Nordkorea provoziert einen neuen kalten Krieg. Ein Kommentar
Nordkorea ist weder stalinistisch, wie gerne geschrieben wird, noch handelt es sich tatsächlich um einen marxistisch-leninistischen Staat, auch wenn dieser Ideologie-Vergleich noch am ehesten Sinn ergibt. Nordkorea gehorcht einer eigenen politischen Philosophie mit eigener Zeitrechnung, eigener Religion, ausgeprägter Symbolik und undurchschaubarer Hierarchie.
Der große Unbekannte: Kim Jung Un (rechts im Bild)
Koreanische Herrscherdynastien waren über viele Jahrhunderte hinweg nicht unähnlich organisiert. Und so ist es fast schon folgerichtig, dass auch die moderne nordkoreanische Dynastie der Kims seit ihrer Gründung 1948 die Macht von Generation zu Generation weitergegeben hat. Keiner modernen Diktatur der Welt ist dies je gelungen. Keine moderne Diktatur hat es auch geschafft, ein autarkes, kaum zu durchdringendes System zu etablieren, gefestigt von bellizistischem Nationalismus, kultartig fixiert auf die Führungsfigur an der Spitze, 65 Jahre schon im permanenten Antagonismus mit seinen Nachbarn und unberechenbar selbst für seine vermeintlichen Freunde.
Es könnte sein, dass sich dies alles nun ändert. Es könnte sein, dass der Druck der modernen Welt so stark wird, dass die Fiktion einer uneinnehmbaren Insel nicht länger aufrechterhalten werden kann. Die globalisierte Welt kriecht hinein nach Nordkorea - und das wäre das Ende dieses Staates und seiner Dynastie. Denn Nordkorea kann nur existieren, wenn es den Zustand der Belagerung aufrechterhält, wenn es den Feindeskult pflegt, wenn es unantastbar bleibt. Unantastbarkeit steht im Zentrum der Juche-Ideologie, der von Kim Il Sung geschaffenen Staatsphilosophie. Totale Autarkie ist das oberste Staatsziel - aber das Regime wird diese Schlüsselvoraussetzung für sein Überleben möglicherweise nicht länger bewahren können.
Unantastbarkeit ist auch das Thema nordkoreanischer Nuklearpolitik. Die Bombe dient nicht der Bedrohung etwa der USA. Selbst ein Kim der dritten Generation weiß, dass ein Angriff mit einer Atombombe auf die USA das Ende seines Staates bedeutete. Er will aber nicht Nordkorea auslöschen, sondern - wenn ihm ein Funken Rationalität bleibt - Nordkoreas Daseins als größter staatlicher Anachronismus der Erde bewahren.
Immer wieder in der Geschichte versuchte sich Nordkoreas Führung in großen Klimmzügen. Immer wieder provozierte Pjöngjang bis ins Unerträgliche, um anschließend den geordneten Rückzug anzutreten. Immer wieder wurde das Regime mit Zugeständnissen belohnt - und vor allem mit Bewegungsfreiheit. Jeder Schlag nach außen machte die Kims für eine Weile unantastbar. Die Bombe ist dabei ihre Lebensversicherung. Nicht die USA schrecken Nordkorea mit ihren Nuklearwaffen vor einem Angriff ab, Nordkorea schreckt die Welt außerhalb seiner Grenzen mit den kruden Plutonium-Bomben ab, die in seinem Arsenal lagern.
Wenn alles so durchschaubar ist, wenn der nordkoreanische Trick immer wieder gleich funktioniert - warum dann diese Nervosität? Soll er doch toben wie Rumpelstilzchen, der Dicke mit der Bombe. Doch Vorsicht: Mit Atomwaffen spielt man nicht, und Naivität ist eine der Todsünden im internationalen Geschäft. Tatsächlich gibt es im Westen eine Neigung, den Kims fast schon einen Unterhaltungsbonus zu gönnen. Weh tun wird die Krise schon nicht. Selbst in Südkorea lächeln sie auf den Straßen.
Doch das ist die Oberfläche. Die Krise ist voller Gefahren. Ganz oben steht die Figur des jungen Führers, keine 30 Jahre alt, erzogen in Europa, gekrönt vom Vater, seit der Machtübernahme nicht gesichtet beim wichtigsten Nachbarn China. Kim Jong Un ist der große Unbekannte. Liefert er sich einen Machtkampf mit modernisierungsfeindlichen Fraktionen? Blufft er nach außen, um im Inneren reformieren zu können? Hat er die Lage überhaupt unter Kontrolle? Ist es etwa möglich, dass sich seine Generalität, die den Fleischtrögen immer am nächsten war, gegen ihn gewendet hat und den kollektiven Selbstmord des Landes vorzieht? Wahn und Verblendung sind in Nordkorea tief eingebrannt. Ein Untergangs-Szenario mit einem kleinen Weltenbrand ist nicht undenkbar.
