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Kein Geld, nirgends

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Städtische Angestellte, Babysitter aus Bulgarien, Rentner: Die Menschen auf der Insel fürchten um ihre Existenz

Es ist 8.30 Uhr morgens in Nikosia, Tag zwei der Wiederöffnung der Banken. Vor der Bank of Cyprus auf dem zentralen Freiheitsplatz warten gerade mal fünf Leute auf Einlass. Schon am Tag eins war der befürchtete Ansturm ausgeblieben, weshalb Filialleiter Dimitris Antoniou erleichtert ist. 'Wir hatten gestern einen Kunden, der eine Million Euro verloren hat und er hat unseren Angestellten Süßigkeiten mitgebracht', sagt Antoniou.

Gelassen schlendert der Filialleiter am frühen Freitagmorgen über den Platz. Er weiß inzwischen, er muss die Wut der Bür-ger nicht fürchten. Die suchen zwar nun nach den Schuldigen für das Schlamassel, in das sie so plötzlich geraten sind. Dabei richtet sich der Blick aber bereits auf die Politiker des Landes und die oberen Ränge der zwei größten zyprischen Banken: der Laiki-Bank, die nun abgewickelt wird, und der Bank of Cyprus (BoC). Die wird nur 'restrukturiert' - mit dramatischen Folgen. Wer der Laiki vertraut hat, dem bleiben höchstens 100 000 Euro, alles darüber, und seien es Millionen, ist erst einmal weg. Kunden der BoC müssen mit Abschlägen von 40 Prozent oder mehr rechnen.



Am Donnerstag bildeten sich noch Schlangen vor den Banken in Zypern.

Zentralbankchef Panikos Dimitriadis be-schuldigt inzwischen in aller Öffentlichkeit die bis vor fünf Wochen regierenden Kommunisten von Ex-Präsident Dimitris Christofias. Diese hätten nichts gegen die aufziehende Katastrophe getan. Im Gegen-teil: Sie hätten die Laiki-Bank 'neun Mo-nate' lang künstlich am Leben erhalten, bis zur Präsidentenwahl. Der Zentralbankchef steht deshalb nun selbst im Kreuzfeuer. Das Parlament in Nikosia debattierte am Donnerstag über seine sofortige Entlassung. Ein Blick in die Verfassung, die für einen solchen Schritt ein neues Gesetz fordert, verhinderte einen solchen Beschluss.

Unterdessen macht eine Liste bei zypri-schen Zeitungen die Runde. Darauf stehen die Namen von mehr als einem Dutzend Politiker der Linken und der nun regieren-den Konservativen sowie von Vorständen der Banken. Sie alle haben selbst große Kredite erhalten oder für Familienmitglieder gebürgt. In mehreren Fällen sollen die Kredite nicht voll zurückbezahlt worden sein. Der Streit dreht sich nun darum, ob die Prominenz von den Banken besser behandelt wurde als andere Kunden.

Von einer 'Schocktherapie' für Zypern spricht das Staatsfernsehen RIK am Freitag. Und es wirkt, als erlebe das kleine Zypern nun fast alle Stadien der Krise, die das - nach der Einwohnerzahl - zwölfmal grö-ßere Griechenland bereits kennt, nur im Zeitraffer. So hat die Regierung in Nikosia bereits den früheren Richter am Internati-onalen Gerichtshof in Den Haag, Giorgos Pikis, und zwei Ex-Richter des höchsten Gerichtshofs des Landes damit beauftragt, die Verantwortlichen für das Desaster zu finden. Die drei Experten hätten, so das Präsidialamt, freie Hand, alles zu untersuchen, von politischen Entscheidungen bis zu kriminellen Handlungen, von Politikern wie von Bankvorständen.

Aber nicht nur mit der Ursachenfor-schung scheint Zypern sich zu beeilen. Die Folgen des Zusammenbruchs könnten die Bürger der Sonneninsel auch schneller treffen als in Griechenland. Dutzende Städte und Gemeinden hatten ihre Konten bei den beiden einst führenden Geldinstituten. Ob und wann sie ihre Angestellten bezahlen können, ist fraglich. Gleiches gilt für die Universität von Nikosia. Experten rechnen mit einer stark steigenden Arbeitslosigkeit und einer tiefen Rezession.

Zuerst dürften dies die mehr als 100 000 Ausländer zu spüren bekommen, die Zyperns Alltags-Ökonomie am Laufen halten: Die Zimmermädchen aus Bulgarien und Rumänien, die für 20 Euro am Tag arbeiten; die Haushaltshilfen von den Philippinen, die Zyperns Sozialstaat bilden, weil sie auf Kleinkinder und Großeltern aufpassen. Dazu Inder und Pakistaner, auf Baustellen und in der Landwirtschaft. Viele dieser Jobs sind schlecht bezahlt. 'Fünf Jahre arbeitet mein Mann hier in derselben Firma, er hat seitdem nur 40 Euro Gehaltserhöhung bekommen', klagt eine Rumänin, die sich selbst mit drei Jobs in Hotels und einem Kiosk über die Runden rettet. 'Was sollen wir jetzt machen?', fragt die Frau: 'Zurückgehen?'

Am Tag eins der Bankenöffnung gibt es auch viele, die sich nicht in die Schlangen vor den Schaltern stellen wollen. Sie sind nur Zuschauer, wie zwei Männer aus Pakistan. Sie achten auf dem Freiheitsplatz darauf, nicht in den Fokus der vielen Fernsehkameras aus aller Welt zu geraten. 'Sie haben uns hier immer schlecht behandelt', sagt der eine. 'Die Zyprer haben ein zu großes Ego', meint der andere. Dann deutet er auf die Wartenden vor den Bankfilialen und sagt: 'Diese Leute meine ich nicht, die können nichts dafür.'

Geduldig in Reihe vor den Banken stehen vor allem Rentner, die keine EC-Karten haben und denen während der fast zwölftägigen Schließung der Institute das Bargeld ausgegangen ist. Direkt vor dem Eingang der Bank of Cyprus bezieht auch ein Mann mit einem selbstgefertigten Plakat Stellung. Es ist eine Anklageschrift. Darauf steht: 'Warum müssen die internationalen Medien so gierig auf Horrorszenarien sein?! Ist anständiger und investigativer Journalismus tot? Solidarität mit den Zyprern. Nicht mit ihren Banken!' Die Kameras richten sich auch kurz auf den stummen Protest, dann schwenken sie wieder auf die Reihen der Rentner. Der Mann mit dem Plakat ist der Leiter des Goethe-Instituts in Nikosia, Björn Luley. Das wissen aber die wenigsten der Umstehenden. Auch nicht jene erregte Zyprerin, die ein Team des Ersten Deutschen Fernsehens anschreit. 'Der Holocaust wird niemals vergessen werden', sagt die Frau, und so wie damals werde Deutschland heute wieder schuldig am Schicksal der Länder des Südens, denen die Kraft zum Atmen genommen werde. Die Frau wiederholt ihren Wutausbruch dann noch einmal - für die Kamera des ARD-Teams.

Viele sagen nun, die Geldwirtschaft habe Zypern dazu verführt, anderes zu vernachlässigen. Im Supermarkt gibt es Birnen aus Südafrika und Zwiebeln aus Holland. 'Wir müssen anfangen, die Schuld bei uns zu suchen', meint ein junger Unternehmer. Seinen Namen sagt er nicht, an seinem Arm zerrt die dreijährige Tochter. Der Mann sagt: 'Wir müssen unser Land neu aufbauen, aber diesmal besser als zuvor.'

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