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Streitfall Pille

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Obwohl weit über 10 000 Frauen wegen der hohen Thrombose-Gefahr der Pille gegen das Unternehmen klagen, entlastet die Europäische Arzneibehörde Bayer, der Konzern ist von einer Krise weit entfernt und erzielt auch mit seinen Pillenpräparaten Milliarden-Umsätze.

Ihren Lebensplan hatte sich Katrin Weigele anders vorgestellt. Jetzt, mit 31, nimmt die Studentin in Regensburg den zweiten Anlauf zu ihrem Jura-Examen. Vor sieben Jahren war sie schon einmal so weit gewesen. Doch dann fiel ihr das Atmen immer schwerer, Schmerzen lähmten ihre Brust, schließlich landete sie auf der Intensivstation. 'Meine beiden Lungenflügel waren komplett zu', sagt sie. Die Ärzte diagnostizierten eine beidseitige Lungenembolie, es bestand Lebensgefahr. Bis heute muss sie Blutverdünner nehmen, die Gerinnsel lösen sich nicht alle von selbst auf. Sie macht den Wirkstoff Drospirenon in der Antibaby-Pille Yasmin für ihren Zustand verantwortlich, stützt sich dabei auf Studien, Empfehlungen von Ärzten und Institutionen.



Die Pille wird vom Leverkusener Bayer-Konzern hergestellt, seit dieser Schering übernommen hat. Deshalb meldete sich Weigele auf der Bayer-Hauptversammlung am 26.April zu Wort. Leicht gefallen ist ihr das nicht. Doch die Wut war dann doch stärker. 'Wir möchten kein Mitleid, wir möchten ernst genommen werden', sagte sie an Bayer-Chef Marijin Dekkers gerichtet. Mit dem Wir meint sie die Selbsthilfegruppe Drospirenon Geschädigter, die etwa 100 Mitglieder zählt und die Homepage risiko-pille.de betreibt. Weigele will klagen, ebenso wie sechs weitere Mitstreiterinnen. 'Bayer muss das erhöhte Thromboserisiko anerkennen und die Präparate vom Markt nehmen', lautet ihre Forderung. Außerdem sollten die Opfer angemessen entschädigt werden.

Dekkers zeigte Mitgefühl. 'Ihre Erkrankung geht mir sehr nahe', sagte er. Aber an den Fakten habe sich nichts geändert. Bayer sei von einem positiven Nutzen-Risiko-Profil seiner Verhütungspillen überzeugt. Die Nebenwirkungen seien dokumentiert. Es gebe viele Faktoren, die das Thromboserisiko erhöhen könnten. Antworten, mit denen Weigele gerechnet hatte, sie aber dann doch enttäuschten. 'Man wird als Einzelfall abgestempelt', sagt sie.

Ein Einzelfall ist sie keineswegs. Inzwischen häufen sich die Klagen wegen der Nebenwirkungen der Bayer-Pillen. Weit über 10000 Frauen stellen Ansprüche an die deutsche Pharmafirma. In den USA sucht Bayer den außergerichtlichen Vergleich und hat in 4800 Fällen insgesamt eine Milliarde Dollar gezahlt. Das Geld floss ohne die Haftungs-Anerkennung, womit Bayer juristisch gesehen die Schuldfrage umschifft hat. Dekkers musste aber auf der Hauptversammlung auf Nachfrage einräumen, dass der Konzern für die Auseinandersetzungen um die Antibaby-Pillen schon mehr Geld in die Hand nehmen musste als seinerzeit im Fall des Cholesterinsenkers Lipobay. Den nahm Bayer 2001 vom Markt, nachdem das Mittel mit mehreren Todesfällen in Zusammenhang gebracht wurde. Es gab milliardenschwere Klagen, die Aktie stürzte ab, Bayer geriet in eine schwere Krise.

Von einer Krise ist der Konzern heute weit entfernt. Drei Medikamente erzielen Jahresumsätze von mehr als einer Milliarde Euro, darunter auch die Pillenfamilie Yaz, Yasmin, Yasminelle. Wegen der US-Klagen gab es jedoch 2012 einen empfindlichen Gewinnrückgang. Dekkers mochte weitere 'Sondereinflüsse', wie sie im Geschäftsbericht genannt werden, auf der Hauptversammlung nicht ausschließen.

Immerhin hat die Firma nun Schützenhilfe von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA bekommen. Die hat die Pille Diane 35 auf mögliche Thrombosegefahren neu überprüft und stufte sie 'für eine bestimmte Patientengruppe' als eher nützlich als riskant ein. Beantragt hatten den TÜV Frankreich, wo diese Bayer-Pille mit Todesfällen in Verbindung gebracht wird. Eine Welle von Protesten hatte die Politiker und Behörden in Paris aufgerüttelt. Diane 35 darf aber eigentlich nicht als Antibabypille verschrieben werden, sondern soll starke Akne und Behaarung behandeln. Regress-Ansprüche an Frauenärzte, die Pillen verschreiben, ohne die möglichen Risikofaktoren vorher einzugrenzen, sind nicht bekannt.


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