Die 'Neue Zürcher Zeitung' ist berühmt für Qualitätsjournalismus, der stets eigenen Regeln folgte. Nun stellen sich die Manager an der Falkenstraße radikal darauf ein, dass Print seine Bedeutung verliert
Tanten, zumal jenseits einer gewissen Altersgrenze, genießen häufig keinen besonders guten Ruf in der Verwandtschaft, sind sie doch oft als verzopft und altmodisch verschrien. Doch manchmal täuscht der Eindruck: Es soll nicht wenige alte Tanten geben, die im fortgeschrittenen Alter in einen kurzen Rock und hohe Pumps schlüpfen und es noch einmal richtig krachen lassen. 'Alte Tante' ist seit Langem der Spitzname, den man der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) verpasst hat. Respekt für das 232 Jahre alte, angesehene Blatt aus der Züricher Falkenstraße schwingt dabei ebenso mit wie leichter Spott über die Schrullen, für welche die Zeitung ebenso bekannt war. Eine Zeitung, die auch schon mal die Titelseite für eine Analyse der soziokulturellen Lage in Nordwest-Kordofan freiräumte, mochte zwar nicht unbedingt die Hand am Puls der Zeit haben. Dennoch ließ sich ihr eine gewisse Größe nicht absprechen.
Diese Zeiten sind inzwischen vorbei, auch die NZZ ist normaler geworden: Sie druckt Bilder, hat ein Layout, das den Namen verdient, und auch bei ihr wird jetzt aus der wichtigsten Nachricht des Tages der Aufmacher.
Markus Spillmann freilich gefällt das Wort 'normal' nicht so gut. 'Journalistischer' sei das Blatt geworden, will der Chefredakteur höchstens einräumen, ansonsten möchte man schon noch anders sein als die anderen. Derzeit beweist das Traditionsblatt seine Andersartigkeit auf eine ungewohnte Weise: Unter dem Schlagwort Konvergenz werden die Redaktionen von Print und Online zusammengeführt. Die Unterschiede zwischen den beiden Erscheinungsformen sollen sukzessive getilgt werden. Auch wenn es bislang nur wenige zugeben wollen: Am Ende wird es voraussichtlich nur noch eine elektronische NZZ geben - vielleicht mit ein paar gedruckten Exemplaren für einen auserlesenen Kreis betuchter Connaisseurs, die bereit sind, sich diesen Luxus etwas kosten zu lassen.
Die 'Neue Züricher Zeitung' verlangt für Online-Artikel Bares
Vor allem aber hat die NZZ einen Schritt gewagt, vor dem die meisten anderen Publikationen in der deutschen Medienlandschaft bisher zurückgeschreckt sind: Seit Anfang Oktober verlangt sie Geld für ihren Online-Auftritt. Die ersten zwanzig Artikel pro Monat sind frei, dann wird der Leser aufgefordert, ein Abonnement abzuschließen. Für 428 Franken (etwa 354 Euro) im Jahr wird ihm dann der Zugang zur Website ebenso freigeschaltet wie zum ePaper, das die Druckausgabe elektronisch wiedergibt und das schon jetzt 11 000 Abonnenten zählt. Eine eigene iPad-Edition gibt es noch nicht.
Die ersten Ergebnisse sind nach Verlagsangaben positiv. Für genaue Zahlen sei es noch zu früh. Die Konkurrenz in der Schweiz, aber auch in Deutschland verfolgt das eidgenössische Experiment genau: zum einen mit etwas Missgunst, weil ausgerechnet die altmodischen Schweizer den Mut dafür zeigten; zum anderen aber drücken sie der Tante die Daumen. Wenn das Experiment glückt, können sich andere Blätter vielleicht anschließen. Für die Führungsspitze in Verlag und Redaktion der NZZ freilich gab es keine andere Wahl, als die Flucht nach vorne anzutreten. 'Ich bin tief, ja fast gläubig, davon überzeugt, dass wir unsere Form von Publizistik zeitgerecht auch auf elektronischen Kanälen anbieten müssen', sagt Spillmann, der die Redaktion seit 2006 führt. 'Wenn uns das nicht gelingt, werden wir eines Tages aussterben.' Als 'Abgesang auf die gedruckte Presse' will der 45-Jährige seine Worte nicht verstehen: 'Es ist nur eine nüchterne Analyse dessen, was vor uns liegt.'
