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Der Preis der Wahrheit

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Die syrische Zeitung "Sham" hat sich die unbequemste aller Positionen gewählt: die des neutralen Beobachters. Weder das Regime noch die Rebellen sind gut auf sie zu sprechen. Deswegen wird sie im türkischen Exil produziert. Jetzt geht ihr das Geld aus.


Sie mögen seine Zeitung nicht, alle beide, und vielleicht ist das der beste Beweis für ihre Objektivität. Für die syrische Regierung ist es einfach: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Aber auch von den Rebellen hört Absi Smesem wenig Lob, vor allem von den Gotteskriegern der Nusra-Front. In seiner Wochenzeitung Sham - ein Name, der das historische Syrien, also die gesamte Levante umfasst - schrieb Smesem, dass die al-Qaida-Filiale der Nusra-Front nicht zur Opposition gehöre, dass sie eigenen dschihadistischen Interessen folgt. Die Nusra-Front gelte zwar als besttrainierte Gruppe, aber sie diene nur ihrer eigenen Ideologie und lenke die Revolution vom eigentlichen Ziel: "Der Fall des brutalen Regimes, die Bildung eines zivilen Staates, in dem jeder respektiert wird, und das Ende des Kampfes."

In Binisch, seinem Heimatort im Norden Syriens, herrschen die Al-Qaida-Partner gemeinsam mit dem Salafisten. Vor zehn Tagen war er zuletzt dort: "Die Stadt ist zu 90 Prozent verlassen." Die Nusra-Front drohte ihm, andere nannten ihn einen "Verräter". Überhaupt macht Smesem sich mit seinen Texten nicht nur Freunde: "Wir müssen die wahren Gründe für den schleppenden Verlauf der Revolution untersuchen", schrieb er beispielsweise: Die Zersplitterung der Opposition, die Spaltung der Freien Syrischen Armee und der Medien. Einige Exil-Gruppen schaffen eigene Milizen in Syrien, schrieb er, andere Gruppen horteten Waffen für die Zeit nach dem Sturz des Regimes. Und dies in einer Zeit, in der Journalisten ohnehin oft unter Spionageverdacht stehen. Einige Syrer warfen ihm vor, sein Blatt klinge wie eine russische Zeitung: objektiv an der Oberfläche, aber in Wahrheit regimetreu. Smesem blieb hart: "Wer keine Fehler macht, sollte mit Kritik umgehen können", sagt er telefonisch aus der Türkei: "Aber diese Leute haben etwas zu verbergen."

In einem Konflikt, der für Journalisten so schwer zu recherchieren ist, in dem das Regime und die Rebellen das Internet mit Manifesten, Propaganda, Videos überschwemmen, in dem die Bewaffneten aller Seiten foltern, morden, sich dabei filmen und ihre Clips von Handy zu Handy weitergeben, zur Einschüchterung, zur Mobilisierung, in Syriens furchtbarem schwer durchschaubaren "Youtube-Krieg" (Time) hat Sham den unbequemsten Platz gewählt: den des neutralen Beobachters. Smesem nämlich, der lange für syrische Wirtschaftsblätter arbeitete, auch als Chefredakteur, war die Desinformation irgendwann leid. "Die Regierung lügt sowieso", sagt er trocken: "Aber von den Rebellen war auch kein objektives Wort zu bekommen. Alles waren Gerüchte, Dementis, das reine Informationschaos. Wir versuchen, journalistischer zu sein."



Der Bürgerkrieg in Syrien kostet die unabhängige syrische Zeitung "Sham" vielleicht ihre Existenz.

Deshalb arbeitet Smesem, der seine Zeitung im türkischen Antakya an der syrischen Grenze produziert, auch nicht gern mit Aktivisten zusammen. "Sie berichten ihre Sicht der Dinge, aber das ist eben nur die eine Seite", sagt er. Er, Smesem, arbeitet mit 15 Journalisten in ganz Syrien zusammen, dazu Autoren und Kolumnisten im Ausland. Die Reporter in Syrien schreiben unter Pseudonym, sie riskieren Leib und Leben durch ihre Beiträge. Einige sind sogar Regierungsangestellte. "Ein Kollege schreibt für die staatliche Nachrichtenagentur Sana", erklärt Smesem: "Als der Bericht der syrischen Zentralbank herauskam, hat die Regierung falsche Zahlen veröffentlicht. Wir konnten berichten, dass das Defizit 48 Milliarden Dollar beträgt." Aber ist das Risiko eines solchen Doppellebens nicht sehr groß? "Natürlich. Aber die Kollegen wollen auf das Gehalt der Agentur nicht verzichten - und wir nicht auf die Informationen." Die Reporter sitzen über ganz Syrien verteilt und bearbeiten verschiedene Ressorts: Wirtschaft, Politik, auch Kultur.

