In der spanischen Exklave Melilla in Marokko ist ein Streit über den Umgang mit Flüchtlingen aus Afrika entbrannt
Die beiden muslimischen Friedhöfe liegen nicht einmal 200Meter voneinander entfernt. Der westliche gehört zur Kleinstadt Ferkhana in der marokkanischen Provinz Nador, der andere liegt auf dem Territorium der Europäischen Union, er gehört zur spanischen Exklave Melilla. Dazwischen verläuft auf dem Ostufer des Río de Oro, des Goldflusses, die Grenze: drei bis zu sieben Meter hohe Zäune, Stacheldraht, Bewegungsmelder und ferngesteuerte Suchscheinwerfer. Es handelt sich angeblich um die am besten gesicherte Außengrenze des EU-Raumes. Sie soll den Druck der zur Emigration entschlossenen Menschen südlich der Sahara aushalten, aus den in Korruption oder Bürgerkrieg versunkenen afrikanischen Ländern, wo gerade junge Männer keine Aufstiegschancen sehen. Trotz der technologischen Aufrüstung ist Ende April einer Gruppe von etwa 40Afrikanern die Überwindung der Grenzanlagen gelungen. Sie haben nicht nur einen heftigen Streit im Stadtrat von Melilla ausgelöst, der auch das ferne Madrid beschäftigt, sondern das Thema wieder in den Fokus von Menschenrechtsorganisationen gerückt.
Gut abgeschottet: Grenzzäune der spanischen Exklave Melilla
Verwackelte Videoaufnahmen zeigen, wie eine größere Gruppe von Afrikanern über eine Straße läuft. Der Arzt Mustafa Aberchán, führender Kopf der oppositionellen Koalition für Melilla (CpM) zeigt den Schauplatz: Es ist die Straße, in der er wohnt. Ein Teil der Gruppe habe sich auf sein Grundstück geflüchtet. Ihm droht nun ein Verfahren wegen Behinderung der Ordnungskräfte. Der Repräsentant der spanischen Regierung in Melilla, Abdelmalik el-Barkani, auch er Muslim und Arzt, kritisierte den Lokalpolitiker scharf. Dieser hielt mit einer Beschwerde wegen Hausfriedensbruchs dagegen. Er habe die Asylbewerber nur vor drohenden körperlichen Übergriffen bewahren wollen. Dass diese keine Seltenheit sind, belegen nach seinen Worten viele Aussagen und auch mit Handys aufgezeichnete Szenen aus dem Sammelheim für die "illegalen Grenzübertreter". Es befindet sich in Sichtweite des muslimischen Friedhofs unweit der Grenze, gleich unterhalb des Golfplatzes, der laut der CpM auch mit zweckentfremdeten EU-Geldern finanziert wurde.
Dieses Mal verlief die Konfrontation im Grenzstreifen glimpflich. Menschenrechtsgruppen fordern die Europäische Union auf, sich der Kontrolle dieses neuralgischen Abschnitts ihrer Außengrenze anzunehmen. Das Argument: Die spanischen Grenztruppen schickten immer wieder afrikanische Flüchtlinge über Durchgänge in der Grenze zurück nach Marokko, obwohl EU-Recht eine individuelle Überprüfung jedes Asylbewerbers verlange. Als 2008 und 2012 mehrere Dutzend Flüchtlinge die Grenzanlagen überwunden hatten, seien fast alle sofort zurückgeschickt worden.
2005 hatte es an der Grenze sogar Todesopfer gegeben, als mehrere Hundert Afrikaner die damals noch nicht so hohen Zäune überklettern wollten. Als spanische Grenzer Warnschüsse abfeuerten, brach Augenzeugen zufolge unter den Flüchtlingen Panik aus, elf von ihnen fielen zu Boden und wurden von der nachdrängenden Menge zu Tode getrampelt. Laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen transportierte damals das marokkanische Militär die Afrikaner mit Lastwagen in die Wüste und setzte sie dort aus. Die Regierung in Rabat bestritt allerdings diese Berichte.
