Läusesucherei, ganz gemeine Kerle und zertrümmerte Karrieren: Ein Spaziergang über das Schlachtfeld der Rezensionen.
Rezensionen können Wunden reißen, die so tief sind wie bei einer enttäuschten Liebe. Wer ein Buch schreibt, auch ein wissenschaftliches, der pumpt schließlich Herzblut hinein, manchmal sogar mehr Herzblut als Hirnschmalz. Doch was passiert, wenn das Werk dafür kritisiert wird? Dann wird"s bitter: Gelehrte mutieren zu beleidigten Leberwürsten. Die Überwindung, Selbstkritik zu üben, ist oftmals größer als die Mühe, den Kritiker wiederum zu attackieren. Früher, als Repliken und Dupliken in den Zeitschriften noch üblich waren, kam es zu wahren Rezensionsfehden. Den neutralen Beobachter amüsierten sie - oder sie nervten. Je nach Qualität.
Die Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, abgekürzt "Miög", die bei Böhlau und Oldenbourg erscheinen und starke Akzente setzen im Reigen der deutschsprachigen Geschichtsperiodika, widmen ihr aktuelles Heft den, so der Untertitel, "Erkundungen einer Forschungslücke": nämlich dem Rezensionswesen. Es ist das Feld, ein Schlachtfeld bisweilen, auf dem Geisteswissenschaftler am ehesten die Beherrschung verlieren. Die Redaktion der landeshistorischen Zeitschrift Carinthia zum Beispiel meldet, "emotionale Grabenkämpfe bis hin zur persönlichen Abrechnung mit kontroversen Fachkollegen" seien neuerdings (?) "ein Spezifikum bei Archäologen und Frühgeschichtlern". Die Kritisierten reagierten "überemotional bis hin zur Forderung presserechtlicher Entgegnungen".
Die Miög gehen diskret vor: Die Aufsätze des Themenheftes beziehen sich auf Entgleisungen, die lange zurückliegen. Als legendär gilt das Duell zwischen Max Weber und Paul Sander, bei dem Weber im Jahr 1914 erst als Sekundant für einen verrissenen jungen Kollegen einsprang, aber schnell selbst zum Kombattanten avancierte. Dem Prager Wirtschaftshistoriker Sander wurde eine Klage gegen den scharfzüngigen Weber nahegelegt. Der Mann, der ihm diesen Schritt empfahl, steckte gerade selbst mitten in einem Kampf um nichts Geringeres als um seine Ehre: der Grazer Historiker Heinrich von Srbik (1878 bis 1951). Seine Edition österreichischer Staatsverträge war gerade übel verrissen worden. So übel, dass es den armen Srbik tage- und wahrscheinlich sogar nächtelang umtrieb. "Du glaubst nicht, wie mich diese Sache alteriert", schrieb er einem Freund. Er zieh den Rezensenten der "Perfidie", der "Polemik", der "Läusesucherei" und "lächerlicher Klügeleien". Dabei habe dieser "ganz gemeine Kerl" vom Inhalt des besprochenen Buches "keine Ahnung". Der Wiener Historiker Martin Scheutz hat diese brieflichen Invektiven Srbiks aufgetan und in einem lesenswerten Aufsatz für diesen Miög-Themenband verarbeitet.
Historiker sind angeblich besonders empfindlich wenn es um Kritik geht. (Das Bild zeigt den Historiker Georg Lohmeier.)
Rezensionen lassen sich als Waffen missbrauchen: Mal können sie als feine Streiche mit dem Florett verstanden werden, die an der akademischen Ehre kratzen, mal wirken sie sich wie Keulenhiebe aus und zertrümmern eine Karriere. Es war schon zu Srbiks Zeiten so, dass verrissene Jungakademiker um ihre Zukunft bangen mussten. Daran hat sich nichts geändert: Sind vakante Lehrstühle zu besetzen, studieren die Auswahlgremien die Publikationen der Bewerber kaum gründlicher als die Rezensionen darüber. Und befindet sich darunter ein Verdikt etwa mit dem Fazit: "Dennoch müssen derartige (eher schlechte) Studienarbeiten nicht als Dissertationen angenommen und überdies noch publiziert werden", sollte der Aspirant schnell den Taxischein machen.
