Immer mehr jüngere Deutsche sehen im Gang ins Wahllokal keine Bürgerpflicht mehr. Doch eine neue Studie zeigt: An der Demokratie zweifeln nur die Wenigsten.
München - Wahlforscher können fies sein. Sie fragen die Bürger zum Beispiel, ob sie einen Sonntagsausflug bei "traumhaft schönem Wetter" abbrechen würden, um noch rechtzeitig ins Wahllokal zu kommen. Nicht einmal die Hälfte der Befragten, 46 Prozent, würde den Ausflug beenden. Alle anderen bleiben lieber in der Sonne oder sind unentschlossen - vielleicht erscheint ihnen das Traumwetter-Szenario auch einfach weltfremd. Vor 15 Jahren, als die Wissenschaftler die Frage erstmals stellten, waren noch 59 Prozent dazu bereit, den Ausflug abzubrechen.
"Die Zeiten, in denen Wählen als Bürgerpflicht erscheint, sind vorbei." So steht es in einer am Montag veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Instituts für Demoskopie Allensbach. Der Trend, dass vor allem Menschen mit wenig Bildung und geringem Einkommen den Wahllokalen fernbleiben, werde sich fortsetzen. Gut drei Monate vor der Bundestagswahl sprechen die Autoren von einer "gespaltenen Demokratie". In Teilen der jungen Generation habe sich "ein Klima herausgebildet, in dem es ganz normal ist, nicht wählen zu gehen". Wichtige Einflüsse sind die Wahlmoral im Freundeskreis und die Frage, ob im Elternhaus über Politik gesprochen wird.
Der soziale Druck, wählen zu gehen, schwindet.
Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren lag die Wahlbeteiligung nur noch bei 70,8 Prozent, dem tiefsten Wert seit 1949. Bei Landtagswahlen werden in Deutschland nur noch selten 60 Prozent erreicht. Zugleich wächst bei den Bürgern das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht im Land. Nur noch 18 Prozent beurteilen die wirtschaftlichen Verhältnisse im Großen und Ganzen als gerecht, 68 Prozent betrachten sie als ungerecht.
Trotz solcher Zahlen verzichtet die Studie auf einen alarmistischen Ton. Eine grundsätzliche Abwendung vom politischen System sei nicht zu erkennen, die Zufriedenheit mit der Demokratie wachse sogar: In den vergangenen zehn Jahren stieg der Anteil der Zufriedenen von 67 auf 83 Prozent - von allgemeinem Demokratie-Verdruss kann demnach keine Rede sein. Überraschenderweise wächst auch der Anteil der Bürger, die zwischen den Parteien große Unterschiede erkennen. Nur 24 Prozent sind der Ansicht, die Parteien seien im Grunde alle gleich. Zu Beginn der neunziger Jahre sagten das noch 31 Prozent. Allerdings haben vor allem Menschen aus unteren sozialen Schichten den Eindruck, dass es nichts bringe, sich politisch zu engagieren. Die meisten derjenigen, die sich kaum oder gar nicht für Politik interessieren, empfinden das politische Geschehen als nicht mehr nachvollziehbar.
Im Durchschnitt interessieren sich Jüngere weniger für Politik. Das war einmal anders. Die Gruppe der Bürger, die 1969 jünger als 30 Jahre war, hat in allen Lebensphasen ein außerordentlich großes Interesse an Politik bekundet. Diese stark politisierte Generation verliert nun an Bedeutung. Obwohl sie sich weniger an Wahlen beteiligen, sind Jüngere aber im Durchschnitt keineswegs politisch resignierter als die Älteren, heißt es in der Studie.
In der Wissenschaft werden wachsende Anteile von Nichtwählern zwar oft als Krisensymptom gewertet. Es gibt aber auch die Gegenthese: dass die Zahlen für eine stabile Ordnung stehen, in der es die Bürger nicht für so dringlich halten, sich zu beteiligen. Die neue Studie zeigt, dass vor allem diejenigen eher zur Wahl gehen, die besonders zufrieden oder unzufrieden mit dem politischen System sind. Der Wunsch nach Veränderung motiviert ebenso wie der Wunsch, etwas zu bewahren. Dazwischen stehen die mäßig Zufriedenen und Gleichgültigen. Und ihr Nichtwählen ist offenbar ansteckend: "Wer umgeben ist von Menschen, die nicht wählen, neigt auch selbst deutlich weniger dazu, Wählen als eine selbstverständliche Pflicht anzusehen", schreiben die Autoren.
