Ein Schweizer Vermögensberater bringt seine Kunden mit einem Schreiben in Gefahr, das in die Hände amerikanischer Behörden gelangt ist.
Beda Singenberger hat sich wirklich sehr um seine Kunden bemüht. Der Schweizer Vermögensberater betrieb sogar einen enormen Aufwand, um das Geld seiner US-Klienten vor dem amerikanischen Fiskus zu verstecken. Jahrelang ging das auch gut. Doch Menschen machen nun mal Fehler - Singenberger aber ist ein besonders fataler Fauxpas unterlaufen, der seine Kunden jetzt ins Gefängnis bringen könnte. Eines Tages, so berichteten US-Ermittler der Nachrichtenagentur Bloomberg, hat er einen Brief verschickt, der irgendwie in die Hände der amerikanischen Behörden gelangt ist.
Image may be NSFW. Clik here to view. Viele Menschen verstecken ihr Geld in der Schweiz
Eigentlich kein Problem, hätte Singenberger nicht versehentlich eine Liste mit Namen und sensiblen Daten seiner Kunden in das Schreiben gepackt. Die Behörden haben es nun einfach: Sie picken sich einen Namen nach dem anderen aus der Liste heraus. Das ist für sie ein Glücksfall, denn Menschen, die in der Schweiz ihr Geld verstecken, sind für die amerikanischen Strafverfolgungsbehörden oftmals nur schwer zu identifizieren.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem in Zürich lebenden Vermögensberater vor, dass er über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren seinen amerikanischen Kunden geholfen haben soll, insgesamt 184 Millionen Dollar auf geheime Konten zu schaffen. Er sei häufig in die USA geflogen, berichteten Ermittler, um seinen Klienten Geld von ihrem Konto zu übergeben und wieder Cash mitzunehmen, das er dann in der Schweiz auf die Konten einzahlte. Zudem soll Singenberger laut den Strafverfolgern unechte Stiftungen in Liechtenstein und Scheinfirmen in Hongkong und auf den Britischen Jungferninseln gegründet haben, um die wahre Identität der Kontoinhaber zu verbergen. Bei der Namensgebung war er durchaus kreativ, so hießen die Firmen 'Real Cool Investments' oder 'Ample Lion', zu deutsch in etwa 'Fetter Löwe'.
Von Singenbergers Kunden hat es bislang etwa den pensionierten US-Militärarzt Michael Canale erwischt. Er hat seinem Land im Irak, Kuwait und im Kosovo gedient und den 'Bronze Star' für besondere Pflichterfüllung bekommen - nur seiner Pflicht gegenüber dem Fiskus war er offenbar nicht nachgekommen. Auch der 83-jährige Jacques Wajsfelner, der vor dem Nazi-Regime aus Deutschland in die USA geflohen war, flog auf. Er wurde bereits zu drei Monaten Hausarrest und einer Geldstrafe verurteilt, weil er fast sechs Millionen Dollar vor den Steuerbehörden versteckt hatte. Die zwei Angeklagten reagierten überrascht, als sie vor Gericht erfuhren, wie sie aufgeflogen waren. 'Singenberger hat einige Leute in die Pfanne gehauen', sagte Wajsfelners Anwalt.
Jeffrey Neiman, ein ehemaliger Ermittler bei den US-Steuerbehörden, erklärte, der Fall zeige, dass menschliche Fehler Steuerbetrügern immer in die Quere kommen könnten - ganz gleich, wie viel Mühe sie sich gäben. Singenberger selbst ist in den USA bisher nicht vor Gericht erschienen. Das liegt daran, dass die Schweiz kein Auslieferungsabkommen mit Amerika hat. Benjamin Romberg
In Island haben Bürger ein neues Grundgesetz geschrieben, Experten loben den Entwurf, doch die alten Parteien bremsen.
Isländische Politiker reden gern mit Ausländern, sie wollen wissen, was die Welt so denkt über ihre kleine Insel. Derzeit bekommt man sie aber kaum zu fassen. Strategietreffen, Debatten, Abstimmungen; sie schwirren hin und her zwischen dem Althing - dem Parlament am zugefrorenen See von Reykjavik -, ihren Büros und diversen Innenstadt-Lokalen. Es herrscht Endspiel-Stimmung. Im April wird ein neues Parlament gewählt, den Abgeordneten bleiben wenige Arbeitstage, um Liegengebliebenes zu erledigen. Darunter ein nicht ganz unwesentliches Vorhaben: die neue Verfassung, die sie billigen müssen.
Image may be NSFW. Clik here to view. Mit Wikipedia hat eine Verfassung eigentlich nicht viel gemeinsam
Die Parlamentarier wissen, dass ein international beachtetes politisches Experiment in ihren Händen liegt, aber es ist durchaus möglich, dass Islands Parteien es in diesen hektischen Tagen scheitern lassen. Eine Mehrheit der Abgeordneten sei für die neue Verfassung, heißt es, der Rest strikt dagegen. Es wird getrickst und intrigiert mit aller Macht. 'Wenn der Verfassungsgebungsprozess misslingt, wäre das ein frontaler Angriff auf Islands Demokratie', sagt der Ökonomie-Professor Thorvaldur Gyslason und hat insofern recht, als der Wille des Volkes dann tatsächlich eklatant missachtet worden wäre. Denn es ist sein Text, der Text des Volkes, um den es geht. Einzigartig ist, wie er zustande kam: Noch nie haben sich die Einwohner eines Landes so selbstbestimmt und transparent, so frei von Parteien-Einfluss und Partikularinteressen neue Regeln des Zusammenlebens geben können. Daher das Interesse im Ausland, wo Island oft als politisches Labor gesehen wird. Obendrein bekräftigten zwei Drittel der Bürger im vergangenen Oktober per Referendum, dass sie genau diesen von ihnen erarbeiteten Text auch wirklich als Basis für eine künftige Verfassung wünschen. Und nun könnte dieser Volkswille in der Maschine der Parteipolitik zu Staub zerrieben werden.
Die neue Verfassung, sie ist auch der Versuch eines neuen Anfangs. Island wurde besonders hart von der Finanzkrise getroffen, kein Land stürzte tiefer. Mit dem luxuriösen Leben, das die Privatisierungswelle und der Boom Anfang des Jahrhunderts den 320000 Inselbewohnern beschert hatten, war es schlagartig vorbei, als Ende 2008 die drei größten Banken pleitegingen. Es blieben ein Berg von Schulden, Wut auf geldgeile Manager und rücksichtslose Politiker - sowie der Wille, es künftig anders, besser zu machen. Das neue Grundgesetz sollte ein Schritt auf diesem Weg sein, zumal die alte Verfassung eher als Provisorium gedacht war. Sie ist die leicht angepasste Kopie einer dänischen Verfassung aus dem 19. Jahrhundert, die nach der isländischen Unabhängigkeit 1944 übernommen und seither trotz mehrerer Versuche kaum renoviert wurde.
Eine Gruppe von Bürgern brachte daher einen Prozess in Gang, unterstützt von der Regierung aus Links-Grünen und Sozialdemokraten, die im Frühjahr 2009 an die Macht gekommen war und noch immer amtiert. Knapp tausend zufällig ausgewählte Isländer äußerten Wünsche, lieferten Ideen. Im November 2010 wurde aus 523 Kandidaten ein Bürgergremium aus 25 Personen gewählt. Zwar erhob der Oberste Gerichtshof auf Antrag der alten konservativen Eliten Einspruch, doch umging das Parlament das Urteil, indem es die 25 zum Verfassungsrat erklärte. Innerhalb von nur knapp vier Monaten schrieben die Männer und Frauen - begleitet von den Bürgern via Facebook, Youtube, Twitter und anderen Websites - einen Text zusammen. Der enthält nach Ansicht der Venedig-Kommission des Europarates ein paar Unstimmigkeiten, wird insgesamt aber von führenden Verfassungsrechtlern gelobt. Er gibt dem Parlament mehr Macht, stärkt Menschen- und Bürgerrechte - etwa die Informationsfreiheit -, ermöglicht mehr direkte demokratische Teilhabe und trägt einem großen Wunsch der Isländer Rechnung: ihre natürlichen Ressourcen zu schützen. Nach dem gewonnenen, allerdings nicht bindenden Referendum, bei dem 48 Prozent der Berechtigten abstimmten, steht nun die letzte, aber höchste Hürde bevor. Laut den noch geltenden Regeln muss die neue Verfassung von zwei Parlamenten gebilligt werden, mit einer Neuwahl dazwischen. Für die Reformer ist klar: Damit das Projekt nicht entgleist, muss noch in dieser Legislaturperiode ein Votum her, womit man wieder bei den taktischen Spielen im Parlament wäre.
Im Besprechungszimmer des Althing bebt Birgitta Jónsdóttir vor Ungeduld und Ärger. Die Wikileaks-Aktivistin und Abgeordnete der Piratenpartei kann man als eine der Mütter der neuen Verfassung bezeichnen, sie war von Anfang an dabei. Jetzt wittert sie Verrat, und zwar bei den Sozialdemokraten, die nur halbherzig hinter der Sache stünden. Deren jüngste Idee, das nächste Parlament per Resolution auf eine Abstimmung bis spätestens Ende 2014 zu verpflichten, sei ein Ablenkungsmanöver - und nutzlos, weil laut Umfragen die Linke bei der bevorstehenden Wahl ihre Mehrheit verlieren wird. Einige Sozialdemokraten, etwa ihr neuer Parteiführer Árni Páll Árnason, versuchten die Abstimmung insgeheim zu sabotieren, sagt Birgitta.
Auch Magnús Orri Schram zählt sie zu den Blockierern ('Árnasons Schoßhund'), aber der beteuert, er habe lautere Absichten. Natürlich wolle er die neue Verfassung retten. 'Ich will nur nicht, dass wir jetzt unter Zeitdruck abstimmen.' Es ärgert ihn, zur Zielscheibe der Aktivisten geworden zu sein. Schuld an der Lage sei allein die konservative Unabhängigkeitspartei, die Sand in den parlamentarischen Betrieb werfe. Damit liegt er nicht falsch, wie ein Blick ins holzgetäfelte Plenum beweist, wo wieder einmal ein Konservativer per Filibuster Zeit schindet, vor leeren Rängen.
'Hier kämpft das alte Island gegen das neue', sagt Birgitta Jónsdóttir. Bjarni Benediktsson, 43, steht für dieses alte Island, das der Fischbarone und Bankmanager. Der jugendlich wirkende Vorsitzende der Unabhängigkeitspartei und mögliche neue Premierminister bestreitet auch gar nicht, wie sehr ihm das ganze Verfassungsprojekt widerstrebt. 'Es hätte gereicht, ein paar Dinge zu ändern, sie sind viel zu weit gegangen.' Etliche Artikel seien vage und widersprüchlich, geradezu 'sozialistisch' die Sätze zu den natürlichen Ressourcen. Letztere werden im Text zum öffentlichen Eigentum erklärt, das nur gegen einen 'realistischen Preis' zur Nutzung verliehen werden dürfe. Hintergrund dieser Passage ist ein Dauerstreit der isländischen Politik der vergangenen Jahre: Weite Teile der Gesellschaft glauben, die Fischfangrechte hätten in den Achtzigerjahren bei der Einführung des Quotensystems nicht verschenkt werden dürfen; viele Großfischer wurden steinreich durch ihre Lizenzen, die sie auch verkaufen konnten. Nicht nur dies soll nun korrigiert werden, die Verfassungseltern haben auch Islands Rohstoffe und Energiequellen im Auge, die nicht in private Hände fallen sollen. Das alles missfällt Bjarni und seiner Klientel.
Birgitta Jónsdóttir sagt, sie hoffe jetzt auf das Volk. Neulich trat sie erstmals beim Samstagsprotest auf, zu dem sich die Bürger seit Ende Februar in der Altstadt von Reykjavik versammeln. Ein Parteikollege von ihr stellte vorige Woche einen Misstrauensantrag gegen die Regierung im Althing, der wurde abgeschmettert. Ökonom Thorvaldur, der zu den 25 Verfassungsautoren zählt, warnt die Sozialdemokraten vor einem kolossalen Absturz bei der Wahl, wenn sie nicht endlich unzweideutig für diesen Text stritten. Und er spricht von einer 'tiefen Wunde', die ein Scheitern der neuen Verfassung der isländischen Gesellschaft schlagen würde. Er hat sich jetzt mit Ärzten, Wissenschaftlern und Theologen verbündet - politischen Laien wie er - und zum Vorsitzenden einer neuen Partei wählen lassen. Sie heiße Demokratische Partei, sagt er. 'Weil die Demokratie in Island bedroht ist.'
Zur Zeit ist Tom Schilling als Fischexperte in Leander Haußmanns Komödie 'Hai-Alarm am Müggelsee' zu sehen. Im SZ-Interview spricht er über das Vaterwerden, den Krieg und moderen Helden.
SZ: Schicker Anzug, Herr Schilling. Steht noch was Besonderes an? Tom Schilling: Nö. Ich trage seit zehn Jahren gerne Anzug, auch mal einen Dreiteiler.
Ich vermute: Weil Sie schon immer gerne älter wirken wollten? Ha, das wird gerne so interpretiert. Dem muss ich aber widersprechen. Ich ziehe mich wie meine musikalischen Vorbilder an: Nick Cave, Leonard Cohen, Bob Dylan. Haben Sie die schon mal in Jeans und Schlabber-T-Shirt gesehen? Ich bin auch der Meinung: Die äußere Form beeinflusst die Haltung.
Image may be NSFW. Clik here to view. Tom Schilling als Wilhelm Winter bei den Dreharbeiten für den Film ´Unsere Mütter, unsere Väter. Der Dreiteiler wird ab 17.03.2013 im ZDF gezeigt.
Ihr Trick beim Hemdenbügeln? Ich bügele nie. Nass auf einen Bügel hängen, fertig. Der Trick ist, die Hemden nicht mit mehr als 400 Umdrehungen zu schleudern.
Sie sind ziemlich jung Vater geworden. Wie war das, als Sie davon hörten? Ich war gerade in New York, da rief meine Freundin an und eröffnete mir, dass sie schwanger ist. Wir waren noch nicht lange zusammen, und ich war ziemlich geschockt.
Sie waren 24 Jahre alt, nicht? Ja. Wir führten lange Telefonate, es war eine Art psychologisches Schachspiel. Ein Schritt vor, zwei zurück: Ja, ich kann mir das vorstellen. Nein, lieber doch nicht.
Und Ihre Freundin wusste, dass Sie das Kind behalten wollte? Ja, aber sie wollte es nicht einfach für mich, sondern mit mir entscheiden. Sie kam dann sogar nach New York, und dann ging es weiter hin und her. Ich habe damals mit einem Fotografen, Sohn eines Pastors, in einer WG gewohnt, und der hat mich eines Abends davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung sei, das Kind zu bekommen. Und ja, seltsamerweise habe ich nach diesem Abend nie mehr daran gezweifelt.
War es denn dann einfacher, als Sie dachten? Nein. Ich war einigermaßen überfordert. Es hat mich streckenweise an meine Grenzen gebracht. Und das, obwohl mir meine damalige Freundin viel abgenommen und Freiheiten eingeräumt hat. Ein Beispiel: Mein Sohn ist nur in München zur Welt gekommen, weil ich dort gerade den Film 'Pornorama' gedreht habe. Bernd Eichinger hatte meine Freundin angerufen und davon überzeugt, dass sie dort, in meiner Nähe, aber fern von ihrer Familie, unser Kind zur Welt bringt.
Haben Sie dann im Gegenzug Rollen angenommen, nur um die Familie zu ernähren? Nee, dass war nicht das Problem. Ich bin ein recht sparsamer Mensch. Und ich wusste schon mit 20, nach 'Crazy' . .
. . . Ihrem filmischen Durchbruch . . . . . . dass die Kunst nicht darin besteht, ein Shootingstar zu sein, sondern mit interessanten Filmen im Geschäft zu bleiben. Nein, es waren damals mehr die Erwartungen von allen Seiten, die mich gestresst haben. Ich war in dieser Situation ziemlich allein, keiner meiner Freunde war damals schon Vater, die bekommen jetzt erst Nachwuchs. Damals wurde ich oft zu Abendessen gar nicht mehr eingeladen, weil alle dachten, dass ich sowieso beschäftigt sei.
Also: Doch lieber später Vater werden? Ach, junger Vater, alter Vater. Ich kann und will da keinen Rat geben. Es kommt, wie es kommt. Am Ende entscheiden es doch die Frauen, wann es passiert.
Sie haben die Waschmaschine korrekt eingestellt, keinen Schrott angenommen und sparsam gelebt - um sich dann ausgerechnet als Berliner Müßiggänger in alle Herzen zu spielen. Sie meinen den Studienabbrecher Niko, den ich in 'Oh Boy' spiele. . .
. . . und der, als Papi das Geld streicht, keine Ahnung hat, wohin die Reise gehen soll. Der Film war der Überraschungserfolg des letzten Jahres. Ist so einer ein moderner Held? Schon, irgendwie. Er kämpft gegen sich selber. Andererseits, diese Art von coolen Anti-Helden gab es auch schon in anderen Zeiten. Junge Männer, die sich verweigern und versuchen, genauer hinzuschauen und dabei etwas zu ordnen. Salinger hat ja bereits in den Fünfzigern mit Holden Caulfield in 'Der Fänger im Roggen' eine ähnliche Figur geschaffen.
In 'Oh Boy' fragt der Vater seinen Sohn, was er die letzten zwei Jahre gemacht habe statt zu studieren . . . . . . und der Sohn sagt, er habe nachgedacht. Großartig. Raskolnikow, der Protagonist in 'Schuld und Sühne', sagt auch einfach: Ich denke. Das ist ja schon fast anarchistisch. Meine Generation ist im weitesten Sinne unpolitisch und mit dem eigenen Wohlergehen beschäftigt. Und ab einem bestimmten Alter, sagen wir mit Anfang dreißig, ist es für die Gesellschaft nicht mehr akzeptabel, dass man sich verweigert oder unsicher ist. Dann sollte man anfangen, Geld zu verdienen, eine Familie gründen.
Eben all die Dinge, die Sie schon viel früher erledigt haben. Hat es Sie deshalb so beflügelt, mal einen Hänger zu spielen? Der Regisseur Jan Ole Gerster, ein alter Freund von mir, hatte mir das Drehbuch zum Lesen gegeben. Allerdings nicht, um mich zu besetzen, nur um meine Meinung zu hören. Ich habe gleich die Poesie zwischen den Zeilen gelesen, dabei stand da noch gar nichts von eleganter Schwarz-Weiß-Ästhetik und Jazzmusik drin. Ich wusste sofort, diesen Niko, so heißt der Student, finde ich interessant, den will ich spielen. Ich habe dem Regisseur also einen fünfseitigen Brief geschrieben, in dem ich ihm meine innere Annäherung an die Figur dargestellt habe.
