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Strafe für die Opfer

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Immer mehr vergewaltigte Frauen landen in Afghanistan im Gefängnis.


München - Sie werden geschlagen und fliehen von Zuhause, sie werden missbraucht und melden das Verbrechen der Polizei. Doch statt Gerechtigkeit zu erfahren, landen sie im Gefängnis - und nicht die Täter. 600 Frauen sitzen in Afghanistan in Haft, weil sie 'moralische Verbrechen' begangen haben. Eine Vergewaltigung werteten die Ermittler in diesen Fällen als Ehebruch, die Flucht der Frau nach einer Zwangsehe oder häuslicher Gewalt als Straftat. Insgesamt ist in Afghanistan eine Zunahme von Gefängnisstrafen zu beobachten. Aber die Zahl der für 'moralische Verbrechen' inhaftierten Frauen sei seit Ende 2011 überproportional um 50 Prozent gestiegen, sagt Heather Barr von Human Rights Watch (HRW).

Die Menschenrechtsorganisation hat dazu gerade einen Bericht vorgelegt und beruft sich auf Zahlen des afghanischen Innenministeriums. Obwohl sich einige hochrangige Politiker öffentlich gegen die Praxis einsetzen, die Frauen für Dinge zu bestrafen, bei denen sie das Opfer sind, hielten sich auf lokaler Ebene Polizei und Richter nicht immer an längst beschlossene Reformen und Gesetze.

Aber nicht nur in den Distrikten werden Frauenrechte in Afghanistan zunehmend infrage gestellt: Das Parlament setzte jüngst auf Druck islamistischer Abgeordneter eine Debatte darüber aus, ob ein von Präsident Hamid Karsai vor einigen Jahren erlassenes Dekret zum Schutz der weiblichen Bevölkerung in ein Gesetz übertragen werden solle. Barr befürchtet, dass sich am Hindukusch angesichts des anstehenden westlichen Abzugs zunehmend das Gefühl verbreite, 'über Angelegenheiten wie Frauenrechte müsse man sich nicht weiter den Kopf zerbrechen'.



afghanische Frauen bei einer Demonstration für Frauenrechte, unverschleiert, wie es ihnen eigentlich verboten ist

Die Situation der Afghaninnen zu verbessern, galt als eines der zentralen Anliegen, als der Westen in Afghanistan einmarschierte. Im Vergleich zu den düsteren Jahren des Taliban-Regimes, als Frauen in Afghanistan vom öffentlichen Leben ausgeschlossen waren, hat es auch zumindest punktuell Fortschritte gegeben. Mindestens ein Viertel der Sitze im Parlament muss von Parlamentarierinnen eingenommen werden. Die wenigen Erfolgsgeschichten aus der Unternehmerwelt sind zwar weitgehend, aber nicht ausschließlich, Männern vorbehalten - so betreibt etwa eine aus dem Exil zurückgekehrte Afghanin die erste Bowlingbahn des Landes.

Doch Afghanistan bleibt eine durch und durch männerdominierte Gesellschaft. 'Wir haben uns in den vergangenen zwölf Jahren in diesem Bereich nicht sonderlich verändert, Frauen werden selbst in den großen Städten häufig noch wie Müll behandelt', sagt ein afghanischer Journalist in Kabul. Daran haben auch die kostspieligen westlichen Programme nichts geändert. 'Am Anfang des Einsatzes waren wir nicht ehrlich genug, uns zu fragen, auf welchem niedrigen Stand Afghanistan beim Thema Gleichberechtigung eigentlich steht', sagt der Mitarbeiter einer deutschen Nicht-Regierungsorganisation, der Projekte zur Förderung von Frauen in Afghanistan betreut hat und namentlich nicht genannt werden möchte. Gerade auch deutsches Geld sei in manchen Fällen an der afghanischen Realität vorbeigegangen. Dass die Zahl der wegen 'moralischer Verbrechen' inhaftierten Frauen in Afghanistan zwölf Jahre nach dem Einmarsch des Westens so hoch sei, belege diese traurige Fehlentwicklung, sagt der Experte.

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