Fast wortgleich umreißt der Geschäftsführer der NZZ Mediengruppe die Lage. 'Der Schritt war alternativlos', betont Albert Stäheli. 'Es geht ums Überleben in einer sich verändernden Marktlandschaft, darum, den digitalen Wandel selbst zu gestalten und unsere Leistung in der digitalen Welt zur Verfügung zu stellen', sagt der 63-jährige Medienmanager. 'Das hat nichts mit einer Vision zu tun, das ist knallhartes Geschäft.'
Stäheli war vor vier Jahren als erster CEO in der Geschichte des Blattes zur NZZ geholt worden, um 'den Karren aus dem Dreck zu ziehen', wie es damals ein Wirtschaftsblatt formulierte. Denn die Traditionszeitung war sowohl von der allgemeinen Krise im Verlagswesen als auch von geschäftlichen Fehlentscheidungen schwer gebeutelt worden. Inzwischen hat sich die Lage stabilisiert, obschon auch die Neue Zürcher Zeitung weiter kräftig Anzeigen verliert. Die Leser sind zwar treu und haben auch einen Anstieg des Abopreises um 22 Prozent in den vergangenen vier Jahren weitgehend klaglos geschluckt. Aber sie sind überwiegend älter, und es wird schwerer, jüngere Leser zu gewinnen. Klasse statt Masse, das war schon immer das Motto der NZZ, die täglich 130 000 Exemplare verkauft. Das Prinzip ließ sich der Verlag etwas kosten: Man investierte in Experten und in ein dichtes Auslandskorrespondentennetz. Diese Kompetenz will man beibehalten, aber man kann sie nicht - wie sowohl Stäheli als auch Spillmann betonen - für die Online-Edition verdoppeln. Deshalb werden alle Autoren nun die gedruckte Ausgabe ebenso beliefern müssen wie die elektronischen Auftritte - gleichberechtigt und gleichzeitig.
Ebenso sinnfälliger wie symbolischer Ausdruck dieser innerredaktionellen tektonischen Verschiebung ist der neue Newsroom. Hier saß einst die Online-Redaktion, nun wird von hier das gesamte Produkt in all seinen Erscheinungsformen gesteuert. Einst unantastbare Print-Redakteure müssen sich jetzt vom zweiten Stock hinunter bemühen in die erste Etage, wo die Entscheidungen fallen. Bislang verfassen sie einfach einen Artikel, der auf beiden Kanäle läuft, und Print-Leser erfahren auf diese Weise noch deutlicher, dass ihr Lesestoff grundsätzlich 24 Stunden alt ist. Peter Hogenkamp, der den Bereich Digitale Medien leitet, kann sich aber in einer weiteren 'Ausbaustufe der Konvergenz' vorstellen, dass Beiträge beständig aktualisiert, neu geschrieben und für die gedruckte Version noch einmal ganz anders aufgemischt werden müssen. Der Job des Reporters und des Korrespondenten wird mithin aufwendiger und anstrengender werden. Das sei, meint Hogenkamp achselzuckend, 'zwar schrecklich, aber wahr'.
Der deutsche Internetfachmann war vor zwei Jahren eingestellt worden, um die digitale Revolution vorzubereiten - nicht ohne Widerstand in der Redaktion, wo er 'unter Generalverdacht stand, die Zeitung abschaffen zu wollen', wie er selber einräumt. Dennoch glaubt er an die Zukunft dieses Produkts, weil der '24-Stunden-Takt den menschlichen Bedürfnissen' entspräche: 'Einmal am Tag will man zusammengefasst haben, was passiert ist.'
Ähnlich sieht das CEO Stäheli. Er sieht die Zeitung als einen Fixpunkt 'im wilden Strom von Informationen, der nirgendwo anfängt und aufhört'. Allerdings schiebt er eine Einschränkung nach: 'Ich muss Zeitung nicht als Papier begreifen, ich muss sie als Medium begreifen' - unabhängig von dem Werkstoff, der sie transportiert. In diesem Sinne ist denn auch eine Werbekampagne zu verstehen, die nach seinen Worten demnächst anrollt: NZZ-Leser, so wird die Kundschaft dort umworben, brauchen kein Papier.
