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Mitte-People, peinlich

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Johanna Adorjáns gekonnte Petits fours aus Berlin

'Elf Arten der Einsamkeit' heißt ein schöner Band mit Short Stories von Richard Yates. 'Dreizehn Arten der Peinlichkeit' könnte Johanna Adorjáns neuer Band mit Geschichten überschrieben werden - denn Gott sei Dank hat sie nicht alle '500 besten Freunde', die der Titel nennt, abgearbeitet, sondern nur dreizehn. Die Zahl 500 hat trotzdem ihre Berechtigung, denn sie bezeichnet mutmaßlich statistisch korrekt den Ausschnitt der gesellschaftlichen Wirklichkeit, um den es hier geht. Es handelt sich, mit einem Wort, um das Berliner Mitte-People aus Schreibern, Galeristen, Filmleuten und sonstigen 'Kreativen', also jene winzige Kohorte, die, wie es gleich in der ersten Geschichte heißt, von sich sagen kann, 'wir saßen oft im Borchardt und hielten das alles für sehr wichtig'.




Hauptsache wichtig und im Borchardt: Mitte-Schnitten.

Johanna Adorján erzählt Stadtgeschichten, im Genre vergleichbar den allerdings viel liebevolleren Schwulenstorys von Armistead Maupin, oder auch einzelnen Folgen jener oft ja nicht unschlauen Vorabend-Soaps, die einige der happy 500 mitproduzieren, als Drehbuchschreiber oder Darsteller. Wenn hier mit jeder wünschbaren Explizitheit von derbem Sex berichtet wird, besteht das eigentliche schmutzige Geheimnis darin, dass die eine Partnerin 'Hirnforschung macht', die andere auf dem Fahrrad 'zum ARD-Studio' kommt, der dritte Beteiligte aber malt. Am Beginn der Erzählung war die Hirnforscherin namens Jelena erst einmal mit dem Satz eingeführt worden: 'Im Bett, sagte sie, pfeife sie auf die Genfer Konvention. Da wusste er, dass er bei ihr richtig war.'

Diese Menschen haben oft nicht übertrieben viel Geld, aber überdurchschnittlich viel Zeit, die sie zur Pflege ihrer Empfindlichkeiten nutzen. Und hier kommt die Peinlichkeit ins Spiel. Adorjáns Vermögen, Situationen der Peinlichkeit auszupinseln, ist beachtlich. Man ist nominiert für einen Preis, neben mehreren anderen, die Entscheidung und Verleihung findet vor aller Augen in einem 'Gala-Akt' statt - dieses heute allgemein geläufige Setting bedeutet die garantierte Produktion von Peinlichkeit, weil es immer nur einen Sieger und viele Trostpreise geben kann. Adorján führt das so vor, dass man diese hässliche Unsitte gleich wieder abschaffen möchte.

Peinlich ist es, wenn ein erwachsener Darsteller einer bekannten Serie mit einer mütterlich gestrengen Therapeutin redet und das so verschriftlicht wird, wie es hier geschieht. Dass das drogenabhängige Würstchen sich am Ende der Geschichte als ebenso brutaler wie beiläufiger Vergewaltiger entpuppt, zeigt ein zweites Erzählprinzip dieser glatt-professionellen Stories: Fast alle laufen sie auf ein Umschlagen, eine Pointe hinaus, die den Sinn der Situation in eine veränderte Beleuchtung rückt. Zwei Freundinnen treffen sich im Borchardt und beäugen sich ungewohnt unnachsichtig - Peinlichkeiten in Reihe -, aber erst der letzte Satz stellt das Problem klar: 'Erst später erfuhr ich, dass Eva an diesem Abend schon wusste, dass ich sie seit Monaten mit ihrem Mann betrog.'

Eine abgehalfterte Filmlegende entpuppt sich nach dem Aufbrechen der Wohnung als ekelerregender Messie; ein peinlich unelegant auftretender Mann namens Klaus, den eine bekannt sexbesessene Schauspielerin für ein Mal ihrer Aufmersamkeit würdigt, wird danach für eine Bekannte, die ihn eigentlich verachtet, attraktiv. Eine mittelgute Filmschauspielerin erleidet während eines quälenden Pressetermins im Berliner Hotel Adlon eine Monatsblutung - eigentlich sind solche Szenen Inhalt besorgter Zwangsvorstellungen, Adorján macht eine böse Miniatur zur Lage berufstätiger Frauen daraus.

Anderes liest sich wie Rache: Das Porträt einer skrupellosen Praktikantin im Redaktionsgetriebe ist plakativ, aber, nun ja, wiedererkennbar. Einem jungen, so erfolgreichen wie beifallshungrigen Autor muss von seinem Lektor beigebracht werden, dass sein neues Buch Schrott ist - Adorján macht uns zu Mietgenießern der beiderseitigen Unerfreulichkeit. Und sehr glaubhaft ist die Darstellung einer 'Feuilleton-Depression', die sich allein aus der Aufzählung des kulturellen Kirchenjahrs von Berlinale über Cannes, Venedig, Buchmesse, Jahresrückblick, wieder Berlinale samt der angeschlossenen 'Themenkonferenzen' ergibt.

Das Feuilleton sei, so die hier angebotene Definition, der Teil einer Zeitung (eine Fußnote enthält hier schon den Nachruf aufs Holzmedium), 'in dem es um Kultur gehen sollte, wenngleich dort meistens lediglich das Assoziationsvermögen der jeweiligen Redakteure vorgeführt wurde, die - je nach Studium - in allem, was auf der Welt geschah, genau das erkannten, was sie eben kannten, eine Herangehensweise, die' - und nun wird die Autorin auf einmal ganz ernst - 'schon damals nicht mehr in die Zeit passte, deren Dramen und Tragödien viel zu konkret geworden waren, um in Glossen, Meinungsstücken oder Debatten verhandelt zu werden.'

Aber eben auch zu groß, um in einer Literatur von noch so fein gearbeiteten psychologischen petits fours zur Erscheinung zu kommen. Der Band ist gut, unterhaltsam mutmaßlich sogar für mehr als 500 Leser, aber auch ein Teil des Problems, das er beschreibt.

Johanna Adorján: Meine 500 besten Freunde. Stories. Luchterhand Verlag, München 2013. 250 Seiten, 18,99 Euro.

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