Reaktionen der Netzgemeinde wirken spontan. Sind sie nicht immer. Ein Gespräch mit Oliver Bienkowski, der gegen Bezahlung Wutausbrüche lanciert.
Oliver Bienkowski führt die 'Caveman'-Guerilla-Marketing-Agentur. Seit Kurzem bietet sie ihren Kunden an, Shitstorms im Internet anzuzetteln, jene vermeintlich spontanen Aufwallung massenhaften Zorns. Oder das Gegenteil: Candystorms, die kollektiven Liebesbekundungen der Crowd. Zwischen 4999 Euro für den Shitstorm S und 199999 Euro für den Shitstorm XL kostet diese Dienstleistung.
SZ: Herr Bienkowski, was ist Guerilla- Marketing?
Bienkowski: Guerilla-Marketing ist eine neue, urbane Form von Werbung. Wir entwerfen also keine Plakate, setzen keine Werbebanner ins Netz. Wir bauen etwa Elektrodrohnen und Heliumballons mit Werbeaufbau oder wir projizieren Licht-Embleme auf Gebäude. Wir machen auch Street-Branding, das ist partielles Reinigen von verschmutzten Flächen, hier wird dann das Logo unseres Kunden in Schmutz reingereinigt. Genauso bedrucken wir Schnee mit Kundenlogos.
Der letzte Shitstorm hagelte auf Amazon ein. Allerdings ungewollt - eine Reportage von ARD berichtete zuvor über die Arbeitsbedingungen beim Liefergiganten.
Nun bieten Sie Ihren Kunden an, 'Shitstorms' anzuzetteln. Bitte erklären Sie, was ein Shitstorm ist.
Shitstorms sind konzertierte Anläufe auf ein Thema, ein Produkt oder eine Person im Internet. Es gibt die geballte Empörung, den Shitstorm, oder die kollektive Sympathie, den Candystorm.
Wenn Sie Shitstorms anbieten, was beinhaltet Ihre Dienstleistung: Demonstrationen vor Geschäften?
Ja, auch das ist möglich. Aber unser Fokus liegt im Netz. Nicht nur in Deutschland, sondern in allen gängigen Sozialen Netzwerken auf der Welt: Twitter, Facebook oder das russische Vkontakte.
Und was genau passiert da?
Dazu muss ich etwas ausholen. Im Sommer 2009 hat die Anti-Globalisierungs-Organisation Attac unter dem Motto: 'Starte deine eigene Revolution' einen Preis für soziales Engagement ausgelobt. Den hat der Verein, dem ich vorstehe, 'Die Macher E.V.', für ein Obdachlosen-Projekt gewonnen. Das Preisgeld haben wir in weitere Obdachlosen-Projekte gesteckt. Sie erinnern sich: Im strengen Winter 2011 sind in Deutschland Obdachlose draußen erfroren. Wir haben überlegt, wie wir die Obdachlosen von der Straße holen und ihnen Arbeit verschaffen können. Wir haben sie also untergebracht, dazu haben wir Büro-Räume gemietet und ihnen netzfähige PCs zur Verfügung gestellt. Und dann ging es los. Anfangs auf Twitter: Wir haben den Parteien in Deutschland unaufgefordert Follower beschert, um auf uns aufmerksam zu machen - und auf die Parteien-Ignoranz hinzuweisen.
Bitte? Was haben Sie getan?
Ich nicht. Die Obdachlosen, die wir beschäftigt haben. Wir nennen sie unsere Partner. Nach einer kurzen Einweisung arbeiten sie mit ihren PCs: Sie schreiben auf Facebook Nutzerkommentare im Kundenauftrag, 'liken' Profile, drücken also ihr Einverständnis aus, oder werden 'Follower', Anhänger und Fans, von Personen und Parteien auf Twitter. So haben wir der CDU unaufgefordert 5000 neue 'Fans' verschafft.
Haben Sie 5000 Partner, die im Auftrag für Sie 'liken'?