Tanten, zumal jenseits einer gewissen Altersgrenze, genießen häufig keinen besonders guten Ruf in der Verwandtschaft, sind sie doch oft als verzopft und altmodisch verschrien. Doch manchmal täuscht der Eindruck: Es soll nicht wenige alte Tanten geben, die im fortgeschrittenen Alter in einen kurzen Rock und hohe Pumps schlüpfen und es noch einmal richtig krachen lassen. 'Alte Tante' ist seit Langem der Spitzname, den man der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) verpasst hat. Respekt für das 232 Jahre alte, angesehene Blatt aus der Züricher Falkenstraße schwingt dabei ebenso mit wie leichter Spott über die Schrullen, für welche die Zeitung ebenso bekannt war. Eine Zeitung, die auch schon mal die Titelseite für eine Analyse der soziokulturellen Lage in Nordwest-Kordofan freiräumte, mochte zwar nicht unbedingt die Hand am Puls der Zeit haben. Dennoch ließ sich ihr eine gewisse Größe nicht absprechen.
Diese Zeiten sind inzwischen vorbei, auch die NZZ ist normaler geworden: Sie druckt Bilder, hat ein Layout, das den Namen verdient, und auch bei ihr wird jetzt aus der wichtigsten Nachricht des Tages der Aufmacher.
Markus Spillmann freilich gefällt das Wort 'normal' nicht so gut. 'Journalistischer' sei das Blatt geworden, will der Chefredakteur höchstens einräumen, ansonsten möchte man schon noch anders sein als die anderen. Derzeit beweist das Traditionsblatt seine Andersartigkeit auf eine ungewohnte Weise: Unter dem Schlagwort Konvergenz werden die Redaktionen von Print und Online zusammengeführt. Die Unterschiede zwischen den beiden Erscheinungsformen sollen sukzessive getilgt werden. Auch wenn es bislang nur wenige zugeben wollen: Am Ende wird es voraussichtlich nur noch eine elektronische NZZ geben - vielleicht mit ein paar gedruckten Exemplaren für einen auserlesenen Kreis betuchter Connaisseurs, die bereit sind, sich diesen Luxus etwas kosten zu lassen.
Die 'Neue Züricher Zeitung' verlangt für Online-Artikel Bares
Vor allem aber hat die NZZ einen Schritt gewagt, vor dem die meisten anderen Publikationen in der deutschen Medienlandschaft bisher zurückgeschreckt sind: Seit Anfang Oktober verlangt sie Geld für ihren Online-Auftritt. Die ersten zwanzig Artikel pro Monat sind frei, dann wird der Leser aufgefordert, ein Abonnement abzuschließen. Für 428 Franken (etwa 354 Euro) im Jahr wird ihm dann der Zugang zur Website ebenso freigeschaltet wie zum ePaper, das die Druckausgabe elektronisch wiedergibt und das schon jetzt 11 000 Abonnenten zählt. Eine eigene iPad-Edition gibt es noch nicht.
Die ersten Ergebnisse sind nach Verlagsangaben positiv. Für genaue Zahlen sei es noch zu früh. Die Konkurrenz in der Schweiz, aber auch in Deutschland verfolgt das eidgenössische Experiment genau: zum einen mit etwas Missgunst, weil ausgerechnet die altmodischen Schweizer den Mut dafür zeigten; zum anderen aber drücken sie der Tante die Daumen. Wenn das Experiment glückt, können sich andere Blätter vielleicht anschließen. Für die Führungsspitze in Verlag und Redaktion der NZZ freilich gab es keine andere Wahl, als die Flucht nach vorne anzutreten. 'Ich bin tief, ja fast gläubig, davon überzeugt, dass wir unsere Form von Publizistik zeitgerecht auch auf elektronischen Kanälen anbieten müssen', sagt Spillmann, der die Redaktion seit 2006 führt. 'Wenn uns das nicht gelingt, werden wir eines Tages aussterben.' Als 'Abgesang auf die gedruckte Presse' will der 45-Jährige seine Worte nicht verstehen: 'Es ist nur eine nüchterne Analyse dessen, was vor uns liegt.'
