines angelesenen und dann unterdrückten Geschlechterbewusstseins? Diese krause Manifestation eines schlechten heterosexuellen Gewissens?
Wenn mir jetzt noch mehr Metaphern einfallen, muss ich mich gar nicht mehr über die Klänge lustig machen, die ein Fusselbärtiger über die In-Ear-Phones via Spotify-Abo an seine tympanic membrane lässt. Falls Sie nicht aus Brooklyn stammen: gemeint ist damit das Trommelfell. Ui, jetzt ist das Wort auch schon gefallen - Brooklyn. Wo man so tolle Sachen kaufen und zum Fusselbart tragen kann. Der Stadtteil, der für Manhattan das ist, was West-Berlin einst für die Bundesrepublik war. Ein toleranter und weltoffener Hort für Nervensägen aus Bielefeld (heute nennt man Bielefelder aber unverständlicherweise 'Schwaben').
Nur um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Einige meiner besten Freunde stammen aus Brooklyn und Bielefeld. Aber die Musik, die Mode, die Kunst, die Galerien, das Straßenbild lassen dann doch zu wünschen übrig, wenn die Adabeis die stets zu wenig vorhandenen Originalgenies in Brooklyn zahlenmäßig ums Hundertfache übertreffen. So ging es einst in San Francisco, dann in Seattle und Chicago, seufz, und jetzt hört man wirklich fast nur noch dieses feinsinnige Bartkratzen und dieses Unverständliche-Texte-Seufzen aus Brooklyn und um Brooklyn herum. Aber technisch so fein produziert, dass man für die Adam Opel-Werbung in Frage kommt, so dass man als Graswachsenhörer gar nicht umhin kann, unter Kreativgesichtspunkten das baldige Ende dieser hippen Wohngegend vorauszusehen.
Nach diesem kräftezehrenden Anlauf darf der Leser natürlich hoffen, nun zu erfahren, in welcher Weltgegend sich die Kreativ-Migranten demnächst niederlassen werden. Diese Information ist also allein schon wegen der zu erwartenden Auswirkungen auf die Immobilienpreise dort kein schlechter Grund, mal wieder Feuilleton zu lesen. Doch hier wird gekniffen, sorry. Dafür aber, als Kompensationsvorschlag, wird ein lautstarkes Gegengift zu den Brooklyn-Bands verabreicht: ein brüllend psychedelischer Lärm aus Europa.
So laut, als sei halb Norwegen eine Bohrinsel auf den Fuß gefallen, als leide ganz Schweden an Hörsturz, als drehten jetzt sogar die Franzosen durch. Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Elephant 9 sind ein Trio aus Oslo, das sich einer Musik verschrieben hat, die man am gescheitesten als Mischung aus Deep Purple und dem Mitt-Siebziger Miles Davis beschreibt. Was damals von Kokain und zu vielen männlichen Hormonen befeuert war, klingt aus den Verstärkern dieser Diaspora-Combo heute besser und vitaler, als man um die Kraftentfaltung eines roten Ferrari weiß, aber auch danach, wie man diese wieder drosselt. So regiert hier nicht Größenwahn und Geniekult, sondern ein über Jahre gewachsenes, ebenso tiefes wie lautes Verständnis füreinander und für diese heute so seltsam aus der Zeit gefallenen Musik: 'Atlantis' (Rune Grammofon).
Dasselbe Label bietet dem Berserker Mats Gustavsson eine Heimat für seine Unternehmungen unter dem Namen 'Fire!', die sich gar zu einem Fire!-Orchestra ausgewachsen haben. Dutzende Menschen, die sonst blutrünstige Schwedenkrimis bevölkern, kreieren mit 'Exit!' eine so nicht zu erwartende Gemengelage von Krautrock, Punk-Grobheiten und der Radikalität früher Free-Big-Bands. Allerdings türmt Gustavsson hier nicht nur kraftmeierisch aufeinander, was nicht zusammengehört, sondern weist den Stilelementen klug ihren angemessenen Platz zu.
Ein Meisterwerk! Was man auch vonCaravaggios Album '#2' behaupten kann (La Bouisonne): Das Quartett um den Bassisten Bruno Chevillon versteht es abgeklärt, seine Wim Wenders- und Werner Herzog-Referenzen in glühende Psychedelik-Jams zu verwandeln.Wen es nach diesen Bolzplatzvergnügungen nach subtilstem Flirren verlangt und nach Schwerelosigkeit: das John Abercrombie Quartet bietet dies auf 'Within A Song' (ECM). Noch ein Satz zur Verlässlichkeit des von mir als Orakel befragten Grases: Ich hielt die mit 'Abercrombie' beschrifteten T-Shirts jahrelang für den Beweis dafür, dass des dem Gitarristen John Abercrombie so schlecht nicht gehen kann. Manno!
Wenn ich mir allabendlich ein kleines Loch in die Schneedecke hinter der Mehrzweckturnhalle schaufle, um ein wenig das Gras wachsen zu hören, dann dringt regelmäßig an meine kalten Ohren, dass ein paar lieb gewonnene Allgemeinplätze auch nicht mehr das sind, was sie mal waren.
"Einige meiner besten Freunde stammen aus Brooklyn und Bielefeld. Aber die Musik, die Mode, die Kunst, die Galerien, das Straßenbild lassen dann doch zu wünschen übrig."
