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Kommentar: Auf Facebook gegen die Krise

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Sie mussten ihr Land für einen Job verlassen - gegen das "erzwungene Exil" demonstrieren die Spanier auf Facebook. Der Verbündete ist die Justiz.


Am Wochenende haben junge Spanier in 33 Städten der Welt, von Amsterdam über Brüssel, Berlin, New York bis Buenos Aires, gegen das protestiert, was sie ihr 'erzwungenes Exil' nennen. Sie sind keine politisch Verfolgten und kein Gastarbeiter-Proletariat früherer Jahrzehnte, sondern gut ausgebildete Akademiker, die in ihrem krisengeschüttelten Heimatland keine Arbeit finden. 'Wir gehen nicht, sondern sie werfen uns raus', lautet ihr Slogan. Verbreitet wurde der Aufruf über eine Facebook-Seite, die in wenigen Wochen mehr als 100000 Freunde gewonnen hat.

Es gibt Dutzende solche Seiten in Spanien und anderen Ländern Südeuropas. Ihre Anhängerschaft lässt die der klassischen Medien und der Parteien weit hinter sich. Über sie artikulieren sich Arbeitslose, Opfer der Immobilienkrise, aufrührerische Senioren. Sie sind Foren einer hitzigen, im Kern aber konstruktiven Debatte, in der es darum geht, die nationale Katastrophe zu begreifen. Die meisten dieser Netzwerke entstanden infolge der Massenproteste des Jahres 2011. Man darf ja nicht vergessen, dass die Occupy-Bewegung in Madrid ihren Ursprung hat, an der Puerta del Sol versammelten sich am 15. Mai 2011 erstmals Hunderttausende, um gegen das Spardiktat zu protestieren.



Auf die Sparmaßnahmen der Regierung reagierten die Spanier im vergangenen Jahr mit Massenprotesten. Junge Spanier, die für einen Job ins Ausland gehen mussten, haben sich auch in Protestbewegungen im Internet vernetzt.

Da Demonstrieren alleine auf Dauer nichts bringt, hat sich die Diskussion ins Internet verlagert, wo manche Gruppen zum Teil sehr konkrete Forderungen stellen - und das mit Erfolg. So ist die Korruption, lange Zeit endemisch in Spanien, inzwischen sozial geächtet. Die Plattform der Hypothekengeschädigten erreichte über Umwege, dass der Europäische Gerichtshof das harsche spanische Schuldengesetz kürzlich für unvereinbar mit europäischem Verbraucherschutz erklärte.

Die Justiz ist bisher einziger institutioneller Bundesgenosse dieser Netzwerke: Gefeiert wird der Ermittlungsrichter, der sich traute, die spanische Königstochter im Korruptionsprozess gegen ihren Ehemann vorzuladen. Oder das portugiesische Verfassungsgericht, das Teile des Sparhaushalts kassierte. Andere Verbündete will die iberische Protestbewegung auch gar nicht. Ein Phänomen wie Beppe Grillo in Italien ist dort bisher ausgeblieben. Jeder, der versucht, politisch Kapital aus der Krise zu schlagen, wird ausgebuht.

Dass die Proteste friedlich geblieben sind, ist angesichts des Ausmaßes der Probleme bemerkenswert. Man male sich aus, was in Deutschland los wäre, wenn hier die Hälfte der Jugend arbeitslos und Millionen Menschen überschuldet wären. Doch Vandalismus, wie er sich etwa 2011 in Großbritannien Bahn brach, ist den Spaniern fremd. Noch immer haben sie zu viel zu verlieren. Die traditionelle Familiensolidarität fängt die schlimmsten sozialen Folgen ab. Wie lange noch? Die Proteste werden aggressiver. Beim umstrittenen escrache etwa belagern Demonstranten Häuser von Politikern, um dort laut ihre Forderungen vorzubringen. Es ist ein erstes Zeichen, dass das Ventil der sozialen Netzwerke bald nicht mehr reichen könnte.

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