Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Ausgeschlafen in die Debatte

$
0
0
Vor dem letzten Fernsehduell versucht Barack Obama, alten Patzern mit Humor zu begegnen. Doch Umfragen zeigen, dass es für den amtierenden Präsidenten durchaus ernst werden könnte

Wenn Humor die Gabe ist, trotz alledem zu lachen, dann ist Barack Obama seit Donnerstagnacht über jeden Zweifel an seinem Witz erhaben. Es geschah beim Al-Smith-Dinner, einem teuren Abendessen für den guten Zweck katholischer Armenspeisung, bei dem alle vier Jahre die beiden Präsidentschaftskandidaten in Frack und Fliege ihr Talent beweisen müssen, sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Es war, nach zwei TV-Debatten, das dritte Rededuell zwischen Obama und seinem Herausforderer, und der Amtsinhaber gewann klar nach Punkten.

Denn er scherzte sogar über die größte Panne seiner Kampagne - sein Debakel in der ersten Fernsehschlacht gegen Romney am Abend des 3. Oktober. Er habe, so lobte der Präsident sich selbst, 'in der zweiten Debatte weit mehr Energie verspürt', um dann preiszugeben, woran das lag: 'Ich fühlte mich wirklich gut erholt, nachdem ich dieses schöne lange Nickerchen in der ersten Debatte hatte.' Das schallende Gelächter und der Beifall im Saal animierten Obama zum Nachschlag: Er sei zuversichtlich, dass Millionen Amerikaner sich mehr auf den zweiten, von ihm gewonnen Showdown mit Romney konzentriert hätten - 'und ich bin einer von ihnen!' Unmittelbar vor der an diesem Montagabend lauernden dritten und letzten TV-Debatte habe er sich deshalb vorgenommen, 'zu jener Strategie zurückzukehren, die ich zur Vorbereitung auf die erste Debatte benutzt habe.' Der Saal hielt den Atem, derweil Obama nach einer Kunstpause nachschob: 'Das war ein Scherz', er habe David Axelrod, seinem engsten PR-Berater, 'ein bisschen zum Schwitzen bringen' wollen.



Barack Obamas erneuter Wahllseg ist gerade alles andere als sicher.

Seit jenem 3. Oktober ist das Rennen ums Weiße Haus gekippt, und Obama weiß es. Ermutigt von Romneys Sieg ließen Sponsoren mehr Geld denn je in den konservativen Wahlkampf fließen: Für die letzten fünf Wochen stehen Romney und der republikanischen Partei satte 183,1 Millionen Dollar zur Verfügung, Obama und die demokratische Partei haben nur 149,1 Millionen in der Kasse. Hinzu kommt, dass die von Großspendern alimentierten 'Super-Pacs' zwei bis dreimal mehr für Romney als für Obama übrig haben.

Noch alarmierender sind die Umfragen: Obamas Vorsprung, bis Monatsanfang bei soliden vier Prozentpunkten, ist ausradiert: Die unabhängige Website 'Realclearpolitics' misst nun einen Patt, eine am Sonntag veröffentlichte Umfrage von NBC und Wall Street Journal sieht den Wettlauf bei exakt 47 Prozent für jede Seite. Als Trost bleibt den Demokraten, dass ihr Kandidat bisher seinen knappen Vorsprung in den wahlentscheidenden Swing States bewahren konnte: In jenen acht bis zehn Bundesstaaten, die mal demokratisch und mal republikanisch votieren, liegt Obama nach wie vor knapp vorn. Noch.

Dem renommierten Wahlforscher Charlie Cook schwant deshalb bereits, die Wahl 2012 könne ausgehen wie der Urnengang anno 2000 zwischen Al Gore und George W. Bush: Der eine Kandidat gewinnt zwar mehr Wählerstimmen, aber der andere Aspirant ergattert die Macht, weil laut US-Wahlrecht eben derjenige siegt, der im 'Electoral College' die meisten Wahlmänner (und Frauen) hinter sich schart. Bisher hatte Cook, ein eher nüchterner Kopf in der bunten Zunft von Amerikas Demoskopen, ein solch zwiespältiges Szenario als 'äußerst unwahrscheinlich' bezeichnet, weil absolute Stimmenmehrheit und die Mehrheit im Wahlgremium in bisher 53 von 56 aller Präsidentschaftswahlen denselben Triumphator gekürt hatten. Nun aber orakelt Cook, ein gespaltenes Ergebnis sei sehr wohl möglich - inklusive peinlicher Stimmennachzählung und bitterer Streiterei vor Gericht.

Die entscheidende Ziel-Ziffer lautet 270: Wer 270 Wahlmänner auf seiner Seite hat, wird (oder bleibt) Präsident. Letzte Trends sehen Romney in Florida, mit 29 'electoral votes' der größte alle Swing States, vorn. Auch Colorado (9 Stimmen), bei der Wahl 2008 ein Obama-Staat, driftet nach rechts. Hier, wie in Nevada (6) und Virginia (13) hoffen die Demokraten jedoch, dass ihr Rückhalt bei den immer zahlreicher mitstimmenden Latinos genügen wird, den Urnengang zu drehen: Laut Umfragen favorisiert Amerikas größte Minderheit Obama mit 69 zu 31 Prozent. Im Kampf um Ohio (18). Wisconsin (10) und Iowa (6) umwirbt der Präsident zudem vorrangig junge Wähler. Allerdings ist Obamas Beliebtheit unter US-Bürgern im Alter von 18 bis 29 Jahren gesunken: 2008 stimmten zwei von drei Jungwähler für ihn, derzeit liegt er mit nur 55 zu 35 Prozentpunkten vor Romney.

Um junge Amerikaner an die Urnen zu treiben, trat Obama zuletzt häufig vor Studenten auf. Und weil Jungwähler als relativ unzuverlässig gelten, forderte er sein Publikum wieder und wieder auf, per Briefwahl oder als 'Frühwähler' in den vielerorts schon vorab geöffneten Wahllokalen ihre Stimme abzugeben. Ungefähr ein Drittel aller Amerikaner, so solide Schätzungen, werden auf diese Art bereits vor dem 6. November ihre Entscheidung fällen. Der Präsident geht als Beispiel voran: Bereits am Freitag will Obama in Chicago demonstrativ selbst frühwählen.

Erste Tests verheißen Obama Hoffnung. Eine Frühwähler-Umfrage von Reuters und Ipsos sah Obama klar vorn, mit 59 zu 31 Prozent (allerdings bei einer Fehlermarge von zehn Punkten). In Iowa, wo die Parteizugehörigkeit der Wähler registriert ist, liegen die Demokraten mit 53 zu 28 Prozent vorn. Und in Florida haben die Republikaner bisher einen weitaus geringeren Vorsprung als zum vergleichbaren Zeitpunkt vor vier Jahren. Unterm Strich jedoch ist das Rennen offen. Obama wird sich in Debatte 3 alle Mühe geben, die Scharte auszuwetzen. Aber so sicher wie vor dem 3. Oktober wird er sich nie wieder fühlen - und Gewissheit gibt"s frühestens nach Sonnenuntergang am 6. November.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345