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Internet statt Hörsaal

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Die Plattform Iversity bringt Uni-Kurse ins Netz. Jeder kann so etwas für seine Bildung tun, wann und wo er will - und zum großen Ärger mancher Hochschule

Berlin - Als die vier jungen Männer an einem grauen Herbsttag das feine Berliner Hotel Adlon verlassen, fühlen sie sich, als könnten sie die Welt einreißen. "Vielleicht nicht die ganze, aber mindestens die halbe", sagt Hannes Klöpper damals, viereinhalb Jahre ist das her. Die Freunde studieren noch, ein Jahr lang haben sie in ihrer Freizeit an einem Konzept für ein Bildungsportal gearbeitet, das sie im Netz zur zentralen Plattform für akademisches Wissen machen wollen: Vorlesungen an Hochschulen und Universitäten, Vorträge und Kolloquien, Seminare und Diskussionsrunden sollen bald online verbreitet werden, am besten interaktiv. Jeder, Schüler, Wissenschaftler, Rentner sollen mitmachen.

An jenem Novembertag erhalten die Studenten für ihre Idee einen ordentlich dotierten Preis und viel aufmunterndes Schulterklopfen. Dann passiert: nichts. Die jungen Männer finden keinen Investoren für das Projekt. Selbst der innovationsfreudige SAP-Gründer Hasso Plattner, der heute ein ähnliches Portal an seinem Potsdamer Institut betreibt, lässt sich damals nicht von ihnen überzeugen. "Da haben uns Mut und Elan verlassen", sagt Klöpper. Sie bringen die Bildungsplattform nie ans Netz, die Gruppe gibt die Zusammenarbeit auf, einer schreibt nun seine Doktorarbeit in München, ein anderer ist jetzt Referent einer Stiftung in Westfalen.

Nur Hannes Klöpper ist doch noch Unternehmer geworden. Auf Umwegen. Klöpper wird bald 30, er hat an einem Buch über die Universität des 21. Jahrhunderts mitgearbeitet - und er hat vor zwei Jahren Jonas Liepmann, einen angehenden Theaterwissenschaftler, kennengelernt. Der ärgerte sich während seines Studiums über wenig taugliche Intranet-Lösungen zweier Universitäten. Klöpper wiederum beschäftigte sich mit der Frage, wie das Internet Hochschulen und Bildung zum Besseren verändern könnte. "Wir hatten ein gemeinsames Thema und bald die Idee, daraus etwas zu machen", sagt Klöpper. Herausgekommen ist Iversity, eine Online-Plattform für Forschung und Lehre, zum Kommunizieren und Arbeiten: ihr digitaler Campus.



Ob es auch in Zukunft so voll sein wird im Hörsaal? Bildungsplattformen wie "Iversity" bieten Online-Vorlesungen an - und werden immer beliebter.

Diesmal sollte es nicht am Geld scheitern, die Plattform ans Netz und das Unternehmen zum Laufen zu bringen. Die beiden setzten mit ihrer Geschäftsidee auf einen Trend, der, ausgehend von den USA, mehr und mehr Universitäten in der Welt erfasst: frei zugängliche und kostenlose Online-Lehrveranstaltungen, auch Massive Open Online Courses (MOOC) genannt. "Viele Lebensbereiche hat das Internet bislang revolutioniert", sagt Klöpper. "Warum nicht auch die Uni-Welt?" Von einem Fonds haben die beiden Gründer ein Startkapital von einer Million Euro bekommen - ausreichend Kapital, um das Iversity-Netzwerk zum Wintersemester 2011/2012 zu starten. Mit der Telekom, weiteren Risikokapitalfonds und privaten Geschäftsleuten haben die Gründer weitere Geldgeber gefunden. Kapital und Erfahrung bringt seit kurzem auch Marcus Riecke ein, der einst bei Ebay und Studi-VZ Geld verdiente und nun bei Iversity als Geschäftsführer eingestiegen ist.

Nach einem Jahr nutzen über 60000 Studenten und mehrere hundert Professoren die Online-Plattform, Tendenz steigend. Die Gründer und ihre nun mehr als 20 Mitarbeiter wollen mehr: Mindestens Europas führende MOOC-Plattform werden. Einfach wird das nicht. Inzwischen bieten andere ähnliche Plattformen an: In Potsdam experimentiert das Hasso-Plattner-Institut mit frei zugänglichen Online-Kursen. In Lüneburg hat die Universität die Leuphana Digital School gestartet. In München haben sich die beiden Universitäten zu dem Iversity-Pendant Coursera zusammengeschlossen. Allein auf dieser Plattform haben sich bereits zwei Millionen Studenten eingeschrieben.

Klöpper sagt, Iversity könne dagegen gut bestehen: "Die meisten Angebote wärmen im Netz nur ziemlich abgestandene Lehrmethoden auf", sagt er. Mit seinem Portal solle Schritt für Schritt ein soziales Netzwerk entstehen, in dem sich Bildungshungrige sämtlicher Generationen und Interessen treffen, um interaktiv mit- und voneinander zu lernen. Technisch ist das längst möglich: Computer oder Tablets und Internetanschlüsse besitzen die meisten Menschen. Klöppers Team will die Geräte nun mit Lehrprogrammen, Videos, Aufgabenstellungen und Quiz-Formaten füttern. In Hoppegarten, gleich neben der Berliner Pferderennbahn, hat das junge Unternehmen gerade sein neues Quartier bezogen. "Die Umgebung stimmt, ausreichend Startkapital ist da", sagt Klöpper.

Für Lernwillige soll die Plattform dabei kostenlos bleiben. Geld verdienen wollen die Iversity-Gründer mit Gebühren für Abschlussexamen, für Lizenzen oder für das Finden und die Vermittlung von Spezialisten an Unternehmen. "Konzerne könnten sich die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter von Hochschulen maßschneidern lassen oder selbst Bildungsangebote machen", sagt Klöpper. "Wenn etwa BMW einsteigen würde, wären Tausende Studenten dabei."

Dafür muss Klöpper aber noch mehr Universitäten und Professoren von Iversity überzeugen. Viele Hochschulen schrecken vor dem Aufwand für Online-Kurse zurück oder wollen ihre Studenten lieber vor Ort haben. Zudem steht bei solchen Kursen noch nicht fest, wie Prüfungen abgelegt werden können. Gemeinsam mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft hat Klöpper daher einen Wettbewerb organisiert, Professoren sollen Online-Kurse und Vorlesungen für die Plattform erarbeiten. Die zehn überzeugendsten Konzepte, von einer Jury ausgewählt, werden dann mit jeweils 25 000 Euro prämiert. "Wir brauchen die Besten und Originellsten", sagt der Unternehmer, der nun erstmals vom Kapitalnehmer zum Geldgeber aufgestiegen ist. "Auch das", sagt Klöpper und grinst, "ist eine neue Erfahrung für mich."

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