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So schnell es geht

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Ein Hacker benutzt den Twitter-Account von AP für eine Falschmeldung, in Boston jagen Laien und Profis im Netz Exklusives: Was die vergangenen Tage über das Verhältnis alter und neuer Medien zeigen.

Nur mal eine Vorstellung: Vor zehn Jahren meldet die Nachrichtenagentur AP eines Tages, das Weiße Haus werde angegriffen, der Präsident sei verletzt. In den Redaktionen weltweit Alarmstimmung. Anrufe bei den Korrespondenten in Washington DC, den anderen Agenturen. Aber da kommt nichts, alle winken ab. Nichts passiert, Fehlalarm, Falschmeldung. Nichts geht über den Sender, nichts steht in der Zeitung am nächsten Tag.



Die gefälschte Nachricht in dem Twitter-Account der AP

Doch die AP-Meldung kam nicht vor zehn Jahren, sie kam am Dienstag, und sie lief über Twitter. Dort wurde sie weiterverbreitet, dort erreichte sie innerhalb kürzester Zeit Millionen Menschen. In der Folge gingen die Kurse an der Börse kurzzeitig zu Boden. Nichts an der Meldung stimmte, ein Unbefugter hatte sich in den Account von AP auf Twitter eingeloggt und sich einen sehr üblen Scherz erlaubt. Das muss nicht das Kunststück eines Profi-Hackers gewesen sein, vielleicht hatte derjenige einfach das Passwort erraten. Ein Hack für Kinder.

Twitter verschönert und vereinfacht das Leben jeden Tag für Millionen. Nachrichten, egal ob privat oder öffentlich, lassen sich schnell verbreiten, jeder hat eine Stimme, die gehört werden kann, Demokratisierung der Öffentlichkeit, wunderbar. Doch die Zuverlässigkeit einer neuen Ordnung beweist sich dann, wenn sie auf die Probe gestellt wird.

In dieser Woche zeigte sich, mal wieder: Die redaktionelle Kontrolle fehlt auf Twitter. Das ist nicht schlimm, Twitter an sich ist ja auch keine Nachrichtenseite, sondern ein Kommunikationsmedium der Masse. Eine zentrale Instanz, die über Nachrichten entscheidet, wäre bei Twitter ein Zensurmechanismus. Das möchte niemand. Aber deshalb kann Twitter immer nur so gut sein, wie seine Nutzer es machen.

An die Stelle der redaktionellen Kontrolle sind Algorithmen getreten und der Schwarm, die addierte Intelligenz aller Twitternutzer. Die verlässt sich auf die Nachrichten von Accounts, die Twitter als offiziell markiert hat - und auch auf die von professionellen Journalisten. Das wusste natürlich auch der Hacker: Hätte er seine Nachricht nicht über den Kanal der angesehen Nachrichtenagentur AP verschickt, wäre sie nicht so ernst genommen worden.

Einen Tweet abzusetzen, muss noch nichts mit Journalismus und Recherche zu tun haben, auch wenn das natürlich vorkommt. Das zeigte sich ein paar Tage früher ebenfalls in den USA, während und nach den Anschlägen von Boston. Auf Twitter und in zahlreichen Foren wie Reddit und 4chan wurden Menschen als Verdächtige dargestellt, die mit dem Anschlag nichts zu tun hatten. Eine Fehlinformation kann auf Twitter nicht dauerhaft als Fehlinformation markiert werden. Bei jeder Nachrichtenseite gehört es längst zum Alltag, Fehler transparent zu korrigieren. Ausgerechnet auf der Seite, auf der heute Breaking News zum ersten Mal die Welt erreichen, gibt es diese Möglichkeit nicht.

Stattdessen muss, wer Twitter verwendet, noch immer sehr genau darauf achten, welche Person was geschrieben hat, welche Person die Nachricht weiterverbreitet hat und ob es vielleicht gegenteilige Meinungen gibt. Es ist oft eher die vage Ahnung einer Tatsache, die sich aus dem Netzwerk aus Tweets und Retweets ergibt, und wenn eine Falschmeldung erstmal die kritische Masse überschritten hat, ist er nicht mehr aus der Welt zu bekommen, schon gar nicht, wenn die Automatismen der Börse greifen. In einer Situation, in der die Welt auf eine neue Nachricht wartet, funktioniert das nicht immer zuverlässig.

Man konnte in den Tagen von Boston überhaupt viel lernen über das Zusammenspiel von Twitter und klassischen Medien. Denn wenn ein Land einen mutmaßlichen Mörder jagt, dann heißt das auch, dass ein Land Nachrichten jagt. So stieg der Druck auf die Journalisten von CNN und Boston Globe, die über Tage hinweg exzellente Arbeit auf allen Kanälen ablieferten - doch unter dem sehr großen Druck passierten auch den professionellen Journalisten vereinzelt Fehler. CNN berichtete etwa während der Suche, der gesuchte Täter sei festgenommen worden.

Und natürlich verbreitet sich auch eine CNN-Meldung blitzschnell rund um die Welt; kein Wunder, sie wird natürlich auch auf Twitter verbreitet, und zwar von CNN selbst. Dort korrigierte auch die Polizei von Boston über ihren offiziellen, verifizierten Account sämtliche Medien: 'Entgegen anderslautender Berichte gab es keine Festnahme im Fall des Marathon-Angriffs.' Tatsächlich gelang ein Zugriff erst am frühen Freitagmorgen.

Die Geschichte dieser Falschmeldung und ihrer Korrektur zeigt deutlich: Die Grenze verläuft nicht zwischen den Millionen Nutzern auf Twitter und den Nachrichtenredaktionen, sie verläuft zwischen sauberer Recherche und Unsinn. Doch nur von professionellen Journalisten kann man letztlich verlangen, alles zu tun, um Unsinn zu vermeiden, egal, ob sie ihrem Job gerade auf Twitter, im TV oder in einer Zeitung nachgehen. Für Journalisten muss es zum Handwerk gehören, in den sozialen Netzwerken die relevanten Informationen zu finden und zu prüfen. Dass sie Twitter, wie auch in Boston geschehen, ebenfalls als Quelle nutzen, ist längst journalistischer Alltag.

Die Berichterstatter wissen natürlich selbst, wie massiv der Druck sich erhöht hat, sie wissen, dass sich die Menschen zu Hause nicht länger nur über die klassischen Nachrichten informieren, sondern auch über ihre sozialen Netzwerke, Facebook und Twitter. So werden die Beobachtung und der Wettkampf zum Thema: 'Ich möchte präzise sein, und ich will sicher sein, dass wir alles richtig berichten. Es ist wichtig, dass wir diese Information an die amerikanische Öffentlichkeit geben', sagte Reporter-Koryphäe Wolf Blitzer am Nachmittag der Suche in Boston auf CNN. Er sprach ausgerechnet über die Festnahme, die nie erfolgt war.

Journalisten und die twitternde Masse, man profitiert längst voneinander, vielmehr noch: Was lange als zwei getrennte Welten wahrgenommen wurde, ist längst verschmolzen. Twitter ist heute nicht mehr als ein Kanal, den Journalisten professionell nutzen können. Niemals zuvor waren mehr Informationen schneller verfügbar als heute. Hilfreich sind dabei die verifizierten Accounts, wie sie von Prominenten und in diesem Fall auch der Polizei von Boston verwendet werden. Solange, bis sie gehackt werden. Dann hilft nur noch, was schon immer half: recherchieren und korrigieren. In der Hoffnung, die Masse noch zu erreichen.

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