Eine Tagung befasst sich mit religiösen Provokationen
Die katholische Kirche, so hat das Amtsgericht Tiergarten vergangenes Jahr entschieden, darf "Kinderficker-Sekte" genannt werden. Diese Bezeichnung sei nicht geeignet, den "öffentlichen Frieden" zu stören. Man muss nicht Katholik sein, um sich vorstellen zu können: Zumindest der private Friede von Gläubigen dürfte empfindlich gestört worden sein, sowohl durch die Äußerung eines Bloggers als auch durch das Urteil des Gerichts.
Das Urteil zur "Kinderficker-Sekte" war eines der Beispiele, mit dem sich die Juristen vom Studienkreis für Presserecht und Pressefreiheit bei ihrer Tagung in München einem Problem näherten, das bei genauerem Hinsehen immer komplizierter wird: Gibt es einen wirksamen juristischen Schutz vor Beschimpfung von Religionsgemeinschaften?
der Kirche bricht ihr juristischer Schutz weg
Der früher so genannte "Gotteslästerungs-Paragraf" 166 Strafgesetzbuch, der Religionsbeschimpfungen verbietet, erweist sich heute als leere Hülle. Lediglich sechs Verurteilungen gab es im Jahr 2011 - und die auch nur, wenn man die Nachbarvorschrift "Störung der Religionsausübung" hinzunimmt. Für Winfried Hassemer, den ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, ist der Paragraf 166 ohnehin eine Norm, die man nicht handhaben könne - symbolisches Strafrecht zur Demonstration eines politischen Willens. Dass die Vorschrift kaum angewandt werde, sei darum "ein gutes Zeichen für die Moral der Richter".
Josef Isensee, ein Protagonist der konservativen Staatsrechtslehre in Deutschland, nährte nach Kräften das Unbehagen am schwach ausgeprägten Religionsschutz mit weiteren Beispielen. Er erinnerte an das T-Shirt einer Punkband, das ein gekreuzigtes Schwein und die Aufschrift "INRI" zeigte. Und an jene Feministinnen, die bei einem Papstbesuch 1987 aus Kritik an der katholischen Sexualmoral Hostien nach dem Papst warfen. "Widerwärtig" nannte Isensee das.
Wie komplex die Probleme sind, lässt sich auch am Fall der "Pussy Riot" illustrieren, die wegen eines Punkgebets in einer russischen Kirche zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden sind. Der Mainzer Professor Matthias Cornils schloss nicht aus, dass dies auch nach deutschem Recht den Tatbestand des "beschimpfenden Unfugs" erfüllt hätte. Wobei er den Frauen "durchaus auch sachhaltige Angriffe auf die Mesalliance aus Putin-Russland und orthodoxer Kirche" attestierte. Jedenfalls stünden die drakonischen Strafen für die wachsende Unterdrückung Andersdenkender in Russland.
Tatsächlich ist Religionsfreiheit eine merkwürdige Angelegenheit. Sie bietet alle Freiheit, an etwas oder an nichts zu glauben - aber gegen Provokationen, denen die Gläubigen ausgesetzt sein können, schützt sie nicht. "Gott ist kein Grundrechtsträger, und seine Ehre ist kein Schutzgut", so Isensee. Denn Provokateure genießen Meinungsfreiheit, auch wenn sie die religiösen Gefühle Anderer verletzen. Die "Kinderficker-Sekte" spielte auf die Debatte um den Kindesmissbrauch von katholischen Geistlichen an - unzulässig verallgemeinernd und damit unnötig verletzend, aber eben doch mit einem faktischen Hintergrund. Und bei der Meinungsfreiheit verteilt das Bundesverfassungsgericht keine Geschmacks-Noten, sondern duldet auch schmerzhafte Zuspitzungen.