In der Kommandantur von Melilla weist man die Kritik der Opposition an dem Einsatz vom April 2013 zurück. Grundsätzlich habe man die Lage im Griff. Das kleine Militärmuseum in der Festung über dem Hafen legt Zeugnis davon ab, dass sich die Garnison stets auf einem Vorposten sah, der das christliche Spanien schützen sollte. Die Stadt gehört seit 516Jahren dazu. Auf dem katholischen Friedhof bilden vier Gewehre mit aufgepflanztem Bajonett ein großes Kreuz über dem Kriegerdenkmal. Die Vertreter der anderen Parteien im Stadtrat sowie die meisten Pressekommentare stellen sich hinter die Grenztruppe. Die Stadt lebt vom Handel sowie der Unterstützung aus Madrid. Dazu gehört, dass sie von der Mehrwertsteuer für Konsumgüter befreit ist. Dies macht Melilla für den internationalen Handel interessant. Über den Hafen werden viele Güter aus der EU nach Marokko eingeführt und von dort in die ganze Welt weiterverkauft.
Für die 80000Einwohner sind diese Handelswege eine Überlebensgarantie: Ein Teil der marokkanischen Elite profitiert nämlich davon. Offiziell aber fordert das Nachbarland den Rückzug der Spanier von der nordafrikanischen Küste. Umfragen unter den moslemischen Einwohnern der Stadt, die etwas mehr als die Hälfte ausmachen, bestätigen aber, dass diese sich als Bürger Spaniens fühlen und keineswegs Marokkaner werden möchten. Auch die Tageszeitung Melilla Hoy vertritt diese Position, ihr Chefredakteur ist Muslim, seine Vertreter sind Katholiken. Die EU verspricht Stabilität, die Umstürze und Kriege der vergangenen Jahre in Nordafrika und im Nahen Osten haben der Zeitung zufolge das Loyalitätsgefühl der muslimischen Einwohner gegenüber Spanien noch verstärkt.
Doch wegen der spanischen Krise hoffen fast alle Parteien im Stadtrat auf eine spürbare Präsenz der EU in ihrer Stadt. Ihnen schwebt ein Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung der ganzen Region vor, also des Hafens mitsamt seinem marokkanischen Umland. Bislang gibt es nur einen kleinen Grenzverkehr, auch hängen Geschäftsbeziehungen ins Nachbarland zu oft von den Launen der dortigen Behördenchefs ab. Da Madrid nach Meinung der meisten einheimischen Politiker die Besonderheiten der Stadt zu wenig versteht, überdies derzeit auch andere Sorgen hat, möchte man die EU einbeziehen. Sie hat in Rabat das nötige Gewicht. Doch auch der Brüsseler Apparat ist schwerfällig - und hat derzeit offenkundig andere Sorgen.
Die Ergebnisse der Umfragen, die Melilla Hoy Anfang Mai veröffentlichte, belegen, dass nicht die Konflikte in der benachbarten arabischen Welt als größte Bedrohung angesehen werden, sondern die Auswirkungen der Krise. Auch in Melilla sind die Arbeitslosenzahlen gestiegen, doch liegt die Stadt noch weit unter dem Landesdurchschnitt. Es kommen deutlich weniger Tagestouristen aus Spanien, um sich mit Schmuck, Uhren, Hauselektronik und Markenschuhen einzudecken. Überdies hat der Staat die Subventionen für den Denkmalschutz zusammengestrichen, was die Eigentümer der Häuser mit ihren neoklassizistischen und neugotischen Fassaden, der Prunkstücke in Jugendstil oder Art déco zu spüren bekommen: Sie wollen sich den Neuanstrich, der wegen der salzhaltigen Winde fällig geworden ist, erst leisten, wenn dieser wieder bezuschusst wird. Also blättert als sichtbares Krisensymptom überall der pastellfarbene Putz ab.
In einem Punkt sind sich fast alle Stadtpolitiker und auch die Kommentatoren einig: Das Letzte, was sie gebrauchen könnten, ist ein Problem mit afrikanischen Immigranten, das international Aufsehen erregt. Deshalb wurden auch die Offiziere scharf kritisiert, die die afrikanischen Asylbewerber nun zur ersten Befragung eskortieren ließen. Denn diese mussten mit nacktem Oberkörper laufen. Der Oppositionspolitiker Mustafa Aberchán, der vor 13Jahren zum ersten muslimischen Bürgermeister der Stadt gewählt, aber nach wenigen Monaten gestürzt wurde, sagt dazu: "Das sind durchweg gut ausgebildete junge Leute mit guten Manieren." Aber er kann ihnen keine Hoffnung auf Asyl oder gar Arbeit in Spanien machen. Allerdings meint ein Offizier der Grenztruppen, dass die Afrikaner damit auch gar nicht rechneten, sie wollten weiter: "Sie sehen Melilla als Tor zur reichen Bundesrepublik."
