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Hier ist die ganze Welt Papier

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Dass Papier Gewicht hat, ist die These einer Ausstellung, die derzeit unter dem Titel "Paper Weight" im Münchner Haus der Kunst zu sehen ist, wo sich unabhängige Magazine präsentieren.

Als das Magazin Starship in den letzten Jahren vor der Jahrtausendwende auftauchte, da wurden eigentlich gerade die digitalen Erscheinungen groß beleuchtet; die schnellen, knappen Mitteilungen, weltweit und nah zugleich. Das schulheftgroße, geklammerte Starship dagegen bestand aus langen und sehr persönlichen Texten, schwarzweißen Fotostrecken. Bilder von Dirk Bell neben dem Aktzeichensaal der Kunstakademie von Teheran. Auszüge aus einem "Handbuch für die Reise durch Afrika".

Obwohl von Künstlern - Ariane Müller, Martin Ebner und Hans-Christian Dany - gemacht, wurde kein Magazin über Kunst daraus, sondern das, was man seither in der Szene ein Artistzine nennt. Unregelmäßig erschienen nicht nur neue Ausgaben, sondern auch andere Formate: ein taschenbuchlanges Gespräch mit Martin Kippenberger. Oder in diesem Sommer, nach mehr als einem Jahr Publikationspause, ein Buch mit Texten der früh verstorbenen Annette Wehrmann.



Print ist tot? Nicht wenn es um Independent Magazines geht.

"Es ist historisch betrachtet vielleicht nicht korrekt, aber Starship ist für viele nach 2000 wie die Mutter aller Artistzines", erinnert sich Gürsoy Dogtas. Er selbst gibt in München das Magazin Matt heraus, das meist auf ein Ereignis wie eine Kunstausstellung oder ein Symposium hin geplant wird. Wenn man ihn fragt, was ein unabhängiges Magazin von den vielen Neugründungen der Presselandschaft unterscheidet, die auf kleine Auflage oder ausgesuchten Themenschwerpunkt setzen, dann sagt er nach kurzem Nachdenken, dass viele Gründer von den in der Szene beachteten Publikationen wie Hate Magazine oder Kultur & Gespenster sich gar nicht als Medienmacher sehen, sondern ihre Hefte als kuratierten Raum verstehen.

Was diese Generation beispielsweise gegen das epochale Interview abgrenzt, mit dem Andy Warhol aus der Factory heraus auf den Massenmarkt der Medien zielte. Man orientiert sich auch nicht am Erfolg von Wallpaper oder I-D, den Lifestyle-Heften der Neunziger, sondern findet seine Leser so wie Fanzines oder auch Schwulen- oder Lesbenmagazine, indem man so subjektiv wie möglich bleibt: "Was mich am meisten überzeugt, wird auch andere überzeugen", ist die Haltung, mit der Gürsoy Dogtas Matt Themenschwerpunkte wie "On the Academy"s Ruins" verordnet, die vor allem auch für Offenheit stehen. Dogtas: "Einige Magazine entziehen sich absichtlich jeder Zuordnung, was sie für mich teilweise interessanter macht."

Independent Magazines, unabhängige Magazine, werden dafür von Lesern geschätzt, die nicht über Mainstream-Themen informiert sein wollen, sondern es lieben, am Subjektiven teilzuhaben. Was im Bereich Mode, bedeuten kann, dass die jährliche Ausgabe des A Magazine von einem einzigen Designer gestaltet wird oder dass I Like My Style allein aus User-Beiträgen im Netz komponiert wird. Wo ein Designer seine eigenen Entwürfe inszeniert, ein Künstler seine Fotostrecke selbst mit einer Überschrift versieht, fehlt vielleicht jede kritische Distanz - doch das macht gerade den Reiz aus. Manchmal meint man, das gemeinsame Scrap-Book eines sehr nahen Freundeskreises in der Hand zu halten, dick wie ein Album, voller Poster oder Giveaways und in verschwindend kleiner Auflage gedruckt. Worauf man beim in Eintausender-Auflage vervielfältigten Fotomagazin dienacht mit einer Seriennummer hinweist, eingestempelt wie bei der Vorzugsedition eines Künstlerbuchs. Den Titel einer gesamten Auflage von Bidoun zierten schon mal von Hand aufgeklebte, arabische Flohmarkt-Fotos.

So unterlaufen die Unabhängigen die Spielregeln der etablierten Medien, nach denen Relevanz an Auflage und Reichweite gekoppelt ist. Ein Independent Magazine ist kostbar, gerade weil es nicht auf Marktanteile fixiert ist. Wo allerdings Stiftungen, Mäzene oder auch Crowdfunding zur Finanzierung nicht reichen, leisten sie es sich, vom Enthusiasmus getragen zu sein.

Häufig bedeutet das, dass Autoren genauso wenig an den Texten verdienen wie die Macher an den Heften. Während Konzerne Regalmeter im Bahnhofskiosk buchen, treten die Independents auf Kunstmessen auf oder auf Nischenveranstaltungen wie der "Independent Publishers and Artzine Fair" in der Kunsthalle Wien oder sie beliefern Büchertische zur Vernissage von Themenausstellungen. Die Amsterdamer Macher des lesbischen Girls Like Us geben befreundeten Bands die Hefte mit auf ihre Tourneen, die sie neben Fan-T-Shirts anbieten. Andere Zeitschriften liegen in Galerien Modeläden, Concept-Stores oder Buchhandlungen aus - oder werden online vertrieben.

