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Tod unter Beobachtung

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Ein Angeklagter im Prozess um die Vergewaltigung einer Studentin wird erhängt in der Zelle aufgefunden. Nun blühen in Indien die Spekulationen über den Tathergang: War es wirklich Selbstmord?

Die Häftlinge, die täglich zur Gerichtsverhandlung müssen, werden gewöhnlich um fünf Uhr morgens in ihren Zellen geweckt. Doch am Montag war alles anders im indischen Hochsicherheitsgefängnis Tihar, dem größten Knast Asiens. An diesem Morgen fanden die Wachen den Angeklagten Ram Singh erhängt in seiner Zelle auf.

So schildert es ein hoher Gefängnisbeamter in den indischen Medien. Das ganze Land ist nun wieder in Aufruhr, weil einer der Angeklagten im Vergewaltigungsprozess von Delhi angeblich Selbstmord begangen hat. 'Er war nicht alleine in der Zelle', zitiert die Zeitungen einen hochrangigen Gefängnisbeamten. 'Andere Häftlinge waren auch da, und eine Wache war auf Posten. Dennoch hat niemand etwas bemerkt. Um fünf Uhr fand man ihn dann, hängend.'



Wachpersonal vor dem Tihar-Gefängnis in Neu Delhi. In einem Gefängnis der Hauptstadt hat sich ein Angeklagter im Prozess um die Vergewaltigung einer Studentin erhängt.

Sie hätten den Mann noch in die Gefängnisklinik gebracht, hieß es, aber dort konnten die Ärzte nur noch den Tod des Häftlings feststellen. Die Darstellung vom überraschenden Tod eines Angeklagten hat nun eine Flut von Spekulationen auf dem Subkontinent ausgelöst - und sie nährt Skepsis an der Version der Polizei, die erklärte, dass dies ein Selbstmord war. Hat sich der Angeklagte tatsächlich selbst mit seinem Hemd erhängt? Oder wurde er, wie viele jetzt vermuten, doch in seiner Zelle ermordet? Der Staat kündigte eine Untersuchung an und wollte sich zunächst nicht weiter zu den Umständen äußern. Forensische Experten wurden in die Zelle entsandt, um Spuren zu sichern.

Der Fall weckt nun erneut große Emotionen. Wut und Zorn über die unfassbare Tat vom Dezember brechen wieder auf, bei der eine Gruppe von sechs Männern eine 23-jährige Studentin in einem Bus vergewaltigten. Die Täter verletzten die junge Frau mit einer Eisenstange so schwer, dass sie schließlich an ihren inneren Verletzungen in einer Klinik in Singapur starb. Ihr Tod hat in Indien wütende Proteste ausgelöst und die weit verbreitete, aber lange Zeit kaum beachtete Gewalt gegen Frauen ins Licht gerückt.

Der Tod des Angeklagten Ram Singh blieb am Montag rätselhaft. Wie konnte sich ein Mann, der auch noch eine schwere Behinderung an der Hand hatte, selbst auf diese Weise töten - und das völlig unbemerkt? Das fanden viele doch reichlich merkwürdig. Der Anwalt des Toten zögerte nicht lange und wies die Version der Polizei als unglaubhaft zurück. Über seinen Mandanten sagt er: 'Es gab keinen mentalen Stress.'

Auch der Vater des Toten will nicht an einen Suizid glauben, er habe seinen Sohn noch vier Tage zuvor im Gefängnis besucht, und nichts habe darauf hingedeutet, dass er sich selbst das Leben nehmen wollte, erklärte er. 'Irgendjemand hat ihn umgebracht.' Danach hätten sie ihn dann an seinen eigenen Kleidern aufgehängt, damit es wie ein Selbstmord aussehen sollte.

Er sprach auch davon, dass sein Sohn von anderen Häftlingen des Gefängnisses vergewaltigt und wiederholt bedroht worden sei. 'Er hatte die Tat schon zugegeben und auf die Todesstrafe gewartet', sagte der Vater. Deshalb 'hätte er sich nicht umbracht', sagte die Mutter.

In Kreisen der Gefängnisverwaltung hieß es allerdings, dass der Mann unter besonderer 'Suizid-Beobachtung' gestanden habe. Außerdem habe der Häftling unter Depressionen gelitten und am Abend zuvor nicht gegessen. Auch alle anderen Angeklagten in diesem Fall stünden unter besonderer Beobachtung, hieß es - was die Frage aber nur noch umso rätselhafter macht, wie sich der Mann unter dem angeblich wachsamen Auge der Gefängnisaufseher mit seinem eigenen Hemd erhängen konnte.

Der 33-jährige Ram Singh war der Fahrer des Busses, in dem eine Gang von sechs Männern eine junge Frau am 16. Dezember stundenlang gequält hatte. Auch sein Bruder und vier weitere Männer stehen in diesem Fall unter Anklage, für das Verfahren hat der indische Staat ein Schnellgericht eingerichtet. Frühere Nachbarn beschrieben den Busfahrer als einen unberechenbaren und zur Gewalt neigenden Trinker. Der Bruder des Vergewaltigungsopfers hat die Nachricht vom Tod des Angeklagten so aufgenommen: 'Ich bin nicht begeistert. Ich wollte, dass er gehängt wird - öffentlich.' Dass Ram Singh nun selbst seinen Tod bestimmt haben soll, das sei 'nicht fair', sagte der 20-jährige Mann.

Während öffentlich weiter darüber spekuliert wird, ob Singh nun Suizid begangen hat oder doch ermordet wurde, wirft der Fall des 33-Jährigen auch ein Schlaglicht auf die fragwürdigen Verhältnisse in indischen Gefängnissen. Dort stehe es um die Sicherheit von Häftlingen nicht besonders gut, beklagen Menschrechtsgruppen. Die Zahl der Todesfälle hinter Gittern sei in Indien unverhältnismäßig hoch, sagte etwa Suhas Chakma vom Asian Centre for Human Rights.

Alte Mutmacher

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Bei den Aktiv-Senioren engagieren sich Manager, die längst im Ruhestand sind. Zu Hause halten sie es nicht aus, also geben sie ihre Erfahrungen an jüngere Menschen weiter

Henrich Wöhrmann ist seit 19 Jahren im Ruhestand, und er muss los. 11.56 Uhr. Der nächste Kunde wartet, ein Fotograf, netter Kerl, tolles Geschäftsmodell. Wöhrmann ist spät dran. Er hastet die Treppen hinunter, zündet sich vor der Tür im Laufen eine Zigarette an, dann verschwindet seine hagere, große Figur um die Straßenecke.

Zwei Monate hat er es damals ausgehalten. Im Ruhestand, zu Hause. Dann ist er nach Indien gegangen. Ein Unternehmer brauchte Hilfe, es ging um Maschinen für Zementwerke. Wöhrmann war Jahrzehnte Manager bei Siemens. Dem indischen Unternehmer konnte er spielend helfen. Und auch sich selbst. Wöhrmann hatte sein Modell für den Ruhestand gefunden. Bis heute hat der inzwischen 76-Jährige mehr als 500 Firmen beraten - ehrenamtlich.

Hinsetzen und nichts tun? Für Henrich Wöhrmann unvorstellbar.

Wöhrmann gehört damit zu einer Minderheit. 91 Prozent der deutschen Rentner lehnen im Alter jegliche Verpflichtung ab, nur jeder Vierte möchte sich ehrenamtlich engagieren, ergab eine Umfrage der Körber-Stiftung im vergangenen Jahr. Wenn Wöhrmann über diese 'Normalrentner' spricht, dann klingt das so: 'Das Gehirn rostet schneller ein, als man denkt. Mit vielen alten Kollegen, die nichts mehr machen, finde ich überhaupt keine Gesprächsthemen mehr.' Dabei könnten die Alten mit ihren Erfahrungen den Jungen doch eine Hilfe sein, so wie er. Findet er. Und finden die Aktiv-Senioren, der Verein, bei dem er sich inzwischen engagiert. Die Idee: Ehemalige Unternehmer und Führungskräfte beraten ehrenamtlich Unternehmen, die Hilfe brauchen.

Aber wer braucht Hilfe von jemandem, der seit fast 20 Jahren aus dem Berufsleben heraus ist? Als Henrich Wöhrmann Manager bei Siemens war, gab es Notizblöcke, keine Smartphones; Telefonbücher, kein Intranet; Rohrpost, keine Rundmails. 20 Jahre, eine Generation. Seither hat sich die Wirtschaft rasant geändert, die Geschäftsmodelle, die Geschäftsbedingungen. Es ist eine andere Welt.

Die Welt von Sebastian Fuchs. Der 32-Jährige hat Betriebswirtschaft studiert, seinen Doktor in dem Fach gemacht, bei einer großen Unternehmensberatung gearbeitet. Vor zwei Jahren tat er sich mit Kollegen zusammen und gründete eine eigene Firma. 'Wir sind drei promovierte Betriebswirte. Theoretisch wissen wir ziemlich genau, wie man ein Unternehmen führen muss', sagt er. Theoretisch. 'Praktisch hatten wir viele Probleme, mit denen wir nie gerechnet hätten.'

Von den Schwierigkeiten ist nichts zu sehen im Büro der Firma, wenige Hundert Meter von der Münchner Freiheit entfernt. Parkettfußboden, hohe Decken, helle Möbel, moderne Kunst an den Wänden. Typisches Büro, typischer Jungunternehmer: schlank, Anzug, gegelte Haare, gepflegter Hipster-Vollbart. Ein Beamer projiziert die Präsentation an die Wand, mit der sich das Unternehmen möglichen Kunden präsentieren will, Fuchs erklärt die Folien. 'Herr Doktor Fuchs, ich verstehe das nicht', unterbricht ihn Wöhrmann. 'Was ist eine Conjoint-Analyse?' Fuchs stutzt. 'Ein guter Punkt', sagt er dann. 'Das ist eine statistische Analyse, wie ein Produkt im Ganzen auf den Kunden wirkt. Vielleicht müssen wir das erklären.' Er schreibt etwas in sein Notizbuch, schaut auf. 'Sehen Sie, deswegen schätze ich die Zusammenarbeit mit Ihnen so.'

Wöhrmann ist von Anfang an dabei gewesen, hat jeden Schritt der Gründer begleitet. Zwei Tage nach der Gründung hat Sebastian Fuchs damals bei Peter Ramm angerufen. Ramm, 72, ist Regionalleiter der Aktiv-Senioren in München. Knapp 35 Rentner und Pensionäre engagieren sich regelmäßig als Berater in dem Verein, darunter zwei Frauen. Nagelstudios, Bestattern, Schornsteinfegern, Tierärzten oder Onlinehändlern helfen die Senioren. Meist sind es Unternehmen in der Gründungsphase, denen sie Tipps zum Businessplan geben, zu Finanzierungsmöglichkeiten, Rechtsfragen. Oft melden sich aber auch Firmen, die Schwierigkeiten haben. Jede Woche kommen fünf bis zehn neue Fälle rein, sagt Ramm. Die verteilt er dann, nach Interesse, nach Zeitbudget.

Viele Fälle landen dann bei Henrich Wöhrmann. Etwa 20 Firmen betreut der ehemalige Siemensianer derzeit. 'Er ist einer der Aktivsten', sagt Ramm. 'Ich muss manchmal aufpassen, dass er nicht zu viel macht.' Wöhrmann schmunzelt über die Aussage. 'Ich mache normalerweise drei bis vier Beratungstermine pro Woche, kein Problem.' Nur wenn es bei den Klienten drängt, dann könnten es auch schon mal ein paar mehr werden.

Aber warum tut sich jemand den Stress an, wenn er sein ganzes Leben gearbeitet hat? Warum lässt Wöhrmann nicht die schnöde Wirtschaft wirtschaften, geht wandern oder einen Garten anlegen? 'Ich gehe wandern und arbeite gern im Garten', sagt der 76-Jährige. 'Aber das reicht mir nicht.' Er sei schon immer ein Abenteurer gewesen. 'Wenn Sie vier Jahre in einem Bereich gearbeitet haben, dann kennen Sie alles. Dann ist das Routine, langweilig.' Manche würden Wöhrmanns Arbeitsleben daher vielleicht als rastlos beschreiben: Logistik, Service, Einkauf, Qualitätssicherung, alle paar Jahre wechselte der studierte Ingenieur bei Siemens in eine neue Abteilung. 'Mit 58 Jahren hatte ich dann schlicht alles gesehen', sagt er. Also wurde er 1994 Frührentner. Allerdings nicht ohne einen Plan.

Er hatte damals von Senior Expert Service gehört. Die Bonner Stiftung vermittelt weltweit 'Experten im aktiven Ruhestand', wie sie schreiben. Die Rentner und Pensionäre bilden in anderen Ländern ehrenamtlich Fachkräfte und Manager aus, helfen Mittelständlern mit ihrer Erfahrung in schwierigen Situationen. Die Unternehmen vor Ort müssen lediglich eine Vermittlungsgebühr und die Kosten für die Reise und Verpflegung der Senioren-Experten zahlen. Nicht umsonst, aber im Vergleich zu professionellen Unternehmensberatungen fast nichts.

Wöhrmann sieht als ehrenamtlicher Berater zunächst Indien, dann Bosnien-Herzegowina, schließlich Polen. 'Danach hat meine Frau gesagt, ich soll mir was in der Nähe suchen.' Seit 2002 ist Wöhrmann bei den Aktiv-Senioren Bayern. Das Prinzip des 1984 gegründeten Vereins ist dem Senior Expert Service ähnlich. Die Berater bekommen für ihre Mühe kein Geld, die Kunden zahlen einen Kostenbeitrag an den Verein: meist zwischen 100 und 150 Euro pro Auftrag. Ein Betrag, für den normale Unternehmensberater nur wenige Minuten arbeiten würden. Normale Unternehmensberater wie Sebastian Fuchs.

'Wir verknüpfen Strategie- und Managementberatung mit Data-Mining', beschrieb Sebastian Fuchs sein Unternehmenskonzept beim ersten Treffen Henrich Wöhrmann und Peter Ramm. 'Eine schöne Wortwolke', sagte daraufhin Wöhrmann. 'Erklären Sie das mal Ihrer Putzfrau', sagte Ramm. Fuchs und seine Kollegen waren baff. 'Eine einfache Frage, die wir erst mal gar nicht beantworten konnten.' Es ist das Konzept und die Stärke der Aktiv-Senioren, gerade im Vergleich zu professionellen Beratern. 'Wir haben keine eigenen Interessen. Wir stellen also oft die dümmsten Fragen - und die ungemütlichsten', sagt Ramm. 'Und diese Fragen wurzeln zu 90 Prozent in gesundem Menschenverstand, ein bisschen in Erfahrung. Fachwissen ist unwichtig', sagt Wöhrmann.

Als kritische Frager, wohlwollende Mentoren, tröstende Mutzusprecher, habe er die Aktiv-Senioren erlebt, sagt Sebastian Fuchs. 'Als Gründer ist man oft betriebsblind und detailverliebt. Die beiden haben uns mit kritischen Nachfragen oft gezeigt, worauf wir unseren Fokus richten sollen.' Ärger zwischen den Gesellschaftern, Probleme mit Mitarbeitern, vieles habe sich so schnell gelöst. 'Ohne die beiden hätten wir größere Schwierigkeiten gehabt.'

Henrich Wöhrmann sieht nun entspannt aus, er lächelt. 'Wissen Sie, Herr Doktor Fuchs', sagt er, 'für uns hat das ja auch viele Vorteile: Wir erfahren so viel.' Er höre jede Woche die neuesten Geschäftsideen im Internet, erfahre als Erster von interessanten Ingenieurtrends, bekomme die großen und kleinen Sorgen der deutschen Wirtschaft hautnah mit. 'Da rostet man nicht ein.'

Die steinerne Hölle

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Groß-Rosen war ein wenig bekanntes KZ in Polen - und ein wichtiger Steinbruch. Nun entsteht hier ein Mahnmal.

