Baz Luhrmann dreht Filme als Ansturm auf die Sinne. Unter seiner Regie ist aus F. Scott Fitzgeralds Sehnsuchtsroman 'Der große Gatsby' ein Orkan der Bilder geworden.
Overkill ist gar kein Ausdruck. Hip-Hop-Monsterbässe, die direkt in den Bauch fahren, Gedränge knapp vor der Massenpanik, Bleikristallglitzern, Konfettiwolken, Champagnerregen in 3D. Tausend Bühnen für Selbstdarsteller bietet diese Party, mit Laufstegen über dem Swimmingpool und Breitwand-Orchester und zuckenden Leibern auf den wildgeschwungenen Freitreppen. Jeder ein Performer und Gaukler und Überflieger, manche sogar wirklich an Seilen schwingend, rauschhaft über den Massen. Und zum Höhepunkt des Abends, hinter sich ein donnerndes Feuerwerk, dreht Leonardo DiCaprio sich zur Kamera um, darf endlich sein Gesicht zeigen und sein schönstes Strahlegrinsen, und sagen: "I"m Gatsby."
Okay. Hallo auch. Wenn Sie es sagen.
Wobei die Szene, schon in diesem Moment, merkwürdig auf der Kippe steht. Denn einerseits ist der australische Regisseur Baz Luhrmann natürlich ein Meister des Overkills, ein Magier der Massenchoreografie. Das war schon in "Romeo & Julia" so, seinem ersten Husarenstück mit DiCaprio: Pimp up my Shakespeare, synchronisiert zu Hip-Hop-Beats. Das ging weiter mit "Moulin Rouge", wo er das Pariser Varieté auf Festzeltformat brachte, eine Art Oktoberfest des Cancan. Im Feierwahn, im Ansturm auf alle Sinne, im Tohuwabohu der Entgrenzung ist dieser Regisseur ganz bei sich. Das kann er wie kein zweiter. Und findet dann, im Auge des Orkans gewissermaßen, auch wieder eine wunderbare Intimität. Wenn es funktioniert, funktioniert es perfekt.
Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio bei der Weltpremiere von "The Great Gatsby" in New York.
Andererseits gibt es, inmitten all der Übertreibung und Übersteuerung und Ironie, hier auch eine ernstzunehmende Aufgabe: Leonardo DiCaprio muss wirklich der große Gatsby sein. Und zwar bis hinein ins Mark seiner Knochen: Enigma und Mythos und Legende, Symbolfigur für all die unerfüllbaren Hoffnungen, die im Grunde doch jeder kennt. Fällt nur der Schatten eines Hauchs eines Zweifels über diese Szene, sieht man auf einmal Bräunungscreme, unregelmäßig aufgetragen, sieht Verspannung und Nervosität in diesem Lächeln, spürt geradezu Panik in diesem Feuerwerk aufsteigen, das zur Unterstützung losballert und dann doch nicht wirklich helfen kann. Es ist der Moment der Entscheidung. Die dann, zumindest für diesen Kritiker - der wirklich glauben wollte, der alle Hoffnungen geteilt hat und unbändige Lust auf einen neuen Gatsby hatte, dazu auf Luhrmann und DiCaprio, wiedervereint - nicht gut ausgeht. Leider.
Schon bei F. Scott Fitzgerald, der auch hier der Vater aller Dinge ist, präsent in allen Voiceovers und Dialogen, die sein dünner Roman überhaupt hergibt, balanciert dieser Gatsby ja auf einem hauchdünnen Grat. Jederzeit könnte er abstürzen, ins Überdeutliche, peinlich Ostentative, in die lachhafte Obsession des Freaks. Und doch ist da diese Zartheit in allem, was man nur ahnt, was Andeutung bleibt, und Leerraum, in den man sich mit Gatsby hineinträumen kann. Robert Redford, den man jetzt auch nicht in den Olymp der Verklärung heben muss, hat gerade diese Balance in Jack Claytons Verfilmung von 1974 erstaunlich gut hinbekommen.