Vor allem die Jüngeren glauben, dass ihre Freunde und Bekannten Verständnis dafür hätten, wenn sie kein Kreuz machen. Der soziale Druck, wählen zu gehen, schwindet. Und die Faktoren, die das begünstigen, verstärken sich gegenseitig: Wer über ein geringes Einkommen und niedrige Bildungsabschlüsse verfügt, bewegt sich oft auch in einem sozial schwachen Umfeld, in dem Wählen immer weniger als Bürgerpflicht begriffen wird. "Nur wenige Menschen brechen aus diesen Zusammenhängen aus", so der Befund.
Die Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Allensbach-Instituts beruht unter anderem auf einer repräsentativen Umfrage von mehr als 1500 Personen. Diese wurden zwischen Ende März und Mitte April dieses Jahres persönlich befragt.
Untersuchungen über Nichtwähler gelten als methodisch schwierig, weil sich manche Bürger am Wahltag doch noch für - oder gegen - eine Beteiligung entscheiden. Eine Studie des Instituts Forsa kam vor Kurzem zu dem Ergebnis, dass es noch keine große Zahl von "Dauernichtwählern" gebe. Die meisten fühlten sich eher wie "Wähler auf Urlaub".
Allerdings trat die Forsa-Studie, die auf 2000 Interviews mit Wählern, Nichtwählern und Unentschlossenen beruhte, der These entgegen, Nichtwähler seien eigentlich recht zufrieden mit den politischen Verhältnissen. Die wachsende Wahlabstinenz sei vielmehr Ausdruck eines "Entfremdungsprozesses" zwischen Bürgern und Politik. Eine Expertise der Konrad-Adenauer-Stiftung kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass "der angeblich rationale Nichtwähler der gehobenen Schichten, der bewusst auf die Wahlteilnahme verzichtet", ein "minimales Randphänomen" sei. Die Debatte darüber wurde genährt durch einige gut ausgebildete Publizisten, die sich in den vergangenen Jahren dazu bekannt hatten, nicht zur Wahl zu gehen.
Immer wieder flackert in Deutschland nach schlechten Werten bei der Wahlbeteiligung eine Debatte über die Einführung einer Wahlpflicht auf. Doch diese Debatten ebben in der Regel sehr schnell wieder ab. Denn kaum ein deutscher Politiker will die Bürger durch Zwang ins Wahllokal bringen, weder bei Regen noch bei Sonnenschein.
München - Wahlforscher können fies sein. Sie fragen die Bürger zum Beispiel, ob sie einen Sonntagsausflug bei "traumhaft schönem Wetter" abbrechen würden, um noch rechtzeitig ins Wahllokal zu kommen. Nicht einmal die Hälfte der Befragten, 46 Prozent, würde den Ausflug beenden. Alle anderen bleiben lieber in der Sonne oder sind unentschlossen - vielleicht erscheint ihnen das Traumwetter-Szenario auch einfach weltfremd. Vor 15 Jahren, als die Wissenschaftler die Frage erstmals stellten, waren noch 59 Prozent dazu bereit, den Ausflug abzubrechen.
"Die Zeiten, in denen Wählen als Bürgerpflicht erscheint, sind vorbei." So steht es in einer am Montag veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Instituts für Demoskopie Allensbach. Der Trend, dass vor allem Menschen mit wenig Bildung und geringem Einkommen den Wahllokalen fernbleiben, werde sich fortsetzen. Gut drei Monate vor der Bundestagswahl sprechen die Autoren von einer "gespaltenen Demokratie". In Teilen der jungen Generation habe sich "ein Klima herausgebildet, in dem es ganz normal ist, nicht wählen zu gehen". Wichtige Einflüsse sind die Wahlmoral im Freundeskreis und die Frage, ob im Elternhaus über Politik gesprochen wird.
Der soziale Druck, wählen zu gehen, schwindet.
Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren lag die Wahlbeteiligung nur noch bei 70,8 Prozent, dem tiefsten Wert seit 1949. Bei Landtagswahlen werden in Deutschland nur noch selten 60 Prozent erreicht. Zugleich wächst bei den Bürgern das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht im Land. Nur noch 18 Prozent beurteilen die wirtschaftlichen Verhältnisse im Großen und Ganzen als gerecht, 68 Prozent betrachten sie als ungerecht.