Gewiss, manchmal kann er auf die Aktivisten nicht verzichten. Einige arbeiteten inzwischen besser, haben Workshops ausländischer Organisationen und Medien absolviert. Ein Libanese, der Syrer trainierte, sagte vor kurzem: "Sie glauben, wenn sie mit dem Handy ein Flugzeug filmen, das eine Bombe abwirft, ist das schon das Größte. Aber sie müssen lernen, Geschichten zu erzählen."

Aus Antakya bringt Smesem seine Zeitung ins das gebeutelte Nachbarland, jedenfalls 4000 der 5000 Exemplare, auf Straßen, die gerade nicht umkämpft sind, in Orte, die manchmal Strom haben und manchmal Internet, aber eben nicht immer: "Wir füllen eine Lücke. Die Menschen sind inzwischen so isoliert, dass sie manchmal nicht wissen, was im Nachbardorf geschieht", sagt er: "Internet braucht Strom. Papier ist stärker." Und die neuen Medien, Facebook und Youtube, erreichen eben doch nicht alle: Die Älteren, die in der Regel nicht twittern, lesen gerne Zeitung." Die restlichen 1000 Exemplare verkauft er zur Hälfte in der Türkei und schickt sie ins Ausland.

Es ist ja nicht so, dass ein Mangel an syrischen Publikationen herrscht. Die Muslimbrüder, verschiedene Kampfverbände leisten sich Zeitungen, die Radikalen der Nusra-Front kommunizieren in der Regel über Online-Deklarationen. Eigene Fernsehsender der Rebellen folgen den Kämpfern über Stunden durch Gräben oder zerstörte Häuser. Aber das alles sind Werbesendungen in eigener Sache. Selbst al-Dschasira und al-Arabiya, die Nachrichtensender vom Golf, haben ihren Ruf als professionelle Vorbilder längst verloren. Während sie für ihre Berichterstattung über die Aufstände in Ägypten oder Libyen viel Anerkennung bekamen, haben sie im Laufe des Syrienkrieges alle Standards unterboten und gelten heute nur noch als Sprachrohre ihrer Regierungen: al-Dschasira für Katar, al-Arabiya für Saudi-Arabien.

Die erste Ausgabe von Sham erschien im Februar, geplant war das Erscheinen bereits früher, aber es fehlte das Geld. Dann wandte sich Smesem an Sham News Network SNN, eine Mediengruppe der Opposition, die eine Forschungsabteilung, einen Nachrichtendienst und eine Abteilung für die Sicherheit der Aktivisten unterhält. SNN finanziert sich über Spenden, meist von Syrern und das ist das Problem. "Nach zwei Jahren nehmen die Spenden ab", sagt Smesem. Gerade hat er sein letztes Gehalt bekommen, die Zeitung ist pleite. Einige Artikel veröffentlichen er und seine Kollegen auf der Facebook-Seite der Zeitung, aber für die Print-Journalisten ist das keine Alternative: "Wir sind Papier gewöhnt." Eigentlich hätte er sein Blatt gern um Radio und Fernsehen erweitert - wenn Syrien erst befreit ist. Aber nun könnte das Projekt nach nur vier Monaten ein Ende finden, wenn nicht doch noch jemand die etwa 15000 Dollar pro Monat übernimmt. SNN sagte, er könne die Zeitung ja weiterführen ohne Gehalt für die Redakteure. "So hätte ich die Qualität nicht garantieren können", sagt Smesem. Er lehnte ab. Es gab Angebot verschiedener syrischer Gruppen, aber die wollten Sham nur als Lautsprecher für ihre Sache nutzen, sagt er: "Da mach ich lieber zu."

Er hofft auf eine Konferenz in Paris. Dort treffen sich demnächst europäische Chefredakteure, es soll auch um Syrien gehen. Vielleicht findet sich jemand, der Sham aus der Klemme hilft. Wenn die Zustellung nach Syrien unterbrochen ist durch Bomben, Raketen oder Gefechte, rufen oft die Leser an und fragen: "Wo bleibt ihr?" Smesem hat darauf gerade keine Antwort.

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