Luhrmann und DiCaprio dagegen machen jetzt wirklich die Räume dicht. Das grüne Licht am Bootssteg von Daisy Buchanan, das über die Bucht scheint und Gatsbys ewigem Sehnen die Richtung weist, war ja immer schon zum Greifen nah - jetzt aber greift in einer Szene Gatsby wirklich danach. Und dann rast die Kamera, digital entfesselt, wie sie inzwischen ist, doch wirklich gedankenschnell über die ganze Bucht und in das Herrenhaus der Buchanans hinein, wo eine neue Choreografie beginnt. Lässt eine Distanz, die sich so kraftmeierisch-demonstrativ überwinden lässt, noch Sehnsucht zu? Das ist jetzt wirklich eine gute Frage.
Und DiCaprio, der ja in letzter Zeit ohnehin mehr zum Obsessiv-Verzweifelten tendierte, als innerlich zerrissener J. Edgar Hoover oder als Gefangener auf "Shutter Island" etwa, betont diese Seite des Gatsby, wo er nur kann. "Die außergewöhnliche Gabe der Hoffnung", von der Fitzgerald schreibt, sie müsste ja doch auch etwas Leichtes, Sorgloses und Unbeschwertes haben. Davon spürt man hier fast nichts mehr. Die finsteren Seiten, die natürlich auch schon immer da waren, treten dafür umso mehr in den Vordergrund - der Lügner und Kontrollfreak, der nicht einmal mehr der geliebten Frau noch die Freiheit lassen kann, sich ohne brutalen Druck für das gemeinsame Glück zu entscheiden.
Beim "Gatsby" von 1974 war es Francis Ford Coppola, der sich für zwei Wochen in ein Pariser Hotelzimmer einschloss, um seine Fitzgerald-Adaption rauszuhauen. Er war mäßig motiviert, ein Geldjob als Drehbuchschreiber, hat er später zugegeben - der "Pate" stand gerade kurz vor dem Kinostart, sein weiteres Schicksal als Regisseur noch in den Sternen. Aber gerade der Pragmatismus und die Lässigkeit, die in Coppolas Drehbuch von damals stecken, erweisen sich jetzt dem obsessiven Gefrickel des Baz Luhrmann, der über Jahre gefeilt und dabei seine Starttermine immer wieder verpasst hat, doch als überlegen.
Vieles ist im Detail jetzt einfach schlechter gelöst. Zum Beispiel die Szene auf der zweiten großen Party, in der Gatsby seine wiedergewonnene Daisy, in großäugiger Willenlosigkeit von Carey Mulligan gespielt, geschickt von ihrem Ehemann Tom (ein sehr muskelbepackter Joel Edgerton) weglotst. Natürlich spürt Tom schon, dass hier etwas faul ist, und im neuen Film wird er deshalb auch sehr schnell eifersüchtig und wütend. Coppola lässt dagegen eine Reihe von Girls vorbeiziehen, die bei Fitzgerald in diesem Moment gerade nicht vorkommen - Tänzerinnen einer neuen Broadway-Show. Und obwohl Tom in Sachen Daisy unsicher ist und Böses vermutet, siegt hier seine Gier. Willig lässt er seine Frau gehen, folgt stattdessen wie ferngesteuert den Chorus Girls, und ist damit sehr viel wirkungsvoller charakterisiert.
Das Kino, das noch Geschichten für Erwachsene erzählen will, die aber auch für ein Multiplex-Publikum interessant sein müssen, steht aktuell mächtig unter Druck: Zwischen Superhelden und Franchise-Filmen droht es an den Kinokassen immer mehr unterzugehen. Diesen Druck spürt man hier, auf ungute Weise. Der Overkill, die turbo-getunten Bilder, ja sogar die turbo-getunten Oldtimer, die mit ohrenbetäubenden Soundeffekten über die Staubpisten brettern, erzählen auch von der Angst zurückzubleiben. Wenn aber die ganzen Gatsby-Exzesse nicht auch von der sinnlosen Schönheit der Verschwendung erzählen, sondern gewissermaßen unter Zwang der Selbstbehauptung stattfinden - dann verlieren sie ihren erzählerischen Sinn.
