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Wie im Film

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Sofia Coppola stellt in Cannes ihr Werk "The Bling Ring" über Luxus-Diebe vor, und gleichzeitig werden Juwelen im Wert von einer Million Dollar geklaut. Auch sonst verschwimmen bei den Filmfestspielen Fiktion und Realität

Um den Wahnsinn von Cannes in Schach zu halten, hilft am Ende nur Disziplin. Zumindest scheint Steven Spielberg das zu denken, der in diesem Jahr den Vorsitz der Jury führt. Nicole Kidman hat als Betroffene ein interessantes Geheimnis ausgeplaudert: Jeden Morgen um sieben Uhr leitet Spielberg bereits das erste Treffen der Juroren, zu denen auch Christoph Waltz und Daniel Auteuil gehören. Wer je eine Party in Cannes gefeiert hat und die verquollenen Augen danach kennt, am nächsten Morgen vor dem Frühstücksbuffet, weiß, wie brutal dieser Zeitplan ist.

Der Wahnsinn bricht sich natürlich trotzdem Bahn. Und besonders irre wird es, wenn die Filme das Glitzerleben der Croisette reflektieren und das Glitzerleben der Croisette den Film. Die Nachricht zum Beispiel, dass in den ersten Tagen Diamantenschmuck aus einem Hotelsafe gestohlen wurde, im Wert von mindestens einer Million Dollar, löste zwar großen öffentlichen Alarm aus, aber klammheimlich auch noch ganz andere Gefühle.

Sofia Coppola zum Beispiel durfte sich freuen, dass ihr Drama um jugendliche Luxusdiebe in Hollywood, "The Bling Ring", vom echten Leben so wunderbar imitiert wurde. Und bei der Firma Chopard, der die Beute gehörte, rechnen sie sicher gerade die weltweiten Schlagzeilen in ihren PR-Wert um - eine Million Dollar dürfte da noch zu niedrig gegriffen sein.




Emma Watson, Sofia Coppola und die Schauspielerinnen Taissa Fariga und Katie Chang bei der Premiere von "The Bling Ring"

Das Thema von "The Bling Ring" greift in Cannes auch noch auf andere Weise aufs Leben über. Bei dem realen Fall, den Sofia Coppola verfilmt hat, ging es um Nobodys, die reich und berühmt sein wollten und deshalb in die Villen von Paris Hilton & Co. eingebrochen sind. Die Figuren dieser Highschool-Gang sind jetzt auch tatsächlich mit Nobodys besetzt - alles Jungtalente, die hier in Cannes ihren ersten großen Auftritt haben. Mit einer Ausnahme: "Harry Potter"-Star Emma Watson.

Am Rande eines Fotoshootings auf der Dachterrasse des Festivalpalasts ist die Hierarchie des Starsystems dann genau zu beobachten: Alle stehen schon da und warten, fertig geschminkt und frisiert, bis Emma Watson überhaupt gerufen wird: "Everybody"s ready, Emma". Und so sehr sich Watson für das Foto dann auch bemüht, nur ein verrücktes Girl in der Gruppe zu sein: Da steht eine blutjunge Multimillionärin in einer Reihe mit Anfängern, die es vielleicht nie so weit bringen werden wie sie. Die Distanz bleibt.

Eindrucksvoll ist auch das Leid in den Augen von David Hasselhoff. Der verblasste "Baywatch"-Star hat sich zuvor in einem pinkfarbenen Shirt auf dem roten Teppich gewagt, um Werbung für einen Low-Budget-Film namens "Killing Hasselhoff" zu machen - klingt bitter, ist aber Routine. Beim gesetzten Eröffnungsdinner, mit Tischherren wie Spielberg und Leonardo DiCaprio, in konzentrischen Kreisen von Macht und Berühmtheit angeordnet, hat Hasselhoff aber keinen festen Platz bekommen. Und so studiert er jetzt von oben den Saal, wie er einst den Strand nach Ertrinkenden abgesucht hat. Wäre da noch ein Stuhl zu haben, der sich mit seiner Würde und der Würde seiner Frau vereinbaren ließe? Er findet ihn nicht - und geht, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Am Ende sind es diese kleinen, sprechenden Momente, die einem als Beobachter in Cannes im Gedächtnis bleiben - alles andere ist Werbung, Markenpflege, Business as usual, per Blitzlichtgewitter festgehalten und dann sofort vergessen. Kirsten Dunst zum Beispiel, die ihren Freund Garrett Hedlund nach Cannes begleitet hat, für seinen Auftritt im neuesten Film der Coen-Brüder. Die beiden sitzen in einem tiefen englischen Ledersofa im Club "Silencio", David Lynch ist hier Miteigentümer, Ausstattung und Atmosphäre sind erkennbar von seinen Filmen inspiriert.

Der DJ spielt gerade die neue Daft-Punk-Single "Get Lucky", das ist definitiv der Song dieses Festivals - und Kirsten Dunst raucht. Selbstvergessen lässt sie die Zigarette zwischen ihren Fingern herunterbaumeln, und die neiderfüllten Blicke, die von allen Seiten auf sie gerichtet sind, bemerkt sie wahrscheinlich nicht. Weiß sie, dass alle anderen zum Rauchen auf die Dachterrasse rausmüssen, wo in diesem Moment gerade ein fieser kalter Regen niedergeht? Ahnt sie, dass alle Kellner große Anstrengungen unternehmen, um nicht zu der Delinquentin hinzuschauen? Wahrscheinlich nicht. Da können wir, um mit Daft Punk zu sprechen, die ganze Nacht aufbleiben - so lucky werden wir nicht mehr.

Steven Spielberg aber und seine berühmten Kollegen in der Jury zeigen, was sich mit Disziplin erreichen lässt. Auf dem roten Teppich bilden sie eine geschlossene Reihe, aus der nur Kidman und Waltz herausragen - die eine, weil sie dank High Heels alle Kollegen überragt, der andere, weil sein Grinsen noch breiter ist als die französische Polizei erlaubt. Für den Auftritt der Jury beim Galadinner, eine halbe Stunde nach Beginn, gibt es Standing Ovations. Die Kehrseite des strengen Regiments ist allerdings auch schon zu beobachten - auf Partys oder beim nächtlichen Smalltalk sieht man die Juroren praktisch nie. Kein Wunder: Wer hier um sieben Uhr morgens über Filmkunst reden muss, macht den Fehler, nach Mitternacht ins Bett zu gehen, einmal und nie wieder.

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