Man wird sich winzig fühlen vor dieser Wand. Man wird kaum anders können als zu frösteln, wenn man die lang gestreckte Treppe hinunterkommt und sich dem Spalt nähert, der diese 30 Meter hohe Wand teilt. Hier haben die Gefangenen sich damals entlanggequält, Granitblöcke geschultert, hungernd, frierend, schwitzend, blutend, von der SS vorangetrieben. Aus den Tiefen der Imagination wird man Vorstellungen hervorzuholen haben, Erinnerungen an etwas, was man selber nie erlebt hat: an die Schmerzen, an die Gehässigkeit der Bewacher, an die Angst und an den hellen Granitstaub, der über allem lag.



Das KZ in Auschwitz ist viel bekannter als das in Groß-Rosen.

Der Ort hieß früher, als Niederschlesien noch zu Deutschland gehörte, Groß-Rosen. Heute heißt er Rogoznica, denn Niederschlesien ist seit 1945 ein Teil Polens. Der Steinbruch und das frühere KZ liegen zwei Kilometer außerhalb des Dorfes. Nun entsteht dort ein einschüchternd monumentales Mahnmal.

Es geht um den Steinbruch, und es geht um die deutsche Hölle. Groß-Rosen wäre nie zu einem jener mehr als 1000 Orte geworden, an denen die Nazis ein Konzentrationslager errichtet haben, wenn es den Steinbruch nicht gegeben hätte. Man baute dort Granit ab, und dafür interessierten sich die Deutschen Erd- und Steinwerke, ein 1938 gegründetes Unternehmen der SS, das Heinrich Himmler unterstand.

Himmler ließ nach abbaubaren Bodenschätzen suchen, um in deren Nähe Konzentrationslager zu errichten. Die Häftlinge sollten in Steinbrüchen, Kieswerken oder Ziegeleien schuften. So entstanden die KZs Buchenwald, Mauthausen, Auschwitz oder Flossenbürg. Und eben auch Groß-Rosen. Den dortigen Steinbruch ließ Himmler erwerben und das umliegende Land pachten, am 2. August 1940 überstellte das KZ Sachsenhausen bei Berlin die ersten 100 Häftlinge. Neun Monate verfuhr man weiter so, am 1. Mai 1941 wurde Groß-Rosen ein eigenständiges KZ. 1944 unterhielt es an die 100 Außenstellen in der Region, hauptsächlich in Rüstungsbetrieben.

Rund 125000 Häftlinge hat die SS hier durchgeschleust, ehe am 13. Februar 1945 die Rote Armee das Lager befreite. Etwa 40000 von ihnen haben nicht überlebt. Selbst für ein KZ, in dem die Vernichtung durch Arbeit zum Geschäftsplan gehörte, war hier die Unfall- und Todesrate überdurchschnittlich hoch. Die Insassen kamen aus mehr als 20 Ländern Europas, und sie gehörten all jenen Gruppen an, die die Nazis verfolgten: Juden verschiedener Nationalitäten, sowjetische Kriegsgefangene, missliebige Polen, Ukrainer. Auch Deutsche waren dabei.

Dass Groß-Rosen nach dem Krieg im neuen, nach Westen verschobenen Polen nicht gleich in ähnlicher Weise zur Gedenkstätte ausgebaut wurde wie andere KZs, hat viele Gründe. Unter anderem den, dass es zu viele solche Orte des Grauens gab. Jedenfalls wurde 1953 ein Mausoleum eröffnet, in dem man die Asche toter Häftlinge barg. 1958 entstand beim Lagertor ein Ausstellungsraum, später wurde ein staatliches Museum eröffnet. Man bemühte sich um Restaurierung und sammelte Dokumente, derweil im Steinbruch wieder Granit gebrochen wurde.

Der Kollaps des Kommunismus führte dazu, dass US-Präsident George Bush 1989 den Polish-American Enterprise Fund gründen ließ, der in Polen investierte, um der Marktwirtschaft auf die Beine zu helfen. 1994 kaufte dieser Fonds, ohne vom historischen Hintergrund zu wissen, für zwei Millionen Dollar Anteile an der Firma, die den Steinbruch in Rogoznica betrieb. Es kam der Tag, an dem Stefan Wysocki, ein Überlebender des Lagers Groß-Rosen und Redakteur von Radio Free Europe, das Museum besuchte und bemerkte, dass nebenan noch immer Granit abgebaut wurde, als wäre dies ein kommerzieller Steinbruch. Zornentbrannt schrieb er einen Brief an Prof. Zbigniew Brzezinski, den einstigen Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, der als gebürtiger Warschauer dem Aufsichtsrat des Polish-American Enterprise Fund angehörte.

Brzezinski und seine Kollegen reagierten rasch. Zwei leitende Herren fuhren nach Groß-Rosen, das Management ließ die Arbeit im Steinbruch einstellen und das Gelände säubern, einzäunen und beleuchten. Ferner gründete der Fonds eine Stiftung mit 150000 Dollar Grundkapital, die für ein würdiges Gedenken sorgen soll. Sie residiert in einem der neuen Hochhäuser im Zentrum Warschaus in den Räumen von Enterprise Investors, des größten Private-Equity-Fonds in Mittel- und Osteuropa, der als Förderer das Projekt übernommen hat. Und sie berief an ihre Spitze den Historiker und Manager Piotr Koral.

Koral hütet in seinem Laptop eine Präsentation, die zeigt, wie die nächste Phase des Projektes aussehen soll. Untermalt von den Gesängen eines Trauerchores, ersteht vor dem Betrachter eine gigantische Konfiguration, die von natürlichen wie von bildhauerischen und architektonischen Elementen geprägt ist und die aus dem Steinbruch von Groß-Rosen eine neue Art von KZ-Gedenkstätte machen soll.

Das Terrain, auf dem die Häftlinge schufteten und starben, ist heute von einem Teich bedeckt, den eine Wand aus Granit umsteht. Aus dem Wasser ragt ein schwarzer Block, aus dem eine Flamme züngelt. Die 30 Meter hohe Wand aus rostigem Stahl trennt diese Kernzone des Gedenkens von jenem Teil, in dem man auch nach dem Krieg Steine gebrochen hat. Ein schmaler Durchlass markiert die Schwelle vom Leben zum Tod, vom Unwissen zum Verbrechen. Alles ist Symbol, alles gewaltig, einfach und modern.

Den Entwurf hat einer der kreativsten polnischen Designer geliefert, Miroslaw Nizio. Ausgebildet als Architekt und Bildhauer in Warschau und New York, hat er schon durch die Mitwirkung am Museum des Warschauer Aufstandes Maßstäbe für museale Innovation gesetzt. Ebenso wie der Historiker Koral arbeitet er auch am Muse-um zur Geschichte der polnischen Juden mit, das in Jahresfrist eröffnet wird und ebenfalls ein Meilenstein zu werden verspricht. Nizio hat auch am Ort des NS-Todeslagers Belzec in Ostpolen eine Gedenkstätte erbaut, die heute wie ein Vorspiel für Groß-Rosen wirkt. Auch dort die große Wand, auch dort die Monumentalität als Mittel der Vergegenwärtigung.

Dass einer da fürs Memorieren eine neue Formensprache entwickelt, ist hochwillkommen in einer Zeit, die eine neue Phase des Erinnerns förmlich erzwingt. In Auschwitz und anderswo, wo man Baracken, Mordvorrichtungen, Haftzellen und Besitztümer der Häftlinge aufbewahrt hat, sind all diese Dinge vom Verfall bedroht. Was tut man dagegen? Restaurieren? Nachbilden? Woher das Geld dafür nehmen?

Gleichzeitig ist der Zeitpunkt erreicht, da die allermeisten der Überlebenden verstorben sind. Auch deshalb kommt dem Projekt Groß-Rosen besondere Bedeutung zu - es markiert den Übergang. Der Historiker Piotr Koral und seine Mitstreiter planen Präsentationen in Berlin, New York und Israel sowie im EU-Parlament, und sie möchten mit jenen Spezialisten in Deutschland in Kontakt kommen, die in vergleichbaren Gedenkstätten schon moderne Bildungsprogramme entwickelt haben. Geld ist fürs erste da, die EU hat beträchtliche Mittel bereitgestellt. Das Projekt soll im Ganzen etwa siebeneinhalb Millionen Euro kosten.

'Jedes Opfer und jeder Tropfen Märtyrerblut stellt überall die gleiche Verpflichtung dar', sagte der frühere polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, einst selber KZ-Insasse, bei einer Feier in Groß-Rosen 2005, als der Steinbruch ans Museum angegliedert und in die Obhut der Wojewodschaft Niederschlesien übergeben wurde. Die Neugestaltung des Terrains, die nun beginnt, wird diesen Ort gewiss dem Vergessen entreißen. Auch der Name des Projekts trägt dazu bei. Man hat es Kamienne Pieklo genannt. Es bedeutet: Steinerne Hölle.

Mind the gap!

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Eine Witwe und die Stimme ihres Verstorbenen, die aus dem Lautsprecher hallt: Die Londoner U-Bahn hat eine ganz eigene Romanze hervorgebracht.

In Londons Tube herrschen andere Töne als im kontinentalen Underground. Die berühmte U-Bahn ist, anders als unsere Nahverkehrssysteme auf dem Festland mit ihrem Dreiklang von Verspätung, Verstopfung, Verstörung, nachgerade ein Hort der Meditation, der Intimität, ja, der Poesie. Vor ein paar Jahren gab man den Fahrern der Piccadilly Line ein Büchlein in die Hand. Darin standen kluge Sätze, die sie in ihre Durchsagen einbauen sollten, zur Erbauung der Fahrgäste. Sätze von Shakespeare natürlich, aber auch von Goethe oder von Friedrich Engels: 'Ein Gramm Handeln ersetzt eine ganze Tonne Theorie.' Ein wohlklingender Versuch, das Poetische mit dem Praktischen zu verbinden.



U-Bahn-Fahren kann auch romantisch sein!

Ein weiteres Beispiel für diese Praxis macht nun in den britischen Blättern die Runde: die bewegende Romanze von Margaret und Oswald, eine kleine Parabel vom Ausstieg, wörtlich genommen. Margaret McCollum ist tatsächlich ausgestiegen, viele Jahre lang, und zwar an der Londoner U-Bahn-Station Embankment. Sie setzte sich am Bahnsteig hin, wartete auf den nächsten Zug und träumte. Der Zug kam und die Passagiere wurden freundlich, aber entschieden gewarnt, sie sollten Obacht geben beim Einsteigen. Der Spalt zwischen Bahnsteig und Waggon: Mind the gap! Es war Oswald Laurence, der die Passagiere seit 1969 über Lautsprecher darauf hinwies, und die wartende Margaret ganz besonders. Oswald war nämlich Margarets Ehemann. Er war 2007 gestorben, aber seine Stimme lebte fort, lange auf der Northern Line nordwärts, schließlich nur noch an der Station Embankment. Die Tube überlistet den Tod, eine alte Geschichte, neu erzählt, mit vertauschten Vorzeichen - Oswald, der Orpheus der einsamen Eurydike des Embankment. Ein Drei-Worte-Glück, zärtlich und fragil. Die letzte starke Londoner U-Bahn-Liebesszene war sehr viel robuster gewesen, als Javier Bardem dem Verfolger Daniel Craig einen tonnenschweren Waggon vor die Füße jagte in dem James-Bond-Film 'Skyfall'.

Doch die Technik sabotierte das Bahnsteig-Glück. Im vorigen November war Oswald plötzlich weg. Ein Horror, sagte Margaret, das neue digitale Kommunikationssystem konnte mit ihrem Oswald "69 nichts mehr anfangen. Seine Stimme wurde durch eine andere ersetzt. Margaret protestierte. Jetzt hat die U-Bahn-Leitung Abhilfe versprochen und ihr eine CD mit Oswalds Stimme geschenkt. Demnächst soll Oswald auch wieder im Embankment zu hören sein. Die drei Worte werden also im öffentlichen Raum bleiben, gesprochen mit jener hamletischen Versonnenheit, die britischen Akteuren angeboren scheint: 'Mind the gap!' Oswald bremst nach dem ersten Wort, er macht die Lücke hörbar. Ein kleiner Moment des Zögerns, eine Unze Innehalten, die sich auch auf der Waagschale unseres Lebens im öffentlichen Personennahverkehr ganz gut machen würde.

"Es geht um den gläsernen Staat"

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Egal, ob von Waffenexporten der Bundesregierung, Open-Data-Portalen oder Informationsfreiheit die Rede ist - die Forderung nach Transparenz prägt die politische Debatte. Doch was nützt die Offenheit tatsächlich? Ein Gespräch mit Gregor Hackmack.

Die Idee von abgeordnetenwatch.de ist denkbar simpel: Bürger stellen Fragen, Abgeordnete antworten - via Internet. 2004 zu den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft eingeführt, ist dies inzwischen für mehrere Landesparlamente, den Bundestag und das EU-Parlament möglich.

SZ: Transparenz ist zur Zeit das Mantra der politischen Debatte. Können Sie erklären, warum?
Gregor Hackmack: Informationen sind durch das Internet viel zugänglicher geworden. Dabei geht es nicht nur um neue Daten, sondern auch um alte. Die können nun mit relativ geringem Aufwand öffentlich gemacht werden. Gleichzeitig sind die politischen Prozesse wesentlich komplexer geworden, ein gutes Beispiel ist die Euro-Rettung. Dadurch wächst das Misstrauen und das Bedürfnis der Menschen, besser informiert zu werden.

Die Produktionsbedingungen verändern also das politische Selbstverständnis?
Natürlich sollte die Politik dem Bürger schon immer offen gegenübertreten. Transparenz ist die Grundlage der Demokratie. Aber die war in früheren Zeiten eingeschränkt, ganz praktisch. Weil es für einen Wähler sehr aufwendig oder gar unmöglich war, an bestimmte Unterlagen oder Daten zu kommen.

Sie selbst haben das Hamburger Transparenzgesetz maßgeblich vorangetrieben. Es ist im Oktober in Kraft getreten. Hat es schon etwas gebracht?
Die Verträge zum umstrittenen Bau der Elbphilharmonie wurden im Dezember komplett veröffentlicht, die waren vorher Verschlusssache. Das ist ein Teilerfolg. Außerdem richtet die Verwaltung gerade ein Informationsregister ein. Dort werden die Angaben, die nun veröffentlichungspflichtig geworden sind, im Internet zugänglich gemacht: Baugenehmigungen, Senatsbeschlüsse, Bio-Daten, Studien, Gutachten oder Verträge, die von der Stadt geschlossen wurden. Die müssen sogar 30 Tage öffentlich gemacht werden, bevor sie wirksam werden.





Aber was soll ein Bürger mit 4500 Seiten Verträgen zum Bau der Elbphilharmonie anfangen?
Die Logik geht eher andersherum: Die ursprünglichen Verträge ließen den Architekten viele Freiheiten, das gesamte Projekt war nicht klar definiert, die Verantwortlichkeiten waren nicht richtig verteilt. Jetzt wird der weitere Bau nachverhandelt, die Beteiligten wissen, dass diese Abmachungen öffentlich gemacht werden. Die Beteiligten werden nun sorgfältiger arbeiten.

Sollten alle Daten der Verwaltung offengelegt werden?
Es geht um den gläsernen Staat, nicht um den gläsernen Bürger. Deshalb sind personenbezogene Daten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse auch vom Transparenzgesetz geschützt. Aber wo genau die Grenze liegt, das ist immer eine Abwägung. Wir hatten gerade den Fall, da forderte eine Bloggerin Angabe über Probebohrungen vom Ölkonzern Exxon. Sie hat die mit der Stadt geschlossenen Verträge auch bekommen, doch weite Teile waren geschwärzt. Das hat die Verwaltung durchgehen lassen, das müssen wir jetzt nachbessern lassen. Im Zweifelsfall klagen wir auch vor dem Verwaltungsgericht.

Sie betreiben seit acht Jahren das Blog abgeordnetenwatch.de. Dort können Bürger Abgeordneten in Landesparlamenten und Bundestag Fragen stellen. Sie sagen, dies sei ein Beitrag zur politischen Transparenz. Inwiefern?
Die Fragen werden ja öffentlich gestellt. So stehen die Parlamentarier auch unter größerem Druck zu antworten. Dadurch schaffen wir Einblick in den politischen Betrieb. Außerdem funktioniert unser Blog auch als Langzeitgedächtnis des Wählers. Das ist inzwischen ein Schatz von 135000 Fragen und 120000 Antworten. So kann man auch Jahre später nachvollziehen, inwieweit sich Politiker an ihre Versprechen gehalten haben.