Nein, nein. Jeder einzelne Partner hat zwischen 50 und 250 unterschiedliche Nutzerprofile, die er betreut. Eine Person kann also bis zu 250 neue Follower auf Twitter generieren. Sie melden sich als eine Person an, 'liken', 'followen', melden sich wieder ab, wechseln zu einem anderen Profil und machen damit dasselbe. Und so weiter. So kamen relativ schnell die 5000 neuen CDU-Follower zusammen.
Was war Ihre Motivation, die CDU unaufgefordert mit neuen Fans zu beglücken?
Das war ein Stück Gesellschaftskritik. Im letzten Bundestagswahlkampf vor vier Jahren haben alle Parteien das Thema Social Media für sich entdeckt - ohne Social Media zu leben. Die haben sich mit der schieren Zahl ihrer Follower auf Twitter und den Likes auf Facebook gebrüstet, ohne mit ihren Fans zu kommunizieren oder auf ihre Fragen zu antworten. Und nach der Wahl hat man diese falsche Social Mania wieder einstauben lassen. Dabei sind doch Dialog und Vernetzung wichtig, nicht die Anzahl von bloßen Likes. Also haben wir erst die CDU innerhalb eines Tages mit 5000 Zombie-Fans beglückt. Und, nachdem sich die Christdemokraten gewundert und auch geärgert hatten, haben wir am nächsten Tag alle anderen zur Wahl zugelassenen Parteien ebenfalls mit jeweils 5000 neuen 'Freunden' versehen. Die sind ja auch nicht besser mit ihren Fans umgegangen, haben mit Zahlen blenden wollen, die sie für Beliebtheit halten.
Das, was da von den Parteien aufgesetzt wurde, war also nicht authentisch?
Nicht nur von den Parteien. Gucken Sie sich nur die sogenannten Diskussionsforen an, in denen sich Menschen anonym beschimpfen oder auch viele Nutzerkommentare unter Artikeln von klassischen Medien. Das sind doch keine Dialoge. Da toben sich nur Trolle aus.
Also wollen Sie auf Mangel an Authentizität im Netz aufmerksam machen?
Ja, als Aktionskunst, gewissermaßen.
Und die von Ihnen angezettelten Shitstorms? Ist das auch Aktionskunst?
Wir haben 2011 mit den Twitter-Followern angefangen. Da war der Shitstorm noch gar nicht ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen. Danach haben wir unsere Partner das Online-Spiel World of Warcraft spielen lassen. Man kann dort virtuelles Gold erwirtschaften, das man - etwa über Ebay - real verkaufen kann. Das war die erste Einnahmequelle. Jetzt eben Shitstorms. Wir verfügen über die Infrastruktur, instruieren unsere Partner, hier mal was zu liken, dort diesen Satz unter ein Profil zu setzen. Aber unsere Kernkompetenz bleiben Guerilla-Marketing und Lichtinstallationen.
Sind die Shitstorms, die Ihre Agentur anbietet, also tatsächlich ernst gemeint?
Ja, klar. Uns geht es vor allem darum, unsere Partner von der Straße zu holen, sie zu beschäftigen. Wenn sie damit auch noch Geld verdienen, umso besser. Wir könnten ihnen nun sagen: Geht auf die Seite von sueddeutsche.de, liked diesen Artikel und schreibt Kommentare, die in diese oder jene Richtung gehen. Weil ein Kunde sich eben wünscht, die Diskussion so oder so zu beeinflussen. Das wird dann gemacht.
Ist das nicht zynisch? Haben Sie ein negatives Menschenbild, wenn sie Nutzer für so beeinflussbar halten?
Gar nicht. Ich sehe unsere Partner, die nicht mehr auf der Straße leben müssen und regelmäßig etwas zu essen haben. Wir haben natürlich einen moralischen Kodex: Wir schädigen keine Personen und Firmen und wir diffamieren keine Produkte. Wir lenken lediglich Diskussionen in bestimmte Richtungen. Und das von verschiedenen Standorten in Deutschland aus.
