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Menschen, die nichts zählen

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Tausende Straftäter sind in der Psychiatrie untergebracht - und sind dort rechtloser als Häftlinge in Gefängnissen.

München - "Ich werde hier, falls meine Verwahrung nicht aufgrund der Unverhältnismäßigkeit für erledigt erklärt wird, mit den Füßen voran entlassen." Mit diesem Satz endet ein Brief, den ein Insasse im psychiatrischen Krankenhaus an die Süddeutsche Zeitung geschrieben hat. Der Schreiber dieses Briefs hat Angst davor, dass die "Maßregel der Sicherung und Besserung" erst mit seinem Tode endet. Eine zeitliche Begrenzung für diese vom Gericht angeordnete Maßregel gibt es nämlich nicht. Sie kann ewig dauern - die Ewigkeit wird derzeit nur begrenzt vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zwar Verfassungsrang hat, aber wenig konkret ist.



Die Verweildauer in der Psychiatrie wird immer höher, die Patienten werden immer seltener entlassen.

Der Schreiber ist einer wie Gustl Mollath, also einer von 6750 Menschen, die per Gerichtsbeschluss in der Psychiatrie untergebracht sind. Diese Zahl stammt aus dem Jahr 2012 und gilt allein für die alten Bundesländer. Eine gesamtdeutsche Zahl gibt es nur für das Jahr 2010. Damals hatte die Arbeitsgemeinschaft Psychiatrie der Gesundheitsministerkonferenz in einer Studie die Zahlen der Bundesländer zusammengetragen: 7752 Menschen waren 2010 in ganz Deutschland auf Anordnung von Gerichten in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht.

Gesamtdeutsche Statistiken finden sich darüber hinaus nicht. Es gibt nämlich kein Gesetz, das die zentrale Erfassung der Zahlen anordnet. Die alten Bundesländer sammeln sie aufgrund einer uralten Verwaltungsvereinbarung, die in den neuen Bundesländern nicht gilt. Die normalen Strafverfolgungsstatistiken, die Auskunft über Haft und Häftlinger in deutschen Gefängnissen geben, sind akkurat, für die Zahlen über die Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern lässt sich das nicht sagen: Sie sind nicht nur nicht akkurat, sie existieren auf Bundesebene nicht. Das ist bezeichnend für die minimale Beachtung, die das Instrument der von einem Gericht angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bisher fand. Das ändert sich erst, seit der Fall Mollath Aufmerksamkeit erregt.

Man kann das Ausmaß, in dem die sogenannte Verweildauer der Menschen in den psychiatrischen Krankenhäusern steigt, nur ahnen: Die Zahl der Strafurteile, mit denen die Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet wird, sinkt nämlich - von 1101 Anordnungen im Jahr 1996 auf 871 Anordnungen im Jahr 2011. Zugleich aber leben immer mehr Menschen zwangsweise in den psychiatrischen Krankenhäusern - knapp dreitausend waren es im Jahr 1996, 6750 waren es im März 2012. Die Zahlen beziehen sich auf die alten Bundesländer. Das bedeutet: Die Verweildauer in der Psychiatrie wird immer höher, die Patienten werden immer seltener entlassen.

Schon die Statistiken sind nicht besonders gepflegt, wenn es um die "Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus" geht. Das gilt auch für die Paragrafen, mittels derer kranke Straftäter dorthin verbracht werden. Die Paragrafen 63 bis 67h, die im Strafgesetzbuch Arten und Ausmaß freiheitserziehender Maßregeln festsetzen, genießen bisher keine große Beachtung - nicht in der juristischen Ausbildung, nicht in der juristischen Praxis, nicht in der juristischen Literatur. Das soll sich jetzt ändern: Ein Papier des Bundesjustizministeriums stellt "Reformüberlegungen zur Unterbringung nach Paragraf 63 StGB" an.

In den psychiatrischen Krankenhäusern werden Menschen untergebracht, die im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit Straftaten begangen haben. Neben den Abschiebegefängnissen, in denen Flüchtlinge darauf warten, aus dem Land geschafft zu werden, sind das die Orte mit der niedrigsten Rechtsdichte in Deutschland. Sie sind die Dunkelkammern des Rechts. Die einschlägigen Paragrafen sind oberflächlich, sie werden der "Tragweite der Entscheidung" nicht gerecht. Das Wort von der "Tragweite der Entscheidung" stammt aus dem aktuellen Papier des Bundesjustizministeriums zur Reform der Unterbringung, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Es enthält Vorschläge für Maßnahmen, die dafür sorgen sollen, dass eine Unterbringung von Straftätern in der Psychiatrie durch den Strafrichter künftig auf wirklich gravierende Fälle beschränkt und die weitere Unterbringung dort dann in viel kürzeren Abständen als bisher und viel genauer als bisher geprüft wird.

Die Vorschläge des Bundesjustizministeriums ändern und konkretisieren die gesetzlichen Regeln für die Einweisung ins psychiatrische Krankenhaus und für die Entlassung aus dem psychiatrischen Krankenhaus. Über die Art und Weise der Unterbringung sagen sie nichts. Was darf ein Straftäter, der in die Psychiatrie verbracht wurde? Welche Rechte hat er? Welche Einschränkungen muss er sich gefallen lassen? Wie sieht sein Leben hinter Gittern aus? Wo und wie kann sich der eingesperrte Mensch beschweren, wenn er sich und seine Rechte verletzt fühlt?

Für Straftäter, die im normalen Strafvollzug, also im Gefängnis, sitzen, ist das alles genau gesetzlich geregelt, für Straftäter in Sicherungsverwahrung auch. Für die Menschen, die in die Psychiatrie eingewiesen werden, gibt es solche Gesetze nicht. Selbst die kleinen Annehmlichkeiten, die den Haftalltag erträglicher machen sollen, etwa der Einkauf von Tabak, Süßigkeiten, Kosmetika und Zeitschriften aus dem eigenen Geld des Insassen, werden in vielen psychiatrische Krankenhäusern nicht gewährt. Da freut sich der Insasse in der Psychiatrie, dass er "wenigstens die Zeitung lesen" darf, auch wenn sie Löcher hat. Oft nämlich, so klagt jener Schreiber, der fürchtet, dass er erst "mit den Füßen voran" entlassen wird, fehlen da ganze Seiten "oder einzelne Artikel sind rausgeschnitten". Und er fragt, ob die Anstalt sie vielleicht wegen "Gesundheitsschädlichkeit" entfernt hat.

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