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Kurze Leine

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Mensch und Hund: Die Konflikte in den Städten werden schärfer.

Sitz. Fass. Scheiß Köter! ... - Überall, wo die Menschen enger zusammenwohnen, kommt es zunehmend zu Unduldsamkeiten zwischen Hunden, Herrchen und Bürgern ohne Hund. Jogger und Eltern haben Angst. Hundekot wird nicht entsorgt. Hundehalter fühlen sich wie eine politische Minderheit verfolgt und mit den schwarzen Schafen unter ihnen gleichgesetzt. Paranoia, Schwachsinn, Egoismus, Ignoranz, Krankheit - das sind noch die milderen Ausdrücke, die sich die Gegner auf der Straße und in Kommentarforen im Internet an den Kopf werfen.



Die Stimmung zwischen Hundebesitzern und hundelosen Bürgern in den Städten ist angespannt.

In Deutschlands Großstädten reagiert man darauf: In Hamburg gilt seit 2006 eine allgemeine Leinenpflicht, auch wenn es immer wieder Klagen über deren mangelhafte Beachtung gibt.In München ist soeben eine Leinenpflicht in Kraft getreten - sie gilt für große Hunde in der Innenstadt und an empfindlichen Stellen außerhalb derselben. Die neue Münchner Verordnung ist aber ein bürokratischer Flickenteppich - von Ausnahmen derart durchlöchert, dass die Bereitschaft der Bürger zur Kenntnis der neuen Regeln und ihrer Auslegung, wie sich jetzt schon abzeichnet, auf eine harte Probe gestellt werden wird. Wer im Norden des Landes meint, im wohlhabenden und konservativen Süden gehe es in solchen Fragen besonders ordentlich und streng zu - also etwa so, wie früher CSU und Polizei mit linken Demonstranten umgegangen sind -, sitzt einem falschen Vorurteil auf.

In Berlin wiederum hat der Justizsenator einen "Bello-Dialog" organisiert. Das ist kein Forschungsprojekt zur Kommunikationsfähigkeit des Hundes, sondern "Bello" ist eine behördeninterne Abkürzung für "Berliner Landesleinenordnung". Mit bürgernahen Sondierungsgesprächen, die im Herbst in ein neues Berliner Hundegesetz münden sollen, will man "ein friedlicheres Miteinander von Menschen mit und ohne Hund" schaffen.

Zwar ist auch da abzusehen, dass so manchem gemeinen Berliner die Bemühung um öffentliche Ordnung wie üblich ziemlich schnuppe sein wird. Wer dort einmal beim ersten Tauwetter im Frühjahr über die flächendeckende Rutschbahn von weich gewordenen, zusammenfließenden Exkrementen geschliddert ist, weiß, wovon die Rede ist. Aber überall zeichnet sich jetzt eine Tendenz ab: Einerseits geht man - nicht zuletzt anlässlich schlimmer Angriffe von Hunden auf Kleinkinder- restriktiver vor; andererseits aber versucht man, die Hundehalter durch mehr Aufmerksamkeit für Erziehungsfragen ("Hundeführerschein") stärker einzubinden.

Zunächst sind Konflikte um den Hund in der Großstadt ja einfach eine Frage des zivilen Umgangs und Ausgleichs. Dort, wo auch nur die geringste Gefahr der Verletzung von Menschen bestehen könnte, sollte es selbstverständlich sein, dass die unteilbare Verantwortung beim Hundehalter liegt, den Hund zurückzuhalten. Wo es also um die körperliche Unversehrtheit geht, aber auch auf der geringeren Alarmstufe -in Fragen der Belästigung, des Lärms, des Verhältnisses von Hundegröße zur Wohnungsgröße und der öffentlichen Hygiene-, hofft man auf Einsicht und Rücksichtnahme; sonst aber eben auf Gesetze und Sanktionen.

Aber da ist noch viel mehr. Und dieses Mehr macht das Verhältnis von Mensch und Hund in den Städten deutlich komplizierter als irgendwelche Verkehrs- oder Müllregeln oder auch Rauchverbote. Es mag für den kleinen Fiffi, der da gerade um die Ecke kommt, etwas hochgegriffen klingen, aber es ist so: Der Hund berührt die Ambivalenz des Menschen in der urbanen Zivilisation. Zum einen nämlich sehen die Stadtbürger, die keine Hunde haben oder kennen, in ihnen - weit über die reale Gefahr hinaus - ein Animalisches und Unheimliches in den Stadtraum eindringen, welches dort seit der Trennung von Arbeit, Wohnen und Versorgung eigentlich nichts mehr zu suchen hat, also seit dem Verschwinden von Nutztieren aus den Gassen und Hinterhöfen.

