Als erster Angeklagter im NSU-Prozess bricht Carsten S., der mutmaßliche Waffenbeschaffer, sein Schweigen
Er rückt eigens um eine Reihe nach vorne für seine Aussage, er sitzt nun direkt hinter Beate Zschäpe, in ihrem Nacken. Sie schaut sich nicht um. Er taucht nun unter dem Kapuzenpulli hervor, mit dem er sich all die Wochen verhüllt hatte: ein schmaler, jungenhafter Mann von 33 Jahren, blass, mit dunklen Haaren. Er ist angespannt. Nun wird er reden, es sich von der Seele reden, was ihn seit 14 drückt - mit allen Einzelheiten.
Carsten S. war 19, als er den NSU mit einer Waffe belieferte, als er Zschäpe und ihren Kumpanen ein Motorrad klaute, als er Zschäpe aus ihrer alten Wohnung den Pass und den Führerschein besorgte, für ihr Leben im Untergrund. Er bewunderte das Trio, fühlte sich vor allem von Uwe Böhnhardt angezogen. Er will alles erzählen, sich nicht schonen. In 'geradezu selbstzerstörerischer Weise', wie ein Ermittler sagt.
Carsten S. hat lange gewartet - erst all die Jahre, in denen er sich längst abgewandt hatte von der rechtsradikalen Szene, dann die ersten Wochen des NSU-Prozesses, in denen er schon längst hatte sprechen wollen und durch die vielen Geplänkel zwischen Gericht und Verteidigern gehindert wurde. Und dann noch an diesem Tag. Immer wieder hatten die Verteidiger und die Nebenkläger Anträge gestellt - auf Einstellung des Verfahrens wegen der Vorverurteilung von Beate Zschäpe, wegen der vernichteten Akten des Verfassungsschutzes. Sie hatten Anträge gestellt auf den Ausschluss von Mitarbeitern von Polizei und Verfassungsschutz von der Verhandlung - weil sie so Zeugen aus ihren eigenen Reihen instruieren könnten. Auf Protokollierung der Aussagen der Angeklagten Carsten S. und Holger G. - weil Holger G., wie Zschäpes Anwälte sagen, in den Ermittlungen nachweislich mehrmals gelogen habe. Alle diese Anträge hatte das Gericht abgelehnt. Dann, endlich, es ist schon 15.45 Uhr, darf Carsten S. reden.
Der Angeklagte Carsten S. und sein Anwalt Jacob Hösl.
Und jetzt, zum ersten Mal, schaut sich Beate Zschäpe zu ihm um. Kurz nur, interessiert. Dann schaut sie wieder gerade nach vorn. Carsten S. spricht direkt in ihrem Nacken. Nur der Angeklagte Andre E. schaut Carsten S. unverwandt an. Er lässt ihn nicht aus dem Auge.
Carsten S. ist unsicher. Er will alles richtig machen, fragt nach, wo er anfangen soll, geht bis ins Detail. Dass er und seine Schwester bei Tisch nicht sprechen durften, nicht lachen, dass der Vater das verboten hatte. Dass die Mutter eine Psychose hatte, die immer wieder durchbrach. Er machte eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker, machte dann das Fachabitur, ging zum Studieren nach Düsseldorf. Dort schaffte er das Coming out als schwuler Mann und engagierte sich bei der Aidshilfe und im Schwulenreferat der Uni.
Carsten S. spricht mit tiefer, ein wenig belegter Stimme. Richter Manfred Götzl fragt interessiert nach. Auch wie das war mit seinem Coming out. Schon mit 13 habe er das gemerkt, sagt Carsten S.. Da gab es ein Aufklärungsheft in der Schule, Jungs und Mädels. Alle Klassenkameraden hätten sich die Mädelsseite angeschaut, er fand die Jungsseite aber viel interessanter. Schon in der Schule hätten sie ihn als 'Mädchen' beschimpft. Er hat dann in der Lehre einen Kollegen kennengelernt, der ihm gefallen habe. Bei ihm zuhause habe er zum ersten Mal die 'Zillertaler Türkenjäger' gehört. 'Das fanden wir damals lustig.' Im März 1997 fuhr er mit seinen rechten Freunden zu einer Neonazidemo nach München, 'das hat mir sehr imponiert'. Er bestellte Infobriefe der NPD und der Jungen Nationaldemokraten und er stieg auf. Doch diese Karriere bei den Rechtsradikalen führt er nicht aus, er springt gleich zu seinen Zweifeln. Er wollte nicht Landeschef der Jungen Nationaldemokraten werden, sagt er, er habe gedacht: 'Da komm" ich sonst nicht mehr raus.' Aber ausgestiegen ist er erst, als sein Neonazi-Kamerad Ralf Wohlleben zu ihm sagte: Ihn würde es ankotzen, wenn einer sagte, er wäre schwul. Da wurde ihm klar: 'Das sind nicht deine Leute.' Kurz darauf outete er sich bei seiner Schwester. Er hatte sich dafür Mut angetrunken, mit einer Flasche Wermut. 'Haben Sie mit Ihrem Vater darüber gesprochen?' fragt Richter Götzl. 'Nicht richtig, aber sie haben es akzeptiert, wenn ich einen Freund mitbrachte.'
