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Jünger der Wissenschaft

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Einmal im Jahr schicken Dutzende Länder ihre besten Nachwuchsforscher zum Wettbewerb. Es locken Preise in Millionenhöhe, doch unter den Schülern herrscht nicht der Geist der Konkurrenz.

Weiter entfernt von drögem Matheunterricht an einem deutschen Gymnasium kann man gar nicht sein: Ein Jugendlicher aus Costa Rica debattiert mit einem Amerikaner und osteuropäischen Schülern über ein mathematisches Phänomen, dessen Formeln schreibt er gleich im Stehen auf den Deckel eines Ordners. Ort des Geschehens: Eine Veranstaltungshalle von gigantischen Ausmaßen in Phoenix, Arizona. Um die Mathe-Freaks herum: Tausende weitere Jünger der Naturwissenschaften. Fast 1600 von ihnen sind die Hauptpersonen der Versammlung. Sie sind die Finalteilnehmer der ISEF (International Science and Engineering Fair), des größten Bildungswettbewerbs der Welt, der am Wochenende zu Ende ging. Unter ihnen auch zwölf deutsche und sechs österreichische Schüler. Sie haben mit ihren Projekten in den jeweiligen Landeswettbewerben wie "Jugend forscht" überzeugt und so das Ticket zur Vollversammlung der Nachwuchsforscherelite in den USA ergattert.

Der damalige Stern-Chefredakteur Henri Nannen hatte Jugend forscht 1965 initiiert, nach amerikanischen Vorbildern. Es war die Zeit als Experten einen "Bildungsnotstand" in der Bundesrepublik beklagten, die Wettbewerbe sollten helfen, die Wissenschaftler von morgen zu finden und zu fördern. Bald stieg auch die Politik ein - mit Geld und Empfängen beim Kanzler. Bis heute. Denn der Fachkräftemangel trifft auch die Forschung. Mit ISEF kehren die Jungforscher in das Geburtsland der Wettbewerbe zurück. Gut 70 Staaten und Regionen nehmen an dem Wettbewerb im US-Staat Arizona teil.



Auch die Kanzlerin guckt durchs Mikroskop - diese Aufnahme ist allerdings schon etwas älter.

Insgesamt geht es in dem Finale um Hunderte Preise und viel Geld - die Veranstalter und Sponsoren schütten Preisgeld und Auszeichnungen wie Stipendien in Höhe von mehr als vier Millionen US-Dollar aus. Von Neid und Rivalität ist während des einwöchigen Zusammentreffens trotzdem nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: Teilweise frenetisch beklatscht die internationale Versammlung die ihr meist unbekannten Preisträger. Und auch Ländergrenzen und Religionen spielen keine Rolle. In Landestracht gehüllte Saudis umarmen Jugendliche aus Indien, in den Trikots der eigenen Fußball-Nationalmannschaft auftretende Brasilianer feiern ihre Preise mit eher zurückhaltenden Ukrainern. Was zählt, ist der Glaube an die Wissenschaft.

"Das alles hier kann man nur schwer mit Jugend forscht vergleichen. Alles ist so viel größer, bunter, fröhlicher und auch lauter", resümiert Julius Kunze, 18, aus Chemnitz. Er reiste mit einer selbst programmierten Software im Gepäck nach Phoenix. Das Programm simuliert Phänomene der Relativitätstheorie im Computer. Es zeigt etwa, wie ein Fußballtor aus Sicht eines fast lichtschnellen Balls aussehen würde - krumm und verbogen. Der Jury gefiel das Projekt so gut, dass sie Julius mit einem der Hauptpreise in der Sparte Informatik auszeichneten.

Die meisten seiner deutschen Mitstreiter gingen indes leer aus. So auch der 17-jährige Niklas Haerting aus Bremerhaven. Er machte sich im Rahmen des Forschungsprojekts gemeinsam mit Patricia Vogel, 16, auf die Suche nach einem Ausgangsmaterial für Biogas, das sinnvoller ist als Mais oder Raps aus Monokulturen. Sie stießen auf Biomüll, wie er in Haushalten entsteht. Die Jury befand das Projekt nicht für preiswürdig - was den Schüler aber kaum irritiert: "Auch wenn ich hier keinen Preis mit nach Hause nehme, bleibt mir immer noch diese einmalige Erfahrung", sagt Niklas. Der Weg nach Phoenix war für manchen deutschen Jungforscher holpriger als nötig. Einige Teilnehmer mussten regelrecht um die Freistellung vom Unterricht kämpfen, um nach Phoenix oder zu den Jugend-forscht-Veranstaltungen reisen zu können. Der Stellenwert solcher Wettbewerbe scheint noch nicht in allen Köpfen angekommen zu sein. Etliche der deutschen Teilnehmer erzählen, dass sie nur dank des Engagements einzelner Lehrer überhaupt auf Jugend forscht aufmerksam wurden. Die Pädagogen betreuen die Schüler oft in ihrer Freizeit.

Fachleute wollen daher neben dem Unterricht eine zweite Säule zur Förderung etablieren. "Künftig sollten wir stärker auch auf außerschulische Lernorte wie etwa Schülerforschungszentren setzen", sagt Dr. Sven Baszio, Geschäftsführender Vorstand der Stiftung Jugend forscht. Er wünscht sich ein Pendant zur außerschulischen Förderung, wie sie von Sportvereinen und Musikschulen geboten wird, für den Naturwissenschaftsnachwuchs.

Vom spielerischen Umgang mit den Wissenschaften - durch Experimente oder die Arbeit mit Phänomenen, die den Schülern im Alltag begegnen - erhoffen sich die Experten einen einfacheren Zugang zu Forschungsthemen. "Es darf nicht darum gehen, den Kindern im Schulunterricht etwas über die Wissenschaft zu erzählen. Vielmehr müssen sie selbst zu Wissenschaftlern werden", sagt Wendy Hawkins. Sie leitet die gemeinnützige Intel Foundation, die der Hauptgeldgeber der ISEF ist.

Dass die Projekte der Jungforscher nichts mit Kindereien wie einem Backpulvervulkan zu tun haben, unterstrich in Phoenix Timm Piper. Der 17-Jährige heimste für seine Arbeit mit dem Lichtmikroskop gleich drei der fünf Preise ein, die in diesem Jahr nach Deutschland gingen. Timm erschafft durch eine geschickte Beleuchtung und Bildüberlagerungen kontrastreiche Mikroskopaufnahmen, auf denen verborgene Details zu erkennen sind. Hilfreich ist dies beispielsweise beim Untersuchen von Blutproben auf Allergene. Der Schüler hat seine Verfahren bereits zum Patent angemeldet.

Trotz ihrer zum Teil beeindruckenden Leistungen sind die deutschen Schüler auf dem Boden geblieben. Einer der Teilnehmer wollte sogar absagen, da er sein Projekt angesichts der internationalen Konkurrenz nicht für wettbewerbsfähig hielt. Wäre er zu Hause geblieben, ihm wären viele neue Kontakte versagt geblieben. Denn die ISEF ist nicht nur friedliches Kräftemessen, sondern auch Nährboden für erste, zarte internationale Netzwerke zwischen den Nachwuchsforschern. So nutzte einer der deutschen Teilnehmer den Trip ins wüstenheiße Phoenix, um seinem Traum vom Master- oder Promotionsstudium am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zu verfolgen, einem der weltweit besten Forschungseinrichtungen überhaupt. Nachdem ihn eine Vertreterin der Uni an seinem ISEF-Stand besuchte und ihn mit Informationen versorgte, war er seinem MIT-Aufenthalt jedenfalls einen großen Schritt näher.

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