Warum nur werden die Resolutionen immer braver? Edward Snowden und der Herbst 1962
Die Unterzeichneten drücken Edward Snowden ihre Achtung aus und sind mit ihm solidarisch. In einer Zeit, die den Krieg als Mittel der Politik unbrauchbar gemacht hat, halten sie die Unterrichtung der Öffentlichkeit über sogenannte militärische Geheimnisse für eine sittliche Pflicht, die sie jederzeit erfüllen würden. Die Unterzeichneten bedauern es, dass die Politik des amerikanischen Präsidenten sie zu einem so scharfen Konflikt mit den Anschauungen der staatlichen Macht zwingt. Sie fordern die politisch, gesellschaftlich und persönlich diskreditierte Bundeskanzlerin auf, jetzt endlich zurückzutreten.
So könnte eine Resolution lauten, der von Joachim Gauck bis Margot Käßmann alle Empörungsfähigen im Land zustimmen müssten. Es hat sie nur keiner aufgesetzt, sie zirkuliert auch nicht im Netz, es gibt sie nicht. Stattdessen gibt es einen Offenen Brief an die 'Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin', den die Schriftstellerin und promovierte Juristin Juli Zeh formuliert hat und dem sich von Ingo Schulze bis Eva Menasse einige Dutzend Autoren angeschlossen haben. Die Resolution bebt vor Mut, wenn die Bundeskanzlerin im besten Politiker-Sprech aufgefordert wird, 'den Menschen im Land die volle Wahrheit über die Spähangriffe zu sagen'. Die Website www.change.org/nsa meldet stolz, dass im Internet bereits dreißigtausend Solidaritanten und -innen das Begehren unterstützen.
Auslöser für den offenen Brief an die Kanzlerin: Edward SnowdensEnthüllungen der NSA-Ausspähungs-Praktiken.
Das ist natürlich sehr schön.
Die deutschen Schriftsteller, die als gute Volksvertreter seit je mehr an eine Resolution als an eine Revolution glauben, waren allerdings schon mal ein bisschen mutiger. Noch an dem Wochenende, an dem der Verteidigungsminister seine staatliche Macht bis ins spätfaschistische Spanien ausdehnte, um den Redakteur Conrad Ahlers verhaften zu lassen und in Hamburg ein von einem ehemaligen Gestapo-Offizier geführtes Kommando die Redaktion des Spiegel besetzte, noch an jenem Wochenende setzten sich im ummauerten Berlin Hans Magnus Enzensberger, Alfred Andersch, Uwe Johnson und der Kabarettist Wolfgang Neuss zusammen, um (statt Edward Snowden) den Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein ihrer Solidarität zu versichern und den Rücktritt (nicht der amtierenden Bundeskanzlerin, sondern) des allseitig diskreditierten Verteidigungsministers Franz Josef Strauß zu verlangen.
Rücktrittsforderungen sind Tagesgeschäft und weiterer Rede nicht wert. Das Einmalige an der im Herbst 1962 auch von den Verlegern Unseld und Ledig-Rowohlt und den Schauspielern O. E. Hasse und Curd Jürgens unterzeichneten Resolution war die Aufforderung zum Geheimnisverrat, mit der sich die 49 Schriftsteller und Künstler vorwagten. 'In einer Zeit, die den Krieg als Mittel der Politik unbrauchbar gemacht hat, halten sie die Unterrichtung der Öffentlichkeit über sogenannte militärische Geheimnisse für eine sittliche Pflicht, die sie jederzeit erfüllen würden.'
Die sittliche Pflicht - das war eine gemeinsame Erfindung von Andersch und Enzensberger, Deserteur im Zweiten Weltkrieg der eine und der andere überlebensschlauer Volkssturmjungmann. Strauß und Adenauer warfen dem Spiegel bekanntlich ein eigenes sittliches Vergehen vor, als sie auf einen 'Abgrund von Landesverrat' erkannt haben wollten, und im demagogischen Tremolo von Strauß war Augstein mitsamt den gestohlenen militärischen Geheimnissen bereits nach Kuba zu Fidel Castro durchgebrannt.
Die Schriftsteller zu Berlin wurden im Namen der sittlichen Pflicht zu Verrätern. Ein Staatsanwalt schritt sogleich ein, der Leitartikler der einst recht nazifreundlichen Celleschen Zeitung empörte sich brav über die 'Landesverräter' und forderte die Wiedereinführung der Todesstrafe für das Delikt Landesverrat, und im Tagesspiegel bezeichnete Wolf Jobst Siedler, 1943 selber wegen 'Wehrkraftzersetzung' verurteilt, die vaterlandsverräterischen Autoren als 'Narren'.
Es war der Beginn der politischen Schriftstellerei in Deutschland.
Sie war natürlich alles andere als deutsch, sondern importiert aus Frankreich. Im September 1960 hatten sich 121 Schriftsteller zu einer 'Erklärung über das Recht zur Dienstpflichtverweigerung im Algerienkrieg' zusammengefunden. Simone de Beauvoir, Claude Lanzmann, André Breton, Sartre und den anderen drohte für diesen Verrat am französischen Staat tatsächlich das Gefängnis, aber zwei Jahre später war Algerien frei, in die Unabhängigkeit entlassen von jenem General de Gaulle, der sich zum Präsidenten der Republik hatte bestellen lassen, um genau das zu verhindern.
Im damaligen Westdeutschland gab es herzlich wenig Interesse an diesem Kolonialkrieg. Als der 31-jährige Hans Magnus Enzensberger, der in Paris studiert hatte, in Frankfurt eine Ausstellung zum Algerienkrieg eröffnete, sah er eine 'Feuerschrift an unserer Wand'. Er wählte einen 1961 noch ungewohnten Vergleich: 'Schon einmal haben wir alle miteinander nichts wissen wollen. Wir haben von sechs Millionen ermordeten Juden nichts wissen wollen.' Enzensberger und einige weitere Autoren solidarisierten sich mit den französischen Kollegen. Friedrich Sieburg, in seinen besten Jahren ein Kollaborateur von einigen Graden, außerdem geschworener Feind der Gruppe 47, empörte sich sogleich über die Trittbrettfahrer, die sich gefälligst nicht in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes einzumischen hätten. Aber die Herrschaft der alten Männer ging trotzdem allmählich zu Ende. Die Spiegel-Affäre änderte alles: Der Eifer der in Berlin versammelten Autoren, vor allem auch die dadurch entstandene Erregung brachte endlich auch die chronisch feige SPD in Opposition zur wilhelminischen Machtpolitik von Adenauer und Strauß und schließlich die