Die Fragen der Bürger sind vermutlich auch ein guter Seismograf der politischen Stimmung. Wie würden Sie die zur Zeit beschreiben?
Es herrscht ein starkes Gefühl der Ohnmacht. Und zwar auf beiden Seiten: bei den Parlamentariern und bei den Wählern. Der Eindruck, dass die politischen Ereignisse kaum noch zu beeinflussen sind.

Woran machen Sie das fest?
Bei den rund 15 000 Fragen im vergangenen Jahr ging es viel um die Großprojekte in der Republik: den Berliner Flughafen, die Elbphilharmonie, Stuttgart 21. Die zeigen symbolisch, wie sehr sich die Politik von den Bürgern entfernt hat.

Die Folge der Ohnmacht ist Politikverdruss - kein neues Phänomen.
Ja, aber es herrschte ein Gefühl des Aufbruchs: Die Proteste gegen Stuttgart 21 waren ein Riesenerfolg, in Baden-Württemberg kamen die Grünen nach 60 Jahren CDU an die Macht, die Piraten bekamen in Berlin aus dem Stand fast neun Prozent der Stimmen. Jetzt herrscht das Gefühl der Erstarrung.

Aber war der Eindruck nicht schlicht trügerisch? Stuttgart 21 wird gebaut, das Desaster beim Flughafen Berlin findet kein Ende, die Piraten spielen kaum noch eine Rolle.
Ich glaube wir müssen etwas dafür tun, dass der Wille der Bevölkerung mehr im Parlament berücksichtigt wird. In wichtigen Fragen wird der oft nicht im Parlament abgebildet. Das liegt am deutschen Wahlrecht: Wird jemand in seinem Wahlkreis abgewählt, heißt das noch lange nicht, dass er nicht wieder ins Parlament kommt - über die Landesliste der Parteien. Das beste Beispiel ist Norbert Lammert, den ich schätze. Er ist immerhin Präsident des Bundestages, aber er hat noch nie ein Direktmandat gewonnen. Lammert wird jedes Mal über Listenplatz 1 der CDU in Nordrhein-Westfalen abgesichert.

Was wäre die Alternative?
Wir haben in Hamburg auch maßgeblich an einem neuen Wahlgesetz mitgewirkt, das das Problem der Landeslisten verringert. Bei der letzten Bürgerschaftswahl konnten die Wähler so ihre Abgeordneten selbst bestimmen. Nun haben wir beispielsweise das Landesparlament mit dem höchsten Frauenanteil - mehr als 40 Prozent. Obwohl nur ein Drittel der Kandidaten Frauen waren. Da haben Frauen offenbar eher für Frauen gestimmt.

Angestoßen von den Piraten ging es in letzter Zeit auch um einen anderen Aspekt der Mitbestimmung: die direkte Beteiligung der Bürger am politischen Prozess über das Internet. Ist diese Idee nun gescheitert?
Ich glaube, sie birgt noch immer viel Potenzial. Der Ansatz der Piraten war nur zu kleinteilig, nicht jeder will über alles entscheiden. Aber mit ziemlicher Sicherheit lassen sich über das Internet politische Prozesse transparenter und bürgernäher organisieren. Da muss nur noch viel herumprobiert werden, um die richtige Form zu finden.

Vielleicht wird das Internet als Instrument zur politischen Gestaltung einfach überschätzt.
Da spricht unsere eigene Erfahrung dagegen. Seit unserer Gründung vor acht Jahren haben wir über 265000 Fragen und Antworten von Bürgern an Politiker moderiert. Und das waren nicht nur junge Internetfreaks. Gerade einmal ein Drittel unserer Nutzer sind unter 30, die anderen verteilen sich sehr gleichmäßig über alle Altersklassen. In den vergangenen zwei Jahren haben uns vor allem mehr Menschen über 60 besucht. Und es sind auch nicht nur Bildungsbürger, die auf unsere Seiten kommen. Wir haben viele fast verzweifelte Anfragen: Probleme im Jobcenter, Hartz-IV-Sätze, die nicht ausreichen, Schwierigkeiten beim Sorgerecht.

Gibt es eine Bürgerfrage, die Sie besonders beeindruckt hat?
Eher eine Situation: Jemand hatte Schwierigkeiten, seinen Hartz-IV-Antrag auszufüllen. Über abgeordnetenwatch.de hat er die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles um Hilfe gebeten. Sie hat den Mann zu sich eingeladen, um ihm zu helfen. Natürlich war Frau Nahles klar, dass sie das öffentlichkeitswirksam tut. Aber im Kern hat es dazu geführt, dass ein digitaler Kontakt zwischen Bürger und Politiker zu einem sehr realen geworden ist.

Rechtsgrundlage für vertrauliche Geburt

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Kristina Schröder hat einen neuen Gesetzesentwurf vorgelegt. Sie schlägt vor, dass schwangere Frauen die Möglichkeit haben sollen, ihr Kind in einem medizinisch sicheren Umfeld zur Welt zu bringen und die eigene Identität dabei geheim zu halten.

Für schwangere Frauen, die sich in einer extremen Notlage befinden, soll es schon bald eine Alternative zu den umstrittenen Babyklappen und anonymen Geburten geben. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der an diesem Mittwoch im Kabinett beraten wird. Damit wird die vertrauliche Geburt auf eine rechtliche Grundlage gestellt. Babyklappen und anonyme Geburten bleiben illegal, aber geduldet. Der Deutsche Ethikrat hatte vertrauliche Geburten schon 2009 empfohlen und sich für die Abschaffung von anonymen Geburten und Babyklappen ausgesprochen. Christiane Woopen, Vorsitzende des Ethikrates, begrüßte Schröders Initiative, sagte aber: 'Was mich an dem Gesetzentwurf stört, ist die Halbherzigkeit im Umgang mit den anonymen Angeboten.'


Schwangere Frauen sollen die Möglichkeit bekommen, ihr Kind vertraulich zur Welt zu bringen

Mit der vertraulichen Geburt sollen werdende Mütter die Möglichkeit haben, ihre Identität zu verbergen und ihr Kind trotzdem in einem sicheren medizinischen Umfeld zur Welt zu bringen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass sich die Schwangere zunächst bei einer Fachstelle beraten lässt. Dann kann sie festlegen, dass ihre Daten bei der Geburt in der Klinik erfasst, jedoch in einem Umschlag versiegelt und mit Pseudonym versehen werden. Diese Umschläge sollen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben hinterlegt werden und dort für 16 Jahre ruhen. Erst dann kann das Kind seine Abstammung erfahren.

Babyklappen und anonyme Geburt sind umstritten, weil hier zwar das Leben eines Neugeborenen gerettet wird, dem Kind aber das Recht auf Kenntnis seiner Abstammung verwehrt wird. Mehrere Gesetzesinitiativen sind bereits an verfassungsrechtlichen Bedenken gescheitert. Heute wird stillschweigend toleriert, dass es in Deutschland etwa 100 Babyklappen gibt und 130 Kliniken, die die anonyme Geburt anbieten. Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts im Auftrag des Familienministeriums vom vergangenen Jahr wurden zwischen 1999 und 2011 mindestens 973 Kinder in Babyklappen gefunden oder anonym zur Welt gebracht. Dauerhaft anonym blieben 314 dieser Kinder. Schwangere Prostituierte, Drogenabhängige sowie sehr junge Mädchen und Frauen werden laut der Studie mit diesen Angeboten nur bedingt erreicht.

'Es geht nicht immer nur ums Geld'

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Bundeskanzlerin Merkel und Familienministerin Schröder sprechen mit Unternehmern und Gewerkschaften über Möglichkeiten, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Das soll nun einmal im Jahr wiederholt werden

Was brauchen Familien, um glücklich zu sein - und wie können Paare oder Alleinerziehende gleichzeitig zufriedene Eltern und erfolgreich im Job sein? 'Es braucht Rückendeckung im Team', sagte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) am Dienstag zum Auftakt des ersten Familiengipfels in Berlin. Dann lächelte die sichtlich angespannte 35-Jährige, Mutter einer eineinhalbjährigen Tochter, zum ersten Mal an diesem Nachmittag auf dem Podium. 'Ich habe so eine Chefin: Bundeskanzlerin Angela Merkel.'

Die warb dann auch gleich wenige Minuten später am Rednerpult für familienfreundlicheres Arbeiten - 'es geht nicht immer nur ums Geld, es geht um Flexibilität' - und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 'Das ist eine wirkliche Win-win-Situation', sagte Merkel. Bei Mitarbeitern mit kleinen Kindern müsse man eben ab und an innehalten und überlegen, ob nicht auch der Vater einspringen könne. Lachen im Saal. Kristina Schröders Ehemann ist mindestens ebenso eingespannt wie die Ministerin: Ole Schröder ist Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern.


Die Familienministerin heute beim Familiengipfel

Anstoß für den Gipfel, bei dem Spitzenvertreter der Wirtschaft und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) mit Kristina Schröder darüber diskutierten, wie Beruf und Familie in Einklang zu bringen sind, war der Zukunftsdialog der Kanzlerin im Jahr 2012. 24 Experten und zehn Bürger hatten in Fachgruppen Konzepte zur Frage 'Wie wollen wir in Zukunft leben' erstellt, einer habe einen jährlichen Familiengipfel vorgeschlagen, sagte Merkel. Dort will die Bundesregierung fortan berichten, wie sich Arbeitszeiten, Teilzeitangebote und Kinderbetreuung entwickeln.

Laut einer Sonderauswertung des Unternehmensmonitors Familienfreundlichkeit 2013 des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln hat sich in den vergangenen zehn Jahren schon einiges getan in deutschen Unternehmen. War Familienfreundlichkeit im Jahr 2003 für jedes zweite Unternehmen bedeutsam, so haben nun 80Prozent der Unternehmen das Thema auf ihrer Agenda. Dennoch haben laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts die Hälfte der Eltern das Gefühl, zu wenig Zeit für Freunde und Freizeit zu haben, vor allem Alleinerziehende und Doppelverdiener fühlen sich oft gestresst. Im Gespräch mit Gewerkschaftern sowie Telekom- und Bosch-Oberen kritisierte Kristina Schröder, dass in vielen Unternehmen immer noch eine Präsenzkultur herrsche. Ähnlich äußerte sich SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles im rbb-Inforadio: 'Diejenigen zählen viel, die lange im Büro bleiben und Überstunden schieben. Die, die vielleicht 30 Stunden sehr produktiv arbeiten, werden dagegen karrieretechnisch zurückgestellt.'

Kanzlerin Merkel sprach sich dafür aus, Eltern den Wiedereinstieg in den Job zu ermöglichen. Auf Schröders Forderung nach einem Rechtsanspruch, eine Teilzeit- wieder auf Vollzeitstelle aufzustocken, wollte sie aber nicht eingehen. Auch der Koalitionspartner FDP ist strikt dagegen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände nannte den Rechtsanspruch 'überflüssig'. Teilzeitbeschäftigte hätten bereits das Recht, am Ende der Elternzeit in Vollzeitarbeit zu wechseln. Die IG Metall stellte den ganzen Familiengipfel infrage: 'Diese Schaufensterpolitik im Wahljahr bringt keiner Frau auch nur einen Zentimeter mehr Wahlfreiheit', monierte Christiane Benner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall in Frankfurt.

Alles, was wir geben mussten

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Wie viel der Button "Gefällt mir" über die eigene Persönlichkeit preisgeben kann, hat der Brite Michael Kosinksi berechnet.

Am Ende ist es nur eine Rechenübung: der britische Psychologe Michael Kosinski von der Universität Cambridge hat mit seinem Team Persönlichkeitsprofile von Facebook-Nutzern errechnet. Mit Hilfe von Algorithmen vervollständigten sie das Profil eines bestimmten Menschen, und zwar vor allem auf der Basis aller 'Gefällt mir'-Klicks, die derjenige vorgenommen hat. 'Gefällt mir' ist eine Funktion des sozialen Netzwerks. Registrierte Nutzer können sie nicht nur auf Facebook, sondern auch auf zahlreichen anderen Seiten nutzen, um ihre Zustimmung auszudrücken, zum Beispiel zu Unternehmen, Sprüchen, Fernsehsendungen oder auch nur zu den privaten Bildern ihrer Freunde.

So ein Klick verrät aber stets mehr, weil es für Psychologen einfach ist, das 'Gefällt mir' einer männlichen Person für 'Mac Cosmetics' nicht nur als positives Urteil über den Kosmetikhersteller zu werten, sondern auch zu erahnen, dass der Nutzer homosexuell sein könnte. Je mehr Klicks ein Nutzer getätigt hat, umso wahrscheinlicher ist es, dass sich ein sehr exaktes Bild berechnen lässt. Im Fall der Studie konnte das Geschlecht eines Menschen mit 88 Prozent, seine Hautfarbe mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit errechnet werden. Die Studie hätte noch genauere Ergebnisse liefern können, wenn nicht nur die freiwillig herausgegebenen 'Gefällt mir'-Daten der Nutzer zur Verfügung gestanden wären, sondern alle Daten, die man bei Facebook anhäuft. Diese Daten aber kann man als Privatperson gar nicht herausgeben, weil man sie weder besitzt noch im Detail kennt. Wer besitzt und kennt sie stattdessen? Facebook. Und genau da liegt das Problem.


Ein Klick auf den Button sollte gut überlegt sein

Denn wenn es am Ende nur eine Rechenübung ist, unsere Wünsche, Träume und Absichten, Dinge, von denen wir selbst vielleicht noch gar nichts ahnen, zu berechnen, dann sollten wir nicht nur selbst in der Lage sein, diese Rechnung durchzuführen. Wir sollten, und das ist das mindestes, wenigstens wissen, wer sonst noch in der Lage ist, uns zu berechnen.

Aber derzeit kann kein deutscher Bürger und wohl auch kein anderer Mensch auf der Welt, folgende Frage auch nur im Ansatz zu beantworten: 'Wer besitzt welche Daten über mich?' So steht das Problem seiner eigenen Lösung im Weg: Der Bürger, von ein paar Netzaktivisten und Datenschützern mal abgesehen, regt sich nicht auf, denn er weiß überhaupt nicht, wie ihm geschieht.

Facebook mit einer Milliarde Nutzern ist für diesen Zustand ein Paradebeispiel, ähnlich wie Twitter, Apple und Amazon, denn diese Unternehmen gehören zu den klassischen Datensammlern. Ihr Angebot an die Kunden ist finanziell oft gratis. Ihnen reichen die Daten der Kunden für ihr Geschäftsmodell. Aber natürlich sammeln auch andere Unternehmen Daten, um von ihnen zu profitieren. Kreditkartennummern, Datum eines Einkaufs und Bonuspunkte sind nur einige wenige Datensätze, die zum Beispiel die allermeisten Kleidungsgeschäfte speichern.

Die Kunden akzeptiere diese Haltung aus zwei Gründen: Erstens ist es offensichtlich, dass zum Beispiel ein Geschäft grundsätzlich nicht besiegelt werden kann, ohne dass Daten ausgetauscht werden. Das erklärt aber noch nicht, warum sie, zumal im digitalen Zeitalter, die Kontrolle über ihre Daten so breitwillig abgeben. Vielleicht akzeptieren sie einfach, was immer wieder von Politikern und Journalisten wiederholt wird: 'Daten sind heute ein Währung'. Die Aussage klingt clever in Anbetracht des großen Marktes, den es heute für Daten gibt. Aber sie führt in die Irre: Daten können keine Währung sein. Sie sind ein viel komplexeres Produkt als Geld. Wer sie auf ihren monetären Wert reduziert, übersieht was mit ihnen alles angestellt werden kann - und mit Geld nicht. Fünf Euro bleiben, egal in wessen Hand, fünf Euro. Die Tatsache, welches Kosmetik-Unternehmen ein Facebook-Nutzer mag, wann und wie er surft und mit wem er befreundet ist, lässt dagegen einen Teil seiner Persönlichkeit offenbar werden.

