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Im Hätte-sein-können-Land

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Versponnene Bilder, bekanntes Geballer: Das Videospiel "Bioshock Infinite" ist ein blutiges Spiel in einer brutalen Realität.


Kaum ein Medium genießt mehr Freiheiten in der Erschaffung neuer Welten als Videospiele. Nie war es leichter eine neue Ästhetik zu etablieren. Schließlich gibt es keine physikalischen Begrenzungen außer den von mächtigen Grafik-Engines doch ziemlich gut formbaren Bits und Bytes. Und doch geht es den meisten Spieleherstellern letztlich doch nur darum, die Realität möglichst detailgetreu zu simulieren oder die ewig gleichen Looks und Formeln Hollywoods zu kopieren. Trotz aller Reife, die sich das Medium Videospiel mittlerweile erarbeitet hat, gibt es nur wenige Titel und wenige Autoren, die sich trauen, einmal aus diesem Mainstream der Nachahmung auszuscheren.

'Bioshock Infinite', urteilt nun das Technik-Magazin Wired, 'ist ein Videospiel, bei dem auch Terrence Malick Regie hätte führen können.' Hört sich gut an. Wie es aussieht? So als hätten sich H. P. Lovecraft, Mark Twain und Gustav Klimt diese virtuelle Welt in einem üblen Absinth-Rausch erdacht. Die Entwickler um Ken Levine - der Mann ist so etwas wie der, nun ja, Terrence Malick unter den Videospielautoren - lassen verlauten, man habe sich explizit die Chicagoer Weltausstellung des Jahres 1893 zum ästhetischen Vorbild genommen. In ihrer Welt herrscht der Glaube an den American exceptionalism, jener Lehre, nach der die USA dazu auserkoren sind, der Welt Frieden und Wohlstand zu bringen.



Das neue Videospiel 'Bioshock Infinite' unterscheidet sich in der gezeigten Realität stark von der ewig gleichen Aufmachung vieler anderer Videospiele.

Man schreibt das Jahr 1912, Technik und Naturwissenschaften stehen in voller Blüte. Doch irgendwann hat die Geschichtsschreibung von 'Bioshock Infinite' eine unheilvolle Abzweigung von der Wirklichkeit genommen. Deshalb laufen in dieser alternativen Realität schon kybernetische Kreaturen mit einem George-Washington-Porzellanpuppen-Gesicht durch die Gegend, und deshalb handelt das Ganze auch in einer schwebenden Stadt namens Columbia. Wie ein Beaux-Arts-Todesstern schwebt diese Festung des vermeintlichen Fortschritts nun über Amerika. Der Spieler wird in der Rolle eines Pinkerton-Detektivs namens Booker DeWitt dort hinauf geschickt, um ein vermisstes Mädchen zu retten.

Schon nach kurzer Zeit wird klar: Bioshock Infinite ist ein blutiges, ein brutales Spiel in einer blutigen, brutalen Realität. In Columbia werden die Gründerväter der großen Nation USA verehrt wie Halbgötter, John Wilkes Booth haben die Stadtväter eine Marmorstatue errichtet, und der Prophet, der ihre Religion rassischer Reinheit verkündet - Iren und Schwarze werden auf dem Jahrmarkt mit Baseballbällen beworfen, Frauen sind im besten Falle nicht mehr als Trophäen - ist eine allzu offensichtliche Karikatur des Mormonen-Apostels Joseph Smith.

Auch sonst ist das Spiel vollgepackt mit Referenzen sowohl an E-, wie auch an U-Kultur. In einer losen, nicht hierarchischen Reihenfolge wären da zum Beispiel die Occupy-Bewegung, Alfred Hitchcock, die Beach Boys, Sigmund Freund und Disneyland. Um es kurz zu sagen: Sonderlich gut kommt keines der Vorbilder weg.

Doch Entwickler Levine, Künstler, der er ist, tut dem Spieler nicht den Gefallen, die vorgestellten Ideologien zu kommentieren oder gar kritisch zu hinterfragen. Die trockenen Kommentare, die der Protagonist ablässt, wenn er mal wieder einer besonders abstrusen Szene begegnet, stören da eher. Während man sich also durch diese Hätte-Vielleicht-Sein-Können-Gesellschaft bewegt, kommt man nicht an der Frage vorbei, wie es passieren konnte, dass ein so uramerikanisches Medium wie ein Videospiel derart harsche Kritik an seinem Ursprungsland üben kann. Und kommt zu dem Schluss, dass das wohl eine gute Sache ist.