Isensee möchte nun "exzessive Geschmacklosigkeiten" unterbinden, indem er den Schutz der "öffentlichen Ordnung" ins Feld führt. Seine Beispiele, was damit verhindert werden könnte, wählte er sozusagen paritätisch: eine anti-islamische Demonstration vor einer Moschee während des Freitagsgebets; und eine Konfrontation der Fronleichnamsprozession mit dem Christopher Street Day. Es wurde deutlich, worauf es dem Professor ankommt: darauf, dass die guten Sitten und die Moral wieder Einzug halten ins Recht. Das ist, wie man weiß, ein gefährliches Unterfangen, weil Moral im Zweifel immer das ist, was eine Mehrheit dafür hält.
Verfassungsrichter Johannes Masing warnte darum nachdrücklich vor der Revitalisierung derart unscharfer Begriffe. Damit werde die Freiheitlichkeit doch wieder dem Mehrheitswillen unterworfen. Ähnlich diffus sei der "öffentlichen Friede", der Schlüsselbegriff aus dem strafrechtlichen Verbot der Beschimpfung religiöser Bekenntnisse: "Der öffentliche Friede ist ein Begriff, der schnell entgleitet."
Bleibt es also dabei: Religiöse Provokationen gehören zum Wettbewerb der Meinungen, den der Staat grundsätzlich nicht einschränken darf? An dieser Stelle unternahm Dieter Grimm einen Vorstoß. Die Religionsfreiheit habe auch eine "kollektive Komponente": Den Schutz gegen Herabwürdigungen auszubauen, sei verfassungsrechtlich zumindest nicht verboten. Woraufhin Matthias Cornils sogleich vor staatlichen Eingriffen in den Prozess der freien Meinungsbildung warnte. Was dann doch zu einer ungewöhnlichen Diskussionslage führte: Grimm, wohlgemerkt, ist jener frühere Verfassungsrichter, der sich für die Meinungsfreiheit stark gemacht hat und sie gegen die Zensoren des "guten Geschmacks" gewappnet hat. Dabei will er auch bleiben: Natürlich werde er auch in Zukunft - wenn es um wirkliche Religionskritik gehe - auf der Seite der Meinungsfreiheit sein. Andererseits: "Der säkulare Staat ist kein religionsfeindlicher Staat", sagte er. "Das heißt, dass mit dem Grundgesetz ein säkularer Fundamentalismus unvereinbar ist."- Wolfgang Janisch.
Die katholische Kirche, so hat das Amtsgericht Tiergarten vergangenes Jahr entschieden, darf "Kinderficker-Sekte" genannt werden. Diese Bezeichnung sei nicht geeignet, den "öffentlichen Frieden" zu stören. Man muss nicht Katholik sein, um sich vorstellen zu können: Zumindest der private Friede von Gläubigen dürfte empfindlich gestört worden sein, sowohl durch die Äußerung eines Bloggers als auch durch das Urteil des Gerichts.
Das Urteil zur "Kinderficker-Sekte" war eines der Beispiele, mit dem sich die Juristen vom Studienkreis für Presserecht und Pressefreiheit bei ihrer Tagung in München einem Problem näherten, das bei genauerem Hinsehen immer komplizierter wird: Gibt es einen wirksamen juristischen Schutz vor Beschimpfung von Religionsgemeinschaften?
der Kirche bricht ihr juristischer Schutz weg
Der früher so genannte "Gotteslästerungs-Paragraf" 166 Strafgesetzbuch, der Religionsbeschimpfungen verbietet, erweist sich heute als leere Hülle. Lediglich sechs Verurteilungen gab es im Jahr 2011 - und die auch nur, wenn man die Nachbarvorschrift "Störung der Religionsausübung" hinzunimmt. Für Winfried Hassemer, den ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, ist der Paragraf 166 ohnehin eine Norm, die man nicht handhaben könne - symbolisches Strafrecht zur Demonstration eines politischen Willens. Dass die Vorschrift kaum angewandt werde, sei darum "ein gutes Zeichen für die Moral der Richter".
Josef Isensee, ein Protagonist der konservativen Staatsrechtslehre in Deutschland, nährte nach Kräften das Unbehagen am schwach ausgeprägten Religionsschutz mit weiteren Beispielen. Er erinnerte an das T-Shirt einer Punkband, das ein gekreuzigtes Schwein und die Aufschrift "INRI" zeigte. Und an jene Feministinnen, die bei einem Papstbesuch 1987 aus Kritik an der katholischen Sexualmoral Hostien nach dem Papst warfen. "Widerwärtig" nannte Isensee das.