Trotz solcher Zahlen verzichtet die Studie auf einen alarmistischen Ton. Eine grundsätzliche Abwendung vom politischen System sei nicht zu erkennen, die Zufriedenheit mit der Demokratie wachse sogar: In den vergangenen zehn Jahren stieg der Anteil der Zufriedenen von 67 auf 83 Prozent - von allgemeinem Demokratie-Verdruss kann demnach keine Rede sein. Überraschenderweise wächst auch der Anteil der Bürger, die zwischen den Parteien große Unterschiede erkennen. Nur 24 Prozent sind der Ansicht, die Parteien seien im Grunde alle gleich. Zu Beginn der neunziger Jahre sagten das noch 31 Prozent. Allerdings haben vor allem Menschen aus unteren sozialen Schichten den Eindruck, dass es nichts bringe, sich politisch zu engagieren. Die meisten derjenigen, die sich kaum oder gar nicht für Politik interessieren, empfinden das politische Geschehen als nicht mehr nachvollziehbar.
Im Durchschnitt interessieren sich Jüngere weniger für Politik. Das war einmal anders. Die Gruppe der Bürger, die 1969 jünger als 30 Jahre war, hat in allen Lebensphasen ein außerordentlich großes Interesse an Politik bekundet. Diese stark politisierte Generation verliert nun an Bedeutung. Obwohl sie sich weniger an Wahlen beteiligen, sind Jüngere aber im Durchschnitt keineswegs politisch resignierter als die Älteren, heißt es in der Studie.
In der Wissenschaft werden wachsende Anteile von Nichtwählern zwar oft als Krisensymptom gewertet. Es gibt aber auch die Gegenthese: dass die Zahlen für eine stabile Ordnung stehen, in der es die Bürger nicht für so dringlich halten, sich zu beteiligen. Die neue Studie zeigt, dass vor allem diejenigen eher zur Wahl gehen, die besonders zufrieden oder unzufrieden mit dem politischen System sind. Der Wunsch nach Veränderung motiviert ebenso wie der Wunsch, etwas zu bewahren. Dazwischen stehen die mäßig Zufriedenen und Gleichgültigen. Und ihr Nichtwählen ist offenbar ansteckend: "Wer umgeben ist von Menschen, die nicht wählen, neigt auch selbst deutlich weniger dazu, Wählen als eine selbstverständliche Pflicht anzusehen", schreiben die Autoren.
Vor allem die Jüngeren glauben, dass ihre Freunde und Bekannten Verständnis dafür hätten, wenn sie kein Kreuz machen. Der soziale Druck, wählen zu gehen, schwindet. Und die Faktoren, die das begünstigen, verstärken sich gegenseitig: Wer über ein geringes Einkommen und niedrige Bildungsabschlüsse verfügt, bewegt sich oft auch in einem sozial schwachen Umfeld, in dem Wählen immer weniger als Bürgerpflicht begriffen wird. "Nur wenige Menschen brechen aus diesen Zusammenhängen aus", so der Befund.
Die Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Allensbach-Instituts beruht unter anderem auf einer repräsentativen Umfrage von mehr als 1500 Personen. Diese wurden zwischen Ende März und Mitte April dieses Jahres persönlich befragt.
Untersuchungen über Nichtwähler gelten als methodisch schwierig, weil sich manche Bürger am Wahltag doch noch für - oder gegen - eine Beteiligung entscheiden. Eine Studie des Instituts Forsa kam vor Kurzem zu dem Ergebnis, dass es noch keine große Zahl von "Dauernichtwählern" gebe. Die meisten fühlten sich eher wie "Wähler auf Urlaub".
Allerdings trat die Forsa-Studie, die auf 2000 Interviews mit Wählern, Nichtwählern und Unentschlossenen beruhte, der These entgegen, Nichtwähler seien eigentlich recht zufrieden mit den politischen Verhältnissen. Die wachsende Wahlabstinenz sei vielmehr Ausdruck eines "Entfremdungsprozesses" zwischen Bürgern und Politik. Eine Expertise der Konrad-Adenauer-Stiftung kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass "der angeblich rationale Nichtwähler der gehobenen Schichten, der bewusst auf die Wahlteilnahme verzichtet", ein "minimales Randphänomen" sei. Die Debatte darüber wurde genährt durch einige gut ausgebildete Publizisten, die sich in den vergangenen Jahren dazu bekannt hatten, nicht zur Wahl zu gehen.
Immer wieder flackert in Deutschland nach schlechten Werten bei der Wahlbeteiligung eine Debatte über die Einführung einer Wahlpflicht auf. Doch diese Debatten ebben in der Regel sehr schnell wieder ab. Denn kaum ein deutscher Politiker will die Bürger durch Zwang ins Wahllokal bringen, weder bei Regen noch bei Sonnenschein.