Wie viele Partner haben Sie denn?
Es sind schon ein paar mehr als 100.
Erklären Sie mir bitte Ihre Moral.
Wir machen nichts, was Menschen ausgrenzt. Wir verbreiten keine Lügen. Wir beeinflussen im Kundenauftrag Diskussionen. Und, das dürfen Sie nicht vergessen: Unsere Agentur bietet diese Dienste offen und offensiv an. Aber wir sind ja nicht die einzigen Dienstleister für Diskussionslenkung auf der Welt, auch nicht in Deutschland. Das passiert allerorten. Gekaufte Foren-Einträge sind heute selbstverständlich. Was wir machen, ist, uns auf Twitter und Facebook zu fokussieren. Wir retweeten Kundenbeiträge, wir kommentieren Nachrichten von Kunden auf Facebook. Aber wir echauffieren uns nicht künstlich. Ein Shitstorm kann sich gegen alles richten, auch klar. Aber wir machen nicht alles. Da wundern sich viele Kunden und manche regen sich auch auf. Wir versuchen außerdem, einen Mix hinzubekommen, also genauso viele Candystorms umzusetzen. Es ist ja auch für unsere Partner angenehmer, positive Dinge in die Welt zu setzen.
Trotzdem: Sie hängen Preisschilder an Ihre Shitstorms: Fast 200000 Euro für 15000 Kommentare und 5000 Likes. Was ist das für eine Währung?
Sie müssen sich einmal vorstellen, wie viele Menschen an solch einem Sturm arbeiten. Das kostet. Wir kriegen locker bis zu 2000 Netz-Interaktionen am Tag hin - es geht bei Stürmen immer um Schnelligkeit -, wir können auch hochskalieren. Die Preise sind so kalkuliert, dass unsere Partner davon leben können.
Das heißt: Ihre Stürme kommen von Menschenhand. Sie setzen keine Automatismen ein, Robots oder Skripte, die Textbausteine irgendwohin posten?
Natürlich bekommt man solche Interaktionen ohne technische Infrastruktur gar nicht hin. Wir setzen natürlich Skripte ein, um den Wechsel zwischen den vielen Nutzerprofilen für unsere Partner zu erleichtern und zu beschleunigen. Außerdem arbeiten wir mit virtuellen Maschinen, das heißt man kann auf einen Computer bis zu 50 virtuelle System aufsetzen.
Warum ist Erregung im Netz so viel wert? Dass 15000 Kommentare 200000 Euro kosten könnten, darauf wäre man vor zehn Jahren nicht gekommen.
Das hat mit Angebot und Nachfrage zu tun. Einfache Marktmechanismen. Jetzt, heute, ist Erregung soviel wert. Wenn Sie Fragen zum Kapitalismus haben, müssen Sie sie Leuten stellen, die sich damit besser auskennen. Wir sind die einzige Agentur im Netz, die Shitstorms offen anbietet, darum können wir die Preise auch fordern, weil die Kunden sie auch zahlen.
Das heißt also, Sie haben Kunden?
Definitiv.
Wer sind denn die Kunden, die Ihre Shitstorm-Pakete buchen?
Sie verstehen, dass ich Ihnen hier keine Namen nennen kann.
Sind es Firmen oder Privatleute?
Es sind meist mittelständische Unternehmen, keine Großkonzerne, soviel kann ich sagen. Aber auch Privatleute sind unsere Kunden. Für die finden wir Lösungen unterhalb des Shitstorm-S-Bereichs.
Die Vermutung liegt nahe, dass man jetzt viel skeptischer auf die großen Zahlen an Bewunderern und Kritikern blickt, die sich über irgendwas erregen. Eigentlich muss diese Skepsis doch Ihrem Geschäftsmodell schaden. Denn, wenn jedem klar ist, dass Erregung gekauft sein kann, ist Erregung bald nichts mehr wert.