Und vielleicht berührt das Motiv des Romans, dass die Zeit es nicht immer gut mit den Menschen und ihren Ideen meint, auf eigentümliche Weise auch das ganze Unternehmen selbst. Als Gatsby in die Welt kam, im Jahr 1925, lag der erste globale Zusammenbruch aller Gewissheiten, der Börsencrash von 1929, noch in der Zukunft, und die Hoffnung hatte eine Macht, die heute kaum mehr vorstellbar ist. Die "Gabe der Hoffnung", die nicht nur Gatsby auszeichnet, sondern auch Amerika, sein Land, durfte dann immer wieder erblühen, in der endlosen Abfolge von Krise und Ernüchterung, Boom & Bust.
Baz Luhrmann reflektiert das auch. Der Erzähler und einzige Freund des Gatsby, Nick Carraway, hier von Tobey Maguire explizit grüblerisch angelegt, war auch bei Fitzgerald schon ein "Bond Salesman" an der Wall Street, damals ironischerweise ein Synonym für einen doch eher klammen Mittelstand. Der neue Film greift das auf, die Wall Street ist nun aber eher das, was sie heute ist, nämlich ein großes Casino - und Gatsby und sein Partner Meyer Wolfsheim sind darin jetzt auch Spielmacher.
Genau in diesem Bezug auf die Gegenwart liegt dann aber auch das Problem: Menschen, die ihr Leben so voller Inbrunst und Realitätsblindheit auf die Hoffnung bauen, erscheinen heute vor allem als gefährlich naiv - sogar in Amerika selbst. Und jene, die wie Gatsby noch darüber hinausgehen, die mit der Leichtgläubigkeit der anderen gar Millionen verdienen - die sieht man derzeit doch in einem etwas weniger verzeihenden Licht. Wahrscheinlich ist es nicht nur Zufall, dass der Film nun sehr weit entfernt von all dem konzipiert und gedreht worden ist, in Baz Luhrmanns Heimat Australien.
Doch genaugenommen lud Gatsby ja nie wirklich zur totalen Identifikation ein, genauso wenig wie die reiche Daisy, der elementarste menschliche Regungen einfach fehlen. Der Traum war immer eher, einmal auf einer dieser Partys zu landen. "Die Leute wurden nicht eingeladen - sie gingen hin", heißt es schon im Roman. Und sie kamen "mit einer Einfalt des Herzens, die ihre eigene Eintrittskarte war". Das ist doch, aus heutiger Sicht, wirklich eine Utopie: Ein wildes und poetisches Zusammentreffen der unterschiedlichsten Menschen, frei für alle, ohne Gästeliste und Distinktionszwang, ohne Produkteinführung und Türsteher und VIP-Bereich. Dieses zweckfreie Feiern, das sein eigener Zweck sein kann. Vielleicht löst das heute in der Tat die größten Sehnsüchte aus.
So sollte, konnte, musste, von herrlichen Trailern angeheizt, dieser neue "Gatsby" doch wirklich die ultimative Sause werden, der Film, in dem noch einmal alles möglich sein würde, eine Reise bis ans Ende einer magischen Nacht. In diesem Sinn sind wir losgezogen, mit aller Einfalt des Herzens, zu der wir fähig waren. Haben uns mit all den anderen durchs Eingangsportal gequetscht, gestaunt, nach Luft geschnappt, uns die Augen hinter den 3D-Brillen gerieben. Nur um dann doch irgendwann diese unguten Vibrationen aufzufangen, die jeder kennt und die man doch kaum korrekt in Worte fassen kann, es sei denn vielleicht so: oh oh, falsche Party.
The Great Gatsby, Australien 2013 - Regie: Baz Luhrmann. Buch: Luhrmann, Craig Pearce. Kamera: Simon Duggan. Musik: Craig Armstrong. Mit Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan. Verleih: Warner Brothers, 142 Minuten.