In der modernen Stadt ist der Hund, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, vom Arbeiten für den Menschen befreit - also von seinen uralten Aufgaben als Wach-, Lasten- oder Jagdtier. Daher erschließt sich der Sinn des Hundes in der Großstadt für denjenigen nicht, der nicht an ihm hängt. Zudem ergeben sich aus Wohlstand, Verdichtung und gleichzeitig geringerer Kopfgröße pro Haushalt, also schrumpfenden Familien und Vereinzelung, auch kulturelle Veränderungen: Immer stärker wird heute das Bedürfnis nach Sicherheit, Hygiene und Ruhe. Man möchte nach Möglichkeit auch im öffentlichen Raum wie im eigenen Wohnzimmer von jeglichen Störungen verschont bleiben. Zu diesen unerwünschten Störungen gehören der Lärm von Kindern oder Fabriken, Zigarettenrauch, Körpergerüche, Dreck, Funklöcher, Verspätungen im Nahverkehr und eben auch die Hunde, die früher einmal - ebenso wie die Kinder- viel freier in den Städten herumliefen.

Das ist das eine. Zum anderen aber wissen oder wittern auch die Hundelosen, dass es mit dem Hund etwas Besonderes auf sich hat. Schließlich ist der Hund der älteste tierische Gefährte des Menschen überhaupt. Die Domestizierung des Wolfs liegt mindestens 10000 bis 14000 Jahre zurück. In Gemeinschaft mit dem Hund wurde der Mensch, was der Mensch ist; und der Hund ist Hund nur durch den Menschen. Die Forschung vermutet, dass Hunde schon sehr früh sowohl zum Wachen und Jagen wie auch als Knuddeltier und Spielzeug für die Kinder dienten. Dieser alten Bindung zwischen Mensch und Hund wurde schon zu Beginn der europäischen Literatur ein Denkmal gesetzt, in dem Hund namens Argos in der "Odyssee", der nach zwanzig Jahren als einziger seinen verkleideten Herrn Odysseus erkennt - eine Szene, der auch der härteste Hundehasser seine Rührung nicht versagen kann.

Der Biologe John Bradshaw, der an der Universität von Bristol lehrt, hat ein wunderbares Buch mit dem Titel "In Defence of Dogs" geschrieben. Im letzten Herbst ist es auch auf Deutsch erschienen - leider nur in einem Special-Interest-Verlag (Kynos), denn ihm ist eine breite Leserschaft zu wünschen. Bradshaw erklärt dort: "Die Geschichte des Hundes ist eng verbunden mit unserer Entwicklung von Jägern und Sammlern hin zum modernen Stadtbewohner." Man könnte also sagen: Im Unbehagen gegenüber dem Hund scheint auch etwas von einem kollektiven schlechten Gewissen durch, darüber nämlich, dass sich das Verhältnis von Mensch, Haus und Tier besonders seit der Industrialisierung insgesamt verändert hat - hin zu mehr Distanz und mehr Angst. Von John Bradshaw lässt sich übrigens auch lernen, dass viel von der Aggressivität von Hunden aus dem Verhalten der Menschen resultiert, insbesondere aus der überholten Vorstellung vom dominanzfixierten "Alphatier".

Virginia Woolf hat in ihrem sonderbaren Roman "Flush" (1933) diese zweischneidige Haltung vorgeführt: Der Hund wird, wie es sehr üblich ist, als Hauptfigur des Buches vermenschlicht, fasziniert von der Buntheit des menschlichen Lebens; zugleich aber wird seine Zurichtung durch die Großstadt London beklagt und das Landleben als passender beschworen. Der Hund ist in seiner herbeigezüchteten Vielfalt und persönlichen Inbesitznahme ein Produkt der fortschreitenden Individualisierung. Er ist aber auch eine Herausforderung an den städtischen Individualismus, weil der Hund in der Evolution in der Gemeinschaft von menschlichen Gruppen sozialisiert wurde. Eine Erinnerung an dieses Erbe schwingt gewiss mit, wenn der Hund in der Großstadt als arbeitsloser Kamerad oder als gefährlicher Fremdkörper wahrgenommen wird.

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