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Reizende Kollegen

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Wie weit darf die Staatsgewalt gegen Demonstranten vorgehen? Um diese Frage geht es jedes Jahr am 1. Mai. Vor einem Berliner Gericht wurde sie nun erneut gestellt - allerdings von Polizisten, die selbst Opfer wurden.

Es war eine vergleichsweise ruhige Demonstration für einen 1. Mai in Berlin: Vereinzelt wurden am Kottbusser Tor in Kreuzberg Flaschen geworfen, vereinzelt Steine. Die Demonstranten sangen Lieder, in denen sie die Polizei beschimpften. Und die Polizisten versuchten, die Protestler zu kontrollieren, und das nicht nur mit freundlichen Worten. So weit, so üblich. Ansonsten war an diesem Tag aber alles anders. Denn am Ende gab es verletzte Beamte, deren Blessuren nicht auf das Konto der Demonstranten gingen. Die Männer wurden von ihren eigenen Kollegen attackiert. Aber der Reihe nach.

An diesem Dienstag hat das Kriminalgericht Moabit über zwei Beamte der 'Einsatzhundertschaft 5' verhandelt. Die Staatsanwaltschaft warf den beiden Männern gefährliche Körperverletzung vor. Sie sollen sich mit Schlägen und Tritten durch eine Gruppe von anderen Beamten gedrängt haben - ohne Not, ohne Anlass. Kläger sind die betroffenen Kollegen, die an jenem 1. Mai 2011 auch in Kreuzberg im Einsatz waren. Der Unterschied: Sie trugen keine Uniformen.



Bandmitglieder zünden am Dienstag (01.05.2012) in Berlin auf der Bühne des 'Antikapitalistischen Barrios' beim 'Myfest' bengalische Feuer

Fest steht: Die zwei Gruppen der Einsatzhundertschaft liefen an diesem Tag durch die Menge. Wer nicht zur Seite ging, wurde weggeschubst; das haben Beamte von Landes- und Bundespolizei bestätigt. Doch der Rest des Geschehens ist ein einziges Durcheinander. Vor Gericht geht es um viele Details. Wer kam aus welcher Richtung? Wer trug gehärtete Schutzhandschuhe? Wer eine Uniform? Wer hatte Reizgas dabei? Doch vor allem geht es um eine Frage: Wie weit darf die Staatsgewalt im Umgang mit Demonstranten gehen?

Man kennt diese Frage vom 1. Mai. Sie kehrt jedes Jahr wieder. Doch in der Regel wird sie nur von den Demonstranten gestellt - deren lautere Absichten an diesem berüchtigten Berliner Randale-Tag nicht immer klar sind. Nun aber stellt die Polizei diese Frage. Ein Novum.

Die Mai-Demos fordern die Einsatzkräfte jedes Jahr enorm heraus. Es gibt Kundgebungen von Neonazis, Gegenkundgebungen von Linksradikalen. Manche Demonstranten sind vermummt, manche gewalttätig. Die Polizei muss Plätze sperren, Räumfahrzeuge und Wasserwerfer einsetzen. Sie ist nicht zu beneiden: Die eine, die richtige Maßnahme, um die Unruhen zu kontrollieren, hat sie bisher nicht gefunden.

Und so werden vor dem Kriminalgericht in Moabit auch die zwei Vorgehensweisen verhandelt, mit denen die Beamten es seit Jahren im Wechsel probieren: die aggressiv-abschreckende und die unauffällig-deeskalierende. Als Zeugen werden zunächst die betroffenen Zivilbeamten vernommen. Sie berichten, dass die Lage am Kottbusser Tor ruhig gewesen sei. Dann hätten sie einen Demonstranten festnehmen wollen, der eine Flasche geworfen hatte. Plötzlich seien jedoch Mitglieder der Einsatzhundertschaft 5 aus verschiedenen Richtungen auf sie zugelaufen. Einer der Zivilpolizisten habe einen seiner Kollegen zur Seite ziehen müssen. Ein anderer sei ins Gesicht geschlagen worden, außerdem sei nach ihm getreten worden. Die Uniformierten versprühten Reizgas, ihre Kollegen in Zivil zogen sich zurück. Der geschlagene Polizist blutete aus der Lippe, andere Kollegen hatten Reizungen im Gesicht. Wer geschlagen und wer getreten hat, können die Zivilbeamten vor Gericht nicht sagen. Groß seien die Uniformierten gewesen. 'Wie eine Wand' seien sie gelaufen. Erkannt habe man die Männer der Einsatzhundertschaft an der Kennung auf der Uniform: 'E'.

Die Angeklagten, 1,90 und 1,92 Meter groß, kantige Gesichtszüge, verweigern ihre Aussage. Ob es besondere Vorkommnisse an jenem Abend gab, werden weitere Mitglieder der Einsatzgruppe gefragt. Die Männer verneinen. Ob jemand geschlagen oder getreten habe? Sie verneinen. Der Staatsanwalt nennt das Vorgehen der Angeklagten 'völlig sinn- und anlasslos', er fordert für den einen eine Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung, für den anderen eine Geldstrafe von 3000 Euro. Die Verteidigung nennt den 1. Mai zwar auch eine 'gruselige Schöpfung', fordert aber einen Freispruch - aus Mangel an übereinstimmenden Beweisen. Die Richterin folgt dieser Argumentation, auch wenn sie 'keinen Zweifel' an den Schlägen hat, auch nicht daran, dass es einer aus der Gruppe der Angeklagten war. Nur wer genau?

Nach der Urteilsverkündung steht einer der Zivilbeamten vor dem Gericht, ein kleiner, schmächtiger Mann mit Brille. Ob er dieses Jahr am 1. Mai im Einsatz sei? Nee, sagt er. 'Gott sei Dank nicht.'

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