Overkill ist gar kein Ausdruck. Hip-Hop-Monsterbässe, die direkt in den Bauch fahren, Gedränge knapp vor der Massenpanik, Bleikristallglitzern, Konfettiwolken, Champagnerregen in 3D. Tausend Bühnen für Selbstdarsteller bietet diese Party, mit Laufstegen über dem Swimmingpool und Breitwand-Orchester und zuckenden Leibern auf den wildgeschwungenen Freitreppen. Jeder ein Performer und Gaukler und Überflieger, manche sogar wirklich an Seilen schwingend, rauschhaft über den Massen. Und zum Höhepunkt des Abends, hinter sich ein donnerndes Feuerwerk, dreht Leonardo DiCaprio sich zur Kamera um, darf endlich sein Gesicht zeigen und sein schönstes Strahlegrinsen, und sagen: "I"m Gatsby."
Okay. Hallo auch. Wenn Sie es sagen.
Wobei die Szene, schon in diesem Moment, merkwürdig auf der Kippe steht. Denn einerseits ist der australische Regisseur Baz Luhrmann natürlich ein Meister des Overkills, ein Magier der Massenchoreografie. Das war schon in "Romeo & Julia" so, seinem ersten Husarenstück mit DiCaprio: Pimp up my Shakespeare, synchronisiert zu Hip-Hop-Beats. Das ging weiter mit "Moulin Rouge", wo er das Pariser Varieté auf Festzeltformat brachte, eine Art Oktoberfest des Cancan. Im Feierwahn, im Ansturm auf alle Sinne, im Tohuwabohu der Entgrenzung ist dieser Regisseur ganz bei sich. Das kann er wie kein zweiter. Und findet dann, im Auge des Orkans gewissermaßen, auch wieder eine wunderbare Intimität. Wenn es funktioniert, funktioniert es perfekt.
Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio bei der Weltpremiere von "The Great Gatsby" in New York.
Andererseits gibt es, inmitten all der Übertreibung und Übersteuerung und Ironie, hier auch eine ernstzunehmende Aufgabe: Leonardo DiCaprio muss wirklich der große Gatsby sein. Und zwar bis hinein ins Mark seiner Knochen: Enigma und Mythos und Legende, Symbolfigur für all die unerfüllbaren Hoffnungen, die im Grunde doch jeder kennt. Fällt nur der Schatten eines Hauchs eines Zweifels über diese Szene, sieht man auf einmal Bräunungscreme, unregelmäßig aufgetragen, sieht Verspannung und Nervosität in diesem Lächeln, spürt geradezu Panik in diesem Feuerwerk aufsteigen, das zur Unterstützung losballert und dann doch nicht wirklich helfen kann. Es ist der Moment der Entscheidung. Die dann, zumindest für diesen Kritiker - der wirklich glauben wollte, der alle Hoffnungen geteilt hat und unbändige Lust auf einen neuen Gatsby hatte, dazu auf Luhrmann und DiCaprio, wiedervereint - nicht gut ausgeht. Leider.
Schon bei F. Scott Fitzgerald, der auch hier der Vater aller Dinge ist, präsent in allen Voiceovers und Dialogen, die sein dünner Roman überhaupt hergibt, balanciert dieser Gatsby ja auf einem hauchdünnen Grat. Jederzeit könnte er abstürzen, ins Überdeutliche, peinlich Ostentative, in die lachhafte Obsession des Freaks. Und doch ist da diese Zartheit in allem, was man nur ahnt, was Andeutung bleibt, und Leerraum, in den man sich mit Gatsby hineinträumen kann. Robert Redford, den man jetzt auch nicht in den Olymp der Verklärung heben muss, hat gerade diese Balance in Jack Claytons Verfilmung von 1974 erstaunlich gut hinbekommen.