'Und wie sieht Ihr Leben jetzt aus?' fragt Götzl. Doch dazu kann, dazu darf Carsten S. nichts sagen. Er ist im Zeugenschutzprogramm, er darf keine Einzelheiten preisgeben, die ihn auffindbar machen. Die Rechtsradikalen sehen ihn als Verräter an. Wieder schaut Zschäpe ihn nun an, sie dreht sich um, fixiert ihn. Sie ist nur eine Armlänge von ihm entfernt. Götzl bohrt jetzt doch noch nach wegen seiner politischen Karriere. 1999 wurde er Kreisvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten (JN) von Jena, kurz darauf stellvertretender Bundesgeschäftsführer der JN, im Jahr 2000 Vizechef der JN Thüringen. Doch da habe er eigentlich schon nichts mehr gemacht. Im September stieg er aus und legte seine Ämter nieder.
Zuvor hatte die Verteidigerin von Beate Zschäpe, Anja Sturm, beantragt, das Verfahren einzustellen. 'Unsere Mandantin wurde von Beginn des Verfahrens an zum Objekt degradiert', sagte Sturm. 'Sie stand als Mitglied einer Mörderbande von vornherein fest.' Die Staatsanwaltschaft sei von der Schuld Zschäpes ausgegangen und habe nur noch nach Beweisen dafür gesucht. Dazu hätten die Geheimdienste Erkenntnisse über die Verbindungen von V-Leuten zum NSU geschreddert. 'Die Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung lässt sich nicht mehr herstellen', sagte Sturm. Richter Götzl wies den Antrag der Verteidigung zurück.
Dann forderten die Nebenkläger zu klären, ob auf der Besuchertribüne Abgesandte des Verfassungsschutzes oder der Kriminalpolizei sind. Götzl ruft in den Saal: 'Dann die Frage an die Zuschauer: Sind Prozessbeobachter der angesprochenen Behörden im Sitzungssaal?' Kopfschütteln. Doch nun wird gefordert, schriftliche Erklärungen der Behörden einzuholen, dass niemand da ist. Auch das lehnt Götzl ab. 'Und es gibt keine Anhaltspunkte, dass sich die Behörden unlauter verhalten werden', sagt Götzl.
Er rückt eigens um eine Reihe nach vorne für seine Aussage, er sitzt nun direkt hinter Beate Zschäpe, in ihrem Nacken. Sie schaut sich nicht um. Er taucht nun unter dem Kapuzenpulli hervor, mit dem er sich all die Wochen verhüllt hatte: ein schmaler, jungenhafter Mann von 33 Jahren, blass, mit dunklen Haaren. Er ist angespannt. Nun wird er reden, es sich von der Seele reden, was ihn seit 14 drückt - mit allen Einzelheiten.
Carsten S. war 19, als er den NSU mit einer Waffe belieferte, als er Zschäpe und ihren Kumpanen ein Motorrad klaute, als er Zschäpe aus ihrer alten Wohnung den Pass und den Führerschein besorgte, für ihr Leben im Untergrund. Er bewunderte das Trio, fühlte sich vor allem von Uwe Böhnhardt angezogen. Er will alles erzählen, sich nicht schonen. In 'geradezu selbstzerstörerischer Weise', wie ein Ermittler sagt.
Carsten S. hat lange gewartet - erst all die Jahre, in denen er sich längst abgewandt hatte von der rechtsradikalen Szene, dann die ersten Wochen des NSU-Prozesses, in denen er schon längst hatte sprechen wollen und durch die vielen Geplänkel zwischen Gericht und Verteidigern gehindert wurde. Und dann noch an diesem Tag. Immer wieder hatten die Verteidiger und die Nebenkläger Anträge gestellt - auf Einstellung des Verfahrens wegen der Vorverurteilung von Beate Zschäpe, wegen der vernichteten Akten des Verfassungsschutzes. Sie hatten Anträge gestellt auf den Ausschluss von Mitarbeitern von Polizei und Verfassungsschutz von der Verhandlung - weil sie so Zeugen aus ihren eigenen Reihen instruieren könnten. Auf Protokollierung der Aussagen der Angeklagten Carsten S. und Holger G. - weil Holger G., wie Zschäpes Anwälte sagen, in den Ermittlungen nachweislich mehrmals gelogen habe. Alle diese Anträge hatte das Gericht abgelehnt. Dann, endlich, es ist schon 15.45 Uhr, darf Carsten S. reden.
Der Angeklagte Carsten S. und sein Anwalt Jacob Hösl.