Natürlich kann sich jeder Bürger an den Datenschutzbeauftragten wenden und natürlich ist jedes Unternehmen verpflichtet, auf Aufforderung eines Kunden dessen persönlichen Daten zur Verfügung zu stellen. Theoretisch. Praktisch verschanzt sich zum Beispiel Facebook hinter einer Doppelstruktur, es ist bislang nicht mal klar, ob ein Auskunftsersuchen in den USA oder in der europäischen Niederlassung in Dublin eingehen müsste. Kleinere Unternehmen sind von einem Ersuch oft schlicht überfordert. Und viele Bürger wissen nicht einmal, dass die Möglichkeit einer Abfrage existiert, dass sie das Recht dazu haben.

Deshalb ist es an der Zeit für eine einfachere Lösung. Sie liegt nahe. Die Daten des Einzelnen sind ja schließlich in jedem Unternehmen vorhanden, und zwar in jenem Computernetzwerk, in das der Kunde ohnehin benutzt. Wenn er Schuhe bei Zalando kauft. Oder Radkappen bei BMW bestellt. Oder ein Abo bei dieser Zeitung kauft. Oder Urlaubsfotos bei Facebook hochlädt.

Warum also gibt es auf den Internetseiten der Unternehmen keinen Knopf: 'Alle gesammelten Daten anzeigen'? Er könnte zu einer Übersichtsseite führen, auf der wirklich alles angezeigt werden müsste, was das jeweilige Unternehmen von seinem Nutzer gespeichert hat. Das ist zum Beispiel bei Facebook wesentlich mehr als die Bilder und Notizen, von denen der Nutzer weiß, dass er sie hochgeladen hat. Darunter dürften einzelne Mausklicks sein, die Verwendung bestimmter Computerfunktionen, die Zeitdauer, wie lange ein Nutzer eine bestimmte Seite angeschaut hat und sogar vom Nutzer gelöschte Objekte, die Facebook nämlich nicht wirklich löscht, sondern nur versteckt.

Eine solche Übersicht auf jeder Firmenwebseite wäre nichts anderes als die logische Weiterentwicklung der bereits heute vorgeschriebenen, oft kryptischen Datenschutzerklärung. Hätte jeder Kunde, jeder Nutzer diese Information, könnte er selbst entscheiden, ob ihm die Leistung des Unternehmens genügend wert ist, um seine Daten dafür preiszugeben. Der aufgeklärte Umgang mit den eigenen Daten würde alltäglich werden, so, wie ein Einkauf, um den Kühlschrank aufzufüllen. So würden auch weitere Gesetze, mehr Bürokratie überflüssig. Der Bürger könnte selbst entscheiden.

Gleichzeitig sollten Nutzer das Recht erhalten, wenigstens jenen Teil ihrer Daten unwiderruflich per Mausklick zu löschen, der nicht für das Geschäft der Firma, die die Daten gespeichert hat, unbedingt notwendig ist. Kurz: Wenn ein Kunde entscheidet, dass sein Autohändler seine Adresse nicht länger besitzen soll, sollte es ihm möglich sein, sie auf dessen Webseite einfach zu löschen. Die Bürger mit so viel Macht und Wissen auszustatten, wäre nur recht und billig. Die Unternehmen haben beides schon lange.

Prohibition zur Nacht

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Ein Amerikaner will New Yorker UN-Diplomaten das Trinken bei Sitzungen verbieten. Einige drohen nun mit Dienst nach Vorschrift.

So richtig beliebt ist Joseph Torsella bei seinen Kollegen nicht. Die Nummer drei an der US-Botschaft bei den Vereinten Nationen in New York gilt im Umgang als brüsk und - unter Diplomaten ein wohl verheerendes Urteil - als regelrecht undiplomatisch. Jetzt aber, nach seinen jüngsten Einlassungen, dürfte er vollends unten durch sein.

Torsella hat einigen seiner Co-Diplomaten vorgehalten, im Vollrausch über das Geld der Welt zu verhandeln. Die Beratungen über den UN-Haushalt im vergangenen Dezember sollen einem 'Zirkus' geglichen haben. Tatsächlich, so wissen Kundige zu berichten, habe zumindest einer der beteiligten Diplomaten so viel getrunken, dass ihm schlecht geworden sei.



Der ein oder andere UN-Diplomat hat in der Vergangenheit zu tief ins Glas geschaut. Das soll nicht wieder vorkommen, fordert Joseph Torsella.

'Um einen ordentlichen Ablauf der Verhandlungen zu gewährleisten, machen wir den bescheidenden Vorschlag, dass die Verhandlungsräume künftig alkoholfreie Zone sein sollten', sagte Torsella deshalb vor ein paar Tagen im sogenannten Fünften Komitee, dem Haushaltsausschuss der Vereinten Nation, zweifellos das UN-Gremium mit der trockensten Agenda. 'Meine Regierung ist zwar wirklich dankbar für die strategischen Möglichkeiten, die einige der jüngsten Gepflogenheiten bieten', gab er im Kreis seiner betreten schweigenden Kollegen zu Protokoll, 'aber lassen Sie uns den Champagner darauf beschränken, um auf das erfolgreiche Ende der Verhandlungen anzustoßen'.

So viel Sarkasmus kam nicht gut an. Und so ist aus einem eher überschaubaren Problem eine echte diplomatische Affäre geworden. Vor allem Vertreter von G-77-Ländern, dem Zusammenschluss der Entwicklungsländer, dem mittlerweile 132 Staaten angehören, fühlen sich offenbar persönlich getroffen. Und nehmen übel: Vor allem afrikanische Diplomaten drohen nun mit Dienst nach Vorschrift. Alle Abend- und Nachtsitzungen (bei denen es ein Gläschen zur Aufheiterung geben könnte) müssten dann abgesagt werden. Die vorösterliche Runde der Etatverhandlungen im Fünften Komitee könnte niemals wie geplant bis Ende März abgeschlossen sein.

Die Finanzierung zum Beispiel von Unama, der zivilen Afghanistan-Mission der Vereinten Nationen, wäre gefährdet. Eine Aussicht, die übrigens besonders den Deutschen Kopfzerbrechen bereitet: Sie führen gegenwärtig den Vorsitz im Fünften Komitee. Hinter den Querelen stehen alte Animositäten. Die G 77 sind es leid, sich von den großen UN-Beitragszahlern wie den USA schuriegeln zu lassen. Die wiederum pochen darauf, dass, wer bezahlt, das letzte Wort haben muss.

Ob der Alkohol indes wirklich ein diplomatisches Problem ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Fest steht, dass das Hochhaus der Vereinten Nationen am New Yorker East River nie das Hauptquartier der Liga der Antialkoholiker gewesen ist. Ein guter Drink gehörte schon einmal dazu. Auch beim Fünften Komitee. Dort, so will es die Tradition, bringen die Russen in der Nacht zum Heiligen Abend, am letzten Verhandlungstag des Jahres, eine Kiste Wodka mit. Das nächste Mal sollten sie es mit Champagner probieren. Vielleicht sind dann die nüchternen Amerikaner auch mit dabei.

Der menschliche Maßstab

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Kartenkrakel gegen Datenkrake: Zwei betörend schöne Bildbände zeigen, dass Landkarten nicht immer nur mehr oder weniger korrekte Darstellungen der Welt sind - oft locken sie einen auf wundersam falsche Fährten und Irrwege.

Mit den Landkarten ist es momentan wie mit der Malerei am Ende des 19. Jahrhunderts: Plötzlich kam damals die Fotografie auf, was bedeutete, dass niemand mehr die malerische Wiedergabe irgendwelcher Landschaften brauchte, schließlich konnte man Gegenden, Gesichter, Gegenstände ab sofort akkurat reproduzieren. Die einen stimmten Abgesänge auf die Malerei an, die anderen aber stürzten sich mit ihren Pinseln in völlig neue Abenteuer: Erlöst von der Pflicht, die Dinge objektiv wiederzugeben, wurden aus Malern Im- und Expressionisten, Pointil- und Surrealisten, kurzum, die Malerei verlegte alle Kraft darauf, die eigenen Freiheiten und Grenzen zu erkunden.

Die Kartografie ist an einem ähnlichen Punkt angelangt: Jeder hat heute seine Map-App auf dem Handy und damit die ganze Welt in der Hosentasche. In dem Moment aber, in dem Landkartenmaler so überflüssig werden wie Korbflechter und Schriftsetzer, blüht die Kartografie auf wie selten zuvor. Kein Wunder, die Landkartenmaler werden durch die digitale Vermessenheit erstmals davon befreit, uns möglichst maßstabsgetreu durch eine Gegend zu geleiten, und können anfangen, die Welt nach ihrem eigenen Willen zu gestalten. Die Pflicht hat Google übernommen, es lebe die Kür. So ist es vielleicht auch kein Zufall, dass nun zeitgleich zwei Bücher mit bizarren, subjektiven, fehlerhaften oder auch historisch kuriosen Landkarten erscheinen.



Die meisten Landkarten kennt man aus dem Schulatlas - dabei gibt es anderswo noch viel spannendere zu entdecken.

Der Gestalten-Verlag versammelt in 'A Map of the World According to Illustrators and Storytellers' Landkarten des 21. Jahrhunderts, darunter viele Werbeillustrationen und rundumdesignte Datenvisualisierungen, aber auch geografische Gemälde und originelle Stadtpläne. Auffallend viele dieser Karten - siehe etwa das Amerikabild von Oliver Jeffers, das mit Ölfarbe auf eine Holzplatte gemalt wurde - haben etwas betont Raues, Hinskizziertes, ja gerade Jeffers" grob gepinselte Länderbilder ergeben eher ein Klecksikon als einen Atlas, so als müsse man sich die Welt in Zeiten der Datenkraken durch Kartenkrakeln erst mal ganz neu aneignen.

Solche Karten machen immer auch den eigenen eingeschränkten Blickwinkel zum Thema. So setzen sie sich ab von der Behauptung handelsüblicher Atlanten, die Welt objektiv ordnen zu können. Andererseits wirken sie dadurch auch so persönlich wie Tagebucheinträge oder Briefe. Die Grafikerin Marlena Zuber etwa zeigt ihre Heimatstadt Toronto aus der Alltagsperspektive: Mal zeichnet sie den Fahrradweg zu ihrem Geliebten, mal ihre Stammstrecke als Fußgängerin. Das, was im Vordergrund eines gewöhnlichen Stadtplans steht, die maßstabsgetreu wiedergegebenen Straßen, Plätze und Gebäude wird so zur beweglichen Kulisse, vor der Zubers Erinnerungen in Form von kleinen Texten frei flanieren dürfen: 'In dieser Markthalle hab ich mit meinem Freund Schluss gemacht: Neonlicht, viele Leute, kein Platz für Schwäche oder Gefühlswirrwarr. Kann ich nur empfehlen.'

Schöner noch als dieses Kompendium ist aber 'Strange Maps ', das der Liebeskind-Verlag herausgebracht hat. Der belgische Diplomat Frank Jacobs sammelt seit seiner Jugend seltsame Landkarten: Propagandamaterial und Irrtümer, Versuche, weltliterarische Gegenden wie Mittelerde geografisch dingfest zu machen oder auch topografische Allegorien wie 'La Carte de Tendre', die die Stationen auf dem Weg zum Liebesglück darstellt, als wären sie wirkliche Wege und Orte.

Die Karten sind eine Art Best-of aus Jacobs gleichnamigen Blog, auf dem er seit Jahren kartografische Kuriositäten nicht nur präsentiert, sondern immer auch mit klugen Begleittexten erklärt. Ohne die wäre man aber oft auch aufgeschmissen, derart rätselhaft wirken viele seiner Fundstücke: Die Dame rechts im Bild soll Deutschland sein. Sie stammt aus einem englischen Atlas, der im 19. Jahrhunderte versuchte, die Umrisse europäischer Länder mit ihren vermeintlichen Nationalcharakteren in Deckung zu bringen. Von heute aus betrachtet, zeigen die Bilder eher, welche Vorurteile die Briten seinerzeit auf ihre europäischen Nachbarn und Rivalen projizierten: Russland erscheint als Bär, Irland als tumbe Bauersfrau mit Kind.

Eine andere Art der wechselseitigen Projektion stellt Jacobs einander gegenüber, wenn er zwei Karten aus Frankreich und Deutschland zeigt. Beide sind Sehnsuchtsgebilde, beide zeigen, wie man sich Europa nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erträumte: einmal ohne Frankreich (wird großzügig aufgeteilt zwischen Deutschland und Italien), das andere mal mit einer neutralen Pufferzone von Belgien bis zur Schweiz und einem ansonsten angenehm kleinteilig zersplitterten Deutschland, auf dass endlich Ruhe sein möge.

Am schönsten an Jacobs" Sammlung sind all die kartografischen Irrtümer, Phantasiegebilde, die ihre Komik daraus gewinnen, dass ihre Zeichner glaubten, die Welt korrekt dargestellt zu haben: Eine ausnehmend akkurate Karte von 1650 zeigt Kalifornien als Insel im Pazifik - eine Vorstellung, die auf einen Ritterroman des 16. Jahrhunderts zurückging, in dem es heißt, dass 'rechter Hand von Indien eine Insel namens California liegt, die sich nahe am Irdischen Paradiese befindet'. Die ersten Spanier, die die lang gestreckte Halbinsel entlangsegelten, die wir heute als Baja California kennen, waren dann sicher, die romaneske Insel gefunden zu haben. Die aus diesem Irrtum hervorgegangene Karte wurde dann wiederum lange Zeit als Beweis dafür hergenommen, dass der Roman Recht hatte.

Frank Jacobs: Seltsame Karten. Ein Atlas kartographischer Kuriositäten. Aus dem Englischen von Matthias Müller. Liebeskind Verlag, München 2012. 128 Seiten, 29,80 Euro.

Antonis Antoniou u.a.: A Map of the World - The World According to Illustrators and Storytellers Zeitgenössische Karten von bekannten Designern, Illustratoren und Kartographen. Die Gestalten Verlag, Berlin 2013. 224 Seiten, 39,90 Euro.

Die Netzwerkerin

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Mit einem One-Way-Ticket und technischem Sachverstand kam Padma Warrior einst aus Indien in die USA. Heute ist sie eine der mächtigsten Architektinnen der digitalen Welt.

Viel hat Padma Warrior nicht dabei, als sie an einem Sommertag in New York aus dem Flugzeug steigt. 100 Dollar und einen Koffer voller Bücher. Die waren in Indien billiger. Für das Rückflugticket aber fehlt den Eltern, einer Mathematiklehrerin und einem Anwalt, das Geld. 22 Jahre alt ist sie damals. Aufgekratzt, weil sie ein Stipendium für die Eliteuniversität Cornell ergattert hat. Nervös, weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben ihre Heimat Indien verlässt.

Heute, fast 30 Jahre später, ist Padma Warrior einer der einflussreichsten Menschen der digitalen Welt. Als Technikchefin des Netzausrüsters Cisco entscheidet sie darüber, wie Menschen und zunehmend auch Maschinen quer über den Globus miteinander kommunizieren. Der Konzern ist so etwas wie der Klempner des Internets, fertigt Schalter und Schleusen und hält so das weltumspannende Internet am Laufen. Und Warrior, 48, ist diejenige, die entscheidet, wo investiert und mit wem kooperiert wird. Welche Technologien sie selbst begeistern, verrät sie auch schon mal via Twitter. Eineinhalb Millionen Menschen verfolgen ihre Tweets; Analysten und Risikokapitalgeber versuchen aus 160 Zeichen Hinweise herauszulesen, was das nächste große Ding werden könnte. Immer wieder fällt ihr Name, wenn darüber spekuliert wird, wer in den nächsten zwei Jahren auf Konzernchef John Chambers folgt.



Padma Warrior: Technikchefin bei Cisco und Netzexpertin.

Doch wenn sich die zierliche Frau durch das Gewusel von Messen schlängelt, dann zieht sie keine Blicke auf sich. Sie trägt einen bordeauxfarbenen Hosenanzug, die langen schwarzen Haare offen. Längst hat sie einen amerikanischen Pass, aber noch immer rollt sie die Worte wie Inder. Ihre Stimme ist sanft, ihre Urteile sind scharf.