'Bioshock Infinite' wird eines der letzten großen Spiele sein, die für die aktuelle Videospiel-Hardware erscheinen. Die nächste Generation steht schon vor der Tür, spätestens zum Weihnachtsgeschäft 2013 planen die Hersteller mit neuen Geräten auf den Markt zu kommen. Dann wird es noch leistungsfähigere Prozessoren, noch bessere Grafik geben.

So ist es in dieser Zwischenzeit natürlich auch nicht vermessen, zu fragen, wie sich das Medium Videospiel in den letzten Jahren entwickelt hat. Die Hoffnung auf gesellschaftliche Anerkennung und Relevanz, auf Geschichten, für die sich der Spieler nicht schämen muss, wenn er sie seinen Freunden mitteilt, ist unter Kritikern und Entwicklern eng mit der Evolution der Technik verknüpft.

In den letzten Jahren gab es narrative Experimente wie den interaktiven Krimi 'Heavy Rain', es gab offene Welten wie im Digital-Western 'Red Dead Redemption', in denen sich der Spieler, so er es wünscht, einfach aus der Handlung ausklinken konnte. Für gelungen wurden diese Titel immer dann befunden, wenn sie das Maß für die Einflussmöglichkeiten des Spielers erhöhten. Und wenn man diesen Maßstab anlegt, dann muss 'Bioshock Infinite' auf den ersten Blick enttäuschen.

Denn das Spiel ist ein Ego-Shooter. Es spielt sich kaum anders, wie sich Ego-Shooter gespielt haben, die vor acht, zwölf oder 20 Jahren entwickelt wurden. Nur präsentierten sich die virtuellen Szenarien damals noch nicht so HD-hochglanzpoliert.

Soll heißen: die hauptsächliche Interaktion mit der fiktiven Welt, die sich Spiele-Designer Levine so penibel erdacht hat, an deren Realisierung 200 Menschen mehr als vier Jahre lang gearbeitet haben, findet immer noch durch Ballern statt. Der Spieler wird durch eine Knarre am unteren Bildrand repräsentiert und hat keinerlei Möglichkeit, das Ding wenigstens mal für ein paar Sekunden wegzustecken. Und wer entlang eines Waffenlaufs in die Welt sieht, ist in seinem Spielraum eingeschränkt.

Tatsächlich wird man als Spieler das Gefühl nicht los, wie auf den Schienen einer pervertierten Disneyland-Attraktion durch eine Geschichte geleitet zu werden. Doch wenn man sich erst einige Stunden - denn in diesen Maßstäben bewegt man sich immer, wenn man sich mit elektronischer Unterhaltung auseinandersetzt - auf 'Bioshock Infinite' eingelassen hat, entwickelt das Spiel einen seltsamen Sog. Nicht nur, weil Levine, wenn auch mit einfachen Mitteln, eine elaborierte Geschichte über alternative Realitäten, Schicksal, Zeitschleifen und nicht zu vergebende Schuld erzählt. Sondern weil seine Detailverliebtheit und Versponnenheit dazu führt, dass sich die Umgebung unheimlich lebendig anfühlt. Columbia, so scheint es, war auch schon bewohnt, bevor der Spieler hier ankam.

Trotzdem tobt unter akademisch geschulten Videospiel-Bloggern, die im Internet mittlerweile eine vitale Gemeinschaft gegründet haben, seit dem Erscheinen von 'Bioshock Infinite' eine recht fundamentale Debatte: Es geht um die Frage, ob mit diesem Spiel endlich ein Wendepunkt erreicht ist, gerade weil Spielmechanik und Narrativ so weit auseinander scheren. Oder ob man mit dem Rückgriff auf den Ego-Shooter eher das große Ganze verrät, zu dem man das liebgewonnene Medium noch fähig hält.

Bis sich die Videospiel-Akolythen geeinigt haben, bleibt 'Bioshock Infinite' ein gar nicht so komplexer, dafür umso zynischerer Kommentar. Das geht in Ordnung, Subtilität gehört nicht zu den Kernkompetenzen des Mediums; um souveränere Formen der Kritik zu entwickeln bleibt noch Zeit genug. Aber trotzdem wurde die Frage, welchen Zweck Gewalt in Videospielen hat, noch nie so gut beantwortet wie hier. Im besten Fall nämlich den gleichen, wie auch im Kino. Um Geschichten zu erzählen.

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