Und jetzt, zum ersten Mal, schaut sich Beate Zschäpe zu ihm um. Kurz nur, interessiert. Dann schaut sie wieder gerade nach vorn. Carsten S. spricht direkt in ihrem Nacken. Nur der Angeklagte Andre E. schaut Carsten S. unverwandt an. Er lässt ihn nicht aus dem Auge.
Carsten S. ist unsicher. Er will alles richtig machen, fragt nach, wo er anfangen soll, geht bis ins Detail. Dass er und seine Schwester bei Tisch nicht sprechen durften, nicht lachen, dass der Vater das verboten hatte. Dass die Mutter eine Psychose hatte, die immer wieder durchbrach. Er machte eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker, machte dann das Fachabitur, ging zum Studieren nach Düsseldorf. Dort schaffte er das Coming out als schwuler Mann und engagierte sich bei der Aidshilfe und im Schwulenreferat der Uni.
Carsten S. spricht mit tiefer, ein wenig belegter Stimme. Richter Manfred Götzl fragt interessiert nach. Auch wie das war mit seinem Coming out. Schon mit 13 habe er das gemerkt, sagt Carsten S.. Da gab es ein Aufklärungsheft in der Schule, Jungs und Mädels. Alle Klassenkameraden hätten sich die Mädelsseite angeschaut, er fand die Jungsseite aber viel interessanter. Schon in der Schule hätten sie ihn als 'Mädchen' beschimpft. Er hat dann in der Lehre einen Kollegen kennengelernt, der ihm gefallen habe. Bei ihm zuhause habe er zum ersten Mal die 'Zillertaler Türkenjäger' gehört. 'Das fanden wir damals lustig.' Im März 1997 fuhr er mit seinen rechten Freunden zu einer Neonazidemo nach München, 'das hat mir sehr imponiert'. Er bestellte Infobriefe der NPD und der Jungen Nationaldemokraten und er stieg auf. Doch diese Karriere bei den Rechtsradikalen führt er nicht aus, er springt gleich zu seinen Zweifeln. Er wollte nicht Landeschef der Jungen Nationaldemokraten werden, sagt er, er habe gedacht: 'Da komm" ich sonst nicht mehr raus.' Aber ausgestiegen ist er erst, als sein Neonazi-Kamerad Ralf Wohlleben zu ihm sagte: Ihn würde es ankotzen, wenn einer sagte, er wäre schwul. Da wurde ihm klar: 'Das sind nicht deine Leute.' Kurz darauf outete er sich bei seiner Schwester. Er hatte sich dafür Mut angetrunken, mit einer Flasche Wermut. 'Haben Sie mit Ihrem Vater darüber gesprochen?' fragt Richter Götzl. 'Nicht richtig, aber sie haben es akzeptiert, wenn ich einen Freund mitbrachte.'
'Und wie sieht Ihr Leben jetzt aus?' fragt Götzl. Doch dazu kann, dazu darf Carsten S. nichts sagen. Er ist im Zeugenschutzprogramm, er darf keine Einzelheiten preisgeben, die ihn auffindbar machen. Die Rechtsradikalen sehen ihn als Verräter an. Wieder schaut Zschäpe ihn nun an, sie dreht sich um, fixiert ihn. Sie ist nur eine Armlänge von ihm entfernt. Götzl bohrt jetzt doch noch nach wegen seiner politischen Karriere. 1999 wurde er Kreisvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten (JN) von Jena, kurz darauf stellvertretender Bundesgeschäftsführer der JN, im Jahr 2000 Vizechef der JN Thüringen. Doch da habe er eigentlich schon nichts mehr gemacht. Im September stieg er aus und legte seine Ämter nieder.
Zuvor hatte die Verteidigerin von Beate Zschäpe, Anja Sturm, beantragt, das Verfahren einzustellen. 'Unsere Mandantin wurde von Beginn des Verfahrens an zum Objekt degradiert', sagte Sturm. 'Sie stand als Mitglied einer Mörderbande von vornherein fest.' Die Staatsanwaltschaft sei von der Schuld Zschäpes ausgegangen und habe nur noch nach Beweisen dafür gesucht. Dazu hätten die Geheimdienste Erkenntnisse über die Verbindungen von V-Leuten zum NSU geschreddert. 'Die Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung lässt sich nicht mehr herstellen', sagte Sturm. Richter Götzl wies den Antrag der Verteidigung zurück.
Dann forderten die Nebenkläger zu klären, ob auf der Besuchertribüne Abgesandte des Verfassungsschutzes oder der Kriminalpolizei sind. Götzl ruft in den Saal: 'Dann die Frage an die Zuschauer: Sind Prozessbeobachter der angesprochenen Behörden im Sitzungssaal?' Kopfschütteln. Doch nun wird gefordert, schriftliche Erklärungen der Behörden einzuholen, dass niemand da ist. Auch das lehnt Götzl ab. 'Und es gibt keine Anhaltspunkte, dass sich die Behörden unlauter verhalten werden', sagt Götzl.