Ich kann Ihnen keine Antwort darauf geben: Für mich ist diese Erregung wert, dass eine ganze Reihe von Menschen nicht mehr nachts auf einer Parkbank schlafen müssen. Ich kann Ihnen leider keine andere Antwort darauf geben. Wenn es damit nicht mehr gehen sollte, müssen wir uns eben etwas anderes überlegen, um die Partner von der Straße zu holen.
Verfolgen Sie eigentlich nach, ob sich, nachdem Sie einen Shitstorm initiiert haben, eine eigenständige Erregungswelle bildet, die nicht mehr Sie und Ihre Partner, sondern 'normale' Nutzer in Schwung halten?
Das gehört selbstverständlich zu den Aufgaben: jeder Shitstorm will ordentlich betreut sein. Statistische Auswertung gehört dazu und ständige Beobachtung des Diskussionsstrangs. Läuft die Diskussion einmal in eine Richtung, sorgen unsere Partner dafür, dass sie auch dort bleibt. Sie kippen immer wieder neues Öl ins Feuer. Aber es ist ja auch ganz einfach: Wenn auf einem Marktplatz zehn Leute mit dem Finger auf den Himmel zeigen, dann gucken alle nach oben. Das ist das deutsche Lemming-Prinzip. Einer läuft über die Klippe, dann laufen alle anderen hinterher.
Sind Shitstorms ein deutsches Phänomen?
Nein, das kann man weltweit adaptieren. Wir versuchen gerade, unser Modell in die USA zu exportieren. Auch dort gibt es ja genug Obdachlose, die man aus der Gosse holen muss. Sie müssen verstehen: Wir bieten Shitstorms aus humanitären Gründen an, um Menschen zu helfen. Das ist eher eine Sache des Vereins 'Die Macher'. Mit dem Kerngeschäft unserer Agentur hat das wenig zu tun.
Ihr humanitäres Engagement in Ehren, ist nicht trotzdem zynisch, was Sie anbieten?
Guerilla-Marketing arbeitet immer in einer Grauzone. Und solange nicht höchstrichterlich entschieden ist, dass das verboten ist, solange machen wir das.
Oliver Bienkowski führt die 'Caveman'-Guerilla-Marketing-Agentur. Seit Kurzem bietet sie ihren Kunden an, Shitstorms im Internet anzuzetteln, jene vermeintlich spontanen Aufwallung massenhaften Zorns. Oder das Gegenteil: Candystorms, die kollektiven Liebesbekundungen der Crowd. Zwischen 4999 Euro für den Shitstorm S und 199999 Euro für den Shitstorm XL kostet diese Dienstleistung.
SZ: Herr Bienkowski, was ist Guerilla- Marketing?
Bienkowski: Guerilla-Marketing ist eine neue, urbane Form von Werbung. Wir entwerfen also keine Plakate, setzen keine Werbebanner ins Netz. Wir bauen etwa Elektrodrohnen und Heliumballons mit Werbeaufbau oder wir projizieren Licht-Embleme auf Gebäude. Wir machen auch Street-Branding, das ist partielles Reinigen von verschmutzten Flächen, hier wird dann das Logo unseres Kunden in Schmutz reingereinigt. Genauso bedrucken wir Schnee mit Kundenlogos.
Der letzte Shitstorm hagelte auf Amazon ein. Allerdings ungewollt - eine Reportage von ARD berichtete zuvor über die Arbeitsbedingungen beim Liefergiganten.
Nun bieten Sie Ihren Kunden an, 'Shitstorms' anzuzetteln. Bitte erklären Sie, was ein Shitstorm ist.
Shitstorms sind konzertierte Anläufe auf ein Thema, ein Produkt oder eine Person im Internet. Es gibt die geballte Empörung, den Shitstorm, oder die kollektive Sympathie, den Candystorm.
Wenn Sie Shitstorms anbieten, was beinhaltet Ihre Dienstleistung: Demonstrationen vor Geschäften?
