Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Recht und billiger

$
0
0
Sie dürfen nicht Auto fahren und kaum etwas ohne männlichen Vormund entscheiden: In Saudi-Arabien sind Frauen von der Gleichbehandlung so weit entfernt wie nirgends sonst. Doch langsam lockern sich einige Verbote im Wüstenstaat.

In der deutschen Botschaft waren sie ganz erhitzt am nachmittäglichen Teetisch. Als ob der Botschafter samt Frau und Berater hätten persönlich vortanzen sollen an diesem epochalen Abend: 'Reform in Sicht!' Was dann zu sehen war beim ersten saudischen Flamenco-Spektakel seit der Staatsgründung, verschwand im Dunkel. Die einzige Musikerin im weitgehend leeren König-Fahd-Festsaal spielte hinter der Bühne, die tanzenden Männer vergnügten sich in düsterem Licht mit sich selbst, die Band blieb im abgedimmten Kunstlicht halb unsichtbar. Nur auf der gut gefüllten Frauentribüne klickten die iPhones junger Mädchen gegen jeden Takt. Was Fortschritt heißt, wird eben unterschiedlich empfunden.


Bislang kann eine Autofahrt für Frauen in Saudi-Arabien mit einem Gefängnisaufenthalt enden

Der Flamenco-Abend in Riad liegt eine Weile zurück, er war so ernüchternd, dass es einer damals kaum aufschreiben wollte. Aber keine Sorge: Grundsätzliches hat sich seitdem nicht geändert. In Saudi-Arabien ist die Zeit ein noch freier verfügbares Gut als Erdöl. Wer zu Lebenszeiten auf spürbaren Wandel in der Frauenfrage setzt, könnte sich ebenso vornehmen, auf dem Mars Geranien anzupflanzen. Frauen im Königreich dürfen bis heute nicht Auto fahren, sie dürfen ohne Genehmigung ihrer 'Vormunde' - Vater, Bruder, Ehemann - nicht: allein außer Landes reisen, Jobs annehmen, heiraten, sich operieren lassen oder per Kaiserschnitt gebären. Als Frau allein ins Café, ohne Ehemann oder Verwandt-schaft? Verboten. Ginge es nach den ultra-konservativen Religionsgelehrten, dürften die Saudi-Araberinnen auch keinen Sport machen: Heftige Bewegungen gefährden das Jungfernhäutchen oder animieren zur Frauenliebe, so die gynäkologische Expertise der Vorbeter, die den Vollzug der Ehe mit dreizehnjährigen Mädchen für etwas Grundnatürliches halten. Eine Bloggerin aus Dahran, die es besser wissen wird als die Scheichs, antwortete einem der hauptberuflich Bärtigen per Twitter: 'Du phantasierst permanent über Sex, weil Du glaubst, dass alle sind wie Du.'

Nicht erst seit dem arabischen Frühling sind Saudi-Arabiens Frauen aufmüpfiger geworden. Die Mikrochips im Handy geben den Takt vor, auch in der Frauenfrage. Die Saudis sind Untersuchungen zufolge die twitterwütigsten Menschen weltweit, es gibt 33 Millionen Smartphones für weniger als 30 Millionen Bürger. Soziale Netzwerke lassen sich nicht wegpredigen, auch wenn Rechtsgelehrte und Geheimdienstler sich gemeinsam den Kopf zerbrechen, wie sich die virtuelle Welt einzäunen lässt. Zumindest Unverdrossene meinen daher, es tut sich wirklich etwas im Heimatland des Propheten Mohammed, der Trutzburg einer selbst für arabische Verhältnisse im Absurden einzementierten Ungleichheit der Geschlechter.

Das tut es, wenn auch in minimalen Maßen. Freundinnen aus der Mittelklasse gehen nicht nur in Dschidda, dem Mekka der Liberalen, ins Café. Auf dem Land fahren Frauen mit Wissen der Familie gelegentlich Auto, weil es gar nicht anders geht. Und was hinter den Compound-Mauern der Reichen geschieht, sehen nur die, die Zugang haben. Neuerdings dürfen saudische Frauen sogar Fahrrad fahren (nur zum Vergnügen, unter den Augen des Aufsichtsherren). In Unterwäscheläden zwischen Dschidda, Riad und Dahran beraten Damen; bisher verkauften Männer, in der Regel Gastarbeiter aus Pakistan oder Ägypten, dort BHs und Badeanzüge. Eine Frau namens Arwa al-Hudjaili hat die Lizenz als Junior-Rechtsanwältin erhalten, als Erste überhaupt. Der Menschenrechtler Walid Abulkhair erklärte deshalb euphorisch: 'Der Weg ist frei für die Frauen, als Anwältinnen zu praktizieren.'