Bei einem Bier hätte man das nicht besprechen können? Nein, denn so sitzen wir ja ständig zusammen. Es brauchte eine andere Art von Dringlichkeit. Und da ist ein Brief mit schwarzer Tinte genau die richtige Maßnahme.
Niko wird bei der Medizinisch-Technischen Untersuchung von einem Psychologen gefragt: 'Trinken Sie so viel, weil Sie so klitze-, klitzeklein sind?' Fanden Sie das fies, zumal Sie eben wirklich nicht besonders groß sind? Nö, ich hatte selbst die Idee, diesen Satz ins Drehbuch zu schreiben. In der Schulzeit war das mal ein Thema, da war ich immer der Kleinste. Ich finde mich übrigens gar nicht so klein, bin immerhin 1,70 Meter groß und trage auch keine Schuhe mit eingebautem Absatz wie Nicolas Sarkozy. Große Männer haben oft rein körperlich eine ganz andere Selbstverständlichkeit, auch im Umgang mit Frauen. Vielleicht ist es tatsächlich bei kleineren Männern so, dass sie deshalb früh lernen, sich interessant zu machen. Es gibt da ja gewisse Instrumente. . .
Bei Ihnen ist es offensichtlich Selbstironie? Vielleicht auch mein Ehrgeiz? Ich bin sehr entschlossen und konsequent, wenn ich etwas will.
Ein aktuelles Beispiel? Ein Foto von Nick Cave und mir. Mein persönlicher Held, seit vielen Jahren schon. Unlängst, auf der After-Show-Party nach seinem Berliner Konzert, habe ich ihn dann von der Seite angesprochen. Das hat mich ziemliche Überwindung gekostet.
Der wirkt ja auch immer sehr düster. Wie hat er reagiert? Genervt. Vermutlich wäre es besser gewesen, ein gemeinsamer Bekannter hätte uns vorgestellt. Ich wollte aber die Schauspielerkarte nicht ziehen, sondern ihm als Fan gegenübergetreten. Egal, denn am Ende hatte ich, was ich wollte: das Foto.
Ihr nächstes großes Ding: der ZDF-Dreiteiler 'Unsere Mütter, unsere Väter'. Sie spielen den Feingeist Friedhelm, der in die Wehrmacht eingezogen wird. Friedhelm zieht als Pazifist in den Krieg und hat eigentlich nicht vor zu töten.
An der Ostfront verrät er dann aber ziemlich schnell seine Ideale. Da erlebt er die ersten Wehrmachtsverbrechen und beginnt, innerlich zu verrohen. Der Wille zu überleben, ist bei ihm da, aber es gibt Spielregeln, und irgendwann macht er die Tür zu seinem Gewissen einfach zu. Er hört auf zu denken, reagiert nur noch.
Er kann im Krieg nicht Mensch bleiben? Vermutlich ist das die größte Herausforderung überhaupt. Aber wie soll ich, Jahrgang 1982, das beurteilen können? Die Frage möchte ich gerne mit Friedhelms Sätzen beantworten: 'Keiner bleibt so, wie er war.' Oder: 'Der Krieg bringt von jedem Menschen nur das Schlechteste zum Vorschein'. . .
Noch so ein Friedhelm-Satz, der im Gedächtnis bleibt: 'Heute sind wir Helden, morgen Schweine.' Er sagt es zu Wilhelm, seinem Bruder und Leutnant, unter dem er an der Ostfront dient und der noch glaubt, dass der Krieg zu gewinnen ist. Dabei ist es noch einfacher: Helden gibt es nach einem deutschen Angriffskrieg sowieso nicht.
Haben Sie sich während der Dreharbeiten gefragt: Wie hätte ich gehandelt? Nein. Das ist mir zu hypothetisch. Keiner kann von sich behaupten, er hätte sich so oder so verhalten. Die Generation, die den Krieg tatsächlich erlebt hat, die vielleicht noch zehn Jahre leben wird, ist genauso gut oder schlecht, wie wir es sind. Der einzige Unterschied: Sie sind in einer anderen Zeit groß geworden. Kurz: das Pech der Geburt. Ich lese gerade 'Die Wohlgesinnten' von Jonathan Littell, die fiktive Lebensbeichte eines SS-Mannes. Ein großartiges Buch, das einem auf andere Art wieder vor Augen führt, dass der Wahnsinn erst 70 Jahre hinter uns liegt. Übrigens, ich bin sehr glücklich über diese Mini-Serie. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe.
Ach ja, so gleich? Viele Eventfilme missbrauchen den Krieg doch nur als melodramatische Kulisse, um eine Liebesgeschichte zu erzählen. In 'Unsere Mütter, unsere Väter' sind alle Figuren ambivalent gezeichnet. Jeder ist auf seine Art ein Held, aber jeder macht sich auch schuldig. Mir gefiel das Drehbuch von Stefan Kolditz sofort, und ich wollte die Rolle. Allerdings gab es Vorbehalte von der Redaktion, mich als Soldat zu besetzen.
Warum? Vermutlich, weil man mich zu zart für einen Soldaten fand? Es gab noch ein zweites Casting zusammen mit Volker Bruch, der meinen Bruder spielt, bei dem ich offensichtlich überzeugte. Zur Vorbereitung auf die Rolle habe ich dann etwas getan, was ich sonst nie mache: Ich bin ins Fitnessstudio gegangen und habe Eiweißshakes getrunken.
Sie haben sich also gedrillt. Waren Sie bei der Bundeswehr? Nein. Anfangs hatte ich es mit einem Anwalt probiert. Es gab in Berlin damals eine Koryphäe, die sich darauf spezialisiert hatte, jungen Männern den Wehrdienst zu ersparen. Das klappte in meinem Fall aber nicht, und ich war auf mich gestellt. Am Ende habe ich es durch Unterernährung geschafft. Es gibt einen vorgeschriebenen 'Body Mass Index', den erfüllte ich mit meinen damals knapp 50 Kilo nicht und wurde zurückgestellt. Zur Not hätte ich auf physisch labil gemacht. Kurz darauf kam die Bundeswehrreform. Ich hatte also Glück.
Wahnsinn. Warum haben Sie nicht einfach verweigert? Tja, warum? Aus einem nicht sonderlich heldenhaften Grund: Weil ich lieber Filme drehen wollte.
In 'Unsere Mütter. . .' geht es in den Kriegsszenen sehr realistisch und ultrabrutal zu. Wie haben Sie das gelernt, dieses Kriegspielen? Wir hatten vorher ein Trainingslager in Litauen, mit einem militärischen Berater aus Amerika. Der hat mit uns Manöver eingeübt. Wie man ein Gebäude einnimmt, sich im Schützengraben verhält, die Waffen richtig hält. Wir hatten echte Wehrmachtsgewehre, auf denen der Reichsadler oder ein Hakenkreuz eingestanzt war. Das Handwerkszeug war so real, und gleichzeitig war es so banal. Wir haben eben doch nur den Krieg gespielt. Nach den Übungen taten mir die Ohren weh, weil Platzpatronen sehr laut und wir Schauspieler dann doch Dilettanten sind, die Sicherheitsabstände nicht einhalten. Aufs Schießen sind einige Kollegen angesprungen, es wurde viel rumgeballert.
Und Sie? Ich habe bei diesem Dreh gemerkt, dass Waffen tatsächlich keinerlei Reiz auf mich ausüben.
Sie überzeugen als Friedhelm, aber auch sonst, mit minimalen Gesten und reduzierter Mimik. Und das in Komödie und Drama gleichermaßen. Wie haben Sie Ihre Spielweise gelernt? Gelernt? Ich bin ja Autodidakt und habe keine renommierte deutschsprachige Schauspielschule besucht. Klingt vielleicht kokett, aber wenn die Kamera läuft, purzelt es instinktiv aus mir raus.
Jetzt stapeln Sie aber tief. Immerhin haben Sie die Lee Strasberg Schule in New York besucht. Aber nicht ganz freiwillig. Für meine Rolle in 'Napola' habe ich einen österreichischen Filmpreis gewonnen, der an ein dreimonatiges Stipendium für besagte Schule gekoppelt war.
Sie klingen etwas widerwillig? Schon Marlon Brando und Robert De Niro haben sich da das Method Acting beibringen lassen. Wenn ich den Trip hätte absagen können, hätte ich es getan. Ich reise nicht gerne. Ich weiß noch, wie ich in New York angekommen bin, die Skyline gesehen habe und nicht wie alle anderen 'Wow' dachte, sondern: 'Oje'. Ich hatte Angst. Dass mich die Taxifahrer verarschen, ich mich in dieser coolen Stadt falsch bewege oder dass ich die Leute nicht verstehe. Alexander Beyer, ein Schauspielkollege, war zu der Zeit auch da und hat mich das erste Mal mit in die Schule geschleppt. Ohne ihn wäre ich vermutlich im Bett liegen geblieben.
Und dann? Haben Sie gezeigt bekommen, wie man einen Stein spielt? Hehe, ich weiß, es gibt Vorbehalte gegen die Promi-Schule mit ihrem Method-Acting-Ansatz. In meiner Klasse war dann tatsächlich auch eine Prada-Tochter. Rückblickend habe ich da dann aber doch viel gelernt, weil ich gezwungen wurde, über mich und meine Art des Spiels nachzudenken. 'Sense Memory' beherrsche ich allerdings immer noch nicht.
Was ist das denn? Eine legendäre Technik. Wenn es zum Beispiel in einer Szene um Verlust geht, dann versucht man, einen Bezug zu seinem Leben herzustellen. Zum Beispiel zu dem Teddy, den man als Kind verloren hat. Für den Zuschauer unsichtbar, befühlt man diesen Teddy, damit bestimmte Emotionen freigesetzt werden. Tja, da habe ich regelmäßig gelogen. Wurde aber nicht bemerkt.
Tom Schilling, geboren am 10.Februar 1982 in Ostberlin als Sohn zweier Kartografen, war Anfang der 90er-Jahre unter der Intendanz von Heiner Müller Theaterkind am Berliner Ensemble. Nach 'Crazy' (2000) folgten Oskar Roehlers 'Agnes und seine Brüder' und 'Napola', in dem Schilling den Sohn eines Gauleiters gibt. In 'Mein Kampf' (2011) spielte er den jungen Adolf Hitler. Der Dreiteiler 'Unsere Mütter, unsere Väter' läuft am 17., 18.und
20. März, jeweils um 20.15 Uhr im ZDF. Im Kino ist Schilling derzeit als Fischexperte in Leander Haußmanns aktueller Komödie 'Hai-Alarm am Müggelsee' zu sehen.
Mit dem zweiten Irak-Krieg vor zehn Jahren verriet Amerika die Werte, die es dort angeblich verteidigte. Eine Bilanz.
Der 19. März 2003 ist ein schwüler Frühlingstag in Florida. Die Sonne steht am leicht verhangenen Himmel, und unser Sohn planscht im Motelpool mit seinem neuen Schwimmreifen. Ein knallgelber Bomber ist es, mit amerikanischem Hoheitsabzeichen auf der Heckflosse und dem Aufdruck 'B-2'. Der einzige Schwimmreif, den es in dem kleinen Supermarkt, ein paar Blocks die Straße hinauf, gab.
Die echten B-2-Stealth-Bomber von der Whiteman Air Base in Missouri dürften zu dieser Stunde längst in der Luft gewesen sein: Kurs Bagdad.
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Für den Abend kündigt das Weiße Haus kurzfristig eine Fernsehrede des Präsidenten an. Monate schon hatte George W. Bush die Kriegstrommel geschlagen, und so ist wenig überraschend, was er spätabends, nach 22 Uhr, verkündet: den Beginn der lange angedrohten Invasion des Iraks. 'Meine Mitbürger', sagt der Mann im Motelfernseher, und selbst in diesem Moment, da er der Nation den neuen, den zweiten Krieg seiner noch so kurzen Amtszeit ankündigte, ist es, als husche für einen flüchtigen Augenblick ein Grinsen über sein Gesicht, wie er es oft zeigt in Situationen der Unsicherheit. 'Zu dieser Stunde befinden sich amerikanische und Koalitionstruppen in den Anfangsstadien von Militäroperationen mit dem Ziel, den Irak zu entwaffnen, sein Volk zu befreien und die Welt vor einer ernsten Gefahr zu retten. Wir werden kein Ergebnis hinnehmen außer den Sieg.'
Mit diesen Worten hatte der zweite Golfkrieg, die zweite Kampagne der USA gegen den orientalischen Despoten Saddam Hussein, offiziell begonnen. Heute, zehn Jahre später, kann man sagen: Dieser Abend war der Anfang eines vielleicht vorübergehenden, aber bis heute deutlich spürbaren Niedergangs der Weltmacht USA.
Ganze vier Minuten spricht Bush. Mehr, so scheint es, hält er nicht für nötig, um den Amerikanern und der Welt zu erklären, warum die USA nicht einmal anderthalb Jahre nach dem Einmarsch in Afghanistan in ein weiteres islamisches Land einfallen. In den Wochen zuvor hatte er immer wieder davon gesprochen, dass Saddam, dieser blutrünstige Diktator, der nicht davor zurückscheute, seine eigenen Landsleute mit Giftgas umzubringen, Massenvernichtungswaffen horten würde. Und noch dazu Verbindungen zu Amerikas Todfeinden geknüpft habe, dem Terrornetzwerk al-Qaida, den Mördern von 9/11. Alles Behauptungen, die sich bald als haltlos erweisen sollten, schlimmer noch, von denen die US-Regierung schon damals wissen musste, dass sie nicht stimmen konnten. Die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen war ein Popanz, zusammengeflickt aus ein paar unzuverlässigen Geheimdienstberichten. Und von geradezu tragischer Ironie war es, dass erst die Invasion der Amerikaner den Finstermännern von al-Qaida die Gelegenheit verschaffte, im Irak Fuß zu fassen.
Am 19. März 2003 aber weiß Bush seine Landsleute auf seiner Seite: Deutlich mehr als zwei Drittel aller Amerikaner sind für diesen Krieg. Nie, so scheint es an diesem Frühjahrstag, war Amerika stärker. Nichts scheint sich diesem Land und seiner furchteinflößenden Militärmaschine in den Weg stellen zu können. Charles Krauthammer, einer der Bannerträger der intellektuellen Rechten, spricht jubilierend von der 'Dominanz einer einzigen Macht, wie es sie noch nie gegeben hat'.
In Amerika ist in jenen Tagen jedenfalls kaum etwas zu spüren von den Bedenken, die auf der anderen Seite des Atlantiks die Öffentlichkeit beherrschen: Dass die USA sich um Weltmeinung und Völkerrecht nicht einen Deut scheren. Dass der Moment gekommen sei, da die Vereinigten Staaten - nicht ungleich dem Römischen Imperium oder dem britischen Empire - sich überdehnt hätten und nun der Niedergang einsetzen würde. 'Amerikas Macht wird gebrochen', fasst damals der französische Historiker Emmanuel Todd das Ressentiment der Europäer zusammen.
Bedenkenträger im eigenen Land wie Arthur Schlesinger, der Historiker und Berater von John F. Kennedy, stoßen auf taube Ohren. Schon in den ersten Tagen nach der Invasion sagt er über Präsident Bush: 'Er hat einen fatalen Fehler gemacht.' Bushs Parteigänger machen derlei Äußerungen als unpatriotisch nieder, genauso wie noch zwei Jahre später die Kritik des damaligen Senators (und heutigen Verteidigungsministers) Chuck Hagel, der die Invasion als eine der 'größten Dummheiten' in der US-Geschichte bezeichnet.
Am Morgen nach Bushs Rede jedenfalls zuckt Amerika die Schultern: business als usual. CNN und die anderen Stationen senden zwar rund um die Uhr Bilder vom Krieg, aber es sind Aufnahmen meist jenseits der Front, Bilder eines fernen Kriegs. Geradezu unwirklich. Am Airport von Miami und den anderen großen Flughäfen des Landes haben sie die Sicherheitsstufe auf Code Orange erhöht - die mittlere Gefahrenlage. Aber es gebe keinerlei Pläne, sie weiter zu erhöhen, versichert der Sprecher des Heimatschutzministeriums. Und auf dem Palmetto Expressway durch Miami staut sich am Nachmittag der Verkehr wie eh und je, als sei es völlig selbstverständlich, dass dieses Land es sich leisten kann, zwei Kriege gleichzeitig zu führen - und keiner merkt es.
Zu dieser Zeit haben die ersten Panzerverbände die Wüstengrenze von Kuwait in den Irak überschritten und stoßen in zwei Kolonnen im weiten Bogen westlich und östlich des Euphrat nach Norden, Richtung Bagdad vor. Gleichzeitig besetzen Luftlandetruppen und Kommandoeinheiten Ölfelder und Hafenanlagen im Süden des Iraks, um der Zerstörung der Infrastruktur durch Saddams Republikanische Garden zuvorzukommen. Ein gewaltiges Invasionsheer ist im Einsatz: 248000 US-Soldaten, 45000 Briten, 2000 Australier und 194Kommandosoldaten aus Polen. Und sie machen, wie Präsident Bush in seiner Fernsehansprache angekündigt hatte, keine 'halben Sachen'. Ihr Vormarsch wird nur durch einen Sandsturm aufgehalten. Irakische Truppen sind kein Hindernis.
Am 9. April erobern die Amerikaner Bagdad. Nach 24 Jahren ist Saddams Terrorherrschaft Geschichte. Vom Tyrannen allerdings fehlt jede Spur. Erst Monate später finden ihn US-Soldaten in einem Erdloch versteckt. Statt seiner wird unter dem Jubel der Bevölkerung eine große Statue Saddams mitten in Bagdad gestürzt. Die Amerikaner sorgen dafür, dass dieser symbolträchtige Akt vor den Kamera-Augen der Weltöffentlichkeit geschieht. Das US-Militär hat, so sieht es aus, Bushs Auftrag ausgeführt - mit einer, gemessen an den gewaltigen Dimensionen des Truppeneinsatzes, überschaubaren Zahl von Opfern: 9200 getötete irakische Soldaten, 7300 tote Zivilisten, 172 gefallene Amerikaner und Briten.