Wie komplex die Probleme sind, lässt sich auch am Fall der "Pussy Riot" illustrieren, die wegen eines Punkgebets in einer russischen Kirche zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden sind. Der Mainzer Professor Matthias Cornils schloss nicht aus, dass dies auch nach deutschem Recht den Tatbestand des "beschimpfenden Unfugs" erfüllt hätte. Wobei er den Frauen "durchaus auch sachhaltige Angriffe auf die Mesalliance aus Putin-Russland und orthodoxer Kirche" attestierte. Jedenfalls stünden die drakonischen Strafen für die wachsende Unterdrückung Andersdenkender in Russland.
Tatsächlich ist Religionsfreiheit eine merkwürdige Angelegenheit. Sie bietet alle Freiheit, an etwas oder an nichts zu glauben - aber gegen Provokationen, denen die Gläubigen ausgesetzt sein können, schützt sie nicht. "Gott ist kein Grundrechtsträger, und seine Ehre ist kein Schutzgut", so Isensee. Denn Provokateure genießen Meinungsfreiheit, auch wenn sie die religiösen Gefühle Anderer verletzen. Die "Kinderficker-Sekte" spielte auf die Debatte um den Kindesmissbrauch von katholischen Geistlichen an - unzulässig verallgemeinernd und damit unnötig verletzend, aber eben doch mit einem faktischen Hintergrund. Und bei der Meinungsfreiheit verteilt das Bundesverfassungsgericht keine Geschmacks-Noten, sondern duldet auch schmerzhafte Zuspitzungen.
Isensee möchte nun "exzessive Geschmacklosigkeiten" unterbinden, indem er den Schutz der "öffentlichen Ordnung" ins Feld führt. Seine Beispiele, was damit verhindert werden könnte, wählte er sozusagen paritätisch: eine anti-islamische Demonstration vor einer Moschee während des Freitagsgebets; und eine Konfrontation der Fronleichnamsprozession mit dem Christopher Street Day. Es wurde deutlich, worauf es dem Professor ankommt: darauf, dass die guten Sitten und die Moral wieder Einzug halten ins Recht. Das ist, wie man weiß, ein gefährliches Unterfangen, weil Moral im Zweifel immer das ist, was eine Mehrheit dafür hält.
Verfassungsrichter Johannes Masing warnte darum nachdrücklich vor der Revitalisierung derart unscharfer Begriffe. Damit werde die Freiheitlichkeit doch wieder dem Mehrheitswillen unterworfen. Ähnlich diffus sei der "öffentlichen Friede", der Schlüsselbegriff aus dem strafrechtlichen Verbot der Beschimpfung religiöser Bekenntnisse: "Der öffentliche Friede ist ein Begriff, der schnell entgleitet."
Bleibt es also dabei: Religiöse Provokationen gehören zum Wettbewerb der Meinungen, den der Staat grundsätzlich nicht einschränken darf? An dieser Stelle unternahm Dieter Grimm einen Vorstoß. Die Religionsfreiheit habe auch eine "kollektive Komponente": Den Schutz gegen Herabwürdigungen auszubauen, sei verfassungsrechtlich zumindest nicht verboten. Woraufhin Matthias Cornils sogleich vor staatlichen Eingriffen in den Prozess der freien Meinungsbildung warnte. Was dann doch zu einer ungewöhnlichen Diskussionslage führte: Grimm, wohlgemerkt, ist jener frühere Verfassungsrichter, der sich für die Meinungsfreiheit stark gemacht hat und sie gegen die Zensoren des "guten Geschmacks" gewappnet hat. Dabei will er auch bleiben: Natürlich werde er auch in Zukunft - wenn es um wirkliche Religionskritik gehe - auf der Seite der Meinungsfreiheit sein. Andererseits: "Der säkulare Staat ist kein religionsfeindlicher Staat", sagte er. "Das heißt, dass mit dem Grundgesetz ein säkularer Fundamentalismus unvereinbar ist."- Wolfgang Janisch.