Luhrmann und DiCaprio dagegen machen jetzt wirklich die Räume dicht. Das grüne Licht am Bootssteg von Daisy Buchanan, das über die Bucht scheint und Gatsbys ewigem Sehnen die Richtung weist, war ja immer schon zum Greifen nah - jetzt aber greift in einer Szene Gatsby wirklich danach. Und dann rast die Kamera, digital entfesselt, wie sie inzwischen ist, doch wirklich gedankenschnell über die ganze Bucht und in das Herrenhaus der Buchanans hinein, wo eine neue Choreografie beginnt. Lässt eine Distanz, die sich so kraftmeierisch-demonstrativ überwinden lässt, noch Sehnsucht zu? Das ist jetzt wirklich eine gute Frage.
Und DiCaprio, der ja in letzter Zeit ohnehin mehr zum Obsessiv-Verzweifelten tendierte, als innerlich zerrissener J. Edgar Hoover oder als Gefangener auf "Shutter Island" etwa, betont diese Seite des Gatsby, wo er nur kann. "Die außergewöhnliche Gabe der Hoffnung", von der Fitzgerald schreibt, sie müsste ja doch auch etwas Leichtes, Sorgloses und Unbeschwertes haben. Davon spürt man hier fast nichts mehr. Die finsteren Seiten, die natürlich auch schon immer da waren, treten dafür umso mehr in den Vordergrund - der Lügner und Kontrollfreak, der nicht einmal mehr der geliebten Frau noch die Freiheit lassen kann, sich ohne brutalen Druck für das gemeinsame Glück zu entscheiden.
Beim "Gatsby" von 1974 war es Francis Ford Coppola, der sich für zwei Wochen in ein Pariser Hotelzimmer einschloss, um seine Fitzgerald-Adaption rauszuhauen. Er war mäßig motiviert, ein Geldjob als Drehbuchschreiber, hat er später zugegeben - der "Pate" stand gerade kurz vor dem Kinostart, sein weiteres Schicksal als Regisseur noch in den Sternen. Aber gerade der Pragmatismus und die Lässigkeit, die in Coppolas Drehbuch von damals stecken, erweisen sich jetzt dem obsessiven Gefrickel des Baz Luhrmann, der über Jahre gefeilt und dabei seine Starttermine immer wieder verpasst hat, doch als überlegen.
Vieles ist im Detail jetzt einfach schlechter gelöst. Zum Beispiel die Szene auf der zweiten großen Party, in der Gatsby seine wiedergewonnene Daisy, in großäugiger Willenlosigkeit von Carey Mulligan gespielt, geschickt von ihrem Ehemann Tom (ein sehr muskelbepackter Joel Edgerton) weglotst. Natürlich spürt Tom schon, dass hier etwas faul ist, und im neuen Film wird er deshalb auch sehr schnell eifersüchtig und wütend. Coppola lässt dagegen eine Reihe von Girls vorbeiziehen, die bei Fitzgerald in diesem Moment gerade nicht vorkommen - Tänzerinnen einer neuen Broadway-Show. Und obwohl Tom in Sachen Daisy unsicher ist und Böses vermutet, siegt hier seine Gier. Willig lässt er seine Frau gehen, folgt stattdessen wie ferngesteuert den Chorus Girls, und ist damit sehr viel wirkungsvoller charakterisiert.
Das Kino, das noch Geschichten für Erwachsene erzählen will, die aber auch für ein Multiplex-Publikum interessant sein müssen, steht aktuell mächtig unter Druck: Zwischen Superhelden und Franchise-Filmen droht es an den Kinokassen immer mehr unterzugehen. Diesen Druck spürt man hier, auf ungute Weise. Der Overkill, die turbo-getunten Bilder, ja sogar die turbo-getunten Oldtimer, die mit ohrenbetäubenden Soundeffekten über die Staubpisten brettern, erzählen auch von der Angst zurückzubleiben. Wenn aber die ganzen Gatsby-Exzesse nicht auch von der sinnlosen Schönheit der Verschwendung erzählen, sondern gewissermaßen unter Zwang der Selbstbehauptung stattfinden - dann verlieren sie ihren erzählerischen Sinn.