Das zitierte Urteil ist keineswegs fingiert. Nachlesen lässt es sich ebenfalls in den aktuellen Miög. Angeprangert wird hier eine offenbar miserable medizinhistorische Kölner Dissertation. Die entsprechende Rezension klingt zwar hart, ist aber nüchtern und unpolemisch geschrieben. Man kann sagen: einer solider Verriss. Die Autorin erfüllt hier nur ihre Pflicht, die Leser vor der Lektüre zu warnen - und sie leistet so etwas wie Qualitätsmanagement für das medizinhistorische Fach.
Es gibt aber auch wissenschaftliche Rezensionen, denen eine nahezu sadistische Lust am Sezieren anzumerken ist. Es sind Texte, deren Subtext vor "Hört, hört!" und "Oho!" überquillt. Der Verfasser wird genüsslich mit zitierten Textstellen und dem Etikett "exklusive Ansicht" ausgestellt, denen ein oberlehrerhaftes "Halten wir der Klarheit wegen fest" folgt. Nicht einmal reputierte Gelehrte wie der Wiener Frühneuzeit-Historiker Alfred Kohler sind gegen subtile Kopfnüsse gefeit: Das größte Verdienst seines Grundrisses "Von der Reformation zum Westfälischen Frieden" sei es, eine "erste Annährung an die Reformationsgeschichte zu ermöglichen", heißt es im aktuellen Jahrgang der Historischen Zeitschrift. Eine erste Annäherung - dechiffriert heißt das: kann man sich sparen.
Sind Rezensenten dauerhaft zu spitzfindig, schaden sie sich mitunter selbst. Die Fachwelt schätzt subtiles Kompromittieren ebenso wie nassforsches Niederkartätschen allenfalls in geringen Dosen und lässt allzu auffällige Meckerziegen gern mal im universitären Mittelbau versauern. Wer holt sich schon freiwillig einen Klugscheißer ins Institut? Auch Srbiks Rezensent, der Verfassungshistoriker Gustav Turba, blieb seinerzeit ein Außenseiter im geschichtswissenschaftlichen Geschäft.
Wer etwas über die Gepflogenheiten des akademischen Rezensionsbetriebs erfahren will, ist mit dem Miög-Themenheft gut versorgt. Den Schwerpunkt krönt ein Fragebogen, den Redaktionen von 16 historischen Zeitschriften für die Miög beantwortet haben. Als gelungen gilt eine Rezension heute, wenn sie pointiert formuliert ist, ausgewogen wertet und ohne Polemik auskommt. Der Grat ist dabei schmal, die meisten Rezensenten wählen deshalb den sichereren Weg, den pointenlosen.
Immer mehr Zeitschriften publizieren heute ihre Rezensionen auch im Internet. Mit Seiten wie recensio.net und sehepunkte.de haben sich gefragte Plattformen etabliert. Auf recensio.net sind die Leser, also auch die Rezensierten, eingeladen, die Besprechungen zu kommentieren. Doch die wenigsten machen von dem Angebot bisher Gebrauch. Das könnte daran liegen, dass Geisteswissenschaftlern das Netz derzeit noch zu indiskret ist für den Meinungsaustausch, zu ephemer, zu profan.
Hätte der wütende Heinrich von Srbik das Netz genutzt, um seinem Verdruss Luft zu machen? Eher nicht. Im Duell gilt einstweilen noch das gedruckte Wort. Srbik bereitete seinen Gegenschlag akribisch vor, ließ recherchieren und kollationieren, ehe er dem Kritiker Turba die Kritik um die Ohren haute. Nach Erscheinen der Replik notierte er, "dass doch er ,abgestochen" ist, nicht ich". Und er wurde blutrünstig: "Die schweren Schnitte mit Arteriendurchschlag sitzen, hoffe ich, in ziemlicher Anzahl bei ihm." Wo"s um Akademiker-Ehre geht, spritzt Blut.