Die beiden muslimischen Friedhöfe liegen nicht einmal 200Meter voneinander entfernt. Der westliche gehört zur Kleinstadt Ferkhana in der marokkanischen Provinz Nador, der andere liegt auf dem Territorium der Europäischen Union, er gehört zur spanischen Exklave Melilla. Dazwischen verläuft auf dem Ostufer des Río de Oro, des Goldflusses, die Grenze: drei bis zu sieben Meter hohe Zäune, Stacheldraht, Bewegungsmelder und ferngesteuerte Suchscheinwerfer. Es handelt sich angeblich um die am besten gesicherte Außengrenze des EU-Raumes. Sie soll den Druck der zur Emigration entschlossenen Menschen südlich der Sahara aushalten, aus den in Korruption oder Bürgerkrieg versunkenen afrikanischen Ländern, wo gerade junge Männer keine Aufstiegschancen sehen. Trotz der technologischen Aufrüstung ist Ende April einer Gruppe von etwa 40Afrikanern die Überwindung der Grenzanlagen gelungen. Sie haben nicht nur einen heftigen Streit im Stadtrat von Melilla ausgelöst, der auch das ferne Madrid beschäftigt, sondern das Thema wieder in den Fokus von Menschenrechtsorganisationen gerückt.
Gut abgeschottet: Grenzzäune der spanischen Exklave Melilla
Verwackelte Videoaufnahmen zeigen, wie eine größere Gruppe von Afrikanern über eine Straße läuft. Der Arzt Mustafa Aberchán, führender Kopf der oppositionellen Koalition für Melilla (CpM) zeigt den Schauplatz: Es ist die Straße, in der er wohnt. Ein Teil der Gruppe habe sich auf sein Grundstück geflüchtet. Ihm droht nun ein Verfahren wegen Behinderung der Ordnungskräfte. Der Repräsentant der spanischen Regierung in Melilla, Abdelmalik el-Barkani, auch er Muslim und Arzt, kritisierte den Lokalpolitiker scharf. Dieser hielt mit einer Beschwerde wegen Hausfriedensbruchs dagegen. Er habe die Asylbewerber nur vor drohenden körperlichen Übergriffen bewahren wollen. Dass diese keine Seltenheit sind, belegen nach seinen Worten viele Aussagen und auch mit Handys aufgezeichnete Szenen aus dem Sammelheim für die "illegalen Grenzübertreter". Es befindet sich in Sichtweite des muslimischen Friedhofs unweit der Grenze, gleich unterhalb des Golfplatzes, der laut der CpM auch mit zweckentfremdeten EU-Geldern finanziert wurde.
Dieses Mal verlief die Konfrontation im Grenzstreifen glimpflich. Menschenrechtsgruppen fordern die Europäische Union auf, sich der Kontrolle dieses neuralgischen Abschnitts ihrer Außengrenze anzunehmen. Das Argument: Die spanischen Grenztruppen schickten immer wieder afrikanische Flüchtlinge über Durchgänge in der Grenze zurück nach Marokko, obwohl EU-Recht eine individuelle Überprüfung jedes Asylbewerbers verlange. Als 2008 und 2012 mehrere Dutzend Flüchtlinge die Grenzanlagen überwunden hatten, seien fast alle sofort zurückgeschickt worden.
2005 hatte es an der Grenze sogar Todesopfer gegeben, als mehrere Hundert Afrikaner die damals noch nicht so hohen Zäune überklettern wollten. Als spanische Grenzer Warnschüsse abfeuerten, brach Augenzeugen zufolge unter den Flüchtlingen Panik aus, elf von ihnen fielen zu Boden und wurden von der nachdrängenden Menge zu Tode getrampelt. Laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen transportierte damals das marokkanische Militär die Afrikaner mit Lastwagen in die Wüste und setzte sie dort aus. Die Regierung in Rabat bestritt allerdings diese Berichte.
