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"Ich habe niemanden, ich brauche jemanden"

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Die 15-jährige Kanadierin Amanda Todd erzählt auf Youtube die Geschichte ihres Cybermobbings. Dann bringt sie sich um. Zwei Wochen nach ihrem Tod wird weiterhin getrauert - und diskutiert.

Acht Minuten und 55 Sekunden braucht Amanda Todd, 15 Jahre alt, aus Port Coquitlam nahe Vancouver in Kanada, um der Welt ihre Geschichte zu erzählen. Eine stumme Geschichte auf 74 Blättern Papier, Todd hält sie, eins nach dem anderen, vor eine Kamera. 'Ich habe niemanden', steht da. 'Ich brauche jemanden'. Man sieht ihre lackierte Nägel, ihre Locken fallen über die Schultern, alles in schwarz-weiß. Vor zwei Wochen hat sich Amanda Todd nach jahrelangem Mobbing im Internet und in der Schule umgebracht. Ihr Video war der letzte Versuch, dem Netz Mitgefühl zu entlocken. Seit er gescheitert ist, hat der Clip auf Youtube Millionen Klicks generiert - und in Kanada eine Debatte über Cybermobbing ausgelöst.



Mit einem YouTube-Video rief Amanda Todd um Hilfe.

Die Geschichte von Amanda Todd ist nicht die erste, die im Netz beginnt und dort endet. Studien belegen, dass in Deutschland jeder dritte Jugendliche schon einmal im Internet belästigt wurde. Jeder zehnte hat nach eigenen Angaben im Netz schon selbst gemobbt, jeder fünfte hält es für möglich, Täter zu werden.

So wie bei Amanda Todd ist der Anfang meist harmlos. Sie beginnt in der siebten Klasse zu chatten, um Freunde zu finden. Sie trifft auf Männer, die ihr Komplimente machen. Einem schickt sie ein Foto von ihren nackten Brüsten. Vielleicht dachte sie, das sei harmlos. Vielleicht wollte sie gemocht werden. Ein Jahr später erpresst sie der Mann: Er habe die Adressen all ihrer Freunde. Wenn sie ihm nicht noch mehr zeige, leite er ihr Foto weiter. Das tut er. Es geht an Todds Schule, er lädt es auf seine eigene Facebook-Seite hoch. 'Ich kann das Foto nie zurückholen', steht später auf einem von Todds Zetteln. 'Es wird immer irgendwo da draußen sein.'

Ihre Mitschüler fangen an, Todd zu mobben. Sie schlagen sie, filmen die Szenen. Todd wechselt die Schule. Als sie dort ankommt, ist das Gerede schon da. 'Beim Essen saß ich wieder ganz alleine', schreibt sie. Drückt das Blatt nah an die Linse, kein Beben, kein Zittern, Blatt für Blatt arbeitet sie den Horror ab: Todd bekommt Panikattacken. Nimmt Drogen. Ritzt sich die Arme. Trinkt Bleichmittel. Bastelt das Video, einen Monat später ist sie tot.

Hunderte Menschen versammelten sich am Wochenende an Plätzen in ganz Kanada, Schüler zündeten Kerzen an, Direktoren veranlassten Schweigeminuten. Auch in den USA, Indien, Spanien und Japan waren Kundgebungen geplant. Die Premierministerin der Provinz British Columbia postete eine Video, in dem sie sich gegen Cybermobbing aussprach. Tausende twitterten über den Fall. 'Jetzt seid ihr alle so 'r.i.p amanda todd, cry, cry' schreibt ein User, 'aber selber mobbt ihr auch Leute und hättet das bei ihr genauso gemacht.'

1,1 Millionen Menschen gefällt Todds Gedenk-Seite auf Facebook. Der kanadische Fernsehsender CTV berichtet, in den Tagen nach Todds Tod sei das Cybermobbing weitergegangen. 'Ich bin so glücklich, dass sie tot ist', habe eine Userin geschrieben. Die Polizei habe sich bemüht, negative Kommentare zu kontrollieren. Es gibt aber auch die Aufforderung, bei der Gedenkseite auf 'Gefällt mir' zu klicken, wenn man sich wünscht, Amanda Todd sei noch da. 83878 Personen gefällt das.

Die Hackergruppe Anonymus will Todd rächen - und hat Name und Adresse eines 32-jährigen Kanadiers veröffentlicht, der schuldig sein soll. Wie die Nachrichtenseite CBC News berichtet, habe Anonymus den Mann über Porno-Netzwerke aufgespürt. Der Beschuldigte wies die Vorwürfe vor Gericht von sich. In einem Interview mit der kanadischen Vancouver Sun bestätigt er zwar, Todd gekannt zu haben. Sie habe sich an ihn gewandt, weil er als Hacker helfen sollte, den Erpresser zu finden. Hinweise zur Identität des wahren Schuldigen habe er der Polizei übergeben. Auf Twitter erscheint wenig später ein Name, dazu ein Alter, ein Wohnort. 'Hier ist er, der Pädophile', schreibt ein User.

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