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Linke Falken im Anflug

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Zwei Schlüsselpositionen der US-Außenpolitik werden künftig von Frauen besetzt, die humanitäre Katastrophen notfalls mit Waffengewalt verhindern wollen. Mit beiden Berufungen gibt Obama seiner Regierung einen Schuss mehr Ideologie.


Washington - In den neunziger Jahren ermordeten bosnische Serben so viele Muslime wie möglich. Der Hass zwischen den Volksgruppen im einstigen Jugoslawien war für Fremde kaum zu fassen. Der damalige US-Außenminister Warren Christopher nannte diesen Hass 'beinahe unglaublich, furchterregend, ein Problem aus der Hölle' - so schlimm also, dass scheinbar auch mächtige Länder wie die USA nichts daran ändern konnten.

Unter den Journalisten, die das Gemetzel aus der Nähe verfolgten, war eine amerikanische, aus Irland stammende Reporterin namens Samantha Power. Sie war Anfang zwanzig, und freilich nicht nur entsetzt über die Gewalt, sondern auch über das, was sie als moralisches Versagen ihrer eigenen Regierung sah. US-Präsident Bill Clinton hatte alles Mögliche angekündigt, sich aber herausgehalten, so lange es ging.

Power hat anschließend Jura studiert und in einem Buch untersucht, wie die USA auf Völkermord in aller Welt reagiert hatten. Ihre Erkenntnis lautete, dass der Kampf Amerikas gegen Genozid in der Arena der US-Innenpolitik verloren werde, 'und dass er dort auch gewonnen wird, wenn er gewonnen werden kann'. Ihr Buch hieß 'A Problem from Hell'. Sie hat dafür den Pulitzer-Preis gewonnen.

Nun ist es eine kuriose Wendung der Geschichte, dass Präsident Barack Obama soeben Samantha Power zu seiner Botschafterin bei den Vereinten Nationen in New York bestimmt hat. Sie wird sich dort besonders mit dem syrischen Bürgerkrieg beschäftigen müssen, in dem mehr als 80000 Menschen gestorben sind, während Obama - wie Clinton damals in Bosnien - nicht das geringste Interesse hat, sich militärisch einzumischen. Er offenbart damit jene Risikoscheu, die Power bei Clinton immer kritisiert hat.



Barack Obama und Samantha Power bei der Verkündung von Powers' neuem Amt im Garten des Weißen Haus.

Gleichzeitig hat Obama seine forsche Vertraute Susan Rice am Mittwoch zur Nationalen Sicherheitsberaterin befördert. Wie Power ist Rice geprägt worden durch Clintons Nicht-Interventionismus. Ihr bleibendes Erlebnis war der Genozid 1994 in Ruanda, den sie als junge Mitarbeiterin im Nationalen Sicherheitsrat hilflos beobachten musste. Sie soll sich geschworen haben, beim nächsten Gemetzel für beherztes Eingreifen einzutreten, selbst wenn sie sich dabei verbrennen sollte.

Power, 42, und Rice, 48, sind nicht die Einzigen auf der amerikanischen Linken, die im Namen der Menschenrechte militärische Intervention verlangen. Zu diesen 'liberal hawks', oder linken Falken, gehören etliche Intellektuelle, Politikberater, Journalisten. Manche dieser Falken haben sich 2003 für die von Präsident George W. Bush angeordnete Invasion des Irak ausgesprochen und dies später bereut. Trotzdem finden etliche Linke Obamas Ansatz, in Syrien nichts zu tun, immer schwerer zu ertragen. Vali Nasr zum Beispiel von der Johns-Hopkins Universität, Anne-Marie Slaughter von der New America Foundation oder Bill Keller, der ehemalige Chefredakteur der New York Times halten Nichtstun für die schlechteste Option. Keller schrieb neulich, in Syrien habe sich amerikanische Behutsamkeit längst in Fatalismus verwandelt.

Rice und Power - sie wurden schon 'genocide chicks', oder Völkermord-Tussis genannt - denken jedenfalls in dieser Hinsicht ähnlich wie jene Neokonservativen, die einst Bushs außenpolitische Doktrin bestimmten: Amerika soll sich in seinem Blick auf die Welt nicht mehr nur an Interessen orientieren, sondern an Überzeugungen, und als Kraft für das Gute wirken.

Tatsächlich dürften sie, zusammen mit der damaligen Außenministerin Hillary Clinton, Obama im Jahr 2011 dazu gedrängt haben, in Libyen zu intervenieren. Vor allem gelang es Rice - sie war US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen -, den UN-Sicherheitsrat auf ihre Seite zu ziehen: Er verhängte zum Schutz von Zivilisten eine Flugverbotszone über Libyen, die Europäer und Amerikaner durchsetzten. Aber selbst in diesem Fall sollte man den Einfluss von Rice und Power nicht überschätzen. Obama ging es damals nicht so sehr um Menschenrechte als um die Sorge, im Abseits zu stehen, während sich im Westen ein Konsens gegen den libyschen Diktator Gaddafi gebildet hatte.

Bei den UN dürfte sich Power (wie bislang schon Rice) künftig unterhaltsame Wortgefechte mit ihrem russischen Kollegen Witalij Tschurkin liefern, und auch die durchsetzungsstarke Rice dürfte mit ihrem Temperament das Weiße Haus beleben. Mit beiden Personalien gibt Obama seiner Regierung einen Schuss mehr Ideologie. Ob die beiden Frauen aber dafür sorgen können, dass Obama doch noch militärisch in Syrien eingreift, eine Flugverbotszone durchsetzt oder offen die Rebellen bewaffnet, ist fraglich. Der Präsident ist sehr überzeugt davon, dass er mit seiner Zurückhaltung richtig liegt.

Rice und Power haben einen Widerspruch bislang nicht einmal angedeutet. Es mag mit ihrer Loyalität und vielleicht auch mit ihren Ambitionen zu tun haben, vielleicht aber auch mit der Erkenntnis, dass Syrien 2013 nicht ohne weiteres mit Bosnien 1993 zu vergleichen ist. Der Konflikt heute ist größer, unübersichtlicher und militärisch viel schwerer in den Griff zu bekommen. Er ist auch weniger ein Völkermord als ein klassischer Bürgerkrieg zwischen verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen.

'Susan und Samantha wurden zweifellos geprägt von ihren Erfahrungen', sagte Tommy Vietor, ein früherer Sicherheitsexperte Obamas, der Washington Post. 'Aber ihre Weltsicht lässt sich nicht unmittelbar auf Syrien anwenden'. Jetzt, da sie an den einflussreichsten Stellen der Regierung sitzen, holt das Problem aus der Hölle die beiden Idealistinnen erst richtig ein.

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