Als Gipfelsturm im frauenpolitischen Flachland gilt jedoch dieses: König Abdullah ibn Abd al-Aziz entsendet Frauen in sein - zugegebenermaßen zahnloses - Parlament, und erzürnt damit die mächtigen Wahhabiten-Prediger, sie hüten den Gral der ultra-orthodoxen Islam-Interpretation. Die Frauen sollen jetzt in der 'Beratenden Versammlung' mitreden, 'solange das den Werten des Islam nicht widerspricht', dekreditierte der Herrscher. Die weiblichen Abgeordneten finden in der absoluten Theo-Monarchie ihren Platz hinter einer Trennwand und beraten via Bildschirm. Der Endachtziger König Abdullah macht eben, so gut er kann.

Er baut Frauen-Universitäten wie am Fließband. Bei Stipendien gilt Gleichberechtigung, die Hälfte der Auslandsstudierenden sind Mädchen (meist geht ein Bruder mit, als Aufsichtsperson kann er das nicht-saudische Leben außerhalb des Campus studieren). Und eine Regisseurin dreht einen preisgekrönten Film - in einem Land, in dem Kino verboten ist: Haifaa al-Mansur hat die Arbeiten für 'Wadjda' streckenweise aus dem Fond eines Minibusses heraus geleitet, um nicht gesehen zu werden: 'Meine Gesellschaft hätte das nicht akzeptiert', sagt sie. Zudem haben saudische Athletinnen im vergangenen Sommer an den Olympischen Spielen in London teilgenommen, auch das war eine Premiere. Die zwei Sportlerinnen rannten verschleiert und mit langen Hosen auf der Tartanbahn, kämpften auf der Judomatte: abgeschlagen auf hintersten Rängen. Aber Spitzensportlerinnen kann es kaum geben, wenn es keinen Sport für Frauen geben soll, sondern nur Fitnesszentren unter Aufsicht des Gesundheitsministers als staatlicher Hüter der Unschuld.

Aber irgendwie ist da doch auch Fortschritt. Oder soll man lieber vorsichtig sagen: Es zeigt sich etwas Bewegung in einem Land, in dem Reformen bisher einen halbherzigen Schritt nach vorn und zwei trittfeste nach hinten bedeuteten. Mutige saudische Frauen denken seit Langem um, oft ermutigt von Vätern und Ehemännern. Mittelklasse, Auslandsaufenthalt und Hochschulbesuch gehören fast immer zu ihrem Lebenslauf, sie riskieren Festnahmen und organisieren Auto-Demonstrationen, kämpfen für ihre Rechte. 'Das Hauptproblem ist die Vormundschaft', sagt eine saudische Aktivistin. De facto bedeute sie weitestreichende Rechtlosigkeit in einem Land, in dem Recht - vor allem das Privatrecht - zum großen Teil religiös begründet wird. Das stimmt: Eine exklusiv männlich-mächtige Predigerkaste zeigt sich besessen von allem Weiblichen, schreibt Rechtsgutachten über den gottgewollten Umgang mit der Monatsblutung, rechtfertigt es mit Scharia und Tradition, wenn 75-jährige Lustgreise Minderjährige schwängern wollen: Gegen die Bigotterie der 'Plazenta-Scheichs' kann Gott sich auf Erden eben so wenig wehren, wie es die Frauen können.

Fortschrittliche Saudis sehen, dass alle, die gegen diese Blockierung von Moderne sind und die Annäherung der Geschlechter vorsichtig fördern wollen, lieber auf die Kosten verweisen sollten, als den sinnfreien Endlosdiskurs mit den Rechtsgelehrten zu suchen. Prinz Al-Walid bin Talal, der Neffe des Königs, rechnete es jetzt öffentlich durch. 'Wenn die Frauen Auto fahren dürften, ließen sich eine halbe Million Jobs einsparen. Das hätte soziale und wirtschaftliche Vorteile.' Was der Milliardär meint: 500000 ausländische Chauffeure, die Mütter und Töchter tagtäglich zum Einkaufen, zur Schule und wieder nach Hause bringen, könnte man zurückschicken. Denn die Gastarbeiter machen der Männergesellschaft im Wüstenstaat heute ebenso Kopfzerbrechen wie die Frauenfrage: Nur knapp die Hälfte der Erwerbstätigen sind Saudis. Millionen Gärtner, Fahrer, Verkäufer und Straßenkehrer aus Ägypten, Indien oder Pakistan kosten Geld, während Saudis arbeitslos sind. Ökonomisch betrachtet, sind die Gehälter für die Fahrer der Saudi-Frauen das Pendant zur Geldverbrennung, ebenso wie die Ausgrenzung der Frauen vom breiteren Arbeitsleben.

Prinz Walid, der sich im Privatjet angeblich von einer Pilotin fliegen lässt, über seinen Sender 'Rotana' Musikvideos knapp bekleideter Libanesinnen zeigt und die 'Wadjda'-Regisseurin Haifaa al-Mansur bei ihrem Film unterstützt hat, begreift auch ohne göttliche Eingebung: Chauffeure und Shoppen als teures Antidot zur Gleichberechtigung, das wird nicht ewig reichen. Selbst in Saudi-Arabien nicht.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345