Keine Werbung mehr für Bier oder Schnaps und Warnhinweise auf Flaschen: Die Regierung von Tayyip Erdogan kämpft mit drastischen Mitteln gegen den Alkohol. Dabei hat das Volk gar kein Problem damit
Wenn Kemal Atatürk das wüsste. Der Gründer der modernen Türkei war nicht nur ein eifriger Revolutionär, der sein Land eher im Westen als im Osten sah, sondern auch ein großer Zecher. Er liebte den Raki, und er starb an den Folgen einer Leberzirrhose. Nachfolger Tayyip Erdogan ist ein Abstinenzler. Seit Beginn seiner Regentschaft vor zehn Jahren steht der fromme Muslim unter Verdacht, einige von Atatürks-Reformen am liebsten rückgängig machen zu wollen und dem Land einen konservativ-islamischen Stempel aufzudrücken. Nun sehen sich die Gegner des türkischen Premiers erneut bestätigt.
Eigentlich ein hübsches Werbemotiv. In der Türkei wird es aber keine Werbung für Alkohohl mehr geben.
Das Parlament in Ankara hat nach 17 Stunden hochprozentig erregter Debatte am Freitag das bislang strengste Alkoholgesetz der Republik beschlossen. Präsident Abdullah Gül muss es zwar noch unterzeichnen. Dass er das tut, daran gibt es aber kaum Zweifel. Die Aktie der größten türkischen Brauerei, Anadolu Efes, ist bereits im Keller, die einheimische Tourismusbranche auf den Barrikaden.
Künftig ist jede Werbung für Alkoholisches untersagt. Die türkischen Medien fürchten um beträchtliche Einnahmen. Im Fernsehen und in Musikvideos müssen Bier- und Weingläser unkenntlich gemacht, also gepixelt werden. Cevdet Erdöl, Abgeordneter der Regierungspartei AKP aus Istanbul und Leibarzt von Erdogan, sagte der Zeitung Hürriyet, Bilder von Trinkenden sollten gleich ganz aus den Medien verschwinden. Auch in Parks könne künftig kein Alkohol mehr konsumiert werden, für Strände seien gesonderte Genehmigungen nötig, so Erdöl. Produzenten von Bier, Raki und Wein dürfen auch keine Sport- oder Kulturveranstaltungen mehr sponsern. Zwischen 22 Uhr und sechs Uhr morgens wird der Verkauf von Alkohol in Läden und Kiosken sowie aus Automaten verboten. Ähnliche Regelungen gebe es auch in mehreren Ländern Europas und in den USA, argumentierte die AKP.
Eine erste Version des Gesetzes war noch strenger, sie hätte auch viele Restaurants trockengelegt. So sollten Lokale, die weniger als 100 Meter Abstand zu Gotteshäusern oder Bildungseinrichtungen haben, keinen Alkohol mehr ausschenken dürfen. Dagegen liefen Kneipenbesitzer offenbar erfolgreich Sturm. Schließlich gibt es im zentralen Istanbuler Vergnügungsviertel Beyoglu alle paar hundert Meter eine Moschee oder eine Kirche, und "Bildungseinrichtung ist ein breiter Begriff. Das könne auch eine Ballettschule oder ein Nachhilfestudio sein, warnten Kritiker.
Nun gilt für bestehende Lokale Bestandsschutz, nur neue sollen innerhalb der heißen 100-Meter-Distanz keine Lizenzen mehr erhalten. Auch von Sichtblenden an Fenstern von Bars ist nicht mehr die Rede, genauso wenig von einem totalen Ausschankverbot auf den Freiflächen vor Restaurants. Die Geldstrafen für Verstöße aber sind mit 10 000 bis 100 000 Lira (4200 bis 42000 Euro) abschreckend hoch. Flaschenetiketten müssen künftig wie Zigarettenpackungen Warnhinweise auf Gesundheitsgefahren enthalten.
Die AKP-Regierung hatte zuvor bereits die Alkoholsteuern kräftig erhöht. Gleich-zeitig hatte sie aber das alte Staatsmonopol auf die Raki-Produktion abgeschafft, worauf viele neue Marken entstanden. Auch die Weinproduktion floriert seit ein paar Jahren in der Türkei. Wo es früher nur kaum Genießbares gab, produzieren inzwischen Winzer Spitzenweine.