Inzwischen gibt es auch spezialisierte Läden, wie "Do You Read Me?" in der Berliner Auguststraße, der aussieht, wie ein sehr schlanker Buchladen. Dort liegen die neu aufgelegten Cahiers D"Art oder das vom Künstler Maurizio Cattelan edierte Toilet Paper eher am Rand. Für die Macher sind diese Magazine schon Mainstream. Stolz präsentieren sie lieber das Ungewöhnliche. Die vier Independent-Publikationen zum Thema Fahrrad liegen an der Stelle, wo sich im Kiosk sonst vielleicht die Autozeitungen stapeln: Bike Quarterly konkurriert da mit The Ride, fahrstil und dem Rouleur, der in diesem Monat die Schwerpunkte auf Mexiko und Nabenschaltung setzt.

Auch ältere Ausgaben bleiben häufig noch im Angebot - was folgerichtig ist, da man ohnehin entlegene Themen propagiert, wie das lange und liebevoll geführte Interview mit der Memphis-Künstlerin Nathalie Du Pasquier, das in apartamento veröffentlicht auch noch zwei Jahre nach seinem Erscheinen Relevanz behaupten kann.

Der Übergang zwischen Bricks and Balloons, das den Diskurs zur Architektur in Form eines Comics führt, zur Fachliteratur auf dem Büchertisch ist fließend, wo Titel wie "Utopian Benches from the Shakers to the Separatists of Zoar" ausliegen oder ein Fachbuch zu "Bildern vom Tod in mexikanischen Drucken", in denen sich das Interesse am Entlegenen ins Enzyklopädische vertieft. Andererseits wirkt die Auswahl vorsätzlich unvollständig, fast, als propagiere man einen Lebensstil.

"Es geht uns nicht um Vollständigkeit", sagt Jessica Reitz, die "DYRM?" vor fünf Jahren, "mitten in der Medienkrise" mit dem Designer Mark Kiessling gegründet hat. "Wir verdienen ohnehin den Großteil unseres Umsatzes mit drei, vier Titeln wie Monocle, Brand 1, Monopol, apartamento oder 032c." Darüber hinaus gibt man sich in der Frage der Qualität dogmatisch. "Genau darum geht es doch - zu sagen: Das hier ist wirklich wichtig, das reicht."

Für Guido Waterval ist so eine Auswahl genauso maßgeblich, wie die Labels, die sich eine Luxusboutique auf die Stange hängt. "Es gibt weltweit eine Handvoll solcher Läden und wenn man als Magazin in das Sortiment von den Berliner Motto-Kiosken, Idea Books in Amsterdam oder Ofr in Paris aufgenommen wird, ist man weltweit unübersehbar." Er selbst betreibt in Maastricht ein Geschäftsmodell, das man als Reihung von Café Bar, Vintage-Store, Boutique und Bookshop nur unzureichend beschreiben kann.

Sicher ist er, was das Magazinregal angeht, selbst sein bester Kunde. "Das Physische ist der entscheidende Vorteil des Magazins", sagt Waterval und schlägt ein zehn Jahre altes Fotomagazin zielsicher genau auf den Seiten auf, die er sucht. Beispielsweise die alte Anzeigenstrecke in einer frühen Ausgabe von Purple, als Labels wie Prada ihr Logo in fortlaufende, leicht verwehte Landschaftsaufnahmen druckten. Ein Modeheft ist ihm beim Durchblättern zu "stählern", ein Lifestyle-Magazin zu autoritär; noch mehr als Hochglanz-Publikationen wie Fantastic Man schätzt er den Ton des Klassikers Index.

Wo auf Watervals Tisch gut zwei Dutzend Hefte durcheinanderliegen, die japanische Kochkultur thematisieren oder von Pop und Jazz anhand von Instrumenten erzählen, fällt auf, wie ähnlich die Gestaltung bei allen Unterschieden ist: Alle propagieren ein Leben in den sauberen, schwarzen Konturen einer deutlichen Typografie und den klaren, hellen Farben der Fotografie von Wolfgang Tillmans. Die Wohnungen in den Architekturmagazinen erinnern an dessen Stillleben auf der Küchenfensterbank; die Porträtierten stehen so beiläufig da, wie Kate Moss, die er im roten Kleid fotografiert hat. Die Siebziger hatten die Manifeste, die Subkulturen der Achtziger suchten Halt in der monatlichen Erscheinungsweise - hat sich das Politische verflüchtigt in Nischen von korrektem Stil und bewusstem Handeln?

Es gehe bei "High Information" nicht um elitäre News, sondern genau um das Gegenteil, sagt Guido Waterval, "ich will lesen, was ein Koch über Musik zu sagen hat. Oder der Tierarzt über den Stand der Humanmedizin". Das sind dann Magazine, die ihren Adressaten finden, wie eine Flaschenpost, die jemand ins Wasser geworfen hat, nur damit ein anderer sie findet, ihn findet. Wer jetzt vor dem Urlaub nicht warten möchte, ob ihm das Meer so eine Flasche zutreibt, der findet sie vielleicht auf dieser Doppelseite.

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