Ja, auch das ist möglich. Aber unser Fokus liegt im Netz. Nicht nur in Deutschland, sondern in allen gängigen Sozialen Netzwerken auf der Welt: Twitter, Facebook oder das russische Vkontakte.
Und was genau passiert da?
Dazu muss ich etwas ausholen. Im Sommer 2009 hat die Anti-Globalisierungs-Organisation Attac unter dem Motto: 'Starte deine eigene Revolution' einen Preis für soziales Engagement ausgelobt. Den hat der Verein, dem ich vorstehe, 'Die Macher E.V.', für ein Obdachlosen-Projekt gewonnen. Das Preisgeld haben wir in weitere Obdachlosen-Projekte gesteckt. Sie erinnern sich: Im strengen Winter 2011 sind in Deutschland Obdachlose draußen erfroren. Wir haben überlegt, wie wir die Obdachlosen von der Straße holen und ihnen Arbeit verschaffen können. Wir haben sie also untergebracht, dazu haben wir Büro-Räume gemietet und ihnen netzfähige PCs zur Verfügung gestellt. Und dann ging es los. Anfangs auf Twitter: Wir haben den Parteien in Deutschland unaufgefordert Follower beschert, um auf uns aufmerksam zu machen - und auf die Parteien-Ignoranz hinzuweisen.
Bitte? Was haben Sie getan?
Ich nicht. Die Obdachlosen, die wir beschäftigt haben. Wir nennen sie unsere Partner. Nach einer kurzen Einweisung arbeiten sie mit ihren PCs: Sie schreiben auf Facebook Nutzerkommentare im Kundenauftrag, 'liken' Profile, drücken also ihr Einverständnis aus, oder werden 'Follower', Anhänger und Fans, von Personen und Parteien auf Twitter. So haben wir der CDU unaufgefordert 5000 neue 'Fans' verschafft.
Haben Sie 5000 Partner, die im Auftrag für Sie 'liken'?
Nein, nein. Jeder einzelne Partner hat zwischen 50 und 250 unterschiedliche Nutzerprofile, die er betreut. Eine Person kann also bis zu 250 neue Follower auf Twitter generieren. Sie melden sich als eine Person an, 'liken', 'followen', melden sich wieder ab, wechseln zu einem anderen Profil und machen damit dasselbe. Und so weiter. So kamen relativ schnell die 5000 neuen CDU-Follower zusammen.
Was war Ihre Motivation, die CDU unaufgefordert mit neuen Fans zu beglücken?
Das war ein Stück Gesellschaftskritik. Im letzten Bundestagswahlkampf vor vier Jahren haben alle Parteien das Thema Social Media für sich entdeckt - ohne Social Media zu leben. Die haben sich mit der schieren Zahl ihrer Follower auf Twitter und den Likes auf Facebook gebrüstet, ohne mit ihren Fans zu kommunizieren oder auf ihre Fragen zu antworten. Und nach der Wahl hat man diese falsche Social Mania wieder einstauben lassen. Dabei sind doch Dialog und Vernetzung wichtig, nicht die Anzahl von bloßen Likes. Also haben wir erst die CDU innerhalb eines Tages mit 5000 Zombie-Fans beglückt. Und, nachdem sich die Christdemokraten gewundert und auch geärgert hatten, haben wir am nächsten Tag alle anderen zur Wahl zugelassenen Parteien ebenfalls mit jeweils 5000 neuen 'Freunden' versehen. Die sind ja auch nicht besser mit ihren Fans umgegangen, haben mit Zahlen blenden wollen, die sie für Beliebtheit halten.
Das, was da von den Parteien aufgesetzt wurde, war also nicht authentisch?
Nicht nur von den Parteien. Gucken Sie sich nur die sogenannten Diskussionsforen an, in denen sich Menschen anonym beschimpfen oder auch viele Nutzerkommentare unter Artikeln von klassischen Medien. Das sind doch keine Dialoge. Da toben sich nur Trolle aus.
Also wollen Sie auf Mangel an Authentizität im Netz aufmerksam machen?
