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Pünktlich in den Feierabend

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Über Work-Life-Balance wird derzeit viel diskutiert. Besonders Arbeitnehmer der Generation Y wollen Freizeit und Karriere miteinander vereinbaren.


Bei Gesprächen mit hochkalibrigen Bewerbern war lange Zeit der Preis der Arbeit kein Thema, das sich nicht in Zahlen ausdrücken ließ. Und wenn Personalvorstand Ulrich Jordan einen Kandidaten vorsichtig auf dessen Belastbarkeit ansprach, entlud sich das beiderseitige Unwohlsein anschließend in einem herzlichen Gelächter: Bedarf doch wohl keiner Frage, dass sich ein Manager mit Haut und Haaren seiner Arbeit verschreibt!

Seit zwei Jahren arbeitet Jordan, einst Vorstand der damaligen Citibank und heutigen Targobank, selbständig als Berater in Dortmund. Er telefoniert täglich mit Personalchefs und hat von denen ein ganz neues Bild vermittelt bekommen: Mittlerweile sprechen die zur Vorstellung Eingeladenen den kommenden Arbeitsaufwand offensiv an. Manch einer erkundigt sich sogar, wie der Arbeitgeber die Mehrbelastung auszugleichen gedenke.



Die Arbeit soll nicht mit Überstunden die Freizeit auffressen - darauf achten immer mehr Arbeitnehmer bei der Jobwahl.

'Da muss man doch den Kopf schütteln', sagt der 58-Jährige halb amüsiert, halb aufgebracht. Er wertet die Frage als Indiz für eine saturierte Gesellschaft, die viele ihrer Kinder nach Strich und Faden verwöhne und damit ein Anspruchsdenken unterstütze. Als Erwachsene fordern sie dann die Erfüllung ihrer Erwartungen vom Arbeitgeber. Der habe sich darum zu kümmern, dass seine Leistungsträger sozial und familiär nicht verkümmerten. Dabei kennt Ulrich keinen erfolgreichen Manager, dessen Leben sich nicht nach dem Job richtet. 'Wenn man mit jungen Indern spricht', stichelt der Personaler, 'fällt nie der Begriff Work-Life-Balance.'

Der Mann steht mit seiner Meinung beileibe nicht alleine da. Das sollten all jene im Hinterkopf haben, die aus der ansteigenden Flut der Berichte über Burn-out und Stress am Arbeitsplatz schlussfolgern, dass die Arbeitgeber alarmiert sind und die Lasten ihrer Mitarbeiter herunterfahren. Tatsächlich gibt es dafür keine Anhaltspunkte. 'Unter zunehmendem Druck der Niedriglohnländer werden die produktiven Bereiche stets weiter optimiert', weiß Isabell Krone, die lange als Personalleiterin gearbeitet hat und nun von außen Personal-Abteilungen betreut. Effizienz hoch, Kosten runter bedeutet in logischer Folge: 'Die gleiche Arbeit muss mit immer weniger Menschen gemacht werden.'

Die Appelle von Medizinern und Arbeitspsychologen und die Emanzipation der Stressverweigerer sind ein legitimer Versuch, sich dieser Entwicklung entgegenzustemmen. In Firmen, die sich um Nachwuchs und um ihre Attraktivität als Arbeitgeber sorgen, wird das ernst genommen. Fortschrittliche spendieren der Belegschaft einen Fitnessraum, Konservative eine Rückenschule oder psychologische Beratung, Durchgreifende deckeln die Anzahl der zulässigen Überstunden. Personalabteilungen fordern Leitende auf, in Mitarbeitergesprächen nach der körperlichen und seelischen Befindlichkeit zu fragen. Manche Konzerne gebieten sogar, pünktlich Feierabend zu machen und Geschäftsbelange bis zum nächsten Morgen liegen zu lassen. Allerdings gelten die Anruf- und E-Mail-Verbote nach Dienstschluss selten für leitende Mitarbeiter. Die gehen nach wie vor ran, wenn der Chef klingelt, denn vielleicht erwartet sie Arbeit - oder auch die Chance ihres Lebens. No risk, no fun. Insbesondere für die nach 1980 geborene Generation Y, um die sich derzeit Arbeitgeber reißen, ist Work-Life-Balance ein Nullwort, weil sie sich Freiräume nicht vorschreiben lassen will, oder willkommenes Argument zur Abwehr von Arbeitsbelastung. 'Etliche Nachwuchsführungskräfte glauben, sie könnten mit weniger Arbeit an die Spitze kommen', diagnostiziert Albert Nußbaum, Psychologe und oberster Personalberater bei Mercuri Urval. 'Viele greifen die modische Forderung nach Verbesserung der Work-Life-Balance auf, um zu einer geringeren Arbeitszeit zu kommen.'

Natürlich weiß auch er, was viele Angestellte bewegt: Mehr Selbstbestimmung, mehr Gestaltungsfreiraum, mehr Sinn in der Arbeit. Darauf müssten die Unternehmen reagieren, gewiss. Nicht in ihrer Verantwortung liege aber die Lösung des Problems, wie Mitarbeiter beruflich Höchstleistungen erbringen und gleichzeitig ein befriedigendes Familienleben führen können. 'Vor 200 Jahren diente die Arbeit einzig der Deckung des Lebensunterhaltes. Heute schreien alle nach Sinnerfüllung.'

Die mit dem Begriff Work-Life-Balance willkürlich getroffene Unterscheidung zwischen Arbeit und Leben dünkt ihn wie ein Rückfall in frühindustrielle Zeiten. 'Die Generation Y will Karriere und Privatleben. Die in den Fünfzigerjahren geborenen Babyboomer dagegen wussten von vorneherein, dass sie für die Karriere beim Privatleben Abstriche machen mussten.' Das, versichert Nußbaum, würden die Jüngeren auch noch erkennen. Spätestens dann, wenn ihre Karriereträume platzen.

Ist es möglich, dass die Babyboomer gerade fassungslos zusehen, wie sich der Nachwuchs der eisern geglaubten Ketten entledigt? Alle zwei Jahre erkundigt sich der Personaldienstleister Towers Watson bei Zehntausenden Arbeitnehmern nach ihren Wünschen. 2010 fühlte sich mehr als jeder Zweite zunehmend gestresst. Gleichzeitig führten 'herausfordernde Aufgaben' die Spitze der Wunschliste an, was die spannende Frage aufwarf, ob Mitarbeiter dafür wohl eine weitere Portion Stress in Kauf nehmen würden. Nun ist die Antwort klar: Nein. In der 'Global Workforce Study 2012' sind Stress wie auch Interesse an kniffligen Jobs weit nach hinten gerückt. Stattdessen hätten die meisten nun lieber einen sicheren Arbeitsplatz und ein ordentliches Grundgehalt. Eine ausgeglichene Work-Life-Balance eben.

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