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'Zur Hölle mit euch'

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Teil einer revolutionären Bewegung: Der Jazzmusiker Bob Dorough über Be Bop, Hipness und Fernsehen

Ende der Vierzigerjahre war Bob Dorough einer von Tausenden junger Musiker, die es nach New York zog, weil sich dort mit dem Be Bop die erste Gegenkultur der Nachkriegszeit formierte. Nach den Musikern kamen schon bald die Schriftsteller, Künstler und Autorenfilmer. Die Beat-Ära begann. Und weil Dorough ein hervorragender Pianist war und vor allem ein außergewöhnlicher Sänger, fand er rasch Anschluss an die Szene. Sogar Miles Davis, der Sänger ansonsten nicht besonders leiden konnte, mochte die Art, wie Dorough die komplexen Phrasierungen des Be Bop auf Texte übertrug. Er ging sogar mit ihm ins Studio. Das Stück 'Nothing Like You' schaffte es auf Davis" 'Sorcerer'-Album und sicherte Bob Dorough einen Nischenplatz in der Jazzgeschichte. Anfang der Siebziger heuerte er dann beim Fernsehsender ABC als musikalischer Direktor der pädagogischen Zeichentrickserie 'Schoolhouse Rock' an. Heute lebt er nicht weit von New York in Pennsylvania und spielt wieder in erster Linie Jazz. Im Dezember wird er 90 Jahre alt.



Miles Davis nahm mit Bob Dorough ein Stück auf

SZ: Was war das Aufregende am Be Bop, als Sie im Sommer 1949 von Texas nach New York zogen?
Bob Dorough: Es war einfach spannender, als alles, was wir bis dahin gehört hatten, spannender als Benny Goodman zum Beispiel, selbst als Lester Young. Ich kam ja gerade noch rechtzeitig, um die legendären Clubs auf der 52nd Street mitzukriegen. Dort spielten die Musiker diese ganzen chromatischen Noten, die sonst niemand spielte, die verminderten Akkorde. Das war ein vollkommen neuer Sound und wir wollten den Geheimnissen dieser neuen Musik erst einmal auf die Spur kommen.

Was für Geheimnissen?
Wenn Bird (Charlie Parker) und Diz (Dizzy Gillespie) zum Beispiel 'Hot House' spielten, war das eigentlich die Cole-Porter-Nummer 'What is this thing called love'. Dizzys 'Groovin" High' basierte auf dem alten Standard 'Whispering'. Sobald wir durchschaut hatten, dass unsere Helden die neuen Stücke auf den alten Nummern aufbauten, war es dann schon viel leichter, sie in den Griff zu kriegen. Und Parker war da unser größter Held.

Warum?
Weil er ein so extremer Virtuose war. Der hat Sachen gespielt, die hatten wir noch nie zuvor gehört, und zwar nicht nur bei den neuen Stücken. Selbst wenn er 'April in Paris' spielte war das umwerfend. Seine Technik war wirklich einzigartig. Er hat aber auch schon in der High School extrem viel geübt.

War der Reiz des Be Bop rein musikalisch?
Nein, das hatte auch seinen Reiz, weil Be Bop Teil einer revolutionären Bewegung war, eines neuen Undergrounds, den man heute Beatnik oder Hippie nennt. Unsere Helden gingen gewaltig gegen den Strich der etablierten Kultur. Das hat dann auch die Schriftsteller wie Jack Kerouac und die Dichter wie Allen Ginsberg so angezogen, die im Modern Jazz einen gemeinsamen Geist fanden. Aber auch auf der Bühne hatten die Musiker eine ganz neue Haltung.

Was für eine Haltung?
Die Schwarzen wollten nicht mehr den Onkel Tom geben. Da gab es große Vorbehalte gegen Louis Armstrong, weil er ein so williger und guter Entertainer war. Später revidierten sie ihr Urteil zwar, weil sie realisierten, was für ein großartiger Mann Louis Armstrong eigentlich war. Aber es gab da eben nicht nur beim Spielen einen ganz anderer Stil, sondern auch darin, wie man mit dem Publikum umging.

Was für ein Unterschied?
Das war eine sehr coole Haltung. Niemand bemühte sich besonders, ein Publikum zu unterhalten oder anzusprechen. Es war eher so - wir spielen jetzt unsere Musik, und wenn euch das gefällt, gut, wenn nicht, zur Hölle mit euch.