In der Kommandantur von Melilla weist man die Kritik der Opposition an dem Einsatz vom April 2013 zurück. Grundsätzlich habe man die Lage im Griff. Das kleine Militärmuseum in der Festung über dem Hafen legt Zeugnis davon ab, dass sich die Garnison stets auf einem Vorposten sah, der das christliche Spanien schützen sollte. Die Stadt gehört seit 516Jahren dazu. Auf dem katholischen Friedhof bilden vier Gewehre mit aufgepflanztem Bajonett ein großes Kreuz über dem Kriegerdenkmal. Die Vertreter der anderen Parteien im Stadtrat sowie die meisten Pressekommentare stellen sich hinter die Grenztruppe. Die Stadt lebt vom Handel sowie der Unterstützung aus Madrid. Dazu gehört, dass sie von der Mehrwertsteuer für Konsumgüter befreit ist. Dies macht Melilla für den internationalen Handel interessant. Über den Hafen werden viele Güter aus der EU nach Marokko eingeführt und von dort in die ganze Welt weiterverkauft.
Für die 80000Einwohner sind diese Handelswege eine Überlebensgarantie: Ein Teil der marokkanischen Elite profitiert nämlich davon. Offiziell aber fordert das Nachbarland den Rückzug der Spanier von der nordafrikanischen Küste. Umfragen unter den moslemischen Einwohnern der Stadt, die etwas mehr als die Hälfte ausmachen, bestätigen aber, dass diese sich als Bürger Spaniens fühlen und keineswegs Marokkaner werden möchten. Auch die Tageszeitung Melilla Hoy vertritt diese Position, ihr Chefredakteur ist Muslim, seine Vertreter sind Katholiken. Die EU verspricht Stabilität, die Umstürze und Kriege der vergangenen Jahre in Nordafrika und im Nahen Osten haben der Zeitung zufolge das Loyalitätsgefühl der muslimischen Einwohner gegenüber Spanien noch verstärkt.
Doch wegen der spanischen Krise hoffen fast alle Parteien im Stadtrat auf eine spürbare Präsenz der EU in ihrer Stadt. Ihnen schwebt ein Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung der ganzen Region vor, also des Hafens mitsamt seinem marokkanischen Umland. Bislang gibt es nur einen kleinen Grenzverkehr, auch hängen Geschäftsbeziehungen ins Nachbarland zu oft von den Launen der dortigen Behördenchefs ab. Da Madrid nach Meinung der meisten einheimischen Politiker die Besonderheiten der Stadt zu wenig versteht, überdies derzeit auch andere Sorgen hat, möchte man die EU einbeziehen. Sie hat in Rabat das nötige Gewicht. Doch auch der Brüsseler Apparat ist schwerfällig - und hat derzeit offenkundig andere Sorgen.
Die Ergebnisse der Umfragen, die Melilla Hoy Anfang Mai veröffentlichte, belegen, dass nicht die Konflikte in der benachbarten arabischen Welt als größte Bedrohung angesehen werden, sondern die Auswirkungen der Krise. Auch in Melilla sind die Arbeitslosenzahlen gestiegen, doch liegt die Stadt noch weit unter dem Landesdurchschnitt. Es kommen deutlich weniger Tagestouristen aus Spanien, um sich mit Schmuck, Uhren, Hauselektronik und Markenschuhen einzudecken. Überdies hat der Staat die Subventionen für den Denkmalschutz zusammengestrichen, was die Eigentümer der Häuser mit ihren neoklassizistischen und neugotischen Fassaden, der Prunkstücke in Jugendstil oder Art déco zu spüren bekommen: Sie wollen sich den Neuanstrich, der wegen der salzhaltigen Winde fällig geworden ist, erst leisten, wenn dieser wieder bezuschusst wird. Also blättert als sichtbares Krisensymptom überall der pastellfarbene Putz ab.
In einem Punkt sind sich fast alle Stadtpolitiker und auch die Kommentatoren einig: Das Letzte, was sie gebrauchen könnten, ist ein Problem mit afrikanischen Immigranten, das international Aufsehen erregt. Deshalb wurden auch die Offiziere scharf kritisiert, die die afrikanischen Asylbewerber nun zur ersten Befragung eskortieren ließen. Denn diese mussten mit nacktem Oberkörper laufen. Der Oppositionspolitiker Mustafa Aberchán, der vor 13Jahren zum ersten muslimischen Bürgermeister der Stadt gewählt, aber nach wenigen Monaten gestürzt wurde, sagt dazu: "Das sind durchweg gut ausgebildete junge Leute mit guten Manieren." Aber er kann ihnen keine Hoffnung auf Asyl oder gar Arbeit in Spanien machen. Allerdings meint ein Offizier der Grenztruppen, dass die Afrikaner damit auch gar nicht rechneten, sie wollten weiter: "Sie sehen Melilla als Tor zur reichen Bundesrepublik."