Ihren ersten Job findet Padma Warrior Mitte der Achtzigerjahre in der Entwicklungsabteilung einer Chipfabrik von Motorola. Sie solle sich wie ein Mann benehmen, empfehlen ihr die Kollegen. Laut sprechen, unauffällig kleiden, sich groß machen. Warrior gibt nichts auf die Ratschläge - und klettert doch die Karriereleiter empor. 23 Jahre bleibt sie bei Motorola. Dann, im Jahr 2006, wird bei einer Podiumsdiskussion Cisco-Chef Chambers auf sie aufmerksam. Ein Jahr wirbt er um sie - mit dem Versprechen: Bei ihm könne sie ihre Visionen in die Tat umsetzen.

Diese Visionen, das ist eine Welt, in der das Internet zur zentralen Schaltstelle für alle möglichen Dinge des Alltags wird. Eine Welt, in der sie nicht mehr, wie an diesem Morgen in Barcelona, eine halbe Stunde im Stau steht, weil sie einem Taxifahrer vertraut. Eine Welt, in der sie dem Auto sagt, wo sie hin will - und dieses die beste Route findet, sie womöglich eine halbe Stunde früher weckt. Je vernetzter die Welt, desto besser für Cisco. Der Konzern ist einer der größten Ausstatter dieses Netzes. Noch. Denn mit chinesischen Anbietern wie Huawei sind angriffslustige und mittlerweile auch mächtige Rivalen herangewachsen.

Ihr Gespür für das, was wichtig werden könnte, hat Padma Warrior an ihrem Sohn geschärft. 18 Jahre ist er inzwischen. Und er schließt, wie so viele in seinem Alter, Freundschaften ganz selbstverständlich im Internet. 'Diese Generation bekommt viel genauer mit, was auf der Welt passiert', sagt die Mutter. 'Und sie nimmt daran auch mehr Anteil.' Als sie im Osten Indiens aufwuchs, drang das, was in den USA passierte, nur durch einen Filter zu ihr. 'Ich musste Zeitungen lesen und ich habe eine Menge gelesen. Aber ich hatte nie die Möglichkeit, mit ganz normalen Menschen in Kontakt zu kommen.'

Sie weiß wohl um die Grenzen einer völlig vernetzten Welt. Sie weiß, dass nicht alle ständig online sein wollen. 'Wir neigen dazu, unsere eigenen Bedürfnisse hinter all dem anzustellen, was wir täglich zu erledigen haben.' Ein Reflex, der sich irgendwann rächt. Sie selbst meditiert 20 Minuten täglich. Am Samstag stöpselt sie sich für einige Stunden ab, um zu malen und Gedichte zu schreiben. 'Um meine Batterien aufzuladen', wie sie es ausdrückt.

Technik ist für sie etwas, das das Leben erleichtert. Ihre Eltern, so erinnert sie sich, hatten noch Angst vor dem Bankautomaten, stellten sich lieber stundenlang in die Schlange am Schalter. Warrior muss lachen, wenn sie das erzählt. Daraus nimmt sie die Sicherheit, dass ihr Sohn mit der Technologie, die ihrer eigenen Generation heute unheimlich erscheint, morgen ebenso selbstverständlich umgehen wird wie sie heute mit dem Bankautomaten. 'Wir können Technik sicher machen.'

Aber dazu sei es wichtig, dass Menschen aus verschiedenen Fachrichtungen enger zusammenarbeiten. Dass Informatiker sich auch mit Design beschäftigen. Dass an den Wirtschaftsschulen nicht nur unterrichtet wird, wie man mit Zahlen umgeht - sondern auch, wie man Mitarbeiter motiviert. Und, auch davon ist sie überzeugt, es braucht mehr Frauen in den Technologiekonzernen. Sie selbst hat ihr Studium an einer renommierten Technikhochschule in Delhi als eine der Jahrgangsbesten abgeschlossen - und als eine von fünf Frauen unter 250 Studenten in ihrem Jahrgang.

Unter Ciscos Entwicklern kommt heute auf drei Männer eine Frau. Zu wenig, wie Warrior findet. 'Ein Abschluss in Informatik hilft in der Branche, auch um sich im Management Respekt zu verschaffen', betont sie. Tatsächlich, sagen Mitarbeiter, stecke sie tief in den technischen Details, verliere über dem Kleinkram aber nie den strategischen Weitblick. Man könne bei ihr wirklich alles auf den Tisch bringen, auch Probleme, ohne sich zuvor zu überlegen, wie das wohl ankommt. 'Und immer nimmt sie sich die Zeit, ein paar Tage später eine E-Mail zu schreiben, was sie aus dem gemeinsamen Gespräch mitgenommen hat', sagt einer.

Sie selbst lädt regelmäßig Frauen zu sich nach Hause ein. Da sitzen sie dann, gestandene Managerinnen der großen Firmen neben den Jungen, die gerade ihr eigenes Start-up hochziehen. Und Warrior sagt ihnen: Verstellt euch nicht! Haltet euch bloß nicht zurück! 'Wir alle sind schließlich dann am glücklichsten, wenn wir uns so geben können, wie wir wirklich sind', sagt sie. Dann könne jeder all seine Fähigkeiten einbringen. Und dann können Frauen auch etwas weiter kommen. 'Frauen neigen dazu, die Dinge vielleicht etwas zu genau zu analysieren. Dann zögern sie, sagen sich: Vielleicht bin ich noch nicht so weit, vielleicht brauche ich noch etwas mehr Zeit. Männer ergreifen die erste Chance, die sich ihnen bietet.'

Ihren heutigen Ehemann kennt sie seit der Schulzeit in Indien. Heute ist er Chef eines Laserherstellers in Wisconsin, mehr als 3000 Kilometer östlich des Silicon Valley, wo auch die Firmenzentrale von Cisco liegt. Für solch ein Familienleben braucht es Talent bei Organisation und Improvisation - sowie: Gelassenheit. Frauen, beobachtet Padma Warrior, wollen bei jeder Elternversammlung dabei sein, bei jeder wichtigen Besprechung im Büro. 'Das verursacht Stress.' Sie selbst habe das als junge Mutter erlebt: Zwei Wochen nach der Geburt war sie im Büro. Ihren Sohn vertraute sie einer Nachbarin an. Und doch fragte sie sich, wenn sie im Büro war, ob es ihm gut gehe. Und sie fragte sich, wenn sie zu Hause war, ob im Büro alles gut gehe. 'Damals habe ich gelernt, dass man nicht alles perfekt machen kann.'

Ihr Vorbild, hat Padma Warrior einmal gesagt, sei Mutter Teresa. Nicht weil sie Gutes getan habe. Sondern weil sie mutig war.

Schlechtes Zeugnis für von der Leyen

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Eine Befragung in 130 Kommunen zeigt: Neue Hilfen für Hartz-IV-Familien erreichen viele Bedürftige nicht. Der Wohlfahrtsverband bezeichnet das Bildungspaket der Arbeitsministerin als gescheitert.

Das von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) initiierte Bildungs- und Teilhabepaket für 2,5 Millionen bedürftige Kinder und Jugendliche kommt auch zwei Jahre nach seiner Einführung bei vielen Familien nicht an. Das zeigt eine bundesweite Umfrage des Paritätischen Wohlfahrtsverbands bei 180 sozialen Einrichtungen in 130 Kommunen. Dabei gab nur ein knappes Drittel der Befragten an, dass mit der staatlichen Hilfe zusätzliche Angebote finanziert wurden. Mehr als 70 Prozent sehen in dem komplizierten Antragsverfahren das größte Problem beim Umsetzen der Leistungen.

Seit 1. April 2011 haben Kinder aus Hartz-IV-Haushalten und von Wohngeld-Empfängern Anspruch auf ein staatlich subventioniertes Mittagessen in der Kita oder Schule. Außerdem können sie einen monatlichen Zuschuss von zehn Euro für den Sportverein oder die Musikschule bekommen. Auch bezahlte Nachhilfe ist möglich. Die vom Wohlfahrtsverband befragten Kindertagesstätten, Sozial- und Familienberatungsstellen sowie Anbieter in der offenen Jugendarbeit stellen dem Bildungspaket jedoch ein schlechtes Zeugnis aus.



Bundesarbeitsministerin von der Leyem wird für ihr Bildungs- und Teilhabepaket kritisiert.

In der Auswertung der Umfrage wird kritisch angemerkt: An dem Auseinanderklaffen von armen und reichen Stadtteilen und Regionen habe sich nichts geändert. Dort, wo es schon wenig Angebote gab, 'könnten die Praktiker vor Ort keine positive Wirkung feststellen'. Die Leistungen, die die Kinder am häufigsten nutzen, hätten - wie etwa das Mittagessen - größtenteils schon früher bestanden, 'ihre Abwicklung ist indes deutlich komplizierter geworden'. Eltern seien durch die Eigenbeteiligung von einem Euro für ein vorher kostenloses Mittagessen sogar 'schlechter gestellt worden'. Außerdem bestehe für finanzschwache Kommunen der Anreiz, eigene Angebote für die Hilfeempfänger abzuschaffen.

Den Zuschuss von zehn Euro für Musik- oder Sportangebote halten die sozialen Einrichtungen für zu gering. Am kulturellen Leben teilzunehmen, bleibe damit 'für viele unerreichbar', heißt es in der Analyse. Auch die Nachhilfe sei falsch konzipiert, weil sie nur bezahlt wird, wenn das Sitzenbleiben droht. Dies führe in der Praxis zu paradoxen Situationen, etwa wenn Nachhilfe nicht mehr finanziert wird, wenn die Noten für eine Versetzung reichen.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, hält das Bildungspaket deshalb für gescheitert. 'Besonders die Musik- und Sportgutscheine entpuppen sich als reine Luftnummer', sagte er. Das Bildungspaket sei das 'wohl lebensfernste, was die Arbeitsministerin auf den Weg gebracht hat'. Schneider sprach sich dafür aus, das 'Bürokratiemonster' abzuschaffen und stattdessen mit einem Rechtsanspruch auf Teilhabe im Kinder- und Jugendhilfegesetz neu anzufangen. Der Deutsche Landkreistag und mehrere Stiftungen hatten ebenfalls eine Korrektur der komplizierten Regeln gefordert. Auf Initiative des Bundesrats lassen sich künftig zumindest die finanziellen Zuschüsse zu Schulausflügen leichter beantragen. Auslöser für die neuen Sozialleistungen war das Bundesverfassungsgericht. Es hatte darauf gedrungen, bedürftige Kinder stärker zu fördern.

Mutloses Stühlerücken

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Warum fällt es so schwer, die Architektur des Klassenzimmers zu ändern?

Wer das Pons-Bildwörterbuch aufschlägt, der weiß, wie er sich das Standard-Klassenzimmer der Gegenwart vorzustellen hat: Hell ist es, schnörkellos und bunt auf eine spielerisch-nüchterne Weise. Es wirkt ein wenig wie die Simulation seiner selbst im Playmobil-Modus. Aber sieht man davon ab, erkennt man doch relativ unverändert das alte Grundmuster.

Da stehen zwölf Tische, alle strikt nach vorn ausgerichtet, an denen je zwei Schüler oder Schülerinnen sitzen, im rechteckigen Schema mit drei Reihen und zwei Erschließungsgängen angelegt. Sechs Computer-Arbeitsplätze (einen für je vier Kinder) gibt es auch, sie sind als Spezialfall seitwärts an die Wand gerückt. Als begleitende Stichworte liefert das Bild: schwarzes Brett, Lehrerpult, Landkarte, Tafel, Bücherregal. Selbst für die Größe des Klassenzimmers scheint ein heiliges Maß zu gelten: Neun mal sieben Meter umfasst es, 63 Quadratmeter. Was hier geschieht, geschieht frontal. Es bestätigt sich der alte Schülerspruch, in dem sich die Erfahrung vieler Generationen niedergeschlagen hat: Wenn alles schläft und einer spricht, den Zustand nennt man Unterricht.



Das klassische Klassenzimmer: Alle schauen nach vorne.

Wo sich in der deutschen Bildungslandschaft während der vergangenen Jahrzehnte sonst alles geändert hat, eine Reform die andere jagt und kein Modulbaustein auf dem anderen blieb, stellt die Architektur des Klassenzimmers eine merkwürdige Konstante dar. Und das, obwohl sich doch alle einig sind, dass, nach Lehrer und Mitschülern, das Klassenzimmer der dritte Pädagoge sei, für den Lernerfolg nicht weniger entscheidend.

Der Architekturwissenschaftler Christian Kühn, der vor zwei Jahren in Österreich die Ausstellung 'Fliegende Klassenzimmer' kuratiert hat, äußert im jüngsten Heft der Monatszeitschrift Merkur einige Vermutungen über die Gründe solchen Beharrungsvermögens: Als man seit den Sechzigerjahren daran ging, die Schulen um- und neu zu bauen, da ersetzte man die alten 'Schulkasernen' letztlich durch 'Schulmaschinen', die sich von ihren Vorgängern zunächst durch Flachdächer, Sichtbeton und viel (oft versagende) Technik, sonst aber vor allem durch ein unüberschaubares, ja unmenschliches Riesenmaß unterschieden, während die Grundelemente nicht angetastet wurden; Klassenzimmer, Pausenhöfe und Flure blieben, was sie immer gewesen waren.

Das passt, wie man sagen muss, sehr gut zum Geist der sozialdemokratischen Reformen jener Zeit: Sie strebten in erster Linie Chancengleichheit an, was in der Praxis bedeutet 'mehr vom selben'. 'In der Reformbegeisterung hatte man die Nutzer vergessen', meint Kühn. Natürlich gab es viel beachtete alternative Pilotprojekte, aber sie drangen nicht durch. Was heute an neuen Vorschlägen auftaucht, ist zumeist vor vierzig, fünfzig Jahren schon einmal aufs Tapet gebracht worden: Die Schüler sollen nicht wie angenagelt dasitzen, sondern sich bewegen können, im Stehen oder Liegen lernen, wechselnde Gruppen bilden. Das Klassenzimmer soll sich nicht abschotten vom restlichen Schulgebäude, sondern übergehen ins Offene; idealerweise wäre dieses Zimmer nur noch eine Art Basislager für die ausschwärmenden Kinder, die frei die Welt entdecken.

Die Gesellschaft insgesamt ist heute reicher als vor vierzig Jahren, als diese Dinge zum ersten Mal erörtert wurden, aber für Schulen will sie nicht so viel ausgeben wie damals. Zwar wird noch immer ein Haufen Geld verbraucht, aber diese Mittel landen vorzugsweise in der Umsetzung bürokratischer Auflagen: Die Energie-Effizienz erlangt immer höheren Stellenwert, Brandschutz und Sicherheit werden anspruchsvoller; die Eliminierung der gesundheitsschädlichen Stoffe, die man in den Neubauten so unbeschwert verwendet hat, verschlingt erhebliche Summen. Die Forderung nach Inklusion der körperlich und geistig Behinderten wird in erster Linie als Aufforderung verstanden, überall Rampen und Lifte einzubauen. Da ist das Geld oft schon weg, ohne dass etwas im Grundsätzlichen passiert wäre. Vergessen sei auch nicht, dass Architektur den am meisten beharrenden Bereich der Gesellschaft darstellt: Was einmal gebaut worden ist, bleibt fünfzig bis hundert Jahre erhalten.

Am leichtesten kommt man an Tische und Stühle heran. Sie sind leichter vom Fleck zu rücken, zum Beispiel um eine diskussionsfördernde Hufeisenform zu bilden; das traf auf die alten hölzernen Pulte mit eingesenktem Tintenfass, in die man hineingezwängt war wie in einen Schraubstock, nicht zu. Diese waren dafür in gewissem Sinn auch Bollwerke der Schülerschaft gegen den pädagogischen Zugriff; dem Spicken leisteten sie mehr als ein bisschen Vorschub, während die neuen flachen Tischplatten mit ihrem offenen Beinraum den gläsernen Schüler ermöglichen.