Erdogan begründete das Gesetz im Parlament mit dem Jugendschutz. Die Türkei wolle keine "verlorene Generation", sagte der Premier und empfahl als Nationalgetränk statt des Traubenschnapses Raki den Joghurt-Drink Ayran. Regierungskritiker betonen, das Land habe gar kein Alkoholproblem. Nur in sechs Prozent der Haushalte werde Alkohol konsumiert, 83 Prozent der erwachsenen Türken tränken nie, zitierte Hürriyet staatliche Statistiken. Die Zeitung Milliyet verwies auf die Weltgesundheitsorganisation. Danach steht die Türkei beim Pro-Kopf-Konsum hinter Libanon und dem Irak. "Bevormundung" werfen deshalb Kritiker der AKP vor.
Am Alkohol scheiden sich in der Türkei schon lange die Geister. Der Konsum von Raki gilt Atatürk-Anhängern, den Kemalisten, nicht selten als eine Art Lackmus-Test für Republiktreue. Bei öffentlichen Empfängen des Militärs wird selbstverständlich Hochprozentiges angeboten, während der Premier bei solchen Gelegenheiten Wasser, Ayran und Saft servieren lässt.
Dass die Türkei in zehn Jahren AKP-Regierung in manchem konservativer geworden ist, lässt sich kaum leugnen. An den Check-in-Schaltern der Turkish Airlines auf dem Istanbuler Atatürk-Flughafen arbeiten seit Kurzem auch Frauen mit Kopftuch. Die halbstaatliche Airline serviert auf Inlandsflügen auch keinen Alkohol mehr, was viele Türken ebenfalls empört. Das Kopftuch bleibt allerdings in staatlichen Ämtern weiter untersagt.
Das Land ist gespalten, und das zeigt sich nicht nur an Wein und Bier. Am Samstag trafen sich an einer U-Bahn-Station in Ankara 200 überwiegend junge Leute zum öffentlichen Küssen. Die Metro hatte zuvor Plakate ausgehängt, die "moralisches Verhalten" fordern; eine Überwachungskamera hatte Jugendliche zuvor bei angeblich "unangemessenem Tun" beobachtet. Polizisten mussten die Protest-Küsser vor wenigen wütenden Gegendemonstranten schützen, die laut "Allahu akbar", Gott ist groß, riefen.
Wenn Kemal Atatürk das wüsste. Der Gründer der modernen Türkei war nicht nur ein eifriger Revolutionär, der sein Land eher im Westen als im Osten sah, sondern auch ein großer Zecher. Er liebte den Raki, und er starb an den Folgen einer Leberzirrhose. Nachfolger Tayyip Erdogan ist ein Abstinenzler. Seit Beginn seiner Regentschaft vor zehn Jahren steht der fromme Muslim unter Verdacht, einige von Atatürks-Reformen am liebsten rückgängig machen zu wollen und dem Land einen konservativ-islamischen Stempel aufzudrücken. Nun sehen sich die Gegner des türkischen Premiers erneut bestätigt.
Eigentlich ein hübsches Werbemotiv. In der Türkei wird es aber keine Werbung für Alkohohl mehr geben.
Das Parlament in Ankara hat nach 17 Stunden hochprozentig erregter Debatte am Freitag das bislang strengste Alkoholgesetz der Republik beschlossen. Präsident Abdullah Gül muss es zwar noch unterzeichnen. Dass er das tut, daran gibt es aber kaum Zweifel. Die Aktie der größten türkischen Brauerei, Anadolu Efes, ist bereits im Keller, die einheimische Tourismusbranche auf den Barrikaden.
Künftig ist jede Werbung für Alkoholisches untersagt. Die türkischen Medien fürchten um beträchtliche Einnahmen. Im Fernsehen und in Musikvideos müssen Bier- und Weingläser unkenntlich gemacht, also gepixelt werden. Cevdet Erdöl, Abgeordneter der Regierungspartei AKP aus Istanbul und Leibarzt von Erdogan, sagte der Zeitung Hürriyet, Bilder von Trinkenden sollten gleich ganz aus den Medien verschwinden. Auch in Parks könne künftig kein Alkohol mehr konsumiert werden, für Strände seien gesonderte Genehmigungen nötig, so Erdöl. Produzenten von Bier, Raki und Wein dürfen auch keine Sport- oder Kulturveranstaltungen mehr sponsern. Zwischen 22 Uhr und sechs Uhr morgens wird der Verkauf von Alkohol in Läden und Kiosken sowie aus Automaten verboten. Ähnliche Regelungen gebe es auch in mehreren Ländern Europas und in den USA, argumentierte die AKP.