Rezensionen können Wunden reißen, die so tief sind wie bei einer enttäuschten Liebe. Wer ein Buch schreibt, auch ein wissenschaftliches, der pumpt schließlich Herzblut hinein, manchmal sogar mehr Herzblut als Hirnschmalz. Doch was passiert, wenn das Werk dafür kritisiert wird? Dann wird"s bitter: Gelehrte mutieren zu beleidigten Leberwürsten. Die Überwindung, Selbstkritik zu üben, ist oftmals größer als die Mühe, den Kritiker wiederum zu attackieren. Früher, als Repliken und Dupliken in den Zeitschriften noch üblich waren, kam es zu wahren Rezensionsfehden. Den neutralen Beobachter amüsierten sie - oder sie nervten. Je nach Qualität.
Die Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, abgekürzt "Miög", die bei Böhlau und Oldenbourg erscheinen und starke Akzente setzen im Reigen der deutschsprachigen Geschichtsperiodika, widmen ihr aktuelles Heft den, so der Untertitel, "Erkundungen einer Forschungslücke": nämlich dem Rezensionswesen. Es ist das Feld, ein Schlachtfeld bisweilen, auf dem Geisteswissenschaftler am ehesten die Beherrschung verlieren. Die Redaktion der landeshistorischen Zeitschrift Carinthia zum Beispiel meldet, "emotionale Grabenkämpfe bis hin zur persönlichen Abrechnung mit kontroversen Fachkollegen" seien neuerdings (?) "ein Spezifikum bei Archäologen und Frühgeschichtlern". Die Kritisierten reagierten "überemotional bis hin zur Forderung presserechtlicher Entgegnungen".
Die Miög gehen diskret vor: Die Aufsätze des Themenheftes beziehen sich auf Entgleisungen, die lange zurückliegen. Als legendär gilt das Duell zwischen Max Weber und Paul Sander, bei dem Weber im Jahr 1914 erst als Sekundant für einen verrissenen jungen Kollegen einsprang, aber schnell selbst zum Kombattanten avancierte. Dem Prager Wirtschaftshistoriker Sander wurde eine Klage gegen den scharfzüngigen Weber nahegelegt. Der Mann, der ihm diesen Schritt empfahl, steckte gerade selbst mitten in einem Kampf um nichts Geringeres als um seine Ehre: der Grazer Historiker Heinrich von Srbik (1878 bis 1951). Seine Edition österreichischer Staatsverträge war gerade übel verrissen worden. So übel, dass es den armen Srbik tage- und wahrscheinlich sogar nächtelang umtrieb. "Du glaubst nicht, wie mich diese Sache alteriert", schrieb er einem Freund. Er zieh den Rezensenten der "Perfidie", der "Polemik", der "Läusesucherei" und "lächerlicher Klügeleien". Dabei habe dieser "ganz gemeine Kerl" vom Inhalt des besprochenen Buches "keine Ahnung". Der Wiener Historiker Martin Scheutz hat diese brieflichen Invektiven Srbiks aufgetan und in einem lesenswerten Aufsatz für diesen Miög-Themenband verarbeitet.
Historiker sind angeblich besonders empfindlich wenn es um Kritik geht. (Das Bild zeigt den Historiker Georg Lohmeier.)
Rezensionen lassen sich als Waffen missbrauchen: Mal können sie als feine Streiche mit dem Florett verstanden werden, die an der akademischen Ehre kratzen, mal wirken sie sich wie Keulenhiebe aus und zertrümmern eine Karriere. Es war schon zu Srbiks Zeiten so, dass verrissene Jungakademiker um ihre Zukunft bangen mussten. Daran hat sich nichts geändert: Sind vakante Lehrstühle zu besetzen, studieren die Auswahlgremien die Publikationen der Bewerber kaum gründlicher als die Rezensionen darüber. Und befindet sich darunter ein Verdikt etwa mit dem Fazit: "Dennoch müssen derartige (eher schlechte) Studienarbeiten nicht als Dissertationen angenommen und überdies noch publiziert werden", sollte der Aspirant schnell den Taxischein machen.