So murren die Hipster im gefrorenen Boden über Produkte der Apfel-Sekte, sie benutzen dafür sogar Ausdrücke der Fäkalsprache. Was Pop angeht, so sind sich die Maikäferlarven einig, dass der Fusselbart seine besten Tage gesehen hat und ... Moment, halt, stopp! Der Fusselbart? Der Gesichtsflokati für Erstsemester? Dieses untrügliche Signum eines angelesenen und dann unterdrückten Geschlechterbewusstseins? Diese krause Manifestation eines schlechten heterosexuellen Gewissens?
Wenn mir jetzt noch mehr Metaphern einfallen, muss ich mich gar nicht mehr über die Klänge lustig machen, die ein Fusselbärtiger über die In-Ear-Phones via Spotify-Abo an seine tympanic membrane lässt. Falls Sie nicht aus Brooklyn stammen: gemeint ist damit das Trommelfell. Ui, jetzt ist das Wort auch schon gefallen - Brooklyn. Wo man so tolle Sachen kaufen und zum Fusselbart tragen kann. Der Stadtteil, der für Manhattan das ist, was West-Berlin einst für die Bundesrepublik war. Ein toleranter und weltoffener Hort für Nervensägen aus Bielefeld (heute nennt man Bielefelder aber unverständlicherweise 'Schwaben').
Nur um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Einige meiner besten Freunde stammen aus Brooklyn und Bielefeld. Aber die Musik, die Mode, die Kunst, die Galerien, das Straßenbild lassen dann doch zu wünschen übrig, wenn die Adabeis die stets zu wenig vorhandenen Originalgenies in Brooklyn zahlenmäßig ums Hundertfache übertreffen. So ging es einst in San Francisco, dann in Seattle und Chicago, seufz, und jetzt hört man wirklich fast nur noch dieses feinsinnige Bartkratzen und dieses Unverständliche-Texte-Seufzen aus Brooklyn und um Brooklyn herum. Aber technisch so fein produziert, dass man für die Adam Opel-Werbung in Frage kommt, so dass man als Graswachsenhörer gar nicht umhin kann, unter Kreativgesichtspunkten das baldige Ende dieser hippen Wohngegend vorauszusehen.
Nach diesem kräftezehrenden Anlauf darf der Leser natürlich hoffen, nun zu erfahren, in welcher Weltgegend sich die Kreativ-Migranten demnächst niederlassen werden. Diese Information ist also allein schon wegen der zu erwartenden Auswirkungen auf die Immobilienpreise dort kein schlechter Grund, mal wieder Feuilleton zu lesen. Doch hier wird gekniffen, sorry. Dafür aber, als Kompensationsvorschlag, wird ein lautstarkes Gegengift zu den Brooklyn-Bands verabreicht: ein brüllend psychedelischer Lärm aus Europa.
So laut, als sei halb Norwegen eine Bohrinsel auf den Fuß gefallen, als leide ganz Schweden an Hörsturz, als drehten jetzt sogar die Franzosen durch. Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Elephant 9 sind ein Trio aus Oslo, das sich einer Musik verschrieben hat, die man am gescheitesten als Mischung aus Deep Purple und dem Mitt-Siebziger Miles Davis beschreibt. Was damals von Kokain und zu vielen männlichen Hormonen befeuert war, klingt aus den Verstärkern dieser Diaspora-Combo heute besser und vitaler, als man um die Kraftentfaltung eines roten Ferrari weiß, aber auch danach, wie man diese wieder drosselt. So regiert hier nicht Größenwahn und Geniekult, sondern ein über Jahre gewachsenes, ebenso tiefes wie lautes Verständnis füreinander und für diese heute so seltsam aus der Zeit gefallenen Musik: 'Atlantis' (Rune Grammofon).
Dasselbe Label bietet dem Berserker Mats Gustavsson eine Heimat für seine Unternehmungen unter dem Namen 'Fire!', die sich gar zu einem Fire!-Orchestra ausgewachsen haben. Dutzende Menschen, die sonst blutrünstige Schwedenkrimis bevölkern, kreieren mit 'Exit!' eine so nicht zu erwartende Gemengelage von Krautrock, Punk-Grobheiten und der Radikalität früher Free-Big-Bands. Allerdings türmt Gustavsson hier nicht nur kraftmeierisch aufeinander, was nicht zusammengehört, sondern weist den Stilelementen klug ihren angemessenen Platz zu.
Ein Meisterwerk! Was man auch vonCaravaggios Album '#2' behaupten kann (La Bouisonne): Das Quartett um den Bassisten Bruno Chevillon versteht es abgeklärt, seine Wim Wenders- und Werner Herzog-Referenzen in glühende Psychedelik-Jams zu verwandeln.Wen es nach diesen Bolzplatzvergnügungen nach subtilstem Flirren verlangt und nach Schwerelosigkeit: das John Abercrombie Quartet bietet dies auf 'Within A Song' (ECM). Noch ein Satz zur Verlässlichkeit des von mir als Orakel befragten Grases: Ich hielt die mit 'Abercrombie' beschrifteten T-Shirts jahrelang für den Beweis dafür, dass des dem Gitarristen John Abercrombie so schlecht nicht gehen kann. Manno!