Realistischer ist aber dies: Nordkorea und seine Schutzmacht China sind gefangen in einem unauflösbaren Widerspruch. Nordkorea kann nur in der Isolation überleben, aber nicht einmal China kann diese Isolation mehr garantieren. Also muss sich das Land öffnen. Das bedeutet das Ende der Juche-Ideologie. Das bedeutet - vielleicht schnell, vielleicht auf lange Sicht - die Vereinigung mit dem Süden. China kann aber keinen Grenznachbarn Korea ertragen, dessen Schutzmacht USA bereits in Myanmar auftaucht und im Pazifik neue Basen errichtet.
Auf der anderen Seite die USA: Sie haben keine andere Wahl, als die nordkoreanischen Drohungen ernst zu nehmen. Kein Land ist zu Demut verdonnert, wenn es so unverfroren mit einem Nuklearschlag bedroht wird. Also wird über eine Reaktion nachgedacht - extended deterrence heißt das in der Codesprache und es bedeutet nicht weniger, als dass die USA zu einem nuklearen Gegenschlag bereit wären.
Um es nicht so weit kommen zu lassen, verlegen die USA Abfangraketen in den Pazifik - auf Schiffen und nach Guam. Sie untersuchen die Luft nach Partikeln aus dem letzten Nukleartest, weil die Aufschluss darüber geben, ob Nordkorea bereits über Bomben aus angereichertem Uran verfügt oder nur aus Plutonium. Anreicherung bedeutet: mehr Material, mehr Bomben. Das würde das Gleichgewicht massiv verschieben und möglicherweise in Japan und Südkorea die Begehrlichkeit nach einer eigenen Bombe wecken. China fürchtet genau dies: Noch mehr amerikanische Schiffe in seinem Einflussbereich, eine Raketenabwehr, die im Zweifel auch dem eigenen nuklearen Arsenal gilt, und am Ende - nach einem nordkoreanischen Kollaps und einer Wiedervereinigung der beiden Koreas - GI" s an seiner nordöstlichen Grenze.
So wird der junge Kim unversehens zum Katalysator einer Auseinandersetzung, auf die weder Washington noch Peking vorbereitet sind und auf die die Welt gerne verzichten könnte. Kim - oder seine Generäle - haben das Zaubermittel entdeckt, das sie noch für eine Weile unangreifbar hält: Wenn Nordkorea nicht mehr im Schatten des alten kalten Krieges existieren kann, angelehnt an Russland und China, dann eben im Schatten des neuen kalten Krieges, den es noch zu kreieren gilt. Ein monströser Schachzug eines gelehrigen Schülers der Juche-Ideologie. China und die USA müssen entscheiden, ob sie an diesem Spiel teilnehmen möchten. Beschlossen ist noch nichts.
Nordkorea ist weder stalinistisch, wie gerne geschrieben wird, noch handelt es sich tatsächlich um einen marxistisch-leninistischen Staat, auch wenn dieser Ideologie-Vergleich noch am ehesten Sinn ergibt. Nordkorea gehorcht einer eigenen politischen Philosophie mit eigener Zeitrechnung, eigener Religion, ausgeprägter Symbolik und undurchschaubarer Hierarchie.
Der große Unbekannte: Kim Jung Un (rechts im Bild)
Koreanische Herrscherdynastien waren über viele Jahrhunderte hinweg nicht unähnlich organisiert. Und so ist es fast schon folgerichtig, dass auch die moderne nordkoreanische Dynastie der Kims seit ihrer Gründung 1948 die Macht von Generation zu Generation weitergegeben hat. Keiner modernen Diktatur der Welt ist dies je gelungen. Keine moderne Diktatur hat es auch geschafft, ein autarkes, kaum zu durchdringendes System zu etablieren, gefestigt von bellizistischem Nationalismus, kultartig fixiert auf die Führungsfigur an der Spitze, 65 Jahre schon im permanenten Antagonismus mit seinen Nachbarn und unberechenbar selbst für seine vermeintlichen Freunde.
Es könnte sein, dass sich dies alles nun ändert. Es könnte sein, dass der Druck der modernen Welt so stark wird, dass die Fiktion einer uneinnehmbaren Insel nicht länger aufrechterhalten werden kann. Die globalisierte Welt kriecht hinein nach Nordkorea - und das wäre das Ende dieses Staates und seiner Dynastie. Denn Nordkorea kann nur existieren, wenn es den Zustand der Belagerung aufrechterhält, wenn es den Feindeskult pflegt, wenn es unantastbar bleibt. Unantastbarkeit steht im Zentrum der Juche-Ideologie, der von Kim Il Sung geschaffenen Staatsphilosophie. Totale Autarkie ist das oberste Staatsziel - aber das Regime wird diese Schlüsselvoraussetzung für sein Überleben möglicherweise nicht länger bewahren können.
Unantastbarkeit ist auch das Thema nordkoreanischer Nuklearpolitik. Die Bombe dient nicht der Bedrohung etwa der USA. Selbst ein Kim der dritten Generation weiß, dass ein Angriff mit einer Atombombe auf die USA das Ende seines Staates bedeutete. Er will aber nicht Nordkorea auslöschen, sondern - wenn ihm ein Funken Rationalität bleibt - Nordkoreas Daseins als größter staatlicher Anachronismus der Erde bewahren.