Fast wortgleich umreißt der Geschäftsführer der NZZ Mediengruppe die Lage. 'Der Schritt war alternativlos', betont Albert Stäheli. 'Es geht ums Überleben in einer sich verändernden Marktlandschaft, darum, den digitalen Wandel selbst zu gestalten und unsere Leistung in der digitalen Welt zur Verfügung zu stellen', sagt der 63-jährige Medienmanager. 'Das hat nichts mit einer Vision zu tun, das ist knallhartes Geschäft.'
Stäheli war vor vier Jahren als erster CEO in der Geschichte des Blattes zur NZZ geholt worden, um 'den Karren aus dem Dreck zu ziehen', wie es damals ein Wirtschaftsblatt formulierte. Denn die Traditionszeitung war sowohl von der allgemeinen Krise im Verlagswesen als auch von geschäftlichen Fehlentscheidungen schwer gebeutelt worden. Inzwischen hat sich die Lage stabilisiert, obschon auch die Neue Zürcher Zeitung weiter kräftig Anzeigen verliert. Die Leser sind zwar treu und haben auch einen Anstieg des Abopreises um 22 Prozent in den vergangenen vier Jahren weitgehend klaglos geschluckt. Aber sie sind überwiegend älter, und es wird schwerer, jüngere Leser zu gewinnen. Klasse statt Masse, das war schon immer das Motto der NZZ, die täglich 130 000 Exemplare verkauft. Das Prinzip ließ sich der Verlag etwas kosten: Man investierte in Experten und in ein dichtes Auslandskorrespondentennetz. Diese Kompetenz will man beibehalten, aber man kann sie nicht - wie sowohl Stäheli als auch Spillmann betonen - für die Online-Edition verdoppeln. Deshalb werden alle Autoren nun die gedruckte Ausgabe ebenso beliefern müssen wie die elektronischen Auftritte - gleichberechtigt und gleichzeitig.
Ebenso sinnfälliger wie symbolischer Ausdruck dieser innerredaktionellen tektonischen Verschiebung ist der neue Newsroom. Hier saß einst die Online-Redaktion, nun wird von hier das gesamte Produkt in all seinen Erscheinungsformen gesteuert. Einst unantastbare Print-Redakteure müssen sich jetzt vom zweiten Stock hinunter bemühen in die erste Etage, wo die Entscheidungen fallen. Bislang verfassen sie einfach einen Artikel, der auf beiden Kanäle läuft, und Print-Leser erfahren auf diese Weise noch deutlicher, dass ihr Lesestoff grundsätzlich 24 Stunden alt ist. Peter Hogenkamp, der den Bereich Digitale Medien leitet, kann sich aber in einer weiteren 'Ausbaustufe der Konvergenz' vorstellen, dass Beiträge beständig aktualisiert, neu geschrieben und für die gedruckte Version noch einmal ganz anders aufgemischt werden müssen. Der Job des Reporters und des Korrespondenten wird mithin aufwendiger und anstrengender werden. Das sei, meint Hogenkamp achselzuckend, 'zwar schrecklich, aber wahr'.
Der deutsche Internetfachmann war vor zwei Jahren eingestellt worden, um die digitale Revolution vorzubereiten - nicht ohne Widerstand in der Redaktion, wo er 'unter Generalverdacht stand, die Zeitung abschaffen zu wollen', wie er selber einräumt. Dennoch glaubt er an die Zukunft dieses Produkts, weil der '24-Stunden-Takt den menschlichen Bedürfnissen' entspräche: 'Einmal am Tag will man zusammengefasst haben, was passiert ist.'
Ähnlich sieht das CEO Stäheli. Er sieht die Zeitung als einen Fixpunkt 'im wilden Strom von Informationen, der nirgendwo anfängt und aufhört'. Allerdings schiebt er eine Einschränkung nach: 'Ich muss Zeitung nicht als Papier begreifen, ich muss sie als Medium begreifen' - unabhängig von dem Werkstoff, der sie transportiert. In diesem Sinne ist denn auch eine Werbekampagne zu verstehen, die nach seinen Worten demnächst anrollt: NZZ-Leser, so wird die Kundschaft dort umworben, brauchen kein Papier.