Wie waren diese Musiker denn im Umgang, wenn man als junger, weißer Musiker dazustieß?
Je nachdem. Mit Dizzy Gillespie war ich befreundet. Der war sehr herzlich, sehr lustig. Wir sind zusammen ausgegangen, sind mit seinem Auto herumgefahren, hingen bei ihm zu Hause herum. Aber an Miles Davis kam man nicht ran. Selbst bei Auftritten. Wenn ihm jemand sagte, wie großartig er gespielt hatte, ignorierte er ihn einfach und ging weiter, ohne auch nur eine Sekunde innezuhalten.

Wie haben Sie ihn dann kennen gelernt?
Eine gemeinsame Freundin hat uns in Los Angeles vorgestellt. Miles mochte meine Platte 'Devil May Care'. Das hat geholfen, das Eis zu brechen. Allerdings sagte er dann nicht wie vielleicht üblich, nett Dich kennenzulernen, mir gefällt deine Platte, oder sowas. Er packte nur mein Handgelenk und sagte - Bob, warum singst du nicht deinen Song 'Baltimore Oriole'?

Was mochte er an Ihrem Gesang?
Ich hatte mich immer an Musikern orientiert, die auch singen können. Louis Armstrong, Dizzy Gillespie, Trummy Young, Nat King Cole. So habe ich eine etwas hippere Phrasierung entwickelt. Vor allem als ich begann, Be Bop zu spielen.

Wie schwierig war es damals, sich als Jazzmusiker durchzuschlagen?
Das war schon immer mehr Leidenschaft als Geschäft. Aber wir spielten lieber einen Gig für fünfzig Dollar, als einen Job für zweihundert auf irgendeiner Hochzeit oder einer Tanzveranstaltung.

Wie haben andere Jazzmusiker darauf reagiert, als Sie Anfang der Siebzigerjahre angefangen haben, fürs Fernsehen und für die Werbung zu arbeiten?
Es gab sicherlich einige, die solche Jobs verachteten. Aber ich habe damals als musikalischer Direktor der Zeichentricksendung 'Schoolhouse Rock' so einigen Jazzmusikern Arbeit verschafft. Zoot Sims war bei einigen Songs dabei, Grady Tate, Jack Sheldon. Ich habe dann sogar ein paar Werbejingles geschrieben, Arrangements für Sänger, habe Popplatten für Spanky And Our Gang produziert. Das war alles irgendwie jenseits aller Kritik für uns, aber gleichzeitig hat doch jeder versucht, solche Jobs zu kriegen, um Geld zu verdienen.

Wieviel Hipness konnte man denn bei solchen Jobs ins System schmuggeln?
Nicht viel. Das Fernsehen ignorierte den Jazz weitgehend. Aber klar, alleine die Tatsache, dass Zoot Sims bei den Aufnahmen dabei ist, macht das ja schon hip. Vor allem, wenn sie einen mehr als acht Takte spielen ließen.

Wie steht der Jazz in Amerika heute da?
Das ist eine sehr lebendige Szene und die Musik genießt enormen Respekt. Das verdanken wir allerdings vor allem Europa.

Warum Europa?
Zu Hause in Amerika hat man uns lange nicht akzeptiert. Deswegen sind ja auch so viele Musiker nach Deutschland gezogen, nach Schweden, nach Dänemark, nach Frankreich. Weil man uns dort als hochrangige Künstler behandelt hat, und nicht als Underground-Beatnik-Taugenichtse.

Hat sich der rebellische Geist im Jazz erhalten?
Nein. Inzwischen sind viele der großen Musiker an die Universitäten gegangen. Das sind jetzt Professoren

Und bei den jungen Musikern?
Die werden sicherlich mal wieder rebellieren. Der Jazz hat inzwischen ja doch eine sehr lange Geschichte. Und die jungen Leute können auf diese Geschichte im Web und auf Youtube innerhalb von Sekunden zugreifen. Sie können alles von Thelonious Monk hören oder von Charlie Parker. Als ich anfing, mich mit dem Jazz auseinanderzusetzen, musste ich mir eine Schalplatte bestellen, darauf warten, dass sie mit der Post kommt und mir die dann auf einem Plattenspieler anhören. Das geht heute alles per Knopfdruck. Ich bin mir sicher, dass die jungen Musiker auch irgendwann gegen das, was sie da hören, rebellieren. Aber so werden wir eben auch immer wieder grandiose Musik zu hören bekommen.

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