Wie alle autoritären Formen bot auch diese den unteren Rängen ein Maß an Berechenbarkeit, das in der Verschleierung so nicht mehr garantiert werden kann. Nur ungern lässt die zeitgenössische Schule sich daran erinnern, dass sie, neben Förderung und Bildung, auch ihrem zweiten, dunkleren Auftrag bis heute treu geblieben ist, der Selektion. Gewisse Rückschlüsse sind aus der Konservativität des Klassenzimmers möglich: Es bleiben mehr Dinge beim Alten, als die Gesellschaft sich eingestehen mag. Und wo sie sich dem Wandel doch stellen muss, begegnet sie ihm einigermaßen mutlos.

Betriebsausflug

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Die Figuren der Fernsehserie 'Stromberg' dürfen nächstes Jahr im Kino auftreten. Finanziert wurde der Büroklamauk auch durch Spenden der Fans. Ein Besuch am Set

Alle unter die Tische oder raus.' Der Aufnahmeleiter lässt keinen Zweifel daran, dass es nun ernst wird. Also verkrümeln sich alle Anwesenden unter die Schreibtische und nehmen Kontakt auf mit der schmuddeligen Auslegeware, die viel sagt über die Geschichte dieses öden Büros. Auch Christoph Maria Herbst muss sich hinhocken. In seinem beigen Anzug sieht er wieder aus wie Bernd Stromberg, der Bürofiesling vom Dienst. Es wird gedreht. Tag zwölf der Produktion des Kinofilms zur Pro-Sieben-Serie Stromberg. Im Februar 2014 soll ins Kino, was gerade in Köln-Braunsfeld aufgenommen wird.

Das freie Feld braucht im Moment Ernie, der Büronervling bei Stromberg. Am Ende der fünften Staffel ist er aufgestiegen zum Abteilungsleiter bei der fiktiven Capitol-Versicherung. Nun will er sich lieb Kind machen und dirigiert ein Mitarbeiterensemble von Orffschen Ausmaßen. Blockflöten, Wandergitarre, alles dabei, was Büro-Feiern oder -Geburtstage gemeinhin zur Folter macht. Dazu hat Ernie ein Gedicht parat: 'Was für Deutschland die Regierung/ist hier die Schadensregulierung/Jeder arbeitet hier gern/und die Kunden fühlen sich wohl/Meine Damen, meine Herren/Willkommen in der Capitol.'



Die Figur Bernd Stromberg ist mittlerweile wahrscheinlich bekannter als ihr Darsteller Christoph Maria Herbst. Der bringt den verschrobenen Versicherungsvertreter jetzt sogar ins Kino.

Bjarne Mädel muss sich gerade sehr konzentrieren. Das preisgekrönte Multitalent (Mord mit Aussicht, Tatortreiniger) spielt den Ernie und hat sich für die Szene einen kleinen Rhythmusstolperer zurechtgelegt. Weil der Ernie im sozialen Miteinander eben sehr viel Wollen und wenig Können ist. Nun mögen Regisseur Arne Feldhusen und Produzent Ralf Husmann diesen Stolperer aber lieber nicht haben. Also muss Ernie im Takt bleiben. Mädel sieht das ein, weil ihm seine Figur am Herzen liegt. In der vierten Stromberg-Staffel war Ernie depressiv, in der fünften beinahe das Gegenteil. 'Ich habe schon angefangen, mich über die Figur zu ärgern', sagt Mädel in einer Drehpause. 'Der Film ist die Chance, den Ernie auch wieder anders zu zeigen.'

Manches ist anders, weil jetzt Film ist und nicht mehr Fernsehen. Manches, aber nicht alles. 'Wir erfinden den Stromberg nicht neu. Wir bleiben uns treu. Aber die Amplituden sind andere', sagt Herbst und lotet die Ausschläge gleich aus. 'Es geht tief in den menschlichen Keller, und gegen Ende wird es sogar weltpolitisch.' Mehr wird nicht verraten. Höchstens die Tatsache, dass die Belegschaft auf eine Art Betriebsausflug geht. Für Ralf Husmann eine logische Folge des neuen Mediums. 'Wenn wir den Film komplett im Büro erzählen würden, wäre es ja einfach nur eine lange Stromberg-Folge', sagt er.

Husmann ist nicht nur der Produzent, sondern auch der Autor von Stromberg. Er macht sich natürlich auch Gedanken über ein mögliches Publikum für den Kinofilm. 'Wir wollen die Fans mitnehmen und die abholen, die noch nie eine Folge gesehen haben', sagt er und beschreibt die bislang bekannte Zielgruppe der Fernsehserie Stromberg. 'Unsere Fans kommen sowohl vom Feuilleton als auch vom Schulhof', sagt er, will sich aber fürs neue Medium nicht festlegen. 'Letztlich ist es absurd, darüber nachzudenken, welche Zielgruppe man bedienen will. Wir machen das so, wie wir es lustig finden', kündigt er an und sucht dann den Bezug zu den Simpsons. Da sei es auch gelungen, den Film zur Serie erfolgreich zu machen.

Eine Szene weiter schaut sich Bernd Stromberg das gruselige Musizieren des Büro-Ensembles an. Natürlich trägt er wieder diesen Hauch von Abscheu im Gesicht, diesen Menschenekel, dieses institutionalisierte Nichtverstehen eines sozialen Miteinanders. Das Klobrillenbärtchen und die Halbglatze, die Herbst spazieren trägt, verstärken diesen Eindruck. Zwei Monate vor den Dreharbeiten hat er sich eine Glatze geschoren, ist dann in einen langen Urlaub gefahren und als Ekel zurückgekehrt. 'Der Papa ist back. Hammer', sagt er nun und sieht den Film als Karrieresprung für seine Figur: 'Das ist ein Ritterschlag für den Bernd.' Auf die Frage, was denn anders ist beim Film, sagt er erst einmal 'nichts', dann ergänzt er: 'Ich sage nicht, dass ich mich nicht anstrenge, aber an meiner Haltung ändert sich nichts, nur weil wir jetzt Film machen.'Er lobt den veränderten Arbeitsrhythmus. Beim Fernsehen müssen fünf Minuten am Tag gedreht werden, für den Film an 30 Drehtagen jeweils nur drei. 'Am liebsten würde ich Stromberg nur noch als Film drehen.'

Auf die Frage, wie schnell er sich von Christoph Maria Herbst in Bernd Stromberg verwandeln kann, antwortet der Hauptdarsteller nicht mit Worten. Er schnippt nur kurz mit den Fingern. Obwohl er seine Arbeit mag, ist ihm privat die Figur des Büroekels schon ein wenig lästig. Deshalb kommt die Antwort auf die Frage, wie schnell Bart und Kranzglatze nach Drehschluss verschwinden, wie aus der Pistole geschossen: 'Ganz schnell. Das ist eine Belastung für mein soziales Umfeld.'

Stromberg als Film ist ein besonderes Projekt. Die Fans der Serie wurden im Netz um Spenden gebeten; innerhalb einer Woche kam eine Million Euro zusammen. Ursprünglich hatten die Akteure mit einer monatelangen Sammlung gerechnet und auf gerade mal die Hälfte des Betrages gehofft. Das restliche Geld bei Investoren und Filmförderern wie der Film- und Medienstiftung NRW einzusammeln, war danach beinahe ein Kinderspiel.

Nun hängt es an der Qualität des Films und am Interesse des Publikums, ob sich die Anteile rentieren. 'Wenn wir eine Million Zuschauer schaffen, ist das ein Riesenerfolg. Dann bekommen auch die Investoren ihr Geld zurück', verspricht Husmann in Bezug auf die Spender aus dem Netz. Mit Prognosen zu einer Fortsetzung der Fernsehserie hält er sich zurück, sinniert aber auf Anfrage kurz über eine mögliche Marschrichtung. 'In der bisherigen Form mit der Capitol und diesem Ensemble ist das durch', sagt er.

Die aktuelle Musik spielt in Köln-Braunsfeld im Büro. Ernie sagt zum x-ten Mal sein Capitol-Gedicht auf, und zum x-ten Mal setzt der Blockflötenterror ein. Dann weist er zwei Kolleginnen an, die ungelenk Cheerleader-Puschel schwenken: 'Macht doch mal gleichzeitig synchron!' Gleichzeitig synchron! So ist er, der Ernie, der in seinem Büro eine Makramee-Eule und ein Kruzifix hängen hat, den Husmann schon mal als Rührei auf Füßen titulierte. Den Ernie, nicht den Jesus.

In einer Drehpause ist Zeit, über die 17 Schreibtische im Großraumbüro zu schauen. Da liegt eine Telefonliste aus, die Strombergs Durchwahl mit 7593 ausweist. Der Kantinenplan sieht für den Montag Rinderrouladen mit Rotkohlsoße vor, für 4,50 Euro. Man ist hier in Details verliebt. Überall stehen Pflanzen mit halbbraunen Blättern herum, die offensichtlich viel zu lange viel zu wenig Wasser bekommen haben. Sie werden zwischen den Drehs sorgfältig in der Produktionsfirma Brainpool zwischengelagert und mit Feingefühl auf Entzug gehalten, damit sie wieder als Kulisse herhalten können für Strombergs spezielle Form von betreutem Arbeiten. Alles ganz normal in diesem Büro. Und gerade deshalb so erschreckend.

Offen für alles

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Die Piratin Marina Weisband hat ein Buch über Demokratie geschrieben: Politik soll Menschen glücklich machen - irgendwie

Im Herbst 2011 war es eine ernste Frage, ob man die Berliner Piraten ins Abgeordnetenhaus wählen sollte. Dafür sprachen auch die Fortschritte des digitalen Wandels, aber nicht sie allein. Es fehlte in der Stadt eine politische Kraft, der man glauben mochte, dass sie Bürger als Bürger ernst nehmen wollte, eine liberale Kraft jenseits von Milieuschutzfuror, Rücksichtnahmen auf Bezirksverbände, und unbelastet von allzu viel Vergangenheit. Da boten die Piraten etwas Neues - und dem Wähler die Möglichkeit, sich politisch nicht so genau festzulegen. Das sei alles ziemlich pubertär, höhnte ein Freund. Aber hatte er recht?

Über die Absichten der Piratenpartei und deren kurze Geschichte ließe man sich von niemandem lieber aufklären als von Marina Weisband. Dank ihrer Biografie müsste sie über die richtige Mischung aus Distanz und Nähe verfügen. Geboren in Kiew, kam sie mit ihrer Familie Mitte der Neunzigerjahre nach Deutschland, 2009 trat sie in die Piratenpartei ein, gut ein Jahr war sie deren Politische Geschäftsführerin, bis sie sich im Mai 2012 verabschiedete, auch um ihr Psychologie-Studium zu beenden. In ihrem ersten Buch erzählt sie 'kurz aus dem Leben', räsoniert über 'politische Systeme' und trägt nachdenkliche Sätze über 'Menschen in der Politik zusammen'. Leider ist 'Wir nennen es Politik' gründlich misslungen. Es steht fast nichts darin außer Absichtserklärungen und Thesen, die keinen zweiten Blick vertragen. Über ihr Leben berichtet Weisband zurückhaltend, mit sympathischer Diskretion. Da bleibt als Fazit nur: Politiker sind auch nur Menschen. Echt?



Marina Weisband: Einst Deutschlands liebste Jungpolitikerin, jetzt Buchautorin

Über die Piraten erfährt man fade Anekdoten und sonst nichts, worüber nicht eine halbe Stunde Googeln mehr Aufschluss böte. Was Weisband politisch will? Die Welt besser machen, klar. Dazu sollen sich irgendwie alle anstrengen. Das war"s. Nichts Konkretes über Datenschutz, Urheberrecht, Informationsfreiheit, auch nichts Genaues über Schul- oder Gesundheitspolitik oder ein anderes Thema. Es sei denn, man ist mit Aufforderungen zu zivilisiertem Verhalten zufrieden. Es bleibt alles so allgemein wie möglich, nie wird es komplexer als die 'Sendung mit der Maus'. Wenn die Sätze mal nicht berückend schlicht sind, klingt es so: 'Eine junge Idee knospte so langsam in den Synapsen in der hinteren Ecke des kollektiven Bewusstseins auf.' Nun wird der Leser gleich eingangs gewarnt: 'Nehmen Sie dieses Buch nicht zu ernst. Es ist von einer 24-jährigen Studentin geschrieben, also was kann man davon erwarten?' Schon ist man verstimmt. Außenpolitische Exkurse à la Helmut Schmidt hatte niemand erwartet, aber wenigstens Interessantes über ein paar Monate inmitten der erfolgreichsten neuen Partei der Berliner Republik. Aber das ist nicht im Angebot, stattdessen - wie es im Selbstlob heißt, 'viele, viele frische Ideen' und 'viel Motivation'.

Frisch? Wenn man 'Politik' sage, 'wehe im gleichen Atemzug der Geruch von Anzügen und Geld, Konferenztischen und weißhaarigen Männern mit'. Das Klischee ist wenigstens so alt wie der Rezensent. Der Rest der versprochenen Frische verdankt sich absichtlicher und daher vereinnahmender Naivität. 'Damit wir uns nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen, haben wir Kommunikation entwickelt, die komplex genug ist, um uns auf Kompromisse und Regeln zu einigen.' Haben 'wir' das vor 40000 Jahren getan - oder als Paul den Klassenkasper gab? Egal. Hier wird man mit Teenager-Rousseauismus abgespeist: Ominöse Kollektivsubjekte erfinden mal dies, mal das. Ihre Beispiele entnimmt Weisband gern einem fiktiven Dorf. Aufs wirre Nebeneinander der großen Städte, auf die Alltäglichkeit des Unvereinbaren und auf die damit verbundene Chance zum stetigen Rollenwechsel geht sie nicht ein. Sie mag es halt überschaubar, kleine Gemeinschaften.

Ihren Titel hat Weisband von Holm Friebe und Sascha Lobo geborgt, die in 'Wir nennen es Arbeit' 2006 über die 'digitale Bohème' aufklärten. Weisband dagegen tut so, als sei sie die Erste, die über Probleme und Reformbedarf der repräsentativen Demokratie nachdenkt. Sie schöpft allein aus dem 'Ich', schreibt aus einem völlig wirklichkeitsleeren, geschichtsfreien Raum heraus, in dem forcierter guter Wille das Fehlen von Fakten, Kontroversen, Konflikten kompensieren muss.

'Politik hat das Ziel, alle Menschen möglichst glücklich zu machen.' Das sei, behauptet sie, eine Banalität, wie 'der Ball ist rund'. Menschen, die die Rundheit von Bällen bestreiten, kann man wahrscheinlich ungestraft ignorieren, nicht aber die vielen, die von Politik nicht glücklich gemacht werden wollen. Soll nicht Politik Menschen davon abhalten, sich die Köpfe einzuschlagen, einander Leid anzutun? Oder soll sie Bedingungen schaffen, unter denen jeder möglichst ungehindert seiner Vorstellung vom Glück nachrennen kann? Oder ist ein Zustand ohne Politik zu wünschen, indem nur noch verwaltet wird? Es gab und gibt darüber Streit. Aber Streit, Interessenkonflikte spielen bei Weisband höchstens am Rande eine Rolle, ihr Ziel ist Harmonie durch Dauerkommunikation.

Sie, die für 'ihre Generation' sprechen will, glaubt sich dabei mit der Vernunft und der Zeit im Bunde. Sie träumt von netzkonformer Demokratie. 'Liquid democracy' ermögliche ständige Diskussionen und Ideenaustausch: 'eine ganz neue Form der Mitbestimmung. Eine Form, die die Vorteile von direkter und repräsentativer Demokratie miteinander vereint.' In der 'liquiden Demokratie' kann man seine Stimmen je nach Thema und Tagesform delegieren, man hat einfach mehr Optionen als in der Parteiendemokratie. Ganz wichtig für alle: 'Neugier, Offenheit und die Bereitschaft, sich selbst und seine Positionen in einem Lernprozess zu ändern'.

