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Wahlrecht reloaded

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Anfang nächsten Jahres soll eine neue Regelung zum Umgang mit Überhangmandaten in Kraft treten.


Berlin - Deutschland bekommt voraussichtlich Anfang 2013 und damit nur wenige Monate vor der nächsten Bundestagswahl ein neues Wahlrecht. Nach Angaben von SPD und Grünen verständigte sich eine Arbeitsgruppe aus allen Bundestagsfraktionen auf den Grundsatz, dass künftig Überhangmandate einer Partei bei den anderen Parteien ausgeglichen werden. Details müssen noch geklärt werden. 'Wir haben heute einen großen Fortschritt bei den Verhandlungen erzielt und uns auf ein Modell mit Ausgleichsmandaten verständigt', erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann. Damit würden Überhangmandate vollständig neutralisiert. Das Bundesinnenministerium soll nun einen Gesetzentwurf erarbeiten, der bis Ende 2012 ins parlamentarische Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden soll.




Neue Regelung bei den Überhangmandaten

Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Nach der Bundestagswahl 2009 verfügte die Union über 24 solcher Zusatzsitze im Parlament. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte vor einigen Monaten geurteilt, die Zahl der Überhangmandate dürfe nicht höher als 15 liegen, um das Wahlergebnis nicht zu verzerren. Nun sollen alle Überhangmandate ausgeglichen werden. Die Einzelheiten, wie der Ausgleich sowohl zwischen den Parteien als auch den Ländern geschehen soll, ist Gegenstand der weiteren Verhandlungen. Allerdings wird durch die Ausgleichsmandate aller wahrscheinlichkeit nach die Zahl der Abgeordneten insgesamt in der Regel zunehmen. Hatte der Bundestag 2009 unmittelbar nach der Wahl 622 Abgeordnete, so wären es nach dem nun vorgeschlagenen Modell 671 Parlamentarier.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), zeigte sich zurückhaltender als sein SPD-Kollege Oppermann, aber gleichwohl auch optimistisch: In der Sitzung der interfraktionellen Arbeitsgruppe habe man am Mittwoch 'erneut Fortschritte gemacht, was die Bewertung der zur Diskussion stehenden Modelle betrifft', erklärte Grosse-Brömer. Es werde nun eine Einigung zum Wahlrecht 'in der nächsten Sitzungswoche' angestrebt.

Grünen-Geschäftsführer Volker Beck sagte, seine Partei halte das vorliegende Modell nicht für die beste Lösung, sei 'aber bereit, es mitzutragen'. Entscheidend sei für die Grünen, 'dass der Wähler mit seiner Stimme die Stärkeverhältnisse im Bundestag bestimmt, und das ist auch bei diesem Vorschlag gegeben'. Die Linke ist bislang nicht bereit, den Kompromiss mitzutragen. Als Grund nennt sie die aus ihrer Sicht unnötige Vergrößerung des Bundestages. Die Rechtsexpertin der Linken-Fraktion, Halina Wawzyniak, monierte, das jetzt verabredete Modell hätte bei allen Bundestagswahlen seit 1994 zu einer teils erheblichen Vergrößerung des Parlaments geführt. Das sei jedoch nicht akzeptabel. 'Ein größerer Bundestag bedeutet nicht mehr Demokratie.'

Ausgangspunkt der Wahlrechtsdiskussion war ein Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahre 2008. Darin hatte Karlsruhe das sogenannte negative Stimmengewicht für grundgesetzwidrig erklärt. Dieser Effekt entsteht, wenn Stimmengewinne einer Partei durch die Berechnungsmodalitäten des Wahlrechts zu einem Mandatsverlust führen können. Das negative Stimmengewicht kann durch Überhangmandate mitverursacht werden. Gleichwohl hatten die Verfassungsrichter das Parlament in ihrem damaligen Urteil lediglich damit beauftragt, ein neues Wahlrecht zu schaffen, in dem das negative Stimmengewicht nicht mehr zum Tagen kommen sollte. Die Überhangmandate blieben in diesem Urteil wie schon in einem früheren Urteil, das sich speziell mit der Rechtmäßigkeit der Zusatzmandate befasst hatte, unbeanstandet.

Da sich die Koalitionsfraktionen und die Opposition in der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Frist bis 2011 nicht auf ein neues Wahlrecht verständigen konnten, verabschiedeten Union und FDP im Alleingang ein Gesetz mit ihrer Koalitionsmehrheit, in dem das negative Stimmengewicht weitgehend beseitigt sein sollte, die Regelung zu den Überhangmandaten aber unverändert blieb. Im Sommer 2012 verwarf das Verfassungsgericht auch diese Regelung. Zugleich änderte es aber auch seine Rechtsprechung zu den Überhangmandaten und forderte eine Deckelung. Dafür legten die Verfassungsrichter willkürlich die Zahl von 15 Überhangmandaten fest.

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