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"Geheim!"

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Adenauers Regierung hat den Eichmann-Prozess in Israel beeinflusst, um eigene Leute zu schützen. Selbst fünfzig Jahre später äußert sich die heutige Bundesregierung bei diesem Thema ausweichend

Die Staatskunst hat sich in dem halben Jahrtausend seit dem Wirken des Florentiner Kanzlers Niccolò Machiavelli zwar da und dort verfeinert, aber keineswegs grundsätzlich verändert. Zu den wichtigsten Fertigkeiten gehört noch immer, die Regierten vor allzu viel Einblick in die Geschäfte der Regierenden zu bewahren, weil anders der unbehelligte Fortgang dieser Geschäfte gefährdet werden könnte. Im März hat die Bundestagsfraktion der Grünen eine aus 69 Teilfragen bestehende Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Es geht darin wieder einmal um das wenig kontrollierte und bis heute gern verdeckte Treiben des Bundesnachrichtendienstes unter ihrem ersten Chef Reinhard Gehlen, der 1968 grummelnd und rachsüchtig in den Ruhestand ging. In seinen Memoiren, jedenfalls der englischen Version, die mit Hilfe des später eifrig den Holocaust leugnenden Autors David Irving entstand, spricht Gehlen deshalb recht offen über die ehemaligen SS-Leute, die unter ihm und mit dem Segen von Bundeskanzler Konrad Adenauer bei der Informationsbeschaffung tätig waren.

Als 1960 der ehemalige SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann in Buenos Aires gefasst wurde, fürchtete die damalige CDU/CSU/FDP-Regierung nicht ohne Grund unerfreuliche Auswirkungen für die sich eben demokratisierende Bundesrepublik. In der Verwaltung, in der Justiz und selbstverständlich auch in der Regierung befanden sich etliche Männer, die, in den goldenen Worten Adenauers, "von der Geschichte von früher her etwas verstehen". Zu ihnen gehörte Hans Globke, Staatssekretär im Kanzleramt. Der hatte 1935 zusammen mit seinem Vorgesetzten den Kommentar zu den "Nürnberger Gesetzen" verfasst, die Adolf Eichmann, dem Organisator der "Endlösung", als Rechtsgrundlage dienten.



Der Angeklagte Adolf Eichmann vor dem Gericht in Jerusalem.


Die Grünen fragten also die heutige Bundesregierung nach den Aktivitäten der damaligen und forderten sie auf, "jedem Verdacht entgegenzuwirken, dass sie die Fehler der frühen Bundesrepublik im Fall Eichmann und im Umgang mit der NS-Vergangenheit verschleiern" wolle.

Fehler? Dem Gehlen-Geheimdienst, der direkt Globke unterstand, war seit 1952 bekannt, dass Eichmann nach Argentinien geflohen war. In der deutschen Botschaft in Buenos Aires ließ sich Eichmanns Frau Pässe für die gemeinsamen Kinder ausfertigen. In der BND-Zentrale wusste man auch sonst gut Bescheid über die deutsche Gemeinde im südamerikanischen Exil: der Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtete als informeller Mitarbeiter nach Pullach. Das Bundeskriminalamt (BKA) erklärte sich vorsichtshalber für unzuständig, da es sich bei Eichmanns Verbrechen um politisch motivierte Straftaten handle. So blieb es dem Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer überlassen, sich auf Eichmanns Spur zu setzen. Da er das deutsche Desinteresse kannte, bedrängte er die israelische Regierung, Eichmann zu ergreifen. Wie die Forscherin Bettina Stangneth herausgefunden hat, empfahl der stellvertretende BKA-Präsident Paul Dickopf Bauer sogar, von der Fahndung nach Eichmann abzulassen, da er sich gar nicht in Argentinien befinde.