Wem vor Hinterzimmern graut, wer die Lernfähigkeit von Institutionen und umständliche Verfahren gering schätzt, wer findet, dass alle Menschen sich mehr Mühe geben sollten, der findet hier ein anstrengungslos zu lesendes Erbauungsbuch. Wem an Transparenz und zeitgemäßen Formen des Bürgerseins liegt, der stellt nach der Lektüre ernüchtert fest, dass auch Weisband 'in einer Scheinrealität' vor sich hindümpelt. Erstaunlich schnell ist die frische politische Kraft bei der Floskelproduktion in volkspädagogischer Absicht gelandet: 'Wir wollen die Gesellschaft gestalten, in der wir noch viele, viele Jahre leben wollen.' Bitte, gern.

Marina Weisband: Wir nennen es Politik. Ideen für eine zeitgemäße Demokratie. Tropen bei Klett-Cotta, Stuttgart 2013. 174 Seiten, 16,95 Euro.

Himmelsstürmer im Formationflug

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Schreiben lernen - geht das überhaupt? Ein Besuch am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig

Fliegen Kraniche eigentlich Formation? Gänse bilden ja im Flug ein V am Himmel', überlegt eine Studentin. 'Kraniche vielleicht ein großes K?', schlägt ihr Kommilitone vor. Hier in Leipzig wird gekalauert, gekichert, und man verdreht die Augen wie in den meisten anderen Uni-Seminaren auch. Mit einem Unterschied: Die etwa 25 Anwesenden in dem hohen, hellen, verwinkelten Raum sind angehende Romanautorinnen, Dramatiker und Lyrikerinnen. Sie studieren 'Literarisches Schreiben' am Deutschen Literaturinstitut. Ein künstlerischer Studiengang mit prominenten Absolventen wie Juli Zeh, Olga Grjasnowa, Clemens Meyer oder Judith Zander, der vom Kulturbetrieb in schönster Uneinigkeit bald gefeiert, bald verflucht wird.

Seit 17 Jahren existiert das Schriftsteller-Studium nun - wieder, muss man sagen, denn dessen Vorgänger, das 'Literaturinstitut Johannes R. Becher', war 1990 nach der Wende aufgelöst worden. Studierende besetzten daraufhin das Institutsgebäude. Sie fanden prominente Unterstützer wie den Schriftsteller Erich Loest oder den Literaturwissenschaftler Walter Jens für den Kampf um eine Neugründung. Diesmal nach dem Vorbild des 'Iowa Writers" Workshop' und unter dem Dach der Universität Leipzig. Jährlich werden bis zu zwanzig Erstsemester aufgenommen. Als Institut ist das DLL bundesweit einmalig, ähnliche Möglichkeiten bieten Studiengänge wie 'Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus' in Hildesheim und 'Szenisches Schreiben' in Berlin.



Kann man Schreiben wirklich studieren? Am DLL wird das zumindest angeboten.

Im ersten Stock des Instituts, einer grauen, rundlichen, irgendwie elefantenähnlichen Jugendstilvilla, kehrt die Konzentration zurück zum Text. Diskutiert wird 'Intro', eine Kurzgeschichte über einen Journalisten. Kann man literarisches Schreiben lernen? Diese ewige, latent vorwurfsvolle Frage wird hier einfach durch die Praxis beantwortet - man tut es. Im Kurzgeschichte-Kurs des Schriftstellers und Institutsleiters Josef Haslinger ('Opernball') benennen die Teilnehmer reihum Eindrücke und Kritikpunkte. Ein plötzlicher Tempuswechsel in 'Intro' fällt auf, außerdem die allzu deutliche ironische Distanz des Erzählers. Insgesamt kommt die Geschichte gut an, vor allem lakonisch präzise Beobachtungen wie diese: 'Die Funktionsoberflächen unserer Jacken knirschen, wenn wir etwas sagen oder nichts sagen und dazu die Arme heben.'

Nicht der Inhalt steht zur Debatte, sondern Motive, Bildsprache, Klang, Präzision. Argumentiert wird höflich, fast zurückhaltend. Manche würden sich, nachdem der Schock des ersten persönlichen Feedbacks überwunden ist, ab und zu sogar klarere Worte wünschen. Der Verfasser ist schließlich hier, um herauszufinden, ob sein Text funktioniert, ob er, wie Haslinger es nennt, 'seine eigene Poetik schafft'. Was das heißt? 'Dass ein Text Überzeugungskraft entwickelt, ausgehend vom Stil, vom Umgang mit Sprache.'

Wer kommt auf die Idee, studierter Schriftsteller zu werden? Nach 16 Jahren am Institut sieht Haslinger ein Muster. 'Der typische Student hier hat ein anderes Studium begonnen, war dort unglücklich und hat mit dem Schreiben einfach nicht aufgehört.' Juli Zeh beispielsweise schrieb schon als Kind heimlich, studierte dann Jura und hörte irgendwann zufällig vom DLL. Heute zählt sie mit Bestsellern wie 'Nullzeit' zu den prominenten zeitgenössischen Autorinnen. Nicht ohne Stolz erzählt Haslinger von einer weiteren Besonderheit: Man braucht hier kein Abitur, wenn die literarische Begabung überzeugend ist.

In drei Jahren Bachelorstudium sind nur zwei Seminare verpflichtend: 'Erzähltheorie' und 'Exemplarische Werke'. Die weiteren Credit Points erwirbt man in Kursen wie Prosa, Szenisches Schreiben, Recherche, Literaturbetrieb und literarische Berufsfelder, Essay, Grundlagen filmischen Erzählens, Hörspiel oder Text und Komposition. Mit der Institutsleitung wechseln sich die Professoren ab: Josef Haslinger, der Germanist und Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel und Michael Lentz, bekannt als Lyriker und Lautpoet, nebenbei ebenfalls promovierter Literaturwissenschaftler. Auch die Gastdozenten kommen aus der Praxis, Herta Müller, Ilija Trojanow und Sibylle Lewitscharoff waren schon hier.

Derzeit unterrichten der isländisch-deutsche Schriftsteller und DLL-Absolvent Kristof Magnusson und Kathrin Röggla. Sie schreibt dokumentarisch-politische Dramen und Romane und bietet ein Seminar über literarische Grenzgänger an. Ihr gefällt das breite Spektrum der Studierenden, von jungen Abiturienten bis zu Akademikerinnen und Leuten mit zwanzig Jahren Berufserfahrung. Als Außenstehende hört sie bei Studierenden etwas heraus, das selten so formuliert wird, 'die Angst, die viele begleitet, es nicht zu schaffen, nicht zu genügen. Der Literaturmarkt ist eng geworden, das schlägt sich auch hier nieder'.

Mit den tatsächlichen Erfolgen von Leipziger Absolventinnen und Absolventen seit der Jahrtausendwende fand auch ein Kampfbegriff Einzug in die Feuilletons: 'Institutsprosa' - will heißen: handwerklich tadellos, aber inhaltlich schwach. Olga Grjasnowa, die mit ihrem Debütroman 'Der Russe ist einer, der Birken liebt' 2012 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis stand, vermutet: 'Ich glaube, das hat mit einem bestimmten Frauenbild zu tun: Es waren immer Frauen, denen Institutsprosa vorgeworfen wurde, Romane, in denen es angeblich nur um Berlin, Orientierungslosigkeit und Liebesgeschichten geht. Bei Männern hieß es dann Popliteratur und war großartig.' Ihr eigener DLL-Jahrgang lässt sich kaum über einen Kamm scheren: Kerstin Preiwuß veröffentlicht heute Lyrik bei Suhrkamp, Simon Urban hat den DDR-Krimi 'Plan D' geschrieben, Oliver Kluck wird als Shootingstar der zeitgenössischen Dramatik gefeiert.

Ihr Studium war für Grjasnowa ein Wendepunkt: 'Auf einmal bekommt es eine Art Legitimation, sich die Zeit fürs Schreiben zu nehmen', sagt die Autorin, die gerade an ihrem zweiten Roman arbeitet. In Leipzig fehlte ihr allerdings die Theorie, also verbrachte sie ein Auslandssemester am wissenschaftlicher ausgerichteten Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und ein halbes Jahr mit 'Szenischem Schreiben' an der UdK in Berlin. Neben dem Feedback der Kommilitonen halfen ihr vor allem die Recherche-Seminare am DLL, zum Beispiel mit der südkoreanischen Autorin You-Il Kang: 'Mit ihr waren wir in der Gerichtsmedizin, wo uns gezeigt wurde, wie eine Leiche aussieht, wie sie sich anfühlt. Oder wir haben das Polizeipräsidium besucht, wo es um das Schießen mit scharfer Munition ging.'

Im Bachelor probiert man alle literarischen Gattungen durch. Masterstudierende dagegen bewerben sich mit einem konkreten Romanprojekt. Die Arbeit daran begleiten Seminare wie 'Methodik, Poetik und Ästhetik des Literarischen Schreibens' bei Hans-Ulrich Treichel. Hier geht es um Literaturtheorie, doch mit dem Ziel, das eigene Schreiben zu überprüfen und zu verorten. Jonathan Böhm, dessen Textentwurf gerade besprochen wird, sagt: 'Schreiben heißt für mich, Grenzen zu überwinden. Sich seinen eigenen inneren Barrieren zu nähern.' Und irgendwie steht plötzlich die große Frage 'Warum schreiben wir eigentlich?' im Raum. 'Selbstdarstellung, ist doch klar', lautet einer der ersten Vorschläge, der mit breitem Grinsen quittiert wird. Um die Realität ästhetisch zu verarbeiten, meinen andere, um zu verstehen, etwas fassbar zu machen. Treichel bringt den Philosophen Hans Blumenberg ins Spiel: 'Der Schrecken, der zur Sprache zurückgefunden hat, ist schon ausgestanden.' Ein beruhigender Gedanke, nicht zuletzt für die Studierenden, die bald ihre Poetik-Essays abgeben müssen.

Gut schreiben ist die eine Sache, die andere ist, damit sichtbar zu werden. Mit diesem Ziel wurde vor zwölf Jahren die 'Tippgemeinschaft' gegründet, eine studentische Anthologie, die immer zur Buchmesse erscheint. Für die jährlich wechselnde Redaktion ist es jedes Mal ein Sprung ins kalte Wasser, erzählt Juliane Stadelmann. Sie kümmert sich mit sechs anderen um Textakquise, Lektorat, Gestaltung, Presse und Finanzierung - erstmals auch durch Crowdfunding -, denn die Publikation ist komplett unabhängig vom Institut. Die viele Arbeit mit der Anthologie sieht Stadelmann, die als ausgebildete Schauspielerin über das szenische Schreiben zur Literatur kam, positiv: 'Es ist gesund, wenn man sich ab und zu Wege aus dem Elfenbeintürmchen sucht und ins echte Leben geht.' Der Abdruck in der 'Tippgemeinschaft' ist für viele Studierende wichtig als Erstveröffentlichung, die für Stipendien oder Publikationen oft vorausgesetzt wird.

In der Leipziger Literaturszene präsent zu sein, ist auch das Ziel der Veranstaltungsreihe 'Hausdurchsuchung'. Die Studierenden um Magdalena Schrefel bringen Literatur an ungewöhnliche Orte, etwa eine Lyriklesung in den Waschsalon. Ihre Zwischenbilanz nach drei Semestern am DLL? Die Kulturwissenschaftlerin aus Wien hat gelernt, sich literarisch mehr zuzutrauen und daran zu glauben, 'dass die eigenen Ideen wirklich erzählenswert sind'.

Jeder für seinen Preis

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Internate sind teuer, doch viele Schüler bekommen finanzielle Unterstützung in Form von Stipendien. Von den Internaten selbst oder von den Jugendämtern.

Ganz schön investieren müssen manche Eltern, wenn sie ihr Kind in einem Internat ausbilden lassen wollen. So verlangt etwa die Hermann-Lietz-Schule auf Spiekeroog 27360 Euro pro Schuljahr für Schüler der Klassen fünf bis zehn. 30000 Euro kostet ein Schuljahr auf Schloss Bieberstein in Nordhessen - ebenfalls ein Institut aus dem Verbund der Hermann-Lietz-Schulen. Knapp 32000 Euro berechnet der Birklehof in Baden-Württemberg für zwölf Monate Lehre, Logis und Lebensunterhalt. Allerdings sind solch hohe Investitionen bei Weitem nicht bei allen Internaten nötig. Die durchschnittlichen Kosten für einen Internatsaufenthalt sollen - so eine wiederkehrende Zahl auf entsprechenden Internetseiten - bei 250 Euro pro Monat liegen. Doch gerade bei hochpreisigen Internaten ist eine Finanzierung oft schwierig.



Das Internat Schloss Bieberstein. Ein Schuljahr kostet hier 30.000 Euro.

Es sei aber möglich, sagt Helmut Liersch und rechnet vor, dass fast jeder vierte Zögling an der von ihm geleiteten Hermann-Lietz-Schule in Hofbieber bei Fulda, besser bekannt als Schloss Bieberstein, für weniger Geld unterkommt, als in der Preisliste ausgewiesen. Diese 25 Prozent Schüler mit finanzieller Unterstützung entsprechen in etwa dem Schnitt der an Internaten bezuschussten Zöglinge. Etwa zehn bis zwölf der 130 Schüler bekämen von Internatsseite ein Stipendium, sagt Liersch. Das decke bis zur Hälfte die Kosten des Vertrages und sei Schülern mit außerschulischem Engagement und guten Leistungen vorbehalten: Der Notendurchschnitt müsse bei mindestens 2,3 liegen. Jedoch, fügt der Schulleiter hinzu, bekämen die meisten nicht den Höchstbetrag, sondern ein kleineres Bücherstipendium.

Immerhin erhielten fast ein Viertel seiner Schüler ein Stipendium, weil ein guter Teil der Schüler vom Jugendamt gefördert werde. Dies könne etwa dann der Fall sein, wenn das Kind einer besonderen Betreuung bedürfe. Oder wenn es Hilfe im Bereich der Erziehung, des Lernens, des Verhaltens oder der Konzentration brauche, die zu Hause nicht gewährleistet sei. Wie viele Institute, erschließt sich Schloss Bieberstein die Klientel mit speziellen Programmen, etwa durch die gezielte Förderung für Legastheniker. 'Die Eltern dieser Schüler sind meistens Akademiker', erklärt Liersch, diese wüssten oft, 'dass man beim Jugendamt einen Antrag auf Förderung stellen kann - und sie lassen sich von der im ersten Anlauf vielleicht abschlägigen Antwort nicht gleich abschrecken.'

Im niedersächsischen Landerziehungsheim Marienau sponsern Jugendämter jeden fünften Schüler. 'Wir sind als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt', begründet die Schulleiterin Heike Elz, 'darüber hinaus vergeben wir selbst Stipendien in Höhe von zehn bis 50 Prozent der anfallenden Kosten.' Geschwister bekommen Rabatt, Kinder von Mitarbeitern sogar ein Stipendium, das alle Kosten abdeckt. Wegen besonderer Leistungen und sozialer Gründe könnten, sagt die Satzung des Vereins der Freunde und Förderer, auch Kosten anderer, nicht verwandtschaftlich an die Schule gebundener Sprösslinge in voller Höhe übernommen werden. Das freilich bleibt eine Ausnahme und setzt einen längeren Beobachtungszeitraum voraus. 'Ein Stipendium wird nicht gleich von Anfang an gewährt', meint die Schulleiterin, 'wir müssen die neuen Schüler ja erst kennenlernen.'

Grundsätzlich muss der Antrag auf Gewährung eines Zuschusses bei den Geldgebern - also Jugendämtern wie Internaten - jedes Jahr neu gestellt werden. Die Schule und der oft dahinter stehende Trägerverein wollen prüfen, ob die Voraussetzungen noch erfüllt sind. 'Ich betrachte jeden Antrag als Einzelfall, lese ihn gründlich und leite ihn dann an unseren Stipendienausschuss weiter', erläutert Ulrich Mayer, Gesamtleiter der Schloss-Schule Kirchberg an der Jagst. Er rät: 'Wenn es um ein Sozialstipendium geht, sollten die Gründe angeführt werden, warum der Betrag momentan von den Eltern nicht aufgebracht werden kann.' Besonders gravierend waren Engpässe während der Finanzkrise. In dieser Zeit wurden 'deutlich mehr Anträge gestellt als davor und danach'.

