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Wenn es "klick" macht

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Macht Kunst stark? Und kompetent? Warum man kulturelle Bildung propagieren darf: Kunst muss nichts können, aber weil sie nichts muss, kann sie auch was.

Es sind die Bilder. Auf einer der zurzeit nicht wenigen Tagungen zum Thema "Kulturelle Bildung" zeigte der britische Bildungsforscher Paul Collard der Fachöffentlichkeit das Foto eines offensichtlich begeistert lachenden Jungen von vielleicht zehn Jahren: strahlende Augen, der Mund offen. Man kennt diese Bilder, sie schmücken die Broschüren, in denen die nicht wenigen Institutionen, die sich mit Angeboten kultureller Bildung oder Vermittlung von Musik oder anderer künstlerischer Erfahrungen beschäftigen, darlegen, was sie Gutes tun. Leuchtende Kinderaugen sind ein Erfolgsbeweis, ersetzen häufig präzise Evaluation - und sind ja nicht selten auch der einzige Lohn in einem Bereich, in dem das Gute oft für die Ehre oder unter den Bedingungen von Selbstausbeutung getan wird.

Der Knabe auf dem Foto war also nichts Besonderes. Das Besondere war, dass es sich um den Spross des Vortragenden handelte, der bei einer Education-Maßnahme abgelichtet worden war. Die Pointe aber war seine Antwort auf die väterliche Frage, worüber genau er sich denn so gefreut habe: "Das war, als sie uns sagten, dass es gleich zu Ende ist." Der Witz lockerte nicht nur die Stimmung, er machte auch neugierig auf Collards Thema: Was die Künste in der Schule wirken können, wenn man sie freilässt, über den Kunst- oder Musikunterricht hinaus.



Anders als SZ-Autor Thomas Steinfeld ist unser heutiger Autor überzeugt: Kultur macht stark. Auch die Gesellschaft.

Die Kampagne "Kultur macht stark", die gerade bundesweit plakatiert wird, ist kein Witz - auch wenn sie auf die leuchtenden Augen von Kindern fokussiert, die lesen, tanzen, Musik machen. "David, 6, geht auf Abenteuerreise", steht über einem Bild, das unter anderem wohl David zeigt, dem von einer netten Vorleserin vorgelesen wird, was man daran erkennt, dass die Vorleserin ins Buch lächelt. David aber lächelt uns an. Und zum Zeichen, dass er gerade ein echtes Abenteuer erlebt, trägt er Indianerfedern auf dem Kopf. Mit einer Szenenfolge solcher Lernidyllen macht das Bundesministerium für Bildung und Forschung auf ein Förderprogramm aufmerksam, das noch unter Annette Schavan aufgelegt wurde und das in den kommenden Jahren über 200 Millionen Euro für die Entstehung von lokalen "Bündnissen für Bildung" bereitstellen will. Das ist eine stolze Summe, und man muss hoffen, dass nicht zu viel davon in derart missglückte Kampagnen fließt.

Denn diese Werbung ist eine Vorlage für Kritiker (unter ihnen Thomas Steinfeld in der SZ vom 16. April). Ihre Botschaft: "macht stark" beim Wort genommen, lässt ein staatlich verordnetes Trainingsprogramm für David und andere Indianer befürchten, das nicht nur einen fragwürdigen Fitness-Gedanken propagiert, sondern "Kultur" aus einer Ideologie der Nützlichkeit heraus quasi staatlich kidnappt. Aus ministerieller Sicht werde Kultur als "Maßnahme zur Selbstoptimierung" einem Funktionsdenken unterworfen, das aus dem staatlichen Kulturbegriff ausblende, was sie doch gerade wertvoll macht: ihre schöne Ineffizienz, und ferner, dass bedeutende Kunstwerke den Glauben an das Gute auch nachhaltig erschüttern können. In den Abenteuerreisen des Lebens schützen uns Indianerfedern nicht vor den Schluchten der Sinnlosigkeit, wohl wahr. Dieser Verzwergung von Kunst stehe andererseits eine Aufblähung des Kulturbegriffs gegenüber, bei der nicht nur alle Qualitätsunterschiede zwischen guter und schlechter Kunst im Dienst an der gesellschaftlichen Wellness nivelliert würden, sondern Kultur zu einem nicht hinterfragbaren Summum bonum stilisiert werde.