Das zitierte Urteil ist keineswegs fingiert. Nachlesen lässt es sich ebenfalls in den aktuellen Miög. Angeprangert wird hier eine offenbar miserable medizinhistorische Kölner Dissertation. Die entsprechende Rezension klingt zwar hart, ist aber nüchtern und unpolemisch geschrieben. Man kann sagen: einer solider Verriss. Die Autorin erfüllt hier nur ihre Pflicht, die Leser vor der Lektüre zu warnen - und sie leistet so etwas wie Qualitätsmanagement für das medizinhistorische Fach.
Es gibt aber auch wissenschaftliche Rezensionen, denen eine nahezu sadistische Lust am Sezieren anzumerken ist. Es sind Texte, deren Subtext vor "Hört, hört!" und "Oho!" überquillt. Der Verfasser wird genüsslich mit zitierten Textstellen und dem Etikett "exklusive Ansicht" ausgestellt, denen ein oberlehrerhaftes "Halten wir der Klarheit wegen fest" folgt. Nicht einmal reputierte Gelehrte wie der Wiener Frühneuzeit-Historiker Alfred Kohler sind gegen subtile Kopfnüsse gefeit: Das größte Verdienst seines Grundrisses "Von der Reformation zum Westfälischen Frieden" sei es, eine "erste Annährung an die Reformationsgeschichte zu ermöglichen", heißt es im aktuellen Jahrgang der Historischen Zeitschrift. Eine erste Annäherung - dechiffriert heißt das: kann man sich sparen.
Sind Rezensenten dauerhaft zu spitzfindig, schaden sie sich mitunter selbst. Die Fachwelt schätzt subtiles Kompromittieren ebenso wie nassforsches Niederkartätschen allenfalls in geringen Dosen und lässt allzu auffällige Meckerziegen gern mal im universitären Mittelbau versauern. Wer holt sich schon freiwillig einen Klugscheißer ins Institut? Auch Srbiks Rezensent, der Verfassungshistoriker Gustav Turba, blieb seinerzeit ein Außenseiter im geschichtswissenschaftlichen Geschäft.
Wer etwas über die Gepflogenheiten des akademischen Rezensionsbetriebs erfahren will, ist mit dem Miög-Themenheft gut versorgt. Den Schwerpunkt krönt ein Fragebogen, den Redaktionen von 16 historischen Zeitschriften für die Miög beantwortet haben. Als gelungen gilt eine Rezension heute, wenn sie pointiert formuliert ist, ausgewogen wertet und ohne Polemik auskommt. Der Grat ist dabei schmal, die meisten Rezensenten wählen deshalb den sichereren Weg, den pointenlosen.
Immer mehr Zeitschriften publizieren heute ihre Rezensionen auch im Internet. Mit Seiten wie recensio.net und sehepunkte.de haben sich gefragte Plattformen etabliert. Auf recensio.net sind die Leser, also auch die Rezensierten, eingeladen, die Besprechungen zu kommentieren. Doch die wenigsten machen von dem Angebot bisher Gebrauch. Das könnte daran liegen, dass Geisteswissenschaftlern das Netz derzeit noch zu indiskret ist für den Meinungsaustausch, zu ephemer, zu profan.
Hätte der wütende Heinrich von Srbik das Netz genutzt, um seinem Verdruss Luft zu machen? Eher nicht. Im Duell gilt einstweilen noch das gedruckte Wort. Srbik bereitete seinen Gegenschlag akribisch vor, ließ recherchieren und kollationieren, ehe er dem Kritiker Turba die Kritik um die Ohren haute. Nach Erscheinen der Replik notierte er, "dass doch er ,abgestochen" ist, nicht ich". Und er wurde blutrünstig: "Die schweren Schnitte mit Arteriendurchschlag sitzen, hoffe ich, in ziemlicher Anzahl bei ihm." Wo"s um Akademiker-Ehre geht, spritzt Blut.