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Das Leben ist keine Oper

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'Villa Verdi' - ein Abend von Johann Kresnik über alternde Künstler, inszeniert an der Volksbühne Berlin.

Andere Theater fördern die Jugend. Die Berliner Volksbühne ist mal wieder ihrer Zeit voraus und macht das Gegenteil: Sie stellt ältere Menschen auf die Bühne und sorgt so dafür, dass auch im Zuschauerraum ungewöhnlich viel Weißhaar zu sehen ist. Johann Kresnik, mit seinen 73 Jahren das vergessene Enfant terrible des Tanztheaters, hat mit "Villa Verdi" einen Abend über alternde Künstler inszeniert.

Der Komponist Giuseppe Verdi eröffnete 1899 in Mailand ein Altenheim für Opernsänger, das noch heute besteht. Kresnik ließ sich von einem Dokumentarfilm über das Heim inspirieren, "Il Bacio di Tosca". Der Film von Daniel Schmid zeigt, wie wenig das Leben mit der Oper zu tun hat, wo die Helden sich aus Verzweiflung in die Tiefe stürzen (Tosca), aus Eifersucht erstochen werden (Carmen) oder in den Armen des Liebsten an Tuberkulose sterben (La Traviata), aber niemals dement werden.

Kresnik stellt dem Verfall des Einzelnen den Verfall der Kultur gegenüber. Denn das Heim, so die Handlung bei ihm, soll aus Sparzwang geschlossen werden. Die Sänger und Schauspieler planen eine Gala, um die Schließung zu verhindern. Es ist ein Aufstand der Alten. Die Waffen: Verdi-Arien und Shakespeare-Monologe.



Weißhaarige Menschen auf der Bühne, weißhaarige Menschen im Publium - mit der Inszenierung "Villa Verdi" beschreitet Johann Kresnik einen eigenen Weg.

Schon die Bühne von Marion Eisele sieht mächtig nach Krise aus. An den Wänden lehnen Bretter, die wohl mal Bühnenbilder werden sollten, der Lüster hängt bedenklich schief, und eine Karl-Marx-Büste überwacht die Szenerie. Der Gefangenchor aus "Nabucco" wird geprobt, und dazu rollen die Choristen ihre Schminktischchen in die Bühnenmitte. An der Vorderseite klebt jeweils ein Bild von früher: schöne junge Männer und Frauen in Schwarz-Weiß. Dahinter sieht man faltige Gesichter.

Die Stimmen sind brüchig, die simple Choreografie gelingt auch nicht so recht, weil jeder sich an einer anderen Stelle die Hand aufs Herz legt oder die Arme hebt. Ein Mann setzt immer zu früh, aber dafür sehr inbrünstig ein. Bei Verdi ist es das jüdische Volk, das in babylonischer Gefangenschaft aus Sehnsucht nach der Heimat singt. Bei Kresnik sind es die Alten, die in ihren Erinnerungen an vergangene Opern-Auftritte schwelgen. Das ist, natürlich, berührend - schon deshalb, weil die meisten Darsteller sich selbst spielen.

Da ist etwa die Sopranistin Jutta Vulpius, 85, die von ihrem Debüt an der Komischen Oper 1954 erzählt. Oder die Schauspielerin Ilse Ritter, die von ihrem Erfolg als Ophelia berichtet - den sie tatsächlich in den 70ern in einer Inszenierung von Peter Zadek hatte. Manchmal blitzen da liebevolle Marthaler-artige Macken auf. Aber allzu oft bleibt es bei der Anekdote. Dabei hätte es gar nicht viel gebraucht, um starke, eigenständige Figuren entstehen zu lassen.

Im Film "Il Bacio di Tosca" gibt es eine Szene, in der eine einst berühmte Sängerin eine alte Aufnahme von sich anhört, eine Arie aus "Tosca". Mal summt sie etwas zu langsam mit, mal lächelt sie versonnen, mal weint sie fast. Und wenn man dieses Gesicht anschaut, in dem so viel Leben steckt, bekommt man eine Ahnung davon, wie es sich anfühlt, alt zu werden.

Kresnik jedoch geht es, was bei diesem dokumentarischen Ansatz schade ist, nicht um Figuren, ihre Eigenheiten und Nöte. Bei 49 Darstellern - Sängern, Schauspielern, Musikern und Tänzern - wäre das auch schwer zu organisieren. Stattdessen setzt er auf Bilder. Ein junges Paar tanzt klassisches Ballett. Sie im weißen Glitzer-Tutu, er oben ohne, selbst die komplizierten Hebefiguren sehen bei ihnen kinderleicht und unschuldig aus. Eine weitere Tänzerin hält ihren Fuß in ein Sägeblatt, bis das Blut spritzt. Das Leichte, so die deutliche Botschaft, ist gar nicht so leicht. Das Schöne entsteht, weil Hässliches dafür getan wird; die Illusion wird nur durch ein Übermaß an Realität perfekt. Auf Krücken bewegt sich die Tänzerin dann, im Duett mit einer jungen Sängerin, die beinamputiert im Rollstuhl sitzt. Versehrt sind hier nicht nur die Alten. Auch die Jungen kämpfen mit der Kunst und mit ihren Körpern.

Das ist ein toller Moment. Aber Kresnik hält sich nicht lange damit auf. Der Abend wird im zweiten Teil zu einer Art Nummernrevue; die Arien und Szenen der Gala werden zwischendurch nur von Parolen unterbrochen. Denn das ist Kresniks eigentliches Thema: die Abrechnung mit dem Kulturbetrieb. Mit einer roten "Verdi"-Flagge marschieren die Darsteller an den Bühnenrand - und empören sich über Einsparungen am Rostocker Theater.

Johann Kresnik hat sich in den letzten Jahren häufig darüber beschwert, dass für Theater nicht mehr genügend Geld da sei; wegen Streit um Finanzen verließ er vor fünf Jahren das Theater Bonn. Kresnik, so scheint es, inszeniert in"Villa Verdi" vor allem sein eigenes Drama mit dem Älterwerden: dass die Zeiten sich ändern. Auch im Theater.

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