Damit nähert sich die Kategorie der "Kulturellen Bildung" einem Begriff von Kunst, der sie in den Dienst nimmt und nutzbar macht. Der Bericht der Enquêtekommission "Kultur in Deutschland" aus dem Jahr 2007 bürdet ihr dabei nicht nur die Förderung von Kreativität ("Land der Ideen!") auf, sondern auch, eine Schule der Wahrnehmung und Kritik zu sein. So werde Kunst in der Frage des Nutzens über-, in Bezug auf ästhetische Differenzierungsmaßstäbe aber unterfordert. Thomas Steinfeld spitzte diese Kritik zu: Noch da, wo diese Politik für Kultur einen Raum des Nichtnützlichen verteidige, nehme sie ihr auf perfide Weise den Atem, einfach auch dagegen zu sein. "Eure Kultur will ich nicht!", zürnt eine Mutter im Netz, der die geförderten Bildungsbündnisse ähnlich suspekt sind: "Kack Kampagne. Könnt ihr behalten und ich will das Geld zurück was dafür ausgegeben wurde. Oder noch besser. Steckt es doch in die Schulen."

Einspruch, Kritik, schlechte Laune angesichts der ewigen Heiterkeit staatlicher Bildungsutopien und deren oft trüber Praxisfolgen sind also zum Glück noch möglich. Doch der Furor schüttet das Kind mit dem Bade aus. Man kennt den Effekt aus den Debatten um einen "Kulturinfarkt" oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Was tun? Was hilft der Verweis auf die Zeit einer bürgerlichen Kultur, in der das Publikum noch etwas von dem verstand, was die Künste ausmacht, man Streichquartett spielen und schöne Briefe schreiben konnte. Diese Zeiten sind vorbei, und wir dürfen das Bildungsbürgertum aus historischem Abstand differenziert betrachten: wunderbar in seinen Potenzialen, schrecklich in seinem Distinktionsdünkel. Dass viele Anbieter, von Kultur, übrigens auch von gedrucktem Journalismus, einerseits die tempi passati verabschieden (schon weil man sich so elegant auf die Höhe der Zeit stellt), aber immer noch die Reste des Stammpublikums adressieren, lässt sich als Zeichen von Ratlosigkeit deuten: Was soll denn kommen, für wen werden künftig Zeitungen gedruckt und Mahlersymphonien aufgeführt?

So sehr man die Skepsis teilen kann, ob das Verteilen von Blockflöten an Immigrantenkinder ihre Karrierechancen optimiert, Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit stärkt und gleich noch das Nachwuchspublikum der Zukunft schafft - die Idee kultureller Bildung ist Teil der Suche, auf welche Weise künstlerische Erfahrungen im Leben und Alltag von Menschen bedeutsam sein sollen, wenn Kultur als Vehikel bürgerlicher Selbstdarstellung nicht mehr taugt. Die Frage ist nicht originell, aber sie wird zu selten gestellt: Wie wollen wir leben, was ist uns wichtig?

In Bezug auf Kultur zielt das, will man sich nicht weiter in die Nischen verabschieden, auf eine weitere Rahmung im Gesellschaftlichen. Es beginnt vielleicht beim selbstverständlichen Umgang mit Kunst im schulischen Alltag, greift aber viel weiter. Man macht es sich zu einfach, diese Perspektive als diffus zu diskreditieren. Der Horizont, vor dem das Nachdenken über kulturelle Bildung steht, ist notwendigerweise weit, denn die Probleme sind groß, und das institutionelle Weiterwurschteln wird sie nicht lösen. Man kann das weite Feld aber parzellieren, und vielleicht sind "Bündnisse für Kultur" ja in der praktischen Arbeit erfolgreicher, als es die Plakate mit den gestellten Szenen ahnen lassen, die das Gewollte als schon Erreichtes antizipieren. Das ist schlechte Werbung und beweist gar nicht.

Kunst muss nichts können, aber weil sie nichts muss, kann sie auch was. Zum Beispiel Gemütlichkeitsblasen platzen lassen. Das Starren auf die Beweisbarkeit von Transfereffekten ist so wenig klug wie der Umkehrschluss, es mache das Wesen der Kunst aus, eben keine Effekte zu haben. Die bekannten Parolen über die Nützlichkeit und Unverzichtbarkeit von Kultur sollte man nicht für die Sache nehmen; sie gehören in die laute Antrags- und Begründungsrhetorik, ohne die in diesem Land kein Fördergeld zugesagt wird.

Vielleicht sollte man vielmehr den weiten Begriff der kulturellen Bildung auf die ästhetische, künstlerische Erfahrung hin schärfen. Denn es muss unterschieden werden zwischen dem, was taugt, und solchen Projekten, in denen sich bloß der Egoismus von Institutionen abbildet. Das Thema ist zu wichtig, um es den Funktionären und Lobbyisten zu überlassen. Und was die Bilder angeht: Kinderaugen leuchten, wann sie wollen. Nämlich wenn es "klick" macht, und damit ist nicht das Geräusch gemeint, das die Kamera macht, wenn der Fotograf abdrückt.

Der Autor ist Professor für Musik und Medien an der TU Dortmund und Mitglied des gerade konstituierten "Rats für Kulturelle Bildung".

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