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Paragrafen-Klinik

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Mieter, Flüchtlinge, Internet-Geprellte - an immer mehr Hochschulen helfen Jurastudenten Bürgern, die sich keinen Rechtsbeistand leisten können. So können sie erste Praxiserfahrung sammeln


Eigentlich müsste er langsam mal in die Pötte kommen. Einen Aufsatz zum neuen Mietrecht lesen, das neueste Urteil zum Widerrufsrecht beim Fitnessstudiovertrag - oder sich fragen, warum die Staatsanwaltschaft Beate Zschäpe als Täterin und nicht nur als Gehilfin der Nazi-Morde anklagt - im Examen könnte das alles drankommen. In einem Jahr macht Jurastudent Maximilian Oehl das Erste Staatsexamen. Seine Kommilitonen fangen jetzt an zu lernen, aber der 24-Jährige kümmert sich lieber um sein neues Hobby: Er will in Köln eine Law Clinic für Ausländer- und Asylrecht aufbauen.



Law Clinics sind eine Erfindung aus den USA, auch in Deutschland gibt es immer mehr davon. Das Prinzip ist simpel: Jurastudenten dürfen noch nicht wie ein Anwalt Fälle übernehmen. Bedürftige können sich oft keinen Anwalt leisten. Also beraten Studenten Bedürftige. In den USA sind die Law Clinics fester Teil des Curriculums, die Teilnahme fließt ins Studium ein. In Deutschland sind sie fast noch ein Fremdkörper im System. Dass Nicht-Anwälte juristische Beratung leisten, war in Deutschland bis 2008 weitgehend verboten. Die Nazis hatten per Gesetz festgelegt, dass das niemand ohne Anwaltszulassung darf - damit hinderten sie jüdische Juristen an der Berufsausübung. Erst 2008 wurde dieses Gesetz durch das Rechtsdienstleistungsgesetz ersetzt. Seitdem dürfen Studenten schon vor Ende ihrer Ausbildung in gewissen Grenzen tätig werden.

Maximilian Oehl hatte gezielt nach einem Weg gesucht, sich innerhalb dieser Grenzen zu engagieren: 'Ich fand die Idee cool und habe mich gefragt, was ich als Jurastudent machen kann.' Im Internet war er auf die Law Clinics gestoßen. Über E-Mail-Verteiler lud er andere Interessierte ein, und beim ersten Treffen im Februar waren sie schon ein gutes Dutzend Leute. Als Nächstes wollen sie einen Verein gründen; Maximilian Oehl muss jetzt erstmal herausfinden, was man in so eine Satzung schreibt. Einen Namen haben sie aber schon: 'Refugee Law Clinic Cologne' - so ähnlich wie das bekannteste deutsche Projekt dieser Art aus Gießen.

Die 'Refugee Law Clinic' der Universität Gießen hat gerade ihren fünften Geburtstag gefeiert, für die Kölner ist sie ein Vorbild. Die Gießener werden stets genannt, wenn es um Law Clinics geht. Derzeit arbeiten dort zwölf Studenten mit: Sie beraten Flüchtlinge und Asylsuchende aus einer Erstaufnahmeeinrichtung, meistens Menschen, die vom Asylverfahren keine Ahnung haben. Als Übersetzer springen mehrsprachig aufgewachsene Studenten ein, alles ehrenamtlich. Die größere Herausforderung ist, dass die Studenten das Asylrecht selber erst mal durchdringen müssen - an den meisten Unis wird das Thema bestenfalls als Wahlfach gelehrt.

Die dreistufige Vorbereitung ist anspruchsvoll, schließlich sollen die Hilfesuchenden von dem Angebot der Studenten wirklich profitieren und nicht als Versuchskaninchen herhalten. Wer mitmachen will, muss im Wintersemester eine Theorie-Vorlesung besuchen, in den Ferien als Praktikant etwa in einer Asylrechtskanzlei mitarbeiten und im Sommersemester noch an einer praktischen Übung teilnehmen. Selber beraten dürfen die Studenten erst danach. Jana Gieseking ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Gießener Uni und für die Koordination der Law Clinic zuständig. Sie sagt: 'Wer hier nur für den Lebenslauf mitmacht, der kommt gar nicht so weit.'

Für Oehl gibt es zwei Gründe, warum er die Law Clinic gründen will. Der erste ist ein idealistischer: 'Als Jurist hat man die Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern.' Gerade das Asylrecht eigne sich gut dafür: 'Die Leute kommen hier an wie im gelobten Land, und sind dann mit der Härte der staatlichen Behörden konfrontiert', sagt er. Zudem interessiere ihn Migration, seit er nach dem Abitur einige Zeit in Ghana verbrachte. Der zweite Grund ist Kritik an der Juristenausbildung; sie ist traditionell ins theorielastige Studium und die zweijährige praktische Ausbildung im Referendariat geteilt. Oehl steckt noch im ersten Teil, ihm fehlt es dort an Praxisbezug. 'Es gibt so viele Leute, die mit Jura hadern und überlegen, abzubrechen', sagt er. 'Man fragt sich ständig: Was mache ich hier eigentlich? Und wozu?'

Weil es vielen Jurastudenten so geht wie ihm, entstehen seit der Rechtsänderung immer mehr Law Clinics. In Hamburg gibt es die 'Media Law Clinic' für Social-Media-Fragen, an der Berliner Humboldt-Universität geht es um Grund- und Menschenrechte. Anderswo helfen Studenten Kommilitonen bei Alltagsproblemen mit dem Vermieter oder bei Ärger mit Einkäufen im Internet. Die Nachfrage dürfte noch zunehmen, wenn sich die Regierung mit ihrem Plan durchsetzt, die Prozesskostenhilfe einzuschränken. Ärmere werden dann mehr auf kostenlose Beratung setzen.

'Ich freue mich über jede weitere Law Clinic', sagt Thilo Marauhn. Er ist Professor für Völkerrecht in Gießen, die Law Clinic ist an seinen Lehrstuhl angedockt. Aber er warnt auch: 'Wenn man das machen will, dann richtig.' Richtig, das heißt: Mit ausreichender Betreuung. 'Man trägt ja Verantwortung den Beratenen gegenüber, gerade das ist es, was man in der Law Clinic lernen kann.' In den USA gebe es häufig Professoren oder Anwälte, die sich hauptberuflich um die Law Clinic kümmern. In Deutschland ist man noch nicht so weit. In Gießen treffen sich die Studenten einmal im Monat mit ihren Betreuern zur 'Supervision' und besprechen dort jeden einzelnen Fall. Auch Maximilian Oehl hat angefangen, nach Partnern zu suchen, nach Anwälten oder Professoren. Allein kann er das Projekt nicht stemmen. 'Für den Anfang könnten wir ja Flüchtlinge bei Behördengängen begleiten, die richtige Beratung kommt dann später. Ich muss das ja selbst alles erst mal lernen.' Das Ganze sei aber jetzt schon attraktiv: 'Man sieht einfach, dass Jura nicht nur Theorie ist, sondern direkt mit dem Leben zu tun hat. Man kann damit unheimlich nützlich sein.'

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