Eine erste Version des Gesetzes war noch strenger, sie hätte auch viele Restaurants trockengelegt. So sollten Lokale, die weniger als 100 Meter Abstand zu Gotteshäusern oder Bildungseinrichtungen haben, keinen Alkohol mehr ausschenken dürfen. Dagegen liefen Kneipenbesitzer offenbar erfolgreich Sturm. Schließlich gibt es im zentralen Istanbuler Vergnügungsviertel Beyoglu alle paar hundert Meter eine Moschee oder eine Kirche, und "Bildungseinrichtung ist ein breiter Begriff. Das könne auch eine Ballettschule oder ein Nachhilfestudio sein, warnten Kritiker.
Nun gilt für bestehende Lokale Bestandsschutz, nur neue sollen innerhalb der heißen 100-Meter-Distanz keine Lizenzen mehr erhalten. Auch von Sichtblenden an Fenstern von Bars ist nicht mehr die Rede, genauso wenig von einem totalen Ausschankverbot auf den Freiflächen vor Restaurants. Die Geldstrafen für Verstöße aber sind mit 10 000 bis 100 000 Lira (4200 bis 42000 Euro) abschreckend hoch. Flaschenetiketten müssen künftig wie Zigarettenpackungen Warnhinweise auf Gesundheitsgefahren enthalten.
Die AKP-Regierung hatte zuvor bereits die Alkoholsteuern kräftig erhöht. Gleich-zeitig hatte sie aber das alte Staatsmonopol auf die Raki-Produktion abgeschafft, worauf viele neue Marken entstanden. Auch die Weinproduktion floriert seit ein paar Jahren in der Türkei. Wo es früher nur kaum Genießbares gab, produzieren inzwischen Winzer Spitzenweine.
Erdogan begründete das Gesetz im Parlament mit dem Jugendschutz. Die Türkei wolle keine "verlorene Generation", sagte der Premier und empfahl als Nationalgetränk statt des Traubenschnapses Raki den Joghurt-Drink Ayran. Regierungskritiker betonen, das Land habe gar kein Alkoholproblem. Nur in sechs Prozent der Haushalte werde Alkohol konsumiert, 83 Prozent der erwachsenen Türken tränken nie, zitierte Hürriyet staatliche Statistiken. Die Zeitung Milliyet verwies auf die Weltgesundheitsorganisation. Danach steht die Türkei beim Pro-Kopf-Konsum hinter Libanon und dem Irak. "Bevormundung" werfen deshalb Kritiker der AKP vor.
Am Alkohol scheiden sich in der Türkei schon lange die Geister. Der Konsum von Raki gilt Atatürk-Anhängern, den Kemalisten, nicht selten als eine Art Lackmus-Test für Republiktreue. Bei öffentlichen Empfängen des Militärs wird selbstverständlich Hochprozentiges angeboten, während der Premier bei solchen Gelegenheiten Wasser, Ayran und Saft servieren lässt.
Dass die Türkei in zehn Jahren AKP-Regierung in manchem konservativer geworden ist, lässt sich kaum leugnen. An den Check-in-Schaltern der Turkish Airlines auf dem Istanbuler Atatürk-Flughafen arbeiten seit Kurzem auch Frauen mit Kopftuch. Die halbstaatliche Airline serviert auf Inlandsflügen auch keinen Alkohol mehr, was viele Türken ebenfalls empört. Das Kopftuch bleibt allerdings in staatlichen Ämtern weiter untersagt.
Das Land ist gespalten, und das zeigt sich nicht nur an Wein und Bier. Am Samstag trafen sich an einer U-Bahn-Station in Ankara 200 überwiegend junge Leute zum öffentlichen Küssen. Die Metro hatte zuvor Plakate ausgehängt, die "moralisches Verhalten" fordern; eine Überwachungskamera hatte Jugendliche zuvor bei angeblich "unangemessenem Tun" beobachtet. Polizisten mussten die Protest-Küsser vor wenigen wütenden Gegendemonstranten schützen, die laut "Allahu akbar", Gott ist groß, riefen.