Ja, als Aktionskunst, gewissermaßen.
Und die von Ihnen angezettelten Shitstorms? Ist das auch Aktionskunst?
Wir haben 2011 mit den Twitter-Followern angefangen. Da war der Shitstorm noch gar nicht ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen. Danach haben wir unsere Partner das Online-Spiel World of Warcraft spielen lassen. Man kann dort virtuelles Gold erwirtschaften, das man - etwa über Ebay - real verkaufen kann. Das war die erste Einnahmequelle. Jetzt eben Shitstorms. Wir verfügen über die Infrastruktur, instruieren unsere Partner, hier mal was zu liken, dort diesen Satz unter ein Profil zu setzen. Aber unsere Kernkompetenz bleiben Guerilla-Marketing und Lichtinstallationen.
Sind die Shitstorms, die Ihre Agentur anbietet, also tatsächlich ernst gemeint?
Ja, klar. Uns geht es vor allem darum, unsere Partner von der Straße zu holen, sie zu beschäftigen. Wenn sie damit auch noch Geld verdienen, umso besser. Wir könnten ihnen nun sagen: Geht auf die Seite von sueddeutsche.de, liked diesen Artikel und schreibt Kommentare, die in diese oder jene Richtung gehen. Weil ein Kunde sich eben wünscht, die Diskussion so oder so zu beeinflussen. Das wird dann gemacht.
Ist das nicht zynisch? Haben Sie ein negatives Menschenbild, wenn sie Nutzer für so beeinflussbar halten?
Gar nicht. Ich sehe unsere Partner, die nicht mehr auf der Straße leben müssen und regelmäßig etwas zu essen haben. Wir haben natürlich einen moralischen Kodex: Wir schädigen keine Personen und Firmen und wir diffamieren keine Produkte. Wir lenken lediglich Diskussionen in bestimmte Richtungen. Und das von verschiedenen Standorten in Deutschland aus.
Wie viele Partner haben Sie denn?
Es sind schon ein paar mehr als 100.
Erklären Sie mir bitte Ihre Moral.
Wir machen nichts, was Menschen ausgrenzt. Wir verbreiten keine Lügen. Wir beeinflussen im Kundenauftrag Diskussionen. Und, das dürfen Sie nicht vergessen: Unsere Agentur bietet diese Dienste offen und offensiv an. Aber wir sind ja nicht die einzigen Dienstleister für Diskussionslenkung auf der Welt, auch nicht in Deutschland. Das passiert allerorten. Gekaufte Foren-Einträge sind heute selbstverständlich. Was wir machen, ist, uns auf Twitter und Facebook zu fokussieren. Wir retweeten Kundenbeiträge, wir kommentieren Nachrichten von Kunden auf Facebook. Aber wir echauffieren uns nicht künstlich. Ein Shitstorm kann sich gegen alles richten, auch klar. Aber wir machen nicht alles. Da wundern sich viele Kunden und manche regen sich auch auf. Wir versuchen außerdem, einen Mix hinzubekommen, also genauso viele Candystorms umzusetzen. Es ist ja auch für unsere Partner angenehmer, positive Dinge in die Welt zu setzen.
Trotzdem: Sie hängen Preisschilder an Ihre Shitstorms: Fast 200000 Euro für 15000 Kommentare und 5000 Likes. Was ist das für eine Währung?
Sie müssen sich einmal vorstellen, wie viele Menschen an solch einem Sturm arbeiten. Das kostet. Wir kriegen locker bis zu 2000 Netz-Interaktionen am Tag hin - es geht bei Stürmen immer um Schnelligkeit -, wir können auch hochskalieren. Die Preise sind so kalkuliert, dass unsere Partner davon leben können.
Das heißt: Ihre Stürme kommen von Menschenhand. Sie setzen keine Automatismen ein, Robots oder Skripte, die Textbausteine irgendwohin posten?