Dickopf hatte wie Eichmann in der SS gedient und stieg später sogar zum Behördenchef auf. Nebenher bezog er noch ein zweites Gehalt als geheimer Mitarbeiter der CIA, die, so ein Zufall, spätestens 1958 über Eichmanns Verbleib Bescheid wusste. "Schneller als in der Vergangenheit üblich" wolle man vertrauliche Unterlagen des Bundes, "die älter als 30 Jahre sind", der "Öffentlichkeit zugänglich" machen, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf die Grünen-Anfrage zur Erklärung ihrer aktuellen Informationspolitik.

Eichmanns Flucht ist seit sechzig Jahren bekannt, er wurde vor mehr als fünfzig Jahren nach Israel gebracht, aber "zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste" äußert sich die heutige Regierung trotz der großen Worte nur ganz vorsichtig und am liebsten ausweichend zu den Vorgängen im Hintergrund des Prozesses ("nicht zu ermitteln", Akten "liegen nicht vor").

In der damaligen Hauptstadt Bonn muss nackte Panik ausgebrochen sein, als der israelische Ministerpräsident David Ben-Gurion in der Knesset erklärte, Israel habe Eichmann gefangen genommen und werde ihn vor Gericht stellen. Justizminister Fritz Schäffer erklärte zwar vor dem Bundestag, die Bundesrepublik werde sich um die Auslieferung Eichmanns bemühen, aber genau das tat sie nicht. Der "Endlöser", wie er bald hieß, war zu gefährlich.

Besonders Hans Globke musste ihn fürchten. Mindestens vier Mal, so die amtliche Auskunft, traf sich der Staatssekretär mit Vertretern des Bundesnachrichtendienstes (BND). Gegenstand der Gespräche war aber keineswegs allein die Entsendung eines Beobachters, wie es jetzt heißt, sondern es ging darum, Schaden von der Bundesrepublik und vor allem von Globke abzuwenden. In einem in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin verwahrten, "Geheim!" gestempelten Brief meldete der ehemalige Wehrmachtsgeneral Gehlen seinem Vorgesetzten den Vollzug: "Entsprechende Maßnahmen sind eingeleitet."

So ausweichend die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Grünen sonst auch ausgefallen ist, steht doch mitten in diesem überjährigen Herumeiern das Eingeständnis, dass sogar versucht wurde, auf Eichmanns Verteidiger Robert Servatius Einfluss zu nehmen, "dass dieser im Rahmen des Berufungsverfahrens von Eichmann auf eine Benennung des damaligen Staatssekretärs Globke als Zeuge verzichtete". Außerdem wurden Eichmanns Aufzeichnungen mit BND-Unterstützung "beschafft", Globkes und die Namen weiterer Beamter aus dem Reichsinnenministerium vorsorglich getilgt.

Dann, wenn es um Details gehen sollte, wird es wieder amtlich: "Nach sorgfältiger Abwägung" sei die Bundesregierung zu der Auffassung gelangt, "dass eine Beantwortung nicht offen erfolgen kann". Von "staatlicher Fürsorgepflicht gegenüber den Betroffenen" ist noch die Rede. Die gilt beispielsweise dem 1977 gestorbenen BND-Mitarbeiter Hans Rechenberg (Deckname "V-7396"), einst der Pressesprecher Hermann Görings, der die Aufzeichnungen, die Eichmann in seiner Zelle anfertigte, an die britische Zeitung The People verkaufte, wo sie in Abstimmung mit den Prozessterminen als Serie erschienen. Das Honorar ging keineswegs an den Autor Eichmann, sondern an "V-7396", das heißt, er musste es sich mit dem Schweizer Nazi François Genoud und mit dem Anwalt Servatius teilen. Der wiederum hatte die Bundesregierung verklagt, weil sie nicht für die Verteidigungskosten aufkommen wollte. Den Prozess verlor er, aber so gelangte er mit dem Segen des BND und Globkes doch noch an ein Extra-Honorar.

Ach, heiliger Sankt Niccolò! "Zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste" hat sich die Bundesregierung dann lieber doch nicht zu diesem Possenspiel geäußert.

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