Am 1. Mai landet Präsident Bush in Pilotenuniform auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln westlich von San Diego. Vor einem Banner mit der später berüchtigt gewordenen Parole 'Mission Accomplished' tritt er als Triumphator auf: 'Die größeren Kampfhandlungen im Irak sind zu Ende', ruft er. 'Im Kampf um den Irak haben die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten den Sieg davongetragen.' Nichts sollte eine größere Fehleinschätzung sein, wie Bush später selbst zerknirscht einräumt.
Nur Wochen nach der Siegesansprache registrieren die amerikanischen Besatzungstruppen im sogenannten Sunnitischen Dreieck erstmals einen merklichen Anstieg der Gewalt: Guerilla-Attacken mit Scharfschützenangriffen, Autobomben und den bald gefürchteten IEDs, meist am Straßenrand vergrabenen Sprengladungen, denen die US-Soldaten zunächst nahezu ungeschützt ausgesetzt sind. Fast genau ein Jahr nach Beginn der Invasion belagern US-Marines Fallujah, eine Hochburg des Widerstands. In vier Wochen gelingt es ihnen nicht, die Stadt zu nehmen. Bushs Versuch, dem irakischen Volk die Freiheit zu bringen, ist gescheitert.
Wie kam er überhaupt dazu, im Irak zu intervenieren? Hatten seine Truppen nicht genug zu tun mit der Jagd auf Osama bin Laden und seine Gefolgsleute in Afghanistan? Das US-Magazin Time hatte bereits damals nachgezeichnet, wie Amerika auf die schiefe Bahn nach Bagdad geraten konnte. Es war, um es neutral auszudrücken, ein ungewöhnlicher Krieg: Bis dahin hatte Amerika stets auf Angriffe reagiert oder dann, wenn es seine Interessen empfindlich beeinträchtigt sah. Jetzt war es ein Krieg einfach auf Grundlage der Hypothese, dass Amerika einmal bedroht werden könnte - Bushs Doktrin der präemptiven, der vorbeugenden Kriegsführung.
Dass Irak als größte dieser möglichen Bedrohungen auserkoren wurde - und nicht etwa Iran oder Nordkorea, deren Atombomben-Ambitionen bereits bekannt waren -, dürfte sehr viel mit einem Mann zu tun haben: Paul Wolfowitz, damals die Nummer zwei im Verteidigungsministerium. Er hatte 1998 mit 18 anderen einen Brief an den damaligen Präsidenten Bill Clinton unterzeichnet und die US-Regierung zum Sturz Saddam Husseins aufgefordert. Diese Idee ließ Neokonservative wie ihn nicht mehr los, erst recht nicht nach 9/11. Acht der 18 Unterzeichner des Briefs von 1998 arbeiteten jetzt in führenden Positionen in der Regierung Bush. Gemeinsam mit ihnen überzeugte Wolfowitz Präsident Bush, dass der Sturz Saddams der Schlüssel für eine bessere Zukunft des Nahen Ostens sei.
Die Entscheidung für den Irak-Krieg beruhte auf einer Mischung aus Oberflächlichkeit, Fehlkalkulationen und geradezu frivoler Überheblichkeit. Bush unterschätzte sträflich die Grenzen des zweifellos gigantischen US-Militärapparats. Eine Operation über ein paar Monate war geplant. Für die jahrelange Doppelbelastung in Afghanistan und im Irak war selbst die Weltmacht nicht gerüstet. Arroganz der Macht sprach aus der hochfahrenden (neokonservativen) Annahme, dass es nun Amerikas Aufgabe sei, die Welt neu zu ordnen. Zumindest die arabische Welt. Eine der Hauptursachen für den islamistischen Extremismus, so die Argumentation, war die fehlende demokratische Kultur im Nahen Osten. Dahinter stand die vielleicht noch naivere Vorstellung, der arabischen Welt die Freiheit mit Waffengewalt bringen zu können.
Ohne viel Federlesens weitete Bush die Doktrin der präemptiven Kriegsführung vom Krieg gegen al-Qaida (wo sie zu rechtfertigen war) auf Krieg gegen vermeintliche US-Feinde aus, womit sich 'Amerika zum selbsternannten Weltrichter und Scharfrichter in einem' machte, wie Bush-Kritiker Schlesinger feststellte. Aus derselben Arroganz war auch die Verachtung für internationale Organisationen und Normen gespeist. Unter Bush verabschiedeten sich die USA von ihren eigenen moralischen Maßstäben. Nichts war weiter entfernt vom 'ehrenhaften und anständigen Geist des amerikanischen Militärs', den Bush in seiner Rede zu Beginn der Invasion beschworen hatte, als die Perversionen im Foltergefängnis Abu Ghraib, die 2004 bekannt wurden.
Die Folgen waren in der Tat fatal für Amerika - und die Welt - vor allem die menschlichen: Am 18. Dezember 2011, fast neun Jahre nach der Invasion, verließ der letzte US-Besatzungssoldat den Irak. Bis dahin waren 4486 seiner Kameraden gefallen, Zehntausende sind für den Rest ihres Lebens gezeichnet, als Amputierte oder schwerst Traumatisierte. Das Iraq Body Count Project, die wohl zuverlässigste Schätzung für die irakischen Opfer während der US-Besatzungszeit, kommt auf mehr als 170000 Tote in dem Land, dem Bush die Freiheit bringen wollte.
Finanziell hat der Krieg die USA ausgelaugt und kräftig zur großen Schuldenkrise beigetragen. Auf mehr als eine Billion Dollar schätzt Präsident Barack Obama die Kosten, der linke Ökonom Joseph Stiglitz kommt auf mehr als drei Billionen. Strategisch war der Krieg ein einziger Irrtum. Jede Chance, in Afghanistan das Blatt zu wenden, wurde verspielt, weil Bush den Krieg dort vernachlässigte. Iran aber wurde gestärkt und erst im Lauf der letzten Dekade zum regionalen Schwergewicht.
Auf einen Schlag war zudem all die Sympathie verspielt, die Amerika weltweit nach 9/11 entgegenschlug. Die innere Spaltung des Landes vertiefte sich noch. Und in die Welt exportierten die USA statt Hoffnung und Zuversicht und das Grundvertrauen in die demokratischen Werte Amerikas nur noch, wie Richard Armitage, unter Bush stellvertretender Außenminister, selbstkritisch feststellte, 'Furcht und Wut'. Das vor allem hat Amerika schwer geschadet seit dem Tag, als die B-2-Bomber starteten.
Mobilfunk alleine reicht nicht aus, die Flut der Smartphones und Tablets aufzunehmen - deshalb feiern nun die längst totgesagten Drahtlos-Netze in den Zentren ihre Wiederauferstehung.
Es ist noch gar nicht so lange her, da war Mountain View nichts weiter als eine Postkutschenstation auf dem Weg von Frisco nach San José. Was für ein Gegensatz zu heute: In dem Ort an der Bucht von San Francisco haben nicht bloß zahlreiche Hightech-Firmen ihren Sitz, allen voran der Internetkonzern Google. Die 70000-Einwohner-Stadt ist auch, was die Kommunikationstechnik anbelangt, allen anderen in den USA meilenweit voraus. Denn dort gibt es ein flächendeckendes, kostenloses Wlan.
Image may be NSFW. Clik here to view. Wlan, in der ganzen Stadt? In San Francisco ist es schon möglich.
Wie bitte, Wlan? In der Stadt? Eigentlich ist das Wireless local area network doch was für zu Hause. Das Internet kommt über ein Kabel ins Haus. Daran angeschlossen ist ein Kästchen mit Stummelantenne, der Router. Er machts möglich, dass man in den eigenen vier Wänden (und vielleicht noch auf dem Balkon oder im Garten) mit Laptop, Smartphone oder Tablet drahtlos ins Internet kommt. In Cafés, manchen Restaurants und in Hotels bietet man das auch an. Aber draußen, auf der Straße? Im Park?
Doch, das geht, und zwar nicht nur in Kalifornien. In Oulu gibt es zwar mit Sicherheit weniger Tage, auf denen man gerne mit seinem Laptop auf einer Parkbank sitzen möchte, als in Mountain View. Die Universitätsstadt in Nordfinnland, unweit des Polarkreises gelegen, ist dennoch in Europa Vorreiter in Sachen Funk-Internet, alle 130000 Einwohner haben darauf kostenlos Zugriff. Nach einem ersten Boom geplanter Drahtlos-Netze sah es nach der Jahrtausendwende erstmal so aus, als würde der ehemalige Fischerort für längere Zeit einsame Spitze bleiben. Projekte für Städte-Wlans versandeten, Firmen, die damit Geld verdienen wollten, mussten aufgeben. Zwar zeigten viele Nutzer Interesse für die kostenlosen Basis-Dienste, aber zu wenige buchten die kostenpflichtigen Premium-Services, die den Basis-Dienst finanzieren sollten. So scheiterte zum Beispiel der Versuch des Anbieters EarthLink, in Zusammenarbeit mit Google ganz San Francisco mit einer Wlan-Glocke zu überziehen. In die Euphorie um das Internet für alle platzte außerdem der mobile Datenverkehr über Handyfunkmasten.
Doch mittlerweile ist Wlan, in anderen Ländern spricht man meist von WiFi, wieder im Kommen. Das ist nicht selbstverständlich, schließlich wurde mittlerweile der mobile Datenfunk über UMTS, mancherorts sogar schon dessen technisch überlegener Nachfolger LTE, gut ausgebaut. 'Aber', sagt Hartmut Menzel vom international operierenden Wlan-Anbieter The Cloud, 'das ist keine Konkurrenz.' Sogar mit LTE, das schneller ist als die meisten DSL-Anschlüsse, werde es Engpässe geben, 'denn diese Technik kann die Massen an Nutzern nicht handhaben, es wird wieder zu den gleichen Performance-Problemen kommen wie bei UMTS.'
Dass die mobilen Netze an stark frequentierten Orten tatsächlich überlastet sind, ist längst kein Geheimnis mehr. Als ein deutscher Mobilfunkkunde im vergangenen Jahr von seinem Anbieter mit der Auskunft beschieden wurde, er sei mit seinen Verbindungsproblemen ein Einzelfall, da machte er das publik - es stellte sich schnell heraus, dass er mitnichten allein war mit seinem Problem. Doch der Ausbau der mobilen Netze ist teuer, und die Gewinnmargen sinken wegen der Konkurrenz der Anbieter untereinander. Es verwundert daher kaum, dass die Unternehmen auf der Suche nach Auswegen bei Wlan gelandet sind. Die Telekom etwa verkündete auf der Computermesse Cebit, dass man die Zahl der Hotspots - Denglisch für Wlan-Zugangspunkte - bis 2016 um mehr als das 200-fache steigern will.
Nur, wie soll das gehen? Kunden, die einen DSL- oder Glasfaseranschluss der Telekom haben, sollen dazu bewegt werden, sich einen neuen Router zuzulegen. Dieser spannt zwei Netze auf: wie bisher ein privates und dazu noch ein öffentliches. Die beiden Netze sind, so versichert das Unternehmen, technisch komplett getrennt, außerdem habe das private Netz Vorrang, wird also nicht blockiert, wenn sich draußen vor dem Fenster viele Nutzer gleichzeitig in den öffentlichen Zugang einbuchen wollen. Die Telekom kooperiert dabei mit dem spanischen Anbieter Fon, der das schon seit einigen Jahren macht, mehr als sieben Millionen Zugangspunkte gibt es weltweit.
Vor allem für Menschen, die viel im Ausland unterwegs sind, ist das Projekt interessant, denn noch immer kostet es ein Vermögen, außerhalb des eigenen Landes mobil zu surfen. Um zum Beispiel einen Spielfilm zu laden, kann im außereuropäischen Ausland ein durchschnittliches Jahreseinkommen fällig werden.
Das kommt den Anbietern der Städte-Wlans gerade recht. Entweder offerieren sie den Internet-Zugang ganz kostenlos wie etwa in Paris, wo man an 260 Zugangspunkten frei surfen kann, oder aber man muss sich anmelden und kommt dann eine bestimmte Zeit lang frei ins Netz. Braucht man den Zugang länger, wird eine Gebühr fällig. In Berlin beispielsweise verlangt The Cloud einen Euro pro Stunde, ein ganzer Tag kostet drei Euro, eine Woche sieben Euro. Ein ähnliches Modell verfolgt auch Kabel Deutschland, das seine Verteilerkästen nutzt, um Wlan-Zugangspunkte zu installieren. An Orten, die besonders stark von Touristen frequentiert werden, etwa in Berlin-Mitte, ist das Netz an Zugangspunkten bereits ganz gut ausgebaut.
Sehr verbreitet ist Wlan auch in der Londoner Innenstadt. Für die Finanzierung hat man dort ein probates Mittel gefunden. Die Wlan-Sender, die in Westminster auf Straßenlampen montiert sind, dienen nicht bloß dazu, Touristen und Einheimische ins Internet zu bringen. Sie vernetzen auch Überwachungskameras, mit denen man Parksünder automatisiert aufspürt. Auch das Google-Netz in Mountain View ist nicht nur ein uneigennütziges Geschenk an die Gemeinde. Viele der 10000 Googler wohnen in dem Ort, und was wäre für einen Angestellten eines Internetkonzerns schlimmer, als nicht ins Internet zu kommen?
Während andere Konzerne um Fans buhlen, wird die US-Lifestyle-Marke 'Vice' immer erfolgreicher. Wie der Anti-Chic den Mainstream eroberte.
Was sich Shane Smith unter einer gelungenen Recherche vorstellt, konnte man neulich erst wieder erfahren. Eine Delegation von Vice war unter Führung des Ex-Basketball-Profis Dennis Rodman nach Nordkorea gereist, um gemeinsam mit Kim Jong Un ein Basketballspiel anzuschauen. Man betreibe Völkerverständigung, nicht Politik, ließ Rodman noch via Twitter wissen. Neben bizarren Bildern von Rodman und dem Diktator beim Essen, Sport und innigem Umarmen wurde aber vor allem eine Reportage in dem sonst so schwer zugänglichen Land produziert, die für eine eigene Nachrichtensendung im US-Sender HBO gedreht wurde. Eine typische Vice-Aktion: politisch unkorrekt, mit einer Pop-Haltung in schwerst verminte politische Gefilde hineintappend. Und vor allem auf den ersten Blick total bescheuert.
Image may be NSFW. Clik here to view. Dennis Rodman reiste mit Vice nach Nordkorea um gemeinsam mit Kim Jong Un ein Basketballspiel anzuschauen.
Vice ist ein Magazin, das Smith 1994 mit zwei Freunden in Montreal gründete. In dem Heft, das er selbst als 'ein wenig anarchistisch' bezeichnet, ging es in den ersten Jahren etwa um Frauen und ihre Vaginen, Snowboarden und Erlebnisberichte von Menschen, die ein ganzes Jahr auf Drogen waren. 'Wir haben uns nicht an die Regeln beim Magazinmachen gehalten, weil wir nicht wussten, dass es Regeln gab', erzählt Smith, 'wir fanden es eben interessanter, eine Hure selbst schreiben zu lassen, als sie zu interviewen'. Immersionalism - von immerse (eintauchen) - nennt er diese Form von Journalismus, die die Redaktion perfektionierte, als sie Ende der Neunzigerjahre nach New York zog und Bilder von so seltsamen Fotografen wie Ryan McGinley oder Terry Richardson veröffentlichte, deren Karrieren in Vice begannen, dem wohl ersten aller Hipster-Magazine, das kostenlos in Boutiquen und Plattenläden ausliegt.
Das Seltsame ist, dass ausgerechnet Vice (englisch für 'Laster') im Jahr 2013 als Medienkonzern für viele ein Vorbild dafür ist, wie sich im Internet mit - doch, Qualitätsjournalismus Geld verdienen lässt. Vice produziert Videos für Spiegel Online, CNN oder das ZDF, beschäftigt 3000 meist festangestellte Mitarbeiter auf der gesamten Welt und hat vor Kurzem das renommierte Modemagazin iD gekauft. Auf der Website finden sich so sensationelle wie abstoßende Kolumnen wie die wöchentliche Foto-Müllhalde, auf der die schlechtesten Bilder liegen, die die Mitarbeiter im Internet gefunden haben. Und Rupert Murdoch würde den Vice-Konzern so gerne kaufen, dass er mit der Belegschaft durch die angesagten Bars von Brooklyn zieht. Zusammen ergibt das alles wenig Sinn.
Aber im Zusammenhang mit Vice tauchen eigentlich überall Widersprüche auf. Die Tatsache etwa, dass sie iD, eines der besten unabhängigen Modemagazine, gekauft haben. Vice machte sich schon immer über die Modeindustrie lustig - zur jüngsten New York Fashion Week schickten sie einen Reporter auf LSD, der prompt Angstzustände bekam. Mode an sich lehnt Vice nicht ab - sie soll nur bitte nicht allzu ernst genommen werden. Deshalb druckt es Interviews über die Londoner Clubszene der Achtziger mit Kim Jones, der bei Louis Vuitton die Männermode macht oder mit dem Modedesigner Damir Doma über Hip-Hop. Die Modestrecken üben sich im gepflegten Anti-Chic: entweder so abstrakt und bizarr, dass kein Kleidungsstück mehr zu erkennen ist oder so unambitioniert fotografiert, dass sie auch einem staatlich geförderten Modemagazin Polens aus den kommunistischen 80er-Jahren stammen könnten.
Dafür denkt man bei Vice aber inhaltlicher als in anderen Magazinen, in denen es nur um Ästhetik geht. Der immer noch aktuelle, wohlerzogene Preppy-Stil wird in einer verstörend biederen Jeunesse-dorée-Strecke umgesetzt, die gegelte Popper und brave Mädchen in Lacoste-Polos und College-Slippern zeigt. Smith besteht darauf, schon immer alternative Modemagazine wie The Face oder iD geliebt zu haben, die nicht, wie die üblichen Verkaufsmagazine, den Kanon der Anzeigenkunden abfeiern oder die immer gleichen Coolness-Gesten wiederholen. Vielleicht ist das 1980 von Terry Jones gegründete iD genau deswegen eines der wenigen Modemagazine, die es geschafft haben, über Jahrzehnte cool und relevant zu bleiben. Es kennt sich in den entlegensten Modebereichen aus, wirkt aber stets nahbar.
Umso verwirrender klingt dann aber das, was Hosi Simon sagt, Geschäftsführer von Vice. Er wolle vor allem großartige Marken akquirieren, die man in Online-Plattformen verwandeln könne: 'Wir werden natürlich das Printmagazin beibehalten, aber für uns stehen hier erstklassige Online-Videos mit Modefokus im Vordergrund', sagt Simon, der vom Bodensee stammt, aber mittlerweile so lange in New York lebt, dass er das Interview lieber auf Englisch führen möchte.