Natürlich bekommt man solche Interaktionen ohne technische Infrastruktur gar nicht hin. Wir setzen natürlich Skripte ein, um den Wechsel zwischen den vielen Nutzerprofilen für unsere Partner zu erleichtern und zu beschleunigen. Außerdem arbeiten wir mit virtuellen Maschinen, das heißt man kann auf einen Computer bis zu 50 virtuelle System aufsetzen.
Warum ist Erregung im Netz so viel wert? Dass 15000 Kommentare 200000 Euro kosten könnten, darauf wäre man vor zehn Jahren nicht gekommen.
Das hat mit Angebot und Nachfrage zu tun. Einfache Marktmechanismen. Jetzt, heute, ist Erregung soviel wert. Wenn Sie Fragen zum Kapitalismus haben, müssen Sie sie Leuten stellen, die sich damit besser auskennen. Wir sind die einzige Agentur im Netz, die Shitstorms offen anbietet, darum können wir die Preise auch fordern, weil die Kunden sie auch zahlen.
Das heißt also, Sie haben Kunden?
Definitiv.
Wer sind denn die Kunden, die Ihre Shitstorm-Pakete buchen?
Sie verstehen, dass ich Ihnen hier keine Namen nennen kann.
Sind es Firmen oder Privatleute?
Es sind meist mittelständische Unternehmen, keine Großkonzerne, soviel kann ich sagen. Aber auch Privatleute sind unsere Kunden. Für die finden wir Lösungen unterhalb des Shitstorm-S-Bereichs.
Die Vermutung liegt nahe, dass man jetzt viel skeptischer auf die großen Zahlen an Bewunderern und Kritikern blickt, die sich über irgendwas erregen. Eigentlich muss diese Skepsis doch Ihrem Geschäftsmodell schaden. Denn, wenn jedem klar ist, dass Erregung gekauft sein kann, ist Erregung bald nichts mehr wert.
Ich kann Ihnen keine Antwort darauf geben: Für mich ist diese Erregung wert, dass eine ganze Reihe von Menschen nicht mehr nachts auf einer Parkbank schlafen müssen. Ich kann Ihnen leider keine andere Antwort darauf geben. Wenn es damit nicht mehr gehen sollte, müssen wir uns eben etwas anderes überlegen, um die Partner von der Straße zu holen.
Verfolgen Sie eigentlich nach, ob sich, nachdem Sie einen Shitstorm initiiert haben, eine eigenständige Erregungswelle bildet, die nicht mehr Sie und Ihre Partner, sondern 'normale' Nutzer in Schwung halten?
Das gehört selbstverständlich zu den Aufgaben: jeder Shitstorm will ordentlich betreut sein. Statistische Auswertung gehört dazu und ständige Beobachtung des Diskussionsstrangs. Läuft die Diskussion einmal in eine Richtung, sorgen unsere Partner dafür, dass sie auch dort bleibt. Sie kippen immer wieder neues Öl ins Feuer. Aber es ist ja auch ganz einfach: Wenn auf einem Marktplatz zehn Leute mit dem Finger auf den Himmel zeigen, dann gucken alle nach oben. Das ist das deutsche Lemming-Prinzip. Einer läuft über die Klippe, dann laufen alle anderen hinterher.
Sind Shitstorms ein deutsches Phänomen?
Nein, das kann man weltweit adaptieren. Wir versuchen gerade, unser Modell in die USA zu exportieren. Auch dort gibt es ja genug Obdachlose, die man aus der Gosse holen muss. Sie müssen verstehen: Wir bieten Shitstorms aus humanitären Gründen an, um Menschen zu helfen. Das ist eher eine Sache des Vereins 'Die Macher'. Mit dem Kerngeschäft unserer Agentur hat das wenig zu tun.
Ihr humanitäres Engagement in Ehren, ist nicht trotzdem zynisch, was Sie anbieten?
Guerilla-Marketing arbeitet immer in einer Grauzone. Und solange nicht höchstrichterlich entschieden ist, dass das verboten ist, solange machen wir das.