Immer wieder in der Geschichte versuchte sich Nordkoreas Führung in großen Klimmzügen. Immer wieder provozierte Pjöngjang bis ins Unerträgliche, um anschließend den geordneten Rückzug anzutreten. Immer wieder wurde das Regime mit Zugeständnissen belohnt - und vor allem mit Bewegungsfreiheit. Jeder Schlag nach außen machte die Kims für eine Weile unantastbar. Die Bombe ist dabei ihre Lebensversicherung. Nicht die USA schrecken Nordkorea mit ihren Nuklearwaffen vor einem Angriff ab, Nordkorea schreckt die Welt außerhalb seiner Grenzen mit den kruden Plutonium-Bomben ab, die in seinem Arsenal lagern.
Wenn alles so durchschaubar ist, wenn der nordkoreanische Trick immer wieder gleich funktioniert - warum dann diese Nervosität? Soll er doch toben wie Rumpelstilzchen, der Dicke mit der Bombe. Doch Vorsicht: Mit Atomwaffen spielt man nicht, und Naivität ist eine der Todsünden im internationalen Geschäft. Tatsächlich gibt es im Westen eine Neigung, den Kims fast schon einen Unterhaltungsbonus zu gönnen. Weh tun wird die Krise schon nicht. Selbst in Südkorea lächeln sie auf den Straßen.
Doch das ist die Oberfläche. Die Krise ist voller Gefahren. Ganz oben steht die Figur des jungen Führers, keine 30 Jahre alt, erzogen in Europa, gekrönt vom Vater, seit der Machtübernahme nicht gesichtet beim wichtigsten Nachbarn China. Kim Jong Un ist der große Unbekannte. Liefert er sich einen Machtkampf mit modernisierungsfeindlichen Fraktionen? Blufft er nach außen, um im Inneren reformieren zu können? Hat er die Lage überhaupt unter Kontrolle? Ist es etwa möglich, dass sich seine Generalität, die den Fleischtrögen immer am nächsten war, gegen ihn gewendet hat und den kollektiven Selbstmord des Landes vorzieht? Wahn und Verblendung sind in Nordkorea tief eingebrannt. Ein Untergangs-Szenario mit einem kleinen Weltenbrand ist nicht undenkbar.
Realistischer ist aber dies: Nordkorea und seine Schutzmacht China sind gefangen in einem unauflösbaren Widerspruch. Nordkorea kann nur in der Isolation überleben, aber nicht einmal China kann diese Isolation mehr garantieren. Also muss sich das Land öffnen. Das bedeutet das Ende der Juche-Ideologie. Das bedeutet - vielleicht schnell, vielleicht auf lange Sicht - die Vereinigung mit dem Süden. China kann aber keinen Grenznachbarn Korea ertragen, dessen Schutzmacht USA bereits in Myanmar auftaucht und im Pazifik neue Basen errichtet.
Auf der anderen Seite die USA: Sie haben keine andere Wahl, als die nordkoreanischen Drohungen ernst zu nehmen. Kein Land ist zu Demut verdonnert, wenn es so unverfroren mit einem Nuklearschlag bedroht wird. Also wird über eine Reaktion nachgedacht - extended deterrence heißt das in der Codesprache und es bedeutet nicht weniger, als dass die USA zu einem nuklearen Gegenschlag bereit wären.
Um es nicht so weit kommen zu lassen, verlegen die USA Abfangraketen in den Pazifik - auf Schiffen und nach Guam. Sie untersuchen die Luft nach Partikeln aus dem letzten Nukleartest, weil die Aufschluss darüber geben, ob Nordkorea bereits über Bomben aus angereichertem Uran verfügt oder nur aus Plutonium. Anreicherung bedeutet: mehr Material, mehr Bomben. Das würde das Gleichgewicht massiv verschieben und möglicherweise in Japan und Südkorea die Begehrlichkeit nach einer eigenen Bombe wecken. China fürchtet genau dies: Noch mehr amerikanische Schiffe in seinem Einflussbereich, eine Raketenabwehr, die im Zweifel auch dem eigenen nuklearen Arsenal gilt, und am Ende - nach einem nordkoreanischen Kollaps und einer Wiedervereinigung der beiden Koreas - GI" s an seiner nordöstlichen Grenze.
So wird der junge Kim unversehens zum Katalysator einer Auseinandersetzung, auf die weder Washington noch Peking vorbereitet sind und auf die die Welt gerne verzichten könnte. Kim - oder seine Generäle - haben das Zaubermittel entdeckt, das sie noch für eine Weile unangreifbar hält: Wenn Nordkorea nicht mehr im Schatten des alten kalten Krieges existieren kann, angelehnt an Russland und China, dann eben im Schatten des neuen kalten Krieges, den es noch zu kreieren gilt. Ein monströser Schachzug eines gelehrigen Schülers der Juche-Ideologie. China und die USA müssen entscheiden, ob sie an diesem Spiel teilnehmen möchten. Beschlossen ist noch nichts.