Genau in diesen Videos liegt der Schlüssel für den Erfolg. 2007 startete Vice eine Website namens VBS.TV. Seit US-Filmregisseur Spike Jonze der Redaktion das Filmen beibrachte, werden Magazininhalte und Videos zusammen produziert und über diverse Plattformen gesendet. Im Fall von 'Heavy Metal in Baghdad', der Geschichte einer irakischen Metalband, führte das von Texten im Heft über Videos auf VBS.TV und eine Kinodokumentation zu einer DVD und Alben des Vice-eigenen Plattenlabels. Und alles wird von Style-Bloggern tausendfach geliked und verlinkt.
Eine crossmediale Verwertungskette, wie sie vermutlich nicht nur Rupert Murdoch beeindruckt, sondern bei jedem noch so winzigen Medienportal versucht wird. Bei Vice führte das tatsächlich zu einer Nutzer-Explosion: 'Wir haben zehn Jahre gebraucht, um eine Million Magazine zu verkaufen, und wir haben einen Monat gebraucht, um genauso viele Videoaufrufe auf Youtube zu erhalten', erzählt Smith. Und so wollen sie nun auch mit iD verfahren. Dabei soll die Marke ein eigenständiger Kanal für Onlinevideos werden. Das Magazin werde man weiterführen, klar, sagt Benjamin Ruth, Deutschland-Chef von Vice. Das sei ja der Markenkern. Aber auch bei Vice macht das eigentliche Magazin nur noch fünf bis zehn Prozent der Umsätze aus, der Rest sind Videos, Veranstaltungen,Werbejobs für Firmen wie Adidas. Ein Geschäftsmodell, bei dem Print nur noch ein bestimmtes Image erzeugt, um andere Bereiche profitabel zu gestalten.
Das kann man bedauerlich finden. Man kann aber auch dem euphorisierten Shane Smith zuhören, wie die Vice-Leute nach dem 11. September 2001 aus ihrem Hipsterbiotop an der Lower Eastside aufbrachen und feststellten, dass es noch andere Dinge neben Jeans, Drogen und Musik gab: 'In China haben wir eine Reportage über einen Zwei-Wochen-Stau gedreht, der von Peking bis in die Mongolei führte', erzählt Smith: 'Wir fragten uns: Warum muss das so einen Stau geben? Nur, damit die Automobilkonzerne ein Plus von drei Prozent einfahren können?' Eine Herangehensweise, mit der Vice offensichtlich für eine Generation von Medienkonsumenten interessant geworden ist, die von vielen Mainstreammedien nicht mehr erreicht werden. Und die sich zur Nahost-Politik lieber die Reportage über ein Paintball-Spiel mit dem paramilitärischen Flügel der Hisbollah durchliest, als die 'Tagesthemen' anzuschauen.'Jede Generation hat ihre eigenen Medien, die alles, was vorher war, über den Haufen werfen', sagt Smith, 'und jetzt sind wir dran.'
Es komme auf die Haltung an, ergänzt Benjamin Ruth: 'Wir erzählen nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe.' Und ungekünstelter, als es die Öffentlich-Rechtlichen mit ihren gestelzten Jugendformaten jemals könnten. 'Wir sind ehrlicher: Inhalte werden über Emotionen vermittelt. Der Erfahrungsbericht steht im Vordergrund', sagt Ruth.
Vice wäre wohl in der Subkultur stecken geblieben, wenn es nicht das Internet gegeben hätte, das aus Underground-Medien Massenmedien macht. Hosi Simon nennt das den 'Nirvana-Moment', den Vice nun auf neuen Märkten wiederholen will, Brasilien, Japan, vor allem aber China, über das Simon so begeistert redet, dass er wie der Vertriebschef eines Automobilkonzerns klingt. Mit dem Nirvana-Vergleich meint er, dass der Erfolg der Band Nirvana genau der Moment war, in dem eine Subkultur wie Grunge auf einmal massentauglich wurde und Erfolg hatte. Und bei diesen Momenten will Vice dabei sein, wenn etwa die chinesische Jugend anfängt, sich für Skateboards, Gruppensex und Snoop Lion (vormals Snoop Dog) zu interessieren. Nur politische Nachrichten werde es definitiv nicht geben, bekennt sich Simon ungerührt zur Vice-eigenen Selbstzensur. Außerhalb Chinas werde man weiter politisch berichten, was man wolle, aber in dem Land selbst respektiere man die Rahmenbedingungen. Warum auch nicht? Das ehemalige Underground-Medium Vice hat auch so einen ziemlich krassen Nirvana-Moment.
Adam Ant war in den Siebziger- und Achtzigerjahren ein Superstar, der aufregendste britische Freibeuter der Popmusik. Dann kam der Absturz, der ihn 2003 sogar sechs Monate in die Psychatrie führte. Jetzt will er noch einmal zurück ins Licht.
Solche Geschichten fangen ja immer damit an, dass den Eltern vor Schreck das schon gekaute Abendessen aus dem Mund fällt. Dass es scheppert im Karton, und zwar so richtig, weil die Kinder endlich die Botschaft kapiert haben, die der Mann im Fernsehen ihnen sendet. Es ist Ende 1980, Reagan gewinnt die Wahl, John Lennon wird erschossen, in Brokdorf kracht"s mal wieder, und der Typ auf dem Bildschirm heißt Adam Ant. Ein Wilder, ein Popstar, wie man ihn auf dieser Erdhalbkugel noch nicht gesehen hat, trotz Bowie, Punk oder Londoner Kunstschulgedöns. Obwohl das alles die Einzelteile des Phänomens sind.
Image may be NSFW. Clik here to view. Adam Ant, dessen richtiger Name Stuart Goddard ist, war lange nicht wieder zu erkennen
Adam Ant, der Pirat mit Kriegspfad-Streifen im Gesicht, mit Zöpfchen, Fetisch-Lederhose, Sex, Fantasie. Mit Schlachtgeheul, Kinderliedern und seiner apokalyptischen Eingreiftruppe, deren zwei Schlagzeuger alles wegtrommeln, was öde Jeans- und Gitarrenträger dufte finden. Adam and The Ants sind im Fernsehen, die schönsten, aufregendsten Freibeuter, die Könige dieser seltsamen Übergangsphase zwischen vor- und nachrevolutionärer Zeit, knapp zwei Jahre lang. Verkaufen 15 Millionen Platten, haben Hits wie 'Stand And Deliver' und 'Antmusic', hauen einen Stein in die Landschaft. Seit über 30 Jahren hat keiner gewagt, sie zu imitieren.
Wenn dieser Adam Ant nun plötzlich vor einem stünde, in echt, dieser martialisch-romantische Charakter, mit einer Pistole im Anschlag - was würde man tun? Lachen? Wegrennen?
Die Gäste der Londoner Kneipe, in die er am 12. Januar 2002 marschierte, erkannten ihn wohl gar nicht. Im Polizeibericht stand später, Stuart Goddard - wie Adam Ant wirklich heißt - habe Streit angefangen, und kurz darauf eines der Fenster eingeschmissen, von außen, mit einem alten Stromgenerator. Bei der anschließenden Hetzjagd habe er eine Waffe auf seine Verfolger gerichtet und versucht, mit einem Taxi zu fliehen. Ein gutes Jahr später der nächste Vorfall. Erst wirft er mit Steinen auf Nachbarhäuser, läuft dann in sein Stammcafé, lässt vor versammeltem Saal die Hose herunter. Die alarmierten Polizisten finden ihn im Keller, wo er sich halb nackt zum Schlafen zusammengerollt hat.
Sechs Monate geschlossene Psychiatrie, lautet das Urteil. Die private und öffentliche Kernschmelze für den früheren Superking, der in den Achtzigern und Neunzigern noch eine respektable Solokarriere gehabt hatte. Er ist zurück auf Seite eins, kahlköpfig, fett von den Tabletten. Adam Ant, nicht einfach nur crazy, nicht nur der neue Depp der britischen Presse, sondern der rasende Irre von London. Dass er unter einer heftigen bipolaren Störung leidet, unter dem, was man früher manische Depression nannte, hat er schon länger gewusst. Jetzt wissen es alle. Und: Auch der Musiker Adam Ant verstummt nun. Ganz.
Deshalb ist es umso überraschender, dass man im Frühjahr 2013 einen grandiosen Grund hat, um an der Tür von Adam Ants schmalem Haus in einer Seitenstraße in London-Kensington zu klingeln. Der Begriff Comeback ist ja ein schlimmes Klischee der Popbranche, aber hier stimmt er wirklich: Ant, mittlerweile 58, hat sich seit 2010 wieder auf Konzertbühnen gewagt. Hat jetzt sogar eine neue Platte gemacht, die erste seit 18 Jahren, genannt 'Adam Ant Is the Blueblack Hussar in Marrying the Gunner"s Daughter'. Rückkehr aus der Matratzengruft. Therapiekunst. Oder ein echter, fast pophistorischer Relaunch.
Man wartet in einem unfassbaren Wohnzimmerchen, bis oben zugemüllt mit Büchern, Kram, Resten eines Starlebens. An der Wand die goldenen Schallplatten, in den vollen Regalen unter anderem der 'Goldene Otto'-Award der Zeitschrift Bravo von 1981 und ein gerahmtes Oben-ohne-Foto der Schauspielerin Jamie Lee Curtis, aus der Zeit, als Adam Ant und sie ein Paar waren. Dann schlurft er aus dem Keller herauf, in Freizeitkleidung, mit Brille, Husarenschnurrbart und der Art von Schiebermütze, die deutlich signalisiert, dass unter ihr eine Glatze versteckt wird. Ganz genau: ein alter Pirat.
Jahrelang habe er ständig diese Fragen ertragen müssen, erzählt Adam Ant, wenn er dann nach wenigen Minuten in Fahrt kommt. Ob er überhaupt noch Musik mache, ob er jetzt Schauspieler sei, wie es weitergehe. 'Es tut so gut, endlich eine simple Antwort darauf zu haben, ohne rumlabern zu müssen: Hier, das Album! Hier, meine Show!' 130 Konzerte hat er in den vergangenen zwei Jahren gespielt, in England, Holland, Australien, den USA. Um die Platte rauszubringen, wurde er Kleinunternehmer, gründete ein Label, denn - das erwähnt er natürlich nicht - besonders scharf war keine der großen Firmen, sich einen problematischen Star von vorgestern ans Bein zu binden.
Zur Abwechslung hat das mal wenig mit Youtube und Twitter zu tun: Adam Ant drängelte sich mit allem, was er noch hatte, ins Licht zurück. Trat praktisch in jedem Pub der Stadt auf, aus dem man ihn nicht schnell genug rauswerfen konnte, und es gibt einige, die diese Rückkehr sogar als weiteres Symptom seiner Krankheit interpretieren: die manische Phase. 'Am Anfang war jeder Abend wie ein Marathon', sagt Ant, die Handgelenkkette klappert, und im nächsten Moment werden wir weit zurück in die Erinnerung katapultiert, ins Punk-London der Siebziger, als er sich zum letzten Mal ähnlich frei fühlte wie heute. Als die Sex Pistols bei seiner ersten Band im Vorprogramm spielten, als er sich mit Vivienne Westwood und Malcolm McLaren anfreundete, der dann auch sein Manager wurde. Als die frühen Ants mit dem VW-Bus nach Berlin tuckerten, im SO36 spielten, und ihnen hinterher ein Unbekannter die Restaurantrechnung zahlte, weil er so beeindruckt war von dem Rudolf-Schwarzkogler-Anstecker, den der Kunststudent Adam an der Brust trug.
'Schlimm wird es, wenn man dann plötzlich einen Haufen Geld wert ist. Und die Leute, die dieses Geld verdienen, hektisch werden, weil sie nicht glauben, dass man lange oben bleibt.' Allein der Popindustrie gibt er nicht die Schuld für sein Unglück, aber Adam Ant hatte viel Zeit zum Nachdenken: über die durchgeblitzten, pausenlosen Jahre als Sexsymbol und Glückspirat, die Filmkarriere in Los Angeles, die Stalker, die Übermotivation. Mitte der Neunziger, auf Tour in Mexiko, erwischte ihn das Pfeiffersche Drüsenfieber. Von heute auf morgen lag er flach, wie gelähmt. Kein Ventil mehr für die Raserei. Damals sprach der Arzt zum ersten Mal von der bipolaren Störung.
Den Rest der Geschichte kann man in den bunten Blättern nachlesen. Adam Ant, in jeder Hinsicht öffentlichkeitserprobt, entschied sich für die Flucht nach vorn. Schrieb ein Buch, heuerte bei den Initiativen Sane und Mind, die über psychische Krankheiten aufklären, als Sprecher an. Räumte mal ein bisschen auf mit dem Mythos vom schicken Pop-Irrsinn. Obwohl er mit solchen Geschichten wenig Chancen hatte gegen neue Nasenblut-News von Amy Winehouse und Pete Doherty.
Dass Fantasiefiguren einfach verschwinden, das kennt man. Dass sie aber plötzlich wieder auftauchen, als geschundene, vom Leben gezeichnete Charaktere, leicht zerzaust, aber lebendig - das erlebt man selten, und es fühlt sich ganz besonders an. Wenn er mit seiner neuen Band auf der Bühne steht, trägt Adam Ant wieder die Piratenjacke aus der großen Zeit. Und falls die 17 Stücke auf seinem neuen, wilden, verwirrenden Album 'Adam Ant Is the Blueblack Hussar in Marrying the Gunner"s Daughter' an irgendetwas erinnern, dann an die anarchischen, ganz frühen Tage. 'Als langsam die Ideen für Songs zurückkamen, als ich plötzlich eine Zeile, eine Strophe hatte, das war das Heilsamste überhaupt', sagt er. Seine Platte, mit all ihren Macken, ist kein von fremder Hand kuratiertes Selbst-Tribut wie die Spätwerke von Johnny Cash oder Heino. Sondern ziemlich genau das, was gewachsen ist in den Jahren, in denen Adam Ant sich erst wie ein Zombie fühlte. Und plötzlich wieder wie ein Künstler.
In der Zimmerecke steht schon das große Plakat für den 11. Mai. Da hat er das Londoner Roundhouse gebucht, eine 5000er-Halle, die muss er erst mal vollkriegen: Adam Ant, der wiedergeborene Popstar, auf dem allerbesten Weg, wieder eine anständige Fallhöhe zu erreichen. Dann noch eine USA-Tour, und ja, genau, von den Plattenverkäufen erwarte er auch noch einiges - fast wie damals. Kurz glaubt man, man müsse ihn schütteln, zur Vernunft bringen. Aber er kann alles erklären. 'Heute geht es mir vor allem um Beständigkeit', sagt Adam Ant, als er am Schluss zum Fazit ansetzt. 'Immer weiterzumachen, nach meinem eigenen Rhythmus. Für den Rest - meines Lebens.'
Als der NSU 2004 in Köln eine Bombe zündet, stürmt die Polizei die Wohnung einer unbescholtenen Kurdenfamilie. Der damalige Innenminister Schily sagt heute, die Behörden hätten 'objektiv versagt' - er selbst blieb untätig.
Otto Schily holt eine Packung Taschentücher und einen dicken Aktenordner aus seiner Ledertasche, vor ihm auf dem Tisch steht ein Glas Multivitamin-Saft. Wer das als Zeichen dafür deutet, dass der frühere Bundesinnenminister Kraft sammelt für einen stundenlangen Monolog, liegt aber falsch. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags tritt der Zeuge Schily am Freitag ganz anders auf als bei seinem legendären Auftritt 2005, als er vor dem Visa-Untersuchungsausschuss die Abgeordneten mehr als fünf Stunden lang mit einem Referat zermürbte, bevor er sich endlich weitere zehn Stunden lang befragen ließ.
Diesmal braucht Schily nur elf Minuten für seine einleitenden Bemerkungen. Dass es über viele Jahre nicht gelungen sei, der Neonazi-Gruppe 'Nationalsozialistischer Untergrund' (NSU) auf die Spur zu kommen, sei 'höchst schockierend', sei 'deprimierend und bitter', sagt Schily. Die Sicherheitsbehörden hätten 'objektiv versagt'. Er trage dafür gemeinsam mit den damaligen Landesinnenministern die politische Verantwortung. Ihn belaste das sehr, sagt der 80-Jährige. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus sei ihm immer ein vorrangiges persönliches Anliegen gewesen.
Image may be NSFW. Clik here to view. Während seiner Amtszeit als Innenminister blieb Otto Schilly untätig
Für seine offenen Worte erntet der SPD-Politiker nicht nur Lob von seiner Parteifreundin Eva Högl, sondern auch von der CDU. Deren Obmann im Ausschuss, Clemens Binninger, spricht von 'einem guten Zeichen', das Schily gesetzt habe. Im Ausschuss habe es schon ganz andere, uneinsichtige Zeugen gegeben.
Schily war von 1998 bis 2005 Bundesinnenminister, in diese Zeit fallen sieben von zehn Morden, die mittlerweile dem NSU zugerechnet werden. Die Ermittler hielten die Mordserie damals für das Werk einer kriminellen Bande von Drogenhändlern oder Schutzgelderpressern. Schily selbst hat sich offenbar nie intensiv mit den Verbrechen befasst. Polizei und Staatsanwälte ermittelten dezentral in den Bundesländern; ob die Morde je Thema in Schilys Sicherheitsrunde waren, daran kann sich der Ex-Minister nicht mehr erinnern.
In einem Fall allerdings war er mit einer Tat des NSU konfrontiert: Im Juni 2004 explodierte in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe und verletzte 22 Menschen. In der Straße wohnen und arbeiten überwiegend Menschen mit türkischen Wurzeln, die Ermittler erkannten aber auch hier den terroristischen Hintergrund der Tat nicht. Einen Tag nach der Explosion äußerte sich Schily im Fernsehen und sagte, die Erkenntnisse der Behörden würden, auch wenn ein abschließendes Urteil noch nicht möglich sei, eher auf ein 'kriminelles Milieu' hindeuten. Schily nennt das nun einen 'schwerwiegenden Irrtum'.
Offenbar hat er damals nicht nachgehakt und es versäumt, politische Motive intensiver prüfen zu lassen. Eine Beamtin des Ministeriums, die vor Schily als Zeugin aufgetreten ist, sagt im Ausschuss, die Bearbeitung des Falls könnte 'etwas schildkrötenhaft' erscheinen.