Die meisten Eltern, die um Kostenreduktion bitten, rechneten aber nicht mit einem Vollstipendium. 'Wer sein Kind in ein Internat gibt, weiß, was das bedeutet. Kaum jemand erwartet, dass er selbst nichts dazu beitragen muss.' In seiner Schule decke ein Stipendium ebenfalls bis zu 50 Prozent der Kosten. 'Aktuell bekommen zwei oder drei der Schüler einen Zuschuss in dieser Höhe', sagt Mayer, 'vereinzelt kam ein noch höherer Betrag zusammen - wenn das Stipendium aus sozialen Gründen und wegen besonderer Leistungen vergeben wurde.' Derzeit bekomme etwa jeder vierte Schüler Unterstützung, meist in Höhe von einigen Hundert Euro.

Diese Hermann-Lietz-Schule, Deutschlands einziges Inselinternat, kann bei Härtefällen auf eine Stiftung zurückgreifen. 'Wir haben einen Etat für Stipendien zur Verfügung', sagt Geschäftsführer Florian Fock, der auch die Schule leitet. 'Zuschüsse sind unterschiedlich hoch und hängen von individuellen Bedürfnissen ab.'

Zurzeit besuchen 90 Kinder das Internat, dessen Oberstufenschüler sechs Monate lang mit einem Segelschiff auf Törn gehen können und neben der gymnasialen Ausbildung seemännische Kenntnisse sowie Unterricht im sozialen Umgang auf begrenztem Raum erwerben. 'Aktuell bekommen fünf unserer Schüler ein Stipendium, eines davon ein Vollstipendium', sagt Fock. Zusätzlich erhielten 20 Kinder Unterstützung vom Jugendamt. Ausschlaggebend für die Stiftung seien soziale Kriterien und schulische Leistungen. 'Wir erwarten keine Spitzennoten', beruhigt Fock. Die Kinder sollten sich aber auf einem der drei von der Schule als wertvoll erachteten Felder hervortun: Naturwissenschaften, Kunst oder Musik und natürlich - Segeln.

Salafisten könnten Anschlag-Serie geplant haben

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Eine Abhöraktion hat die Ermittler auf die Spur radikaler Islamisten geführt. In einer Bonner Wohnung fanden sie nun scharfe Schusswaffen und Chemikalien - sowie eine Liste mit Namen von Mitglieden der islamfeindlichen Splitterpartei 'Pro NRW'.

Vier in Nordrhein-Westfalen festgenommene militant-radikale Salafisten hatten möglicherweise eine Serie von Attentaten geplant. Darauf deutet eine Liste hin, die neben einer scharfen Schusswaffe und mehr als 600 Gramm einer vermutlich sprengstofffähigen Substanz in der Bonner Wohnung eines Salafisten gefunden wurde. Auf der Liste befanden sich Namen von Mitgliedern der NPD, der Piratenpartei und von der von Islamhassern betriebenen, rechtspopulistischen Splitterpartei 'Pro NRW'. Nur die Namen der Pro-NRW-Aktivisten waren rot markiert, darunter Parteichef Marcus Beisicht.


Auch Mitglieder der Partei "Pro NRW" sollen im Visier der Salafisten gewesen sein

Die Verdächtigen, die zwischen 23 und 43 Jahre alt sind, wurden am Donnerstagnachmittag dem Haftrichter vorgeführt. Sie schweigen bislang zu den angeblichen Mordplänen.

Eher zufällig war die Dortmunder Staatsanwaltschaft auf die Spur der angeblichen Attentäter gestoßen. Die Ermittler hatte vor etlichen Wochen nach Hinweisen aus der Szene ein Verfahren gegen mehrere radikale Islamisten eingeleitet, die angeblich einen Bankraub oder Raubüberfälle planten. Ein Verfahren wegen der 'Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat' wurde begonnen. Einer der Verdächtigen war Tyfun S. aus Hessen, der in der Szene der Gotteskrieger einen Namen hat. Er soll Kontakte zu den Sauerland-Attentätern gehabt haben und mit etlichen Dschihadisten gut bekannt sein.

Der Staatsschutz der Essener Polizei belauschte ihn. Durch Abhöraktionen stießen die Beamten auf drei Männer, die im Zusammenhang mit dem Dortmunder Verfahren nicht genannt worden waren. Einige der Männer, zu denen zwei deutsche Konvertiten gehören, sollen sich über die Macher von 'Pro NRW' empört haben, die sich im vergangenen Jahr mit Salafisten Straßenschlachten geliefert hatten.

Die Staatsschützer verwanzten das Auto, mit dem Tyfun S. häufiger unterwegs war. Bei einer Tour am späten Dienstagabend bekamen die Ermittler ein Gespräch mit, in dem über den 'Kopf' von 'Pro NRW' gesprochen wurde. 'Wenn er weg ist, dann kriegen die anderen Angst', sagte einer der Islamisten. Sie sprachen dann über das Auto von Beisicht und das Kennzeichen seines Wagens. Die Verfolger vermuteten, dass ein Anschlag bevorstehe.

Da sich die beiden Salafisten in der Nähe von Beisichts Wohnung im Rheinland aufhielten, wurde der Wagen gestoppt und die Insassen wurden am Mittwochmorgen gegen ein Uhr in der Früh von einem Spezialkommando festgenommen. Bei ihnen wurden keine Waffen sichergestellt. Ermittler schließen nicht aus, dass die beiden Männer eine Observation geplant hatten. Unmittelbar nach der Festnahme wurden Wohnungen in Essen-Kray und in Bonn durchsucht.

Ob tatsächlich Attentate geplant waren oder ob es sich um Phrasendrescherei von Hardcore-Islamisten handelte, wird sich möglicherweise bei den Ermittlungen herausstellen. Schon seit einiger Zeit tauchen im Internet Aufrufe von Islamisten gegen 'Pro NRW' auf. Ein 'Abu Ibrahim' erklärt in einem Video: 'Lauert und sucht einzelne Personen der Pro NRW im Geheimdienstverfahren auf, sammelt genug Informationen über ihre Wohnorte, über ihre täglichen Routen, ihre Arbeitsplätze'. Und dann: 'Schlagt zu!'. Die Feinde sollten getötet werden, um den Propheten zu rächen.

Islamhasser von 'Pro NRW' hatten vor Moscheen Mohammed-Karikaturen gezeigt. Auch ein 'Abu Assan Al-Almani' rief unter Verweis auf Aktionen von 'Pro NRW' zu Anschlägen in Deutschland auf. Deshalb hatte das Bundeskriminalamt im September vergangenen Jahres vor möglichen Anschlägen durch fanatisierte Einzeltäter gewarnt. Islamkritische Aktionen, so steht es in BKA-Analysen, könnten 'Tat-Impuls' für Terroraktionen sein. Zu den angeblich 600 gewaltbereiten Islamisten in Deutschland werden etwa hundert Anhänger der Salafisten gezählt.

Der politische Salafismus ist die am schnellsten wachsende radikal-islamistische Bewegung in Deutschland. Auch der Frankfurter Flughafenattentäter Arid U., der 2012 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, soll dem Salafismus nahe gestanden haben. Spekulationen, einer der vier Männer stehe in Verbindung mit einem gescheiterten Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof, werden von Sicherheitsbehörden dementiert.

Luxus aus der Billiglohnfabrik

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Der schwäbische Modekonzern Hugo Boss hat auf die Brandkatastrophen in asiatischen Nähereien reagiert, um weiter gute Geschäfte machen zu können

Es sind Geschehnisse, die auch gute Geschäftszahlen überschatten können: Am 24. November kämpften Rettungskräfte in Bangladesch gegen das Feuer in einer Textilfabrik. Doch viel war nicht mehr zu retten in der Ruine: 109 Leichen fanden die Behörden schließlich in den verkohlten Trümmern nahe der Hauptstadt Dhaka. Also wieder eine verheerender Brand in einer Näherei. Wenige Wochen zuvor waren in einer Textilfabrik im pakistanischen Karatschi mehr als 280 Menschen ums Leben gekommen. Zwei Katastrophen, die auch Deutschland betreffen: Deutsche Unternehmen lassen in Bangladesch und anderen asiatischen Ländern Kleider nähen. Kik und C&A waren direkt betroffen. Und auch teure, deutsche Premiumhersteller lassen in asiatischen Billiglohnländern produzieren.


Beim Brand in Bangladesch kamen 109 Menschen ums Leben.

Der schwäbische Modekonzern Hugo Boss etwa. Bei seiner Bilanzpressekonferenz räumt er das zwar nur auf ausdrückliche Nachfrage ein - er scheint sich aber seiner hohen Verantwortung bewusst zu sein. 'Ende vergangenen Jahres habe ich Überprüfungen in unseren Zulieferbetrieben angeordnet', erklärt Vorstand Christoph Auhagen. 80 Prozent der 35 Millionen Boss-Klamotten, die jährlich produziert werden, stammen aus einem der weltweit 250 Zulieferbetriebe, in denen Zehntausende Menschen arbeiten. Alle Betriebe hätten in den Wochen nach der Katastrophe Evakuationsübungen machen müssen, sagt Auhagen, dessen Unternehmen für seine Arbeitsstandards mittlerweile recht angesehen ist bei unabhängigen Prüforganisationen und Sozialverbänden. 130 Boss-Mitarbeiter arbeiten in der Kontrolle. Fast alle Zulieferer hätten innerhalb von ganz kurzer Zeit ihre Hallen räumen können. Nur ein Betrieb habe knapp fünf Minuten gebraucht. 'Das ist zu lang', sagt Auhagen, 'auf unseren Druck hin bauen die nun eine neue Fabrikationshalle'.

Verzichten könnte Boss auch nur schwer auf die Standorte, zumindest wenn das Geschäft weiter so gut laufen soll wie bisher. 2012 hatte das Unternehmen ungeachtet der Wirtschaftskrise das bislang beste Geschäftsjahr seiner Firmengeschichte. Der Umsatz stieg um 14 Prozent auf 2,3 Milliarden Euro. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) verbesserte sich um 13 Prozent auf 529 MillionenEuro. Unter dem Strich verdiente das Unternehmen aus dem schwäbischen Metzingen 307 Millionen Euro. Die schöne Dividende von 3,12 Euro kommt dabei vor allem dem Finanzinvestor Permira zugute, der etwa zwei Drittel der Hugo Boss-Aktien besitzt.

Bis zum Jahr 2015 peilt Vorstandschef Claus-Dietrich Lahrs drei Milliarden Euro Umsatz an. Der Architekt des Boss-Erfolges darf daran selbst weiterarbeiten: Kurz vor Weihnachten wurde sein Vertrag um fünf Jahre verlängert. Die Erfolgsstrategie ist dabei weiter der Umbau vom Hersteller zum Händler: 840 eigene Läden hat Hugo Boss bereits. Im vergangenen Jahr machte das Unternehmen erstmals mehr Umsatz mit den eigenen Filialen als über den Großhandel. Im laufenden Jahr sollen 50 Läden dazukommen. Nicht eingerechnet ist bei dieser Zahl die geplante Übernahme von Verkaufsflächen der Handelspartner. Der Grund für diese Ausrichtung hin zum Endkunden: Es ist lukrativ. 'Wir stellen fest, dass wir Produkte im eigenen Einzelhandel im Durchschnitt zu höheren Preisen verkaufen können', sagt Lahrs.

In Deutschland und in den USA sehen die Manager ihre Marke mitunter noch nicht adäquat vermarktet: Boss-Anzüge würden in diesen Märkten eher lieblos und ohne Beratung verkauft - zu vergleichsweise niedrigen Preisen. Entsprechend haben die Schwaben die Preise heraufgesetzt: Der günstigste Anzug kostet nun 449 Euro statt 399 Euro. Diese Entwicklung hin zum Luxus habe auch Auswirkungen auf die Fabrikstandorte, sagt Marken-Manager Auhagen: 'Wir müssen die Spirale hin zu immer billigeren Produktionsstätten nicht so mitmachen wie andere'.

Waffen für syrische Rebellen

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Die Regierungen in Paris und London wollen möglicherweise trotz EU-Embargos Waffen für die syrischen Rebellen liefern.

Frankreich und Großbritannien haben angekündigt, Waffen an die syrischen Rebellen zu liefern - zur Not auch ohne Zustimmung der EU-Partner. Man wolle dem Widerstand in Syrien die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen, sagte der französische Außenminister Laurent Fabius am Donnerstag. Zunächst wolle sein Land gemeinsam mit den Briten zwar eine Aufhebung des EU-Waffenembargos. Für den Fall, dass dies nicht gelingt, deutete Fabius an, seine Regierung werde möglicherweise auch ohne EU-Beschluss Waffen an die Rebellen liefern. Frankreich sei schließlich 'ein souveränes Land'.


Der Konflikt in Syrien dauert bereits zwei Jahre

Das wäre ein klarer Bruch von europäischem Recht - zumindest bis Ende Mai. Denn bis dahin gilt ein erst im Februar ohnehin schon gelockertes Embargo: Die EU-Staaten dürfen syrischen Rebellen alles liefern, nur keine Waffen. Nicht tödliche Militärgüter sind demnach erlaubt, Gewehre, Raketen und Munition aber darf kein Mitgliedsland liefern - weder an Diktator Baschar al-Assad noch an die Opposition. Ende Mai müsste das Embargo verlängert werden. Wenn Großbritannien und Frankreich dem nicht zustimmen, wäre das Embargo Geschichte. Die Regierungen in London und Paris wollen nun jedoch offenbar Druck machen, das Embargo noch in diesem Monat aufzuheben. Dazu ist die Zustimmung aller EU-Staaten nötig. 'Es muss sehr schnell gehen', fordert Fabius. 'Wir können das gegenwärtige Ungleichgewicht nicht hinnehmen: Auf der einen Seite Iran und Russland, die Baschar Waffen liefern, auf der anderen Seite die Widerstandskämpfer, die sich nicht verteidigen können.' Der Konflikt in Syrien dauert schon zwei Jahre, bislang sollen mehr als 70000 Menschen getötet worden sein.

Die oppositionelle Nationale Syrische Koalition begrüßte die Ankündigung Frankreichs. Ein Sprecher sagte: 'Wir in der Koalition unternehmen alle diplomatischen Anstrengungen, um der Weltgemeinschaft zu versichern, dass diese Waffen nicht in die falschen Hände gelangen werden.' Die USA und mehrere EU-Staaten sind besorgt, dass moderne Waffen in die Hände militanter Islamisten gelangen und später bei Anschlägen in Europa oder Israel benutzt werden könnten. Diese kämpfen in Syrien Seite an Seite mit desertierten Soldaten und anderen Assad-Gegnern. Waffen, die an die syrische Opposition geliefert werden, würden spätestens in Gefechten auch an sie weitergegeben. Die Bundesregierung sieht Waffenlieferungen bisher skeptisch. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte aber, die Bundesregierung sei bereit, über Änderungen der Sanktionsbeschlüsse zu diskutieren.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hingegen warnte die Regierungen in London und Paris. Waffenlieferungen an die syrische Opposition sind nach seiner Ansicht ein 'Bruch des Völkerrechts'. Das internationale Recht erlaube keine Lieferungen von Waffen an 'nicht-staatliche Akteure'. Russland ist der wichtigste Verbündete der syrischen Führung und liefert - ebenso wie Iran - schon seit Längerem Waffen an Assad, meist per Flugzeug oder auf dem Landweg über den Irak. Westliche Diplomaten vermuten zudem, dass iranische Waffen auch über die Türkei und Libanon nach Syrien geschafft würden. Teheran versorgt schon seit Jahrzehnten die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah mit Waffen. Kämpfer der Hisbollah wiederum unterstützen Assad.

Die Rebellen hingegen werden offenbar auch mit Waffen aus europäischen Beständen versorgt. So wurden Granatwerfer und Panzerabwehrwaffen aus früheren jugoslawischen Beständen jüngst auf Bildern der Rebellen identifiziert. Unklar ist, ob sie im Geheimen von europäischen Regierungen geliefert wurden. Sie könnten auch von den zahlreichen Waffenhändlern in Nahost stammen. Geld bekommen Assads Gegner aus den Emiraten und Saudi-Arabien - und damit lässt sich vieles kaufen. Denn Waffen sind auch in Syriens Nachbarländern vor allem eines: ein gutes Geschäft.

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