Und vielleicht berührt das Motiv des Romans, dass die Zeit es nicht immer gut mit den Menschen und ihren Ideen meint, auf eigentümliche Weise auch das ganze Unternehmen selbst. Als Gatsby in die Welt kam, im Jahr 1925, lag der erste globale Zusammenbruch aller Gewissheiten, der Börsencrash von 1929, noch in der Zukunft, und die Hoffnung hatte eine Macht, die heute kaum mehr vorstellbar ist. Die "Gabe der Hoffnung", die nicht nur Gatsby auszeichnet, sondern auch Amerika, sein Land, durfte dann immer wieder erblühen, in der endlosen Abfolge von Krise und Ernüchterung, Boom & Bust.
Baz Luhrmann reflektiert das auch. Der Erzähler und einzige Freund des Gatsby, Nick Carraway, hier von Tobey Maguire explizit grüblerisch angelegt, war auch bei Fitzgerald schon ein "Bond Salesman" an der Wall Street, damals ironischerweise ein Synonym für einen doch eher klammen Mittelstand. Der neue Film greift das auf, die Wall Street ist nun aber eher das, was sie heute ist, nämlich ein großes Casino - und Gatsby und sein Partner Meyer Wolfsheim sind darin jetzt auch Spielmacher.
Genau in diesem Bezug auf die Gegenwart liegt dann aber auch das Problem: Menschen, die ihr Leben so voller Inbrunst und Realitätsblindheit auf die Hoffnung bauen, erscheinen heute vor allem als gefährlich naiv - sogar in Amerika selbst. Und jene, die wie Gatsby noch darüber hinausgehen, die mit der Leichtgläubigkeit der anderen gar Millionen verdienen - die sieht man derzeit doch in einem etwas weniger verzeihenden Licht. Wahrscheinlich ist es nicht nur Zufall, dass der Film nun sehr weit entfernt von all dem konzipiert und gedreht worden ist, in Baz Luhrmanns Heimat Australien.
Doch genaugenommen lud Gatsby ja nie wirklich zur totalen Identifikation ein, genauso wenig wie die reiche Daisy, der elementarste menschliche Regungen einfach fehlen. Der Traum war immer eher, einmal auf einer dieser Partys zu landen. "Die Leute wurden nicht eingeladen - sie gingen hin", heißt es schon im Roman. Und sie kamen "mit einer Einfalt des Herzens, die ihre eigene Eintrittskarte war". Das ist doch, aus heutiger Sicht, wirklich eine Utopie: Ein wildes und poetisches Zusammentreffen der unterschiedlichsten Menschen, frei für alle, ohne Gästeliste und Distinktionszwang, ohne Produkteinführung und Türsteher und VIP-Bereich. Dieses zweckfreie Feiern, das sein eigener Zweck sein kann. Vielleicht löst das heute in der Tat die größten Sehnsüchte aus.
So sollte, konnte, musste, von herrlichen Trailern angeheizt, dieser neue "Gatsby" doch wirklich die ultimative Sause werden, der Film, in dem noch einmal alles möglich sein würde, eine Reise bis ans Ende einer magischen Nacht. In diesem Sinn sind wir losgezogen, mit aller Einfalt des Herzens, zu der wir fähig waren. Haben uns mit all den anderen durchs Eingangsportal gequetscht, gestaunt, nach Luft geschnappt, uns die Augen hinter den 3D-Brillen gerieben. Nur um dann doch irgendwann diese unguten Vibrationen aufzufangen, die jeder kennt und die man doch kaum korrekt in Worte fassen kann, es sei denn vielleicht so: oh oh, falsche Party.
The Great Gatsby, Australien 2013 - Regie: Baz Luhrmann. Buch: Luhrmann, Craig Pearce. Kamera: Simon Duggan. Musik: Craig Armstrong. Mit Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan. Verleih: Warner Brothers, 142 Minuten.