Dabei hätte eine konsequente Suche nach Neonazis auch helfen können, die ungeklärte Mordserie aufzuklären. Nicht nur bei dem Bombenanschlag in Köln, sondern ebenso bei den Mordfällen waren verdächtige Männer mit Fahrrädern aufgefallen. Das waren, da sind sich die Ermittler heute sicher, die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Der FDP-Abgeordnete Hartfrid Wolff wirft Schily vor, mit dazu beigetragen zu haben, dass die Ermittlungen jahrelang in die falsche Richtung liefen. Anwohner der Keupstraße hätten durchaus die Vermutung eines rassistischen Anschlags geäußert - ohne Folgen. Otto Schily weiß dazu nichts zu sagen, ihm würden Erinnerungen dazu fehlen. Bei seiner Einschätzung kurz nach dem Kölner Anschlag habe er nur vorgetragen, was ihm die Ermittler vermittelt hätten. So bleibt der Eindruck, dass Schily diesem Verbrechen als Minister eine viel zu geringe Bedeutung beimaß. Den Vorwurf, in dem Fall nicht aktiv genug gewesen zu sein, müsse er sich gefallen lassen, sagt Schily.
Über die Frage, wer damals was und wie mitgeteilt hat, kommt es im Ausschuss kurzzeitig zu einer Hakelei, als der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) versucht, den Grünen-Politiker Wolfgang Wieland bei einem Detail zu korrigieren. Wieland spricht Edathy daraufhin mit den flapsigen Worten an: 'Herr Verteidiger des Innenministers a. D.' Edathy weist die 'Unterstellung', er würde seinen Parteifreund Schily ungebührlich in Schutz nehmen, sofort scharf zurück. Schily wiederum legt Wert auf die Feststellung, er sei ja nicht als Angeklagter hier - weshalb er einen Verteidiger ohnehin nicht benötige.
Das kleine Spektakel macht einen sehr nachdenklichen Moment im Ausschuss wieder zunichte. Die Linke-Abgeordnete Petra Pau zitiert einen Brief, den sie am Freitag von einer Anwohnerin der Kölner Keupstraße erhalte hatte. Darin schildert eine Kurdin, wie sie und ihr damals sieben Jahre alter Sohn den Anschlag erlebten: 'Ich hörte einen lauten Knall und dachte, es sei ein Erdbeben.' Sie habe Menschen schreiend hin und her rennen gesehen, dann sei plötzlich die Polizei in ihre Wohnung gestürmt, habe zwei Türen aufgebrochen und alles durchsucht. Die Polizei habe sie und ihren Mann verdächtigt, nur weil sie Kurden seien, schreibt die Frau. 'Stundenlang durfte ich mich nicht bewegen, die gesamte Wohnung wurde auf den Kopf gestellt.' Die aufgebrochenen Türen seien nie ersetzt worden. Jahrelang habe das Stigma der Verdächtigungen auf ihrer Familie gelastet. Sie und ihr Sohn würden unter Angstzuständen leiden, schreibt die Frau. 'Wir haben Angst vor der Polizei.'
Otto Schily hört konzentriert zu, den Kopf von einer Hand gestützt. 'Dieser Brief ist sehr eindrucksvoll', sagt er leise.
Fast fünf Millionen Menschen haben nur einen oder zwei Minijobs - die meisten davon sind Frauen. Eine Studie zeigt nun: Die Aussichten auf einen sozialversicherungspflichtigen Job sinken im Laufe der Jahre immer mehr
Berlin - Sie servieren im Café, putzen Büros oder räumen Regale im Supermarkt ein. Fast fünf Millionen Menschen haben ausschließlich einen oder zwei Minijobs, mehr als zwei Drittel von ihnen sind Frauen. Die meisten schätzen die Stellen auf 450-Euro-Basis. Sie sind flexibel, für den Arbeitnehmer steuer- und falls gewünscht auch sozialabgabenfrei, und es fallen nur wenige Stunden Arbeit pro Woche an.
Eine neue Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zeigt nun jedoch: Obwohl Minijobs politisch nie als Dauererwerbsform gedacht waren, bleibt die Mehrheit der Frauen im Minijob pur 'gefangen'. Laut der Untersuchung wird ein Wechsel in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umso unwahrscheinlicher, 'je länger der Minijob währt'.
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Im Durchschnitt haben demnach die Nutzerinnen sechs Jahre und sieben Monate nur einen Minijob, bei Verheirateten sind es sogar sieben Jahre und einen Monat. Nur 14 Prozent der Frauen, bei denen ihr Minijob keine zusätzliche Nebenbeschäftigung war, hätten heute eine Vollzeitstelle, 26 Prozent eine Teilzeitstelle mit mindestens 20 Stunden pro Woche. Mehr als die Hälfte der früheren Minijobber sei nicht mehr am Arbeitsmarkt tätig. Dies belege, dass Minijobs - anders als von den rot-grünen Arbeitsmarktreformern gewollt - 'nicht als Brücke in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wirken'. Minijobs als Haupterwerb seien im Effekt 'ein Programm zur Erzeugung lebenslanger ökonomischer Ohnmacht und Abhängigkeit von Frauen'.
Autor der Analyse, die das Ministerium bislang unbemerkt von einem breiteren Publikum auf seiner Homepage veröffentlicht hat, ist Professor Carsten Wippermann vom Delta-Institut für Sozial- und Ökologieforschung. Seine Studie beruht auf einer Befragung von mehr als 2000 Frauen. Etwa die Hälfte von ihnen hat einen Minijob, die andere Hälfte übte früher einen aus. Zehn Jahre nach der Agenda-2010-Erklärung durch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) dürfte die Untersuchung die Diskussion über diese Beschäftigungsform weiter anheizen.
Aus der Studie geht hervor, dass gut 60 Prozent der Frauen ausschließlich einen Minijob haben. 84 Prozent von ihnen sind verheiratet. Für diese Ehefrauen sei der Minijob 'mit erheblichen Risiken im Lebenslauf verbunden', schreibt Wippermann. Auf den ersten Blick erscheine ihnen so eine Stelle attraktiv, zumal sie sich über die Krankenkasse des Partners mitversichern lassen könnten. Die Minijobs hätten auf Dauer aber ein negatives Image. Obwohl die allermeisten eine berufliche Ausbildung vorweisen können, würden solche Frauen nicht mehr als qualifizierte Fachkraft gelten. Die Hürde zu einer regulären Teilzeit oder Vollzeitstelle werde erst 'durch den Minijob pur errichtet beziehungsweise massiv erhöht'. Solche Frauen hätten 'künftig kaum die Möglichkeit, im Fall von Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Tod des Partners die finanzielle Existenzsicherung ihrer Familie und ihrer selbst zu erwirtschaften' und für ihre Alterssicherung ausreichend zu sorgen. Das von den Politikern geschaffene Anreizsystem sei deshalb 'kontraproduktiv'. Trotzdem hatte die Bundesregierung kürzlich die Verdienstgrenze für Minijobber angehoben. Seit 2013 dürfen sie 450 statt 400 Euro steuerfrei hinzuverdienen.
Auch ein anderer Wunsch der Reformer, die Bekämpfung der Schwarzarbeit, habe sich nicht erfüllt. 85 Prozent der befragten Frauen bestreiten nicht, dass Schwarzarbeit bei Minijobs vorkommt. 32 Prozent gaben an, dass Schwarzarbeit gang und gäbe sei, also Beträge über den Minijob-Lohn bar ausgezahlt werden, wenn entsprechend mehr gearbeitet wird. Wippermann schreibt dazu: Schwarzarbeit gelte unter den Minijobbern als 'Ausweis von Engagement, Flexibilität und Vertrautheit mit dem Arbeitgeber - und ist nahezu die soziale Norm: Wer diese nicht nutzt oder sich dieser gar verweigert, ist dumm oder verdächtig'. Legale soziale Normen werden dagegen nicht erfüllt: Obwohl die Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, erhielten 77 Prozent der Frauen im Minijob pur kein Urlaubsgeld, knapp die Hälfte keine Lohnfortzahlung bei Krankheit. Die Mehrheit der Frauen sieht diese Arbeit trotzdem positiv. Mehr als 80 Prozent gaben an, er sei für sie keine 'Sackgasse'. Wippermann dazu: Während des Minijobs 'dominieren die Anreizsysteme und die optimistische e Erwartung, eine reguläre Stelle gemäß der eigenen Qualifikationen bekommen zu können. Doch dies erweist sich als (Selbst-)Täuschung und Schimäre'.
Auf der Suche nach der digitalen Zukunft: das South by Southwest-Festival
Jedes Jahr im März reisen Software-Entwickler, Investoren, Hipster und Nerds nach Austin, um bei 'South by Southwest Interactive' der Zukunft der digitalen Welt auf die Spur zu kommen. Was als Musikfestival begann, teilt sich heute in drei Großereignisse für Musik, Film und digitale Kultur. Seit hier 2007 Twitter präsentiert und 2009 Foursquare bekannt wurde, wird alljährlich über das 'nächste große Ding' spekuliert. Fünf Tage dauert SXSW Interactive mit Hunderten Veranstaltungen und knapp 30000 Besuchern.
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Die erste 'Keynote'-Rede hält Elon Musk: 'Ich wäre sehr enttäuscht, wenn ich es nicht mehr erlebe, dass Menschen auf dem Mars landen'. Der 41-jährige Südafrikaner wurde mit dem Online-Bezahlsystem Paypal zum Milliardär. Jetzt will er drei Industrien gleichzeitig revolutionieren: SolarCity ist der größte US-Anbieter von Sonnenkollektoren, Tesla stellt Elektroautos her und SpaceX schickt Raketen ins All.
Als fünffacher Vater hat er auch eine Idee, wie man das Schulsystem verbessern kann: 'Bildung muss wie ein Videospiel sein: spannend, interaktiv und mit der eigenen Geschwindigkeit für jeden.' Allerdings lasse sich sein Arbeitspensum nur bewältigen, indem er Emails beantworte, während er sich um seinen Nachwuchs kümmere, gesteht Musk. Hier wird der Moderator Chris Anderson, zum einzigen Mal kritisch: 'Ich mache das nicht mehr. Es ist weder gut für die Kinder noch für die Emails.'
Auch Anderson will Grundschüler für Technik begeistern. Mit 3D-Robotics verkauft der frühere Wired-Chefredakteur Drohnen für den Hausgebrauch. Er möchte sie in jedem Klassenzimmer sehen: 'Da ist alles dabei: Hardware, Software, Elektronik, Aerodynamik. Nichts ist besser als ein fliegender Roboter, um Kids fürs Programmieren zu interessieren.' Andernfalls, so warnt er, würden die USA ihren Vorsprung als Tech-Standort einbüßen.
2015 wird die US-Luftfahrtbehörde FAA entscheiden, nach welchen Regeln Privatleute unbemannte Flugkörper einsetzen können. Bei SXSW herrscht ein durchweg euphorisches Verhältnis zu Technik, deswegen wird bei der Podiumsdiskussion zum Thema 'Wer hat Angst vor der großen, bösen Drohne?' auch vor allem über Chancen geredet. Erin Rapacki, die Marketing für Robotertechnik betreibt, prognostiziert, dass Drohnen im Jahr 2023 Pakete zustellen werden und wir uns bis dahin auch an Roboter in der Altenpflege gewöhnt haben. Ob der weit verbreitete Einsatz im Privaten nicht die Akzeptanz von Drohnen als Kriegswaffe weiter erhöhen dürfte, fragt keiner der 100 Zuhörer. Ein Drittel lässt schon heute Flugroboter aufsteigen und viele machen 'die Medien' für deren schlechtes Image verantwortlich. Also gibt Chris Anderson folgende Devise vor: 'Macht etwas, das so cool ist, dass die Medien positiv berichten müssen.'
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Auf der Suche nach dem 'nächsten großen Ding' landet man dieses Jahr eher bei Hardware. Das gilt für Google Glass, die Brille mit Internet-Anschluss und Kamera, ebenso wie für die 99 Dollar-Konsole Ouya oder den 'smart bra', der Büstenhalter, der angeblich Brustkrebs erkennt. Die längste Warteschlange bildet sich aber vor dem temporären Hauptquartier der Tech-Website Mashable.com: Dort können die Besucher ein Foto mit der berühmtesten Katze der Welt machen. 'Grumpy Cat' heißt das Tier mit der mürrischen Miene, die zum Internet-Mem mit eigener Website wurde. Trotz des Rummels tut die grantige Katze in Texas vor allem eins: dösen.
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Die Popularität von 'Grumpy Cat' wundert den Gründer von Buzzfeed Jonah Peretti nicht. 'Niedliche Tiere verdienen Respekt', lautet ein Merksatz seines Vortrag über 'Die große Machtverschiebung in den Medien'. Beim Start 2006 lachte die Konkurrenz über die vielen Hunde, Katzen und Otter. Heute ist die Site profitabel, hat pro Monat 40 Millionen User.
Buzzfeed präsentiert viele Geschichten, die Nutzer gern auf Facebook, Twitter oder in Blogs teilen. Wer 'virale Inhalte' kreieren wolle, muss laut Peretti Regeln beachten: Neben Tieren und Humor sind Emotionen und Nostalgisches extrem wirksam. Alles muss auf Smartphones funktionieren. Politik oder Sex solle man vermeiden: 'Bei Google suchen die Leute nach Nacktfotos von Promis. Bei Facebook würde dies niemand teilen, weil es anstößig wirkt.'
Peretti hilft auch Anzeigenkunden bei viraler Werbung: Für den Prius, das Hybridauto von Toyota, warb die Bildstrecke 'Die 20 coolsten Hybrid-Tiere'. Für Virgin Mobile entstand 'Zehn Kinofilme, die anders enden würden, wenn es damals schon Handys gegeben hätte.'
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Solche kommerziellen Erfolge sind der Traum unzähliger junger Firmengründer. Scheinbar im Widerspruch steht dagegen das vorherrschende Open-Source-Ideal. Fast jeder plädiert hier bedingungslos dafür, alles verfügbare Wissen, aber auch Kultur online zugänglich zu machen. Das erklärt, wieso Kim Schmitz alias Kim Dotcom in Austin so gut ankommt.
Der Gründer des Filehosters Megaupload sitzt immer noch in Neuseeland fest, weil ihm das FBI vorwirft, Urheberrechtsverletzungen im Werte von 500 Millionen Dollar verursacht zu haben. Beim Interview über Skype stilisiert sich Dotcom als Märtyrer im Kampf für ein freies Internet, der den Leuten nur Speicherplatz angeboten und deren Privatsphäre geschützt habe.
Das Weiße Haus habe das SOPA-Gesetz zur Bekämpfung von Piraterie im Internet durchboxen wollen, um sich für Hollywoods Wahlkampf-Spenden zu bedanken, sagt er. Nach den Protesten habe Obama SOPA beerdigt. Megaupload habe man quasi als Bauernopfer geschlossen. Die Verschwörungstheorien werden nicht hinterfragt, da Moderator Charles Graeber an einem Buch über Schmitz arbeitet und Streit vermeidet. Schuld an der Online-Piraterie ist für Dotcom das 'veraltete Geschäftsmodell' der Filmindustrie: Indem sie die Blockbuster zunächst in den USA in die Kinos bringe und den Rest der Welt monatelang warten lasse, würden die Leute zum illegalen Download gezwungen: 'Sie wollen das Zeug sehen und können es nirgends rechtmäßig kaufen.' Der Saal jubelt.
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Noch radikaler geht Cody Wilson mit der Open-Source-Idee um. Der Jura-Student arbeitet mit einem handelsüblichen 3D-Drucker daran, die Einzelteile für das Sturmgewehr AR-15 herzustellen, das beim Grundschul-Massaker in Newtown verwendet wurde. Die Dateien soll jeder herunterladen können. Einige Teile hat er erfolgreich getestet; die Youtube-Videos sind ein Hit in der Waffenszene.
Cody Wilson geht es bei 'Wiki Weapon' um Prinzipielles. Der 24-Jährige glaubt daran, dass der Staat nicht vorschreiben dürfe, wofür Technik eingesetzt werde. Dass die gerade im US-Kongress diskutierte strengere Überprüfung potenzieller Waffenkäufer wirkungslos wäre, wenn jeder die Teile eines Sturmgewehrs selbst herstellen kann, stört den Krypto-Anarchisten nicht. Er wird sein Projekt durchziehen: 'Jetzt können wir noch gar nicht wissen, welche Folgen es hat, wenn unser Vorhaben gelingt. Gerät die Gesellschaft aus den Fugen? Ich will es herausfinden.'
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Den letzten Vortrag hält der Science-Fiction-Autor Bruce Sterling. Der 58-Jährige spottet über das derzeit so überreizte Schlagwort ' creative disruption' (kreative Störung). Er fragt, ob es der Technik gelungen sei, die Strukturen der Finanz- und der Gesundheitsindustrie aufzubrechen oder etwas an Amerikas enormen Ausgaben für Militär und Gefängnisse zu ändern?
Für Sterling lautet die Antwort: Nein. Ein 3D-Drucker sei ein nettes Spielzeug, dessen Produkte letztlich niemand brauche. Dafür habe die Technik Romane, Zeitungen, Buchläden und die Musikindustrie in Gefahr gebracht. Das sei keine Verschwörungstheorie, sondern eine ganz einfache Gleichung: 'Eine Stunde, die jemand mit Google Glass rumspielt, ist eine Stunde, die er nicht damit verbringt, in einem Buchladen zu stöbern.'
Um die Ausbeutung der Meere zu bremsen, versuchen Wissenschaftler, Fische zu Vegetariern zu machen. Barsche und Seezungen sollen Soja fressen - oder auch Bakterien, die mit Methan gezüchtet worden sind
Forellen sind keine Vegetarier. Eine Forelle frisst Insekten, vielleicht ein paar Krebse und kleine Fische. Pflanzen stehen normalerweise nicht auf ihrem Speiseplan, schon gar kein Soja vom Acker. Oder bitteres Zeug wie Raps. Doch das soll sich ändern. 'Wir müssen neue Futterquellen finden, wenn wir die industrielle Aquakultur nachhaltig machen wollen', sagt Margareth Øverland von der Universität für Lebenswissenschaften in Ås, 30 Kilometer südlich von Oslo. Sie denkt dabei an Feldfrüchte, wie sie auch in die Tröge von Schweinen oder Rindern wandern. Aber nicht nur: Auch Methangas, Nadelbäume und das Treibhausgas Kohlendioxid will die Professorin in Fischfutter verwandeln.
Seit Jahren stagniert die Fangmenge, die aus Meeren, Seen und Flüssen gezogen wird, bei jährlich etwa 90 Millionen Tonnen. Doch zugleich stiegt der Bedarf an Speisefisch rasant. Deshalb sollen Fischfarmen die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage schließen, die Überfischung der Weltmeere stoppen und die Ernährung der Menschheit sichern - so die Hoffnung. Zuchtfische brauchen deutlich weniger Futter als Artgenossen in freier Wildbahn, weil sie für die Nahrungssuche praktisch keine Energie benötigen. Noch dazu haben Fische gegenüber Rindern, Schweinen und Geflügel den Vorteil, dass sie als wechselwarme Tiere keine aus der Nahrung gewonnene Energie für den eigenen Wärmehaushalt aufwenden müssen, sondern nahezu alles Futter in Wachstum und Bewegung umsetzen. Bei den Inhaltsstoffen sind Fische allerdings anspruchsvoller als Landbewohner, sie brauchen mehr Eiweiß.
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Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO hat sich die Produktionsleistung der Aquakultur-Anlagen in den vergangenen zehn Jahren auf 60 Millionen Tonnen weltweit verdoppelt. Aber natürlich brauchen auch Fische in Gefangenschaft Futter. Statt also Fische für den Menschen im Meer zu fangen, werden für die Aquakultur im Meer gefangene Fische in Fischmehlfabriken zu Fischfutter verarbeitet. Allerdings ist auch diese Quelle fast erschöpft.
'Die weltweite Fischmehlproduktion liegt zwischen viereinhalb und sieben Millionen Tonnen pro Jahr. Das lässt sich nicht mehr groß steigern', sagt Ulfert Focken, Experte für Aquakultur und Fischernährung am Thünen-Institut für Fischereiökologie in Ahrensburg. 'Mit der vorhandenen Menge müssen wir möglichst viel Fisch für die menschliche Ernährung erzeugen.' Deshalb arbeiten Forscher wie Focken oder Øverland daran, den Fischmehlanteil in den Futterpellets immer weiter zu reduzieren und durch Nährstoffe aus pflanzlichen Quellen zu ersetzen.
Schon die bisherigen Erfolge sind erstaunlich. In den 1980er-Jahren habe der Fischanteil in den Futterpellets noch etwa die Hälfte des Gewichts ausgemacht, sagt Øverland. Heute seien es nur noch zehn bis 20 Prozent. Bei einigen Zuchtarten kann der Fisch-Anteil im Futter bereits so weit verringert werden, dass die Tiere weniger Fisch fressen, als ihr eigenes Körpergewicht am Ende ausmacht. Es geht noch extremer: 'Forellen lassen sich bereits heute komplett vegetarisch ernähren', erklärt Florian Nagel, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gesellschaft für Marine Aquakultur (GMA) in Büsum. Andere Fische wie Steinbutt, Wolfsbarsch oder Seezunge sind anspruchsvoller. Nagel und seine Kollegen versuchen derzeit, aus Miesmuscheln, die für den menschlichen Verzehr zu klein sind, einen Futterzusatz zu entwickeln, um den Geschmack der Pflanzenkost auf die Vorlieben der Fische abzustimmen.
Wie die Zuchttiere das neue Futter annehmen, ist aber nur ein Teil des Problems. Die Auswirkungen auf die Gesundheit der Fische können gravierend sein, wenn die Futterhersteller nicht vorsorgen. 'Pflanzen wollen nicht gefressen werden', sagt Ulfert Focken. 'Deshalb wehren sie sich mit Dornen, aber auch mit chemischen Mitteln gegen Fressfeinde.' Landtiere haben im Lauf der Evolution gelernt, zumindest mit den Abwehrsubstanzen ihrer Hauptnahrungspflanzen umzugehen. 'Fische haben an der Koevolution von Pflanzen und Pflanzenfressern jedoch nicht teilgenommen', so Focken. 'Deshalb müssen wir das Futter für sie stark aufbereiten und es von den für sie gesundheitsschädlichen Substanzen befreien.'
So haben Wissenschaftler bereits die Rückstände der Rapsölproduktion und auch Soja für Fische verträglich gemacht. Momentan arbeiten die Ahrensburger daran, den Presskuchen aus Purgiernuss-Mühlen in Tiernahrung zu verwandeln. Die auch Jatropha genannt Ölfrucht gilt als vielversprechender Rohstoff für Biosprit in tropischen Ländern. 'Die Überreste der Produktion wären wegen ihrer hochwertigen Eiweißzusammensetzung ein guter Futterzusatz', sagt Focken, 'wenn es gelingt, die gesundheitsschädlichen Substanzen darin zu eliminieren.'
Bei der Futterformulierung komme es auf Ausgewogenheit an, erklärt Florian Nagel von der GMA: 'Man sollte nicht einfach das gesamte Fischmehl durch nur eine Zutat wie Soja ersetzen, sondern eine Mischung aus verschiedenen alternativen Rohstoffen wählen. So kann man die Vorteile jeder Pflanze nutzen und potenzielle Nachteile ausbalancieren.' Für vegetarische Forellen bestehe ein gesunder Mix zum Beispiel aus Raps, Soja, Weizen, Vitaminen, Mineralien sowie Ölen und ein paar Aminosäuren. Nagel und seine Kollegen suchen nach technischen Möglichkeiten, um alle möglichen Futterrohstoffe so aufzubereiten, dass sie den Fischen schmecken und deren Gesundheit nicht schaden. Dabei stehen ihnen in der Regel nur solche Zutaten zur Verfügung, die nicht direkt in die menschliche Ernährung gehen.
Zusätzlich müssen Fischzüchter mit den Landtierproduzenten um diese Rohstoffe konkurrieren. 'Fische kommen oft zuletzt', sagt Nagel. Er begrüßt, dass die Europäische Kommission Schlachtabfälle von Schweinen und Geflügel wieder als Fischfutter zugelassen hat. 'Es herrscht Rohstoffknappheit, von der der Verbraucher im Supermarkt aber nichts mitbekommt.' Schlachtabfälle seien eine wertvolle Proteinquelle, die man nicht ungenutzt lassen dürfe.
Aus demselben Grund will Margareth Øverland auf noch ungewöhnlicher klingende Futterquellen ausweichen. Sie meint, bedenkenlos auch Methangas und Fichtenholz in die Nahrungskette der Fische und damit der Menschen einschleusen zu können. Bakterien sollen sich von diesen Zutaten ernähren, sich rasant vermehren und dann im Futter landen. Das Bakterium Methylococcus capsulatus etwa kann Methan als Energiequelle für sein eigenes Wachstum verwerten; und Hefekulturen könnten auf Fichten-Spänen wachsen. 'Die sterilisierte und getrocknete mikrobielle Biomasse besteht zu 70Prozent aus Protein', erklärt Øverland und lobt die hochwertige Zusammensetzung der Eiweißstoffe. Ähnliches gelte für Algen, die man mit Kohlendioxid etwa aus den Schornsteinen von Kohlekraftwerken füttern könnte. Nach einem erfolgreichen Pilotversuch in Brandenburg lasse sich diese Futterquelle schon bald auf Fisch-Farmen nutzen.
Versuche ihrer Arbeitsgruppe hätten gezeigt, dass die mikrobiellen Futterzusätze von Lachsen besser vertragen werden als etwa Soja, berichtet Øverland. Allerdings sinke bei Alternativkost der Gehalt der wertvollen Omega-3-Fettsäuren im Fleisch der Tiere um etwa 30Prozent. Gerade diese Fettsäuren aber tragen erheblich dazu bei, dass Fisch so gesund ist.
Und wie schmeckt Fisch, der mit Bakterien gefüttert wurde statt mit Fisch? Øverland kann es noch nicht sagen: 'Wir haben noch keine sensorischen Tests gemacht.' Bislang haben die norwegischen Wissenschaftler nur Schweine und Geflügel verkostet, die Mikrobenprotein im Futter hatten. Die Qualität, beteuert Øverland, sei sehr gut gewesen.
Scott McCloud und Chris Ware kamen zum 'Comic-Gipfel' in Berlin und sprachen über ihre umstrittenen und gefeierten Ansichten über die Kunst des Comiczeichnens.
Der wichtigste Comic-Theoretiker der Gegenwart heißt wie ein Raumschiffkapitän: Scott McCloud. Bei seinen Vorträgen trägt er stets diese explizit unerotisch konnotierte Kombination aus Baumwoll-T-Shirt, Kurzarmhemd und alten Beulenjeans. Ein weltreisender Workaholic mit dem Kleiderschrank eines saarländischen Piraten-Abgeordneten. Man könnte sagen, Scott McCloud sieht aus wie die Comic-Version eines Comic-Fans.
Image may be NSFW. Clik here to view. Comics aus den Augen des Kunstkritikers - Scott McCloud ist der wichtigste Comic-Theoretiker der Gegenwart
Am Freitag war er in Berlin, um beim ausverkauften 'Comic-Gipfel', den das Berliner Literaturfestival außer der Reihe im Martin-Gropius-Bau veranstaltet hat, die Kernthesen seiner drei Bücher vorzustellen. McCloud ist dadurch bekannt geworden, dass er die Gattung Comic mit den Methoden der modernen Kunstkritik erklärt. Er hat sich in der Comic-Welt damit nicht nur Freunde gemacht. Viele lesen ja gerade deswegen Comics, weil sie so weit von dem entfernt sind, was im MoMa zu sehen ist. Als er dann noch im Jahr 2008 den Google-Browser Chrome mit einem Auftragscomic illustriert hat, war er für viele vollends auf die böse Seite gewechselt.
McCloud stellt sich das Verhältnis zwischen dem Leser und dem Comic im Grunde aristotelisch vor: Es gibt in diesem Modell nicht nur zwei Teilnehmer, die Geschichte und den Leser, sondern noch eine dritte Größe, das Konzept. Dieses Konzept ist ein kollektiver Bewusstseinsinhalt, der vom Comic in jedem Lesemoment abgerufen wird und zwar nicht nur sprachlich, sondern eben in erster Linie grafisch. Jede Kopfhaltung eines Charakters, jede Augenbraue, jede Schattierung rufen beim Leser gewisse Stimmungen und vertraute Erzählmuster ab. Selbst wenn die Grafik auf ein Minimum reduziert wird, funktioniert es immer noch: Man braucht lediglich zwei Punkte und einen Strich, schon sieht das menschliche Auge ein Gesicht.
Man kennt diesen Drang zur Reduktion aus der Malerei, allerdings hat die Gattung Comic den Vorteil, dass sie sequenziell arbeitet. Von der amerikanischen Performance-Künstlerin Laurie Anderson stammt die Beobachtung, dass Laufen im Grunde kontrolliertes Fallen sei. So stellt sich Scott McCloud gelungenes Comic-Erzählen vor: Als moderiertes Fallen von Bild zu Bild, Geschichten 'mit einem gewissen Ungleichgewicht'. Die besten Comics sind für McCloud deshalb jene, die sich nicht darauf beschränken, in Sprechblasen dialogisch eine Geschichte zu skizzieren, in der das Böse bekämpft und das Schutzbedürftige gerettet wird. Alles Wichtige spielt sich woanders ab: Die Bewegung entsteht zwischen den Bildern, die Bedeutung im Kopf des Lesers. Comics illustrieren keine Seiten, sondern Bewusstseinsinhalte.
In der Geschichte der Menschheit zirkulierten noch nie so viele Bilder wie derzeit, vielleicht werden die Regeln der ikonischen Bildsprache auch deshalb immer wichtiger. Christoph Niemann, einer der wichtigsten Illustratoren der Gegenwart, sagte in Berlin, es gehe beim grafischen Erzählen immer darum, die Geschichte zu finden, die der Zeichner mit dem Betrachter teile. Das globale Medienpublikum sei heute grafisch bestens vorgebildet, seine visuelle Kompetenz habe sich im vergangenen Jahrzehnt vervielfacht: 'Die Leute verstehen heute mit einem Blick wahnwitzige Infografiken. Man kann in Mainstream-Medien Witze über Kuchengrafiken machen.'
Diese Blüte der Visualisierung hängt damit zusammen, dass all die Daten zugänglich gemacht werden müssen, die das Internet ständig verarbeitet, allerdings birgt das Netz auch Nachteile: Niemann beobachtet die Angleichung der Arbeiten heutiger Grafikstudenten. Gebe man einer Klasse die Aufgabe, ein Paar zu malen, sehe die Hälfte der Bilder dem ersten Treffer für den Suchbegriff 'Paar' in der Google-Bildersuche relativ ähnlich. Es hat noch nie so viele Bilder gegeben wie heute - und noch nie so viele, die einander gleichen.
Chris Ware wird in diesen Strudel sicher nicht geraten. Seit der Veröffentlichung seiner Graphic Novel 'Jimmy Corrigan' im Jahr 2000 firmiert Ware als Genie. Er gilt als extrem schüchtern, was sich in Berlin vor allem in nervösen Null-Aussagen äußerte: Er habe immer etwas machen wollen, das sich echt anfühle, emotional, vielleicht sogar, wenn er dieses große Wort benutzen dürfe, literarisch. Als Schriftsteller wäre er möglicherweise schneller international bekannt geworden, erst jetzt, 13 Jahre nach dem Original, ist 'Jimmy Corrigan' auf Deutsch erschienen (SZ vom 12. März). Aber die Literatur ist Chris Ware nicht ganz geheuer. 'Schreiben fühlt sich an, als würde ich auf öligem Glas skaten. Ich brauche etwas, wo ich mich einhaken kann und das sind die Bilder.' Den jungen Grafikstudenten geht es möglicherweise ähnlich. Allerdings macht Chris Ware seine Bilder selbst.
Die amerikanische Indierock-Sängerin Amanda Palmer ist die Wanderheilige unserer Zeit der Krise.
Das Schwierige an importierten Befindlichkeiten ist normalerweise, dass sie auf Geschichten beruhen, die nicht die eigenen sind. Das können die Geschichten von Nationen genauso sein, wie die Geschichten von Generationen. Im Fall der amerikanischen Sängerin Amanda Palmer ist sogar beides der Fall. Man muss aber nicht wissen, dass sie neben ihrer Solo-Arbeit eine Hälfte des Punk-Cabaret-Duos Dresden Dolls ist, man muss auch ihre exaltierten Lieder nicht mögen, um zu verstehen, warum sie gerade zu einer der Schlüsselfiguren der Popkultur aufsteigt.
Image may be NSFW. Clik here to view. Amanda Palmer ist - wenn sie nicht gerade solo unterwegs ist - eine Hälfte der Dresden Dolls.
Amanda Palmers bisher größter Hit ist kein Song, sondern ein Vortrag mit dem Titel 'The Art of Asking' (Die Kunst des Bittens), den sie Ende Februar beim Ideenfestival Ted Conference in Long Beach hielt. Darin erzählt sie von ihrer Karriere, die sie als lebende Statue in Fußgängerzonen begann, und die sie nun ohne Hilfe von Platten- oder sonstigen Firmen vorantreibt. Dafür hat sie nach einem Streit mit ihrem Label ein Geschäftsmodell entwickelt, das vor allem darauf beruht, keine Geschäfte zu machen. Ihr letztes Album beispielsweise finanzierte sie mit einem kurzen Video, mit dem sie auf der Crowdfunding-Webseite Kickstarter ihre Fans um Geld bat.
1,2 Millionen Dollar bekam sie so zusammen. Auch ihre Tourneen lässt sie nicht mehr von etablierten Veranstaltern organisieren. Meist sind es Fans, die über soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook einen ihrer Auftritte möglich machen, weil sie Geld, Saal und Verstärker besorgen. Unterwegs steigt sie nicht in Hotels ab, sondern übernachtet bei meist unbekannten Anhängern. Dazu zeigte sie in Long Beach Bilder, auf denen sie vor selbstgekochten Buffets steht, auf Sofas und Matratzen schläft, sich von Fans bemalen lässt.
Wer die Diskussionen um das Urheberrecht und die digitale Kultur in den vergangenen Jahren verfolgt hat, wird da - je nach Lager - das Ideal oder das Horrorszenario der künftigen Kulturwirtschaft erkennen. Neigt man eher zum traditionellen Ansatz, dass Arbeit und Ware auch regulär bezahlt werden sollten, verspürte man während des Vortrages spätestens dann den Bauchknoten des Fremdschämens, als Amanda Palmer davon erzählte, wie sie bei einer Familie illegaler Einwanderer in Miami übernachtete. Als sie beschreibt, wie die Mutter sie am nächsten Morgen beiseite nimmt, und ihr sagt, wie wichtig Palmers Musik für ihre Tochter sei, stehen der Sängerin die Tränen in den Augen. Da gipfelt diese wohlformulierte Ballade von Selbstlosigkeit, Vertrauen und Rebellion gegen die Konsumgesellschaft in einer gewaltigen Ladung Pathos. Und doch haben über eineinhalb Millionen Menschen in den vergangenen drei Wochen das Video des Vortrages angesehen und zumeist begeistert kommentiert.
Mit einem Song wäre Amanda Palmer damit weit oben in den Charts. Als Mem beweist sie Instinkt für einen Zeitgeist, der weit mehr ist, als die Trotzhaltung, dass man für Musik nichts bezahlen will. Das Ideal des Teilens geht in den USA auf einen ganz spezifischen Moment der Geschichte zurück. Auf dem Höhepunkt der Depression der Zwanziger- und Dreißigerjahre gab es in ganz Amerika einen unvergleichlichen Geist der Solidarität. Während Europa und Russland diesen Geist von den Diktaturen aufgezwungen bekamen, formierte sich in den USA ein Gemeinschaftsgefühl, auf dem Präsident Franklin D. Roosevelt sein Reformpaket des New Deal aufbauen konnte. Oder verkürzt gesagt: In Amerika bekamen sie Bankenreformen und Rentenversicherungen, in Europa die Nazis und den Kommunismus.
In der Weltwirtschaftskrise des 21. Jahrhunderts, ist dieses Solidaritätsgefühl in Amerika, aber eben auch in Europa weitgehend verschwunden. Wer von Schulden erdrückt wird (in den USA als Bürger, in Europa als Staat), ist selbst schuld - hätte er eben nicht über seine Verhältnisse gelebt. Deswegen ist Amanda Palmer kein rein amerikanisches Phänomen.
Für eine Generation, die nicht nur mit den Schulden ihrer Vorväter leben wird, sondern auch mit dem Ende eines Wachstums, das bisher die Verbesserung des Lebensstandards von Generation zu Generation über mehrere Jahrhunderte automatisierte, wird Amanda Palmer so zu einer Art Wanderheiligen. Die Sängerin verkörpert gleich mehrere Ideale: Sie lebt ohne die Zwänge der Konsumgesellschaft, sie vertritt ein ethisch einwandfreies Wertesystem, sie ist ein Rockstar und sie macht all das durch das identitätsstiftende Internet möglich. Das ist keine Pose, sondern ein Kraftakt. Genau deswegen funktioniert ja auch ihr Pathos.
Nach dem brutalen Überfall auf ein Schweizer Ehepaar steht Indiens Ruf als Reiseland auf dem Prüfstand. Das Auswärtige Amt warnt bereits: Frauen sollten 'besondere Vorsicht' walten lassen.
München - Millionen Touristen reisen jedes Jahr durch Indien, viele davon Backpacker, die nur das Nötigste im Rucksack dabei haben. Sie fahren mit Bussen oder dem Fahrrad, übernachten möglichst günstig, am liebsten bei indischen Familien, die sie auf der Reise kennenlernen. So ähnlich hatten sich das wohl auch die Schweizer Touristin und ihr Mann vorgestellt, die am Freitag im zentralindischen Bezirk Madhya Pradesh von sechs bis acht Männern angegriffen wurden. Die 39-jährige Schweizerin wurde mehrfach vergewaltigt, ihr Ehemann musste die Tat gefesselt mitansehen. Das Paar war mit dem Fahrrad unterwegs und wollte in einem Wald nahe der Tempelstadt Orchha zelten. Das brutale Verbrechen schockiert nicht nur die zuständigen Behörden in Indien und der Schweiz. Auch viele Touristen fragen sich nun, ob Indien noch ein sicheres Reiseziel ist.
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Tatjana Thimm ist Professorin für Tourismusmanagement in Konstanz. Noch 2008 reiste sie allein durch Indien, das Land steht im Zentrum ihrer Forschung. 'Heute würde ich das nicht mehr machen - zumindest nicht in Madhya Pradesh' sagt sie. Auch das Auswärtige Amt hat seine Sicherheitshinweise für Indien an diesem Montag angepasst: 'Vor dem Hintergrund zuletzt berichteter sexueller Übergriffe' sollten sich vor allem Frauen 'von besonderer Vorsicht leiten lassen'. Die Schweizer Regierung hatte bereits im Februar eine ähnliche Warnung herausgegeben. Und seit dem Tod einer 23-jährigen Studentin, die im Dezember in Neu Delhi vergewaltigt wurde, diskutiert ganz Indien über die Gewalt gegen Frauen.
Waren die Schweizer also leichtsinnig? Uma Shankar Gupta, Innenminister von Madhya Pradesh, hat diesen Vorwurf erhoben. Wer in so einer abgelegenen Gegend, etwa 70 Kilometer von der nächsten größeren Stadt entfernt, übernachten wolle, müsse die Polizei informieren, sagte er dem Fernsehsender NDTV. Das seien die Regeln, die Schweizer hätten sie missachtet. 'Trotzdem', so der Minister, 'sollte ein solcher Vorfall nicht passieren und wir überlegen, was wir tun können, um Reisende aus dem Ausland besser zu beschützen'. Das indische Tourismusministerium meldete für 2011 6,3 Millionen Touristen und ein Wachstum von fast 9 Prozent. Millionen Jobs hängen an den Urlaubern.
Inzwischen hat die indische Polizei sechs mutmaßliche Täter festgenommen und dem Richter vorgeführt. Es sind Kleinbauern, die zwischen 19 und 25 Jahren alt sind. Nach Angaben der Polizei gehören sie zu einer lokalen Bande Krimineller. Das Gericht habe angeordnet, dass die Männer zunächst bis diesen Dienstag in Gewahrsam blieben, sagte ein Polizeisprecher.
Die Schweizer Botschaft dankte der Polizei von Madhya Pradesh für die Kooperation und kündigte an, die 39-jährige Schweizerin und ihr Ehemann würden bis auf Weiteres in Neu Delhi bleiben. Sie seien medizinisch versorgt worden und stünden für weitere Ermittlungen und die Identifikation der Täter zur Verfügung.
Indische Zeitungen bezeichnen die Region Madhya Pradesh unterdessen als 'Albtraum für Touristen'. Immer wieder seien dort Touristinnen überfallen und sexuell belästigt worden, berichtet die Hindustan Times. Die Gegend ist ländlich, es gibt wenig Polizei und Straßen, die nur selten befahren werden - ein Hochrisikogebiet für Reisende, folgert die Zeitung. Die indische Nachrichtenseite Firstpost fragt gar: 'Warum sollte eine Frau unter solchen erschreckenden Umständen nach Indien reisen?'
Experten sind mit solchen Einschätzungen vorsichtig. Waseem Hussain, der von Zürich aus europäische Firmen bei Geschäften in Indien berät und selbst aus dem Land stammt, sagt, man könne weiterhin 'gut und gern durch Indien reisen - auch als Frau.' Urlauber sollten sich aber genau überlegen, wie sie auftreten. Dezente, lange Kleidung etwa sei wichtig. Wer sich außerhalb der Infrastruktur bewege, etwa in der Wildnis zelte, 'einfach weil es grad so schön ist', handle leichtsinnig. In ländlichen Regionen hätten die Menschen oft kaum Kontakt zu westlichen Touristen. 'Weiße Frauen kennen sie nur aus Hollywoodfilmen, in denen Sexualität gleich Freizügigkeit ist' sagt Hussain. Hinzu komme der Männerüberschuss durch gezielte Abtreibungen von Mädchen sowie eine Erziehung, die Männern beibringt, dass sie sich 'in der Ehe nehmen dürfen, was sie wollen' wie Hussain es ausdrückt.
Fremde Spiritualität und traumhafte Landschaften neben Großstädten, eine wachsende IT-Industrie neben Massenarmut: Tourismusexpertin Thimm betont, wie vielfältig Indien ist. Auch die Sicherheitsstandards lägen weit auseinander. An viele Orte könne man weiterhin bedenkenlos reisen. Dennoch sei der brutale Angriff auf die Schweizer 'eine völlige neue Dimension der Gewalt.' Er könnte das Bild Indiens in der Welt verändern.
Nachdem bekannt wurde, dass auch Kleinsparer ihr Erspartes abgeben müssen, reagieren die Aktienmärkte nervös.
Urplötzlich war sie wieder da - die Furcht vor einem Wiederaufleben der Euro-Krise. Die Pläne zur Rettung Zyperns sehen vor, dass auch Kleinsparer des Inselstaates ihren Obulus leisten müssen. Das ist ein Tabubruch, denn in der EU gilt die Einlagensicherung bis zu 100000 Euro. Nun könnten Spanier und Italiener fürchten, dass es im Ernstfall ebenfalls an ihre Spareinlagen geht.
Die Aktienmärkte reagierten am Montag sehr nervös, der Dax büßte in der Spitze zwei Prozent ein und fiel unter die Marke von 8000 Punkten. Der Wechselkurs des Euro zum Dollar gab zudem nach, ein Euro kostete 1,28 Dollar, so wenig wie seit drei Monaten nicht mehr. Man erinnert sich: Noch vor gut einem Monat gab es eine Diskussion über den starken Euro - die Finanzmärkte sind auch im Jahr Drei der Euro-Schuldenkrise sehr wankelmütig.
Image may be NSFW. Clik here to view. Viele zyprische Bankkunden sind empört, dass sie zur Kasse gebeten werden.
Wie gefährlich ist die Situation nun, muss man in anderen Staaten wie Spanien einen Bankenansturm der Kunden befürchten? 'Das Risiko ist beherrschbar', sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Zum einen wüssten alle anderen in der Eurozone, dass Zypern ein Sonderfall sei, zum anderen gebe es im Ernstfall immer noch die Europäische Zentralbank (EZB). 'Die EZB kann anderen Notenbanken im Ernstfall gestatten, ihren Instituten genügend Geld zur Verfügung zu stellen ', sagt Krämer. Es handelt sich hier um das Notprogramm Emergency Liquidity Assistance (ELA). Die irische Notenbank konnte damit die Sparer des Landes beruhigen, die im Strudel der Finanzkrise eiligst ihre Konten geräumt hatten.
Einig sind sich die Experten, dass mit dem Plan, das Geld der Kleinsparer in die Haftung zu nehmen, ein elementarer Grundsatz des Finanzsystems untergraben wird - die Politik spielt mit dem Vertrauen der Sparer. Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman drückte es in der New York Times so aus: 'Es ist, als ob die Europäer eine Leuchtreklame hoch halten, auf der in italienischer und griechischer Sprache steht: Zeit, die Banken zu stürmen!' Negative Konsequenzen könnte das auch für die Wirtschaftsentwicklung haben. 'In den Euro-Reformländern steigt die Unsicherheit, ausländische Investoren könnten ihre Gelder zurückhalten, aus Furcht', sagt Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank. Die Konjunkturerholung in diesen Staaten könnte sich nun verzögern, so Hellmeyer, der darauf hofft, dass für die Kleinsparer auf Zypern eine Lösung gefunden wird, etwa durch Einziehen eines Freibetrag von einen zigtausend Euro.
Zyprische Banken trugen im vergangenen Jahr - ebenso wie die anderen Institute in der Eurozone - die Kosten für die Umstrukturierung der griechischen Staatsschulden. Die Insel hat damit einen Beitrag zur Rettung Griechenlands geleistet, was die eigenen Sorgen im Finanzsektors aber weiter vergrößerte. Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZBank, sieht nun zwei Alternativen: 'Entweder das zyprische Parlament billigt die Rettungsaktion, und wir haben es in der Folge mit einem längeren Prozess neuer politischer Risiken in den Finanzmärkten zu tun', so der Experte. 'Oder aber die Abstimmung in Zypern fällt durch, dann bewegen wir uns auf eine neue Eskalationsstufe der Krise hin, da damit möglicherweise der Ausstieg eines Landes aus der Eurozone im Raum steht.' Das zyprische Parlament will am Dienstag entscheiden, wie die Modalitäten genau aussehen. Gut möglich, dass die Kleinsparer doch noch zu einem Großteil geschont werden, was den Tabubruch aber nicht ungeschehen macht.
Allerdings kann man die Sache durchaus auch pragmatisch sehen: 'Zyprische Banken haben einjährige Einlagen zuletzt mit rund vier Prozent verzinst', sagt Chefvolkswirt Krämer. 'Wenn man das ins Verhältnis zu der geplanten Abgabe von 6,7Prozent setzt, dann relativiert sich doch einiges.'
Die Koalition nimmt den Vorstoß des Bundesrats aber 'mit Respekt zur Kenntnis' und will ihn indirekt unterstützen.
Die Bundesregierung will keinen Antrag auf ein NPD-Verbot beim Bundesverfassungsgericht stellen. Nach monatelangem Ringen hat sich die schwarz-gelbe Koalition entschieden, den Bundesrat nicht mit einem eigenen Antrag zu unterstützen. Die Länderkammer hatte sich im Dezember für einen Verbotsantrag ausgesprochen. Seitdem war auf die Entscheidung der Regierung gewartet worden.
Image may be NSFW. Clik here to view. Nicht nur die NPD selber, sondern auch die Bundesregierung stellt sich gegen ein Verbot der Partei.
Der offizielle Beschluss des Kabinetts soll bereits auf der Sitzung an diesem Mittwoch fallen. Aus Regierungskreisen verlautete am Montag, das Kabinett werde den Antrag des Bundesrats vom 14.Dezember 'mit Respekt zur Kenntnis' nehmen. Bundesbehörden wie das Amt für Verfassungsschutz hätten zur Sammlung des relevanten Materials gegen die NPD beigetragen. Das Bundesinnenministerium werde diese Zusammenarbeit 'zur unterstützenden Begleitung' des Verbotsantrags des Bundesrats natürlich fortsetzen, hieß es. Die Regierung halte es deshalb aber 'nicht für erforderlich', zusätzlich zur Länderkammer einen eigenen Antrag zu stellen. Dessen ungeachtet bleibe die Bekämpfung und Ächtung des Rechtsradikalismus, der sich auch in den Zielen der NPD zeige, aber selbstverständlich eine politische Daueraufgabe, die für die Bundesregierung auch künftig besonders hohe Bedeutung habe.
Vor allem die Bundesminister der FDP hatten in den vergangenen Monaten Zweifel an einem Verbotsantrag geäußert. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte, ein erneutes Scheitern eines Verbotsantrags wäre ein Desaster für die Demokratie und ein Triumph für die Rechtsextremen. 2003 hatten Bundesregierung, Länderkammer und Bundestag mit einem gemeinsamen Antrag beim Verfassungsgericht keinen Erfolg gehabt. FDP-Chef Philipp Rösler sagte, die Liberalen seien der Überzeugung, 'dass man Dummheit nicht verbieten kann'. Die NPD müsse mit politischen Mitteln bekämpft werden.
Auch in der CDU-Spitze hatte es erhebliche Skepsis gegeben. Dort hieß es, ein Verbotsverfahren dürfe nicht nach einer Aktion politisch Verzweifelter aussehen. Außerdem müsse man ja nicht nur das Verfassungsgericht überzeugen, am Ende müsse ein NPD-Verbot auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bestand haben. In der Regierung gab es aber auch die Sorge, die Opposition könnte der Koalition im Wahlkampf mangelnde Härte im Umgang mit der NPD vorwerfen, falls man sich gegen einen Antrag entscheide.
Mit Ausnahme Hessens hatten im Bundesrat alle Länder für einen Verbotsantrag gestimmt. Der Bundestag hat sich bisher noch nicht entschieden, wie er sich verhalten will. Die Spitzen der Koalitionsfraktionen hatten stets erklärt, sie wollten die Entscheidung der Bundesregierung abwarten.
Die SPD-Fraktion zeigte sich enttäuscht von der Entscheidung der Regierung. Deren parlamentarischer Geschäftsführer Thomas Oppermann sagte, es sei 'unerträglich, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt die gesamte Verantwortung auf die Länder schiebt - wir brauchen die Geschlossenheit der Demokraten gegen die NPD'.
Vor sieben Jahren wurde Saddam Hussein gehängt. Viel scheint sich seitdem trotzdem nicht im Irak geändert zu haben. Der neue Premier Nuri al-Maliki erinnert zunehmend an seinen Vorgänger.
Ein Diktator, korrupt, brutal und skrupellos - ihn wollte jene von den USA geführte Kriegskoalition stürzen, die vor zehn Jahren in den Irak einmarschierte. Und es gelang. Sie entdeckten im Dezember 2003 einen bärtigen Zausel, der sich in einem Erdloch versteckt haben soll. Es war Saddam Hussein. Drei Jahre später, pünktlich zum islamischen Opferfest, wurde er gehängt. Unterhält man sich heute mit Irakern vor allem aus den sunnitischen Teilen des Landes, drängt sich das Gefühl auf, dass sich dennoch nicht viel geändert hat. Wieder ist von einem Autokraten die Rede, von Verfolgung politischer Gegner, von Diskriminierung. Nur ist der Mann mit den Allmachtsphantasien diesmal kein Sunnit, sondern der Schiit Nuri al-Maliki.
Maliki ist der Premier des Irak - seine Geschichte ist die Geschichte eines gescheiterten Versuches, aus einer Diktatur eine Demokratie zu machen.
Image may be NSFW. Clik here to view. Die Iraker protestieren gegen ihren Regierungschef, wie hier vor zwei Wochen.
Am 1. Mai 2003, nach nur sechs Wochen Krieg, verkündete der amerikanische Präsident George W. Bush: 'Mission erfüllt.' Was er ahnen konnte, aber wohl nicht aussprechen wollte: Der schwierigste Teil der Mission sollte mit dem Sturz des Regimes erst beginnen. Saddam Hussein hatte 24 Jahre lang den Irak regiert, 24 Jahre lang hatte er das Land ausgebeutet und die Schiiten verfolgt. Nun stand ein 30-Millionen-Volk vor den Trümmern einer einst so stolzen Nation.
Saddam Hussein sah sich selbst als den legitimen Nachfolger des Königs von Babylon. Seine Herrschaft stützte der Sunnit auf seine Glaubensbrüder. Schiiten hingegen, die im Irak die Bevölkerungsmehrheit stellen, ließ er verfolgen und verhaften, die Kurden bekämpfte er mit Giftgas. An den Folgen leidet der Irak noch heute. So sahen die Schiiten den Sturz Saddams als die lang erhoffte Chance, an die Macht zu kommen. Die Kurden hofften, nun endlich im ölreichen Norden ihren eigenen Staat zu bekommen. Und die Sunniten sahen sich als unschuldiges Opfer der verhassten Amerikaner - eine explosive Gemengelage.
Die Besatzungstruppen schauten weitgehend untätig zu, wie innerhalb weniger Monate neue Grenzen gezogen wurden. Gebiete, in denen Sunniten und Schiiten einst gemeinsam wohnten, wurden separiert, das Land faktisch dreigeteilt: in die halbautonome Kurdenregion im Norden, die Schiitenprovinzen im Südosten und die Sunniten dazwischen. Und fast überall im Land: Anschläge von Saddam-Anhängern, von al-Qaida, von Gegnern der US-Besatzung. Erst eine massive Aufstockung der Truppen durch die USA im Jahr 2007 konnte dem tagtäglichen Terror ein Ende setzen - zumindest vorübergehend.
Das Regieren ist nur möglich, weil die großen Volksgruppen die Schlüsselstellen der Macht untereinander aufteilen. So wurde jene Kommission, die Iraks erste Nachkriegsverfassung entwarf, von je einem Kurden, einem Schiiten und einem Sunniten geleitet. Jede künftige Regierung sollte nach gleichem Muster gebildet werden. So lange die amerikanischen Besatzungstruppen im Land waren, funktionierte dies einigermaßen. Der letzte Kampfsoldat zog jedoch im Dezember 2011 ab - und die Spannungen im Irak nahmen schlagartig zu. Noch immer ist die Arbeitslosigkeit hoch, Stromausfälle an der Tagesordnung, der Müll bleibt liegen, Kläranlagen funktionieren nicht. Auch die Ölproduktion liegt zehn Jahre nach dem Krieg hinter den Erwartungen zurück. Vor allem aber macht sich das Gefühl breit, dass Nuri al-Maliki auf dem Weg ist, ein neuer Saddam zu werden. Die wichtigen Ministerien kontrollieren Maliki und seine Getreuen. Weil die US-Strategen Sunniten pauschal als Saddam-Anhänger und Al-Qaida-Sympathisanten abstempelten, bauten sie einen Sicherheitsapparat aus Schiiten auf. Und Maliki weiß ihn heute für seine Zwecke zu nutzen - zumal der irakische Präsident Dschalal Talabani nach einem Schlaganfall seit Dezember ausfällt und Maliki damit weitgehend freie Hand hat. Im Streit um Gebiete im ölreichen Norden ließ er vor Kurzem die sogenannten Tigris-Sondertruppen gegen die kurdischen Peschmerga-Milizen aufmarschieren. Nur einen Tag nach Abzug der Amerikaner hatte er wegen angeblicher Anschlagspläne Haftbefehl gegen seinen Vizepräsidenten, den Sunniten Tarik al-Hashemi, erlassen. Im Dezember 2012 folgten die Leibwächter von einem weiteren Sunniten, dem mittlerweile zurückgetretenen Finanzminister Rafa al-Issawi.
Seither kommt es fast täglich zu Protesten und Anschlägen. Nach einem Selbstmordattentat auf das Justizministerium, bei dem vergangene Woche mindestens 25 Menschen getötet wurden, bekannte sich jüngst die irakische Al-Qaida-Gruppe. Sie wirft Malikis Regierung vor, die Minderheit der Sunniten zu unterdrücken. Erst am Wochenende tötete eine Autobombe nahe der Schiiten-Hochburg Basra mindestens zehn Menschen.
Zur Hochburg der Anti-Maliki-Demonstrationen hat sich Anbar entwickelt, die größte Provinz des Landes. Vermehrt schwenken die Protestierenden dort auch wieder rot-weiß-schwarze Flaggen mit drei grünen Sternen darauf - es ist die Flagge des gestürzten Regimes von Saddam Hussein. frederik Obermaier
Bre Pettis will mit den 3D-Druckern seiner Firma MakerBot von New York aus die Welt verändern. Die Maschinen fürs Wohnzimmer sind derzeit der heißeste Trend in der amerikanischen Gründerszene.
Wer an der Haltestelle Broadway-Lafayette über die richtige Treppe aus der U-Bahn steigt, läuft fast zwangsläufig in den Laden in der Mulberry Street. Der ist jedoch so winzig, dass man ihn auch ebenso zwangsläufig übersehen kann. MakerBot steht auf dem Schaufenster, in der charakteristischen Bolt-Schrift, die man von Plakaten für Science-Fiction-Serien im Fernsehen kennt. Drinnen steht ein junger Mann und hantiert mit einem roten Plastikherz. Seine Hornbrille ist ebenso markant wie seine Haartolle. Bre Pettis, 40, ist Mitgründer und Eigentümer von MakerBot, einem der erstaunlichsten Jungunternehmen New Yorks.
Image may be NSFW. Clik here to view. Der 3D-Drucker von MarkerBot ist der neue Trend in der amerikanischen Gründerszene.
Das Besondere an dem roten Herzen in Bre Pettis Händen liegt darin, dass seine Einzelteile direkt hier im Laden gefertigt wurden, in einer Kiste namens 'Replicator 2'. Sie ist schwarz und etwas größer als eine Haushalts-Mikrowelle. In der Mitte bewegt sich ein computergesteuerter Kopf, der aus roter Plastikmasse eine kleine Skulptur aufbaut. Der 'Replicator 2' ist das, was man heute einen 3D-Drucker nennt. Bre Pettis und die 165 Angestellten von MakerBot hoffen, damit die Welt verändern zu können. 3D-Drucker sind derzeit der heißeste Trend in der amerikanischen Gründerszene, und sie beginnen die Politik in Washington zu interessieren. 3D-Drucker hätten 'das Potenzial, die Art zu verändern, wie wir fast alles erstellen', sagte Präsident Barack Obama während seiner Rede zur Lage der Nation im Februar.
Bre Pettis erklärt das Revolutionäre an seiner Maschine sehr konkret: 'Wenn Dein Flaschenöffner kaputt geht, dann machst Du Dir auf dem Replicator einfach einen neuen. Das ist wirklich Just in time'. Ein anderes Beispiel: Hinten im MakerBot-Laden gibt es eine kleine Fotokabine, so wie man sie von Bahnhöfen in Deutschland kennt. Hier kann sich jeder fotografieren lassen, von drei Seiten. Das Ergebnis wird aber nicht ausgedruckt, sondern auf eine Website namens thingiverse.com gestellt: Es ist das Modell einer kleinen Büste des Fotografierten. Wem das Ergebnis gefällt, kann die Büste bei MakerBot bestellen, sie wird dann auf dem Replicator 'gedruckt', also aus Plastik gegossen. Das Material ist gefärbte Polymilchsäure (PLA), ein Material, das aus Mais gewonnen wird und als gut kompostierbar gilt. Die meisten Büsten, die aus dem Replicator kommen, sehen noch aus wie Abbilder von Zombies, aber das Verfahren ist schon beeindruckend.
Nun ist der Bedarf eines Menschen an Flaschenöffnern und Büsten im Laufe seines Lebens begrenzt. Trotzdem sehen Bre Pattis, seine Freunde - und offenbar auch Barack Obama - in den 3D-Druckern das Potenzial, die Welt zu verändern. Warum das so ist, erklärt Pettis anhand einer historischen Analogie: In der Steinzeit des Computerzeitalters gab es einmal die Mainframes von IBM, riesige Rechner, die in ebenso riesigen Räumen untergebracht werden mussten und die sich nur große Firmen und Universitäten leisten konnten. Dann kam Apple 1984 mit dem ersten Macintosh und brachte den Computer auf jedermanns Schreibtisch. 'Der Replicator 2 ist der Macintosh des 3D-Druckens', sagt Pettis. Die Maschine kostet ganze 2199 Dollar und erfordert keine zusätzliche Bastelei. Das ist 'Industriefertigung auf dem Schreibtisch', schrieb der Ex-Chefredakteur des Magazins Wired, Chris Anderson, in einer begeisterten Rezession: Die Grenze zwischen Konsum und Produktion verschwindet.
Pettis sieht sich nicht einfach als ein Technikfreak, der eine Firma gegründet hat, sondern als Teil einer Bewegung, dem 'Maker Movement', das in Deutschland meist als 'Neue Do-it-yourself-Bewegung' übersetzt wird. Motto: Wir machen uns von der industriellen Massenfertigung unabhängig und bauen die Dinge, die wir brauchen, selber. Einer der Geburtsorte dieser Bewegung ist Brooklyn. Hier steht auch 'BotCave', die kleine Fabrik, in der der Replicator gebaut wird. 'Built with Brooklyn pride', sagt Pettis - man ist stolz ein Brooklynite zu sein. Der kleine Laden im Manhattaner In-Viertel Soho ist da nur ein Zugeständnis an die Zwänge, die geschäftlicher Erfolg mit sich bringt. Nicht weit entfernt, im Brooklyner Stadtviertel Dumbo, liegt auch das Hauptquartier von Etsy, der Handelsplattform des Maker Movements. Etsy ist mittlerweile eine international erfolgreiche elektronische Handwerkermesse mit einer Milliarde Dollar Handelsumsatz.
Bre Pattis wuchs in Ithaka (New York) und im Bundesstaat Washington an der Pazifikküste auf. Nach der High School besuchte er das Evergreen State College, eine vom Reformgeist der 1960er Jahre geprägte Hochschule, in der man Abschlüsse von hohem ideellen Wert und geringem praktischen Nutzen machen kann. Betts wählte die Kombination Psychologie, Mythologie und darstellende Kunst. Später arbeitete er als Kamera-Assistent, Kunstlehrer und Videokünstler. In Downtown Brooklyn gründete er 2007 zusammen mit Freunden 'NYC Resistor', einen so genannten 'Hackerspace', also einen Ort, an dem Bastler, Computerfreunde und 'nicht-kriminelle Hacker' regelmäßig zusammenkommen, um zu basteln und zu 'kommunizieren'.
Im Januar 2009 gründete Pettis mit seinen Freunden Adam Mayer und Zach Smith MakerBot Industries. Seither hat das Unternehmen mehr als 15000 der 3D-Drucker verkauft. Zu den Kunden gehören nicht mehr nur Bastler, sondern inzwischen auch Konzerne wie General Electric und Ford, außerdem die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa. Die Industriekonzerne verwenden den Replicator 2, um damit Prototypen herzustellen. Pettis schaffte es im Jahre 2011, insgesamt zehnMillionen Dollar Wagniskapital einzuwerben. Investoren waren der Finanzierer Foundry Group und Amazon-Gründer Jeff Bezos. 'Wir arbeiten heute mit Gewinn', sagt Pettis, 'wenn auch mit keiner sehr großen Marge'. MakerBot versteht sich als Open-Source-Modell. Die Technologie ist also im Prinzip für jeden Interessenten offen. Und noch etwas: 'Mit dem Replicator kann man ohne schlechtes Gewissen produzieren', sagt Pettis. Schließlich sei das Baumaterial PLA ja biologisch abbaubar. Seinen Marktanteil schätzt Pettis auf 25 Prozent.
Ob die 3D-Drucker wirklich die Welt so verändern, wie die Leute von MakerBot glauben, ist eine bislang unbeantwortete Frage. Viele Ingenieure sind skeptisch. Schließlich kommen aus dem Replicator bisher nur Spielereien und Prototypen, die Technik selbst ist auch nicht besonders neu. Andere sehen eher die sozialen Folgen. Neil Gershenfeld zum Beispiel, Professor am Massachusetts Institute of Technology, forscht seit 2001 mit 3D-Druckern. Er erfand die sogenannten FabLabs, offene, vernetzte Werkstätten, in denen jedermann Zugang zu moderner Produktionstechnik hat. Herzstück vieler dieser Werkstätten sind 3D-Drucker. FabLabs gibt es inzwischen nicht nur in Aachen, München und Hamburg, sondern auch in Costa Rica, Island und Mali. So eingesetzt, könnten die Drucker zum Instrument für eine egalitärere Weltgesellschaft werden. Ex-Wired-Chefredakteur Anderson schreibt in seinem neuen Buch 'Makers': 'Wir erleben heute den Aufstieg einer neuen Heimindustrie. Sie könnte das Ende des Industriemodells bedeuten.'
Zunächst einmal muss sich Bre Pettis mit ganz anderen Problemen herumschlagen: Er ließ schon vor zwei Jahren die Anleitung für den Bau von Teilen des berüchtigten Sturmgewehrs AR 15 von seiner Website Thingiverse entfernen, die dort ohne sein Zutun gelandet waren. Keine ganz einfache Entscheidung. Schließlich konnte man die Bauteile auch als Spielzeug definieren, und außerdem soll ja bei MakerBot alles offen sein. Mittlerweile wehrt sich die Waffenszene. Es gibt bereits eine Organisation, die ganz bewusst hofft, mittels 3D-Druckern bestehende oder neu beschlossene Waffengesetze in den USA zu umgehen. Cody Williams, ein Jura-Student der Universität Texas, installierte eine Internetplattform namens Defcad.com, die der Weiterverbreitung von 3D-Drucker-Programmen zum Bau von Waffen dient. Sie ist auch gedacht als bewusste Opposition zu Pettis und MakeBot.
Bre Pettis scheint die Gefahren zu ahnen, die in der neuen Technik liegen: 'Ich bin nicht überzeugt, dass 3D-Druck einfacher ist, als eine Waffe illegal zu kaufen. Aber klar ist, dass er den Waffen einen neuen Weg in die Welt ebnet.'
Dass viele Produkte kurz nach Ablauf der Garantie nicht mehr funktionieren, ist kein Zufall.
Darüber hat sich fast jeder Verbraucher schon einmal geärgert: Kaum ist das elektrische Gerät zwei, drei Jahre alt, gibt es den Geist auf. Die Zahnbürste, deren Akku man nicht tauschen kann. Der Rührmixer, dessen Kunststoffrädchen im Innern so abgenutzt sind, dass sich die Besen nicht mehr bewegen.
Image may be NSFW. Clik here to view. Kaum ist die Garantie abgelaufen, kann man viele Geräte nur noch entsorgen.
Das alles passiert oft ausgerechnet dann, wenn die Garantiezeit gerade abgelaufen ist. Kann das Zufall sein? Mitnichten, heißt es in einer Studie, welche die Bundestagsfraktion der Grünen in Auftrag gegeben hatte und die am Donnerstag vorgestellt wird. Schuld sei die 'geplante Obsoleszenz'. Gemeint ist damit der beabsichtigte oder bewusst in Kauf genommene vorzeitige Verschleiß von Produkten, die eigentlich viel länger halten könnten. Weil die Hersteller Schwachstellen einbauen oder minderwertige Materialien verwenden, verkürzt sich die Lebenszeit. Leidtragende sind die Konsumenten.
'Geplanter Verschleiß ist ein Massenphänomen', sagt Stefan Schridde, der die Studie zusammen mit dem Aalener Ökonomieprofessor Christian Kreiß erstellt hat. Die Autoren belegen das an gut 20 beispielhaft ausgewählten Massenprodukten. So gibt es bei Tintenstrahldruckern interne Zähler, die nach einigen Tausend Seiten Wartungsbedarf melden, obwohl das Gerät weiterdrucken könnte. Für Schuhsohlen werden Gummisorten verwendet, die schnell abreiben und verklebt sind, sodass man die Sohle nicht tauschen kann. In Jacken gibt es Reißverschlüsse, deren Zähne spiralförmig angeordnet sind, weshalb sie frühzeitig den Dienst versagen. Und sie fanden Waschmaschinen, deren Heizstäbe verdächtig schnell rosteten: Ihre Reparatur ist meist sündhaft teuer.
Warum aber sollten die Hersteller solche Produkte schneller kaputtgehen lassen? 'Es geht um Renditemaximierung', sagt Stefan Schridde. Der Einbau minderwertiger Teile spare Kosten. Weil die Geräte schnell kaputtgehen, machen die Firmen andererseits mehr Umsatz. 'Die Strategie allmählicher Qualitätsverschlechterung', so heißt es in der Studie, 'wird in Form steigender Gewinne belohnt.'
Eine Argumentation, die Werner Scholz nicht nachvollziehen kann. Der Geschäftsführer der Hausgeräte-Fachverbände im Verband der Elektroindustrie (ZVEI) sagt: 'Die Hersteller wären schlecht beraten, wenn sie so handeln würden.' Ein Verbraucher, dessen Waschmaschine nach vier Jahren kaputtgehe, werde das nächste Gerät anderswo kaufen. Er habe keine Anhaltspunkte, dass die Haltbarkeit zurückgehe: Laut einer vom Verband in Auftrag gegebenen Studie sind von den fast 180 Millionen in deutschen Haushalten eingesetzten Geräten mehr als 75 Millionen älter als zehn Jahre.
Für die Grünen ist die Studie dennoch Anlass, schärfere gesetzliche Regelungen zu fordern. 'Wir brauchen klare Vorgaben für die Reparierbarkeit und Austauschbarkeit von Einzelteilen', sagt die verbraucherpolitische Sprecherin Nicole Maisch. Schließlich seien mit geplantem Verschleiß Müllberge und Kosten verbunden. Wie hoch diese sind, dazu liefert die Studie eine Schätzung: Müssten die Verbraucher nicht ständig neue Produkte kaufen, weil die alten zu früh kaputtgehen, blieben ihnen im Jahr 100 Milliarden Euro übrig.
Einer der Islamisten, die Anschläge auf Mitglieder der Partei Pro NRW geplant haben sollen, hatte bereits eine Stellenzusage.
München - Einer der vier militanten Salafisten, die angeblich eine Anschlagsserie auf Mitglieder der rechtspopulistischen Partei Pro NRW geplant haben sollen, hatte sich 2011 erfolgreich für den Polizeidienst in Bremen beworben. Nach Überprüfungen seiner Person wurde dem 24 Jahre alten Koray D. die bereits erteilte vorläufige Einstellungszusage wieder entzogen. Er hatte fälschlicherweise einen Antrag auf Waffenerlaubnis mit dem künftigen Arbeitsplatz bei der Polizei begründet.
Image may be NSFW. Clik here to view. Einer der Salafisten, die Anschläge auf Mitglieder der Partei Pro NRW geplant haben sollen, wollte Polizist werden.
Das Auswahlverfahren in Bremen war nicht einfach gewesen. 2700 Bewerber hatten sich für 120 Stellen beworben. Erfolgreich hatte Koray D. einen Rechtschreibetest, einen Intelligenzstrukturtest und Eignungsgespräche absolviert. Eine Tauglichkeitsuntersuchung ergab, dass er den Anforderungen des Polizeidienstes gewachsen sei. Ebenso wie alle anderen Bewerber hatte er sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekannt.
Am 1. Oktober 2011 sollte er seinen Dienst beginnen und dann am 17. November im alten Bremer Rathaussaal gemeinsam mit den anderen Polizeianwärtern vereidigt werden. Bei der routinemäßigen Überprüfung seiner Personalien stellte sich heraus, dass Koray D. seit einem Jahr Mitglied des Schießsportvereins 'Snipers-Essen e.V.' war, und dass er eine eigene Waffe mit einer seltsamen Begründung beantragt hatte. Er fange bald bei der Bremer Polizei an, soll er dem Vorsitzenden des Vereins gesagt haben und brauche deshalb rasch ein eigenes Schießgerät. 'Er hatte die perfekte Tarnung', sagte der Vorsitzende des Vereins einem WAZ-Reporter.
Aber selbst im armen Bremen, wie auch sonst in der Republik, stattet der Staat die Polizei selbst mit Waffen aus. Der Hinweis auf den seltsamen Antrag des Koray D. kam vom Essener Ordnungsamt, und die Bremer waren alarmiert. Parallel dazu gab es Hinweise, dass Koray D. Personen aus dem islamistischen Milieu kannte. Beides reichte der Bremer Polizei, um ihm mitzuteilen, dass er nicht eingestellt werde. Koray D. gilt in der Szene als ordentlich, sogar als penibel und als Waffenfreak. Als die Polizei vorige Woche eine Wohnung im Bonner Stadtteil Tannenbusch stürmte, soll in der Hose von D. eine Ceska gesteckt haben. Er kam in Untersuchungshaft. Für die am Dienstag in Sicherheitskreisen kolportierte Spekulation, dass er in den Polizeidienst wollte, um das Geschäft der Salafisten zu betreiben, gibt es keine Belege.
Im Ruhrgebiet wurde im vergangenen Jahr ein echter Polizeikommissar vom Dienst suspendiert, weil ihn seine Vorgesetzten im Verdacht hatten, salafistische Propaganda zu betreiben. Der türkischstämmige Polizeibeamte hatte Informationsstände angemeldet, an denen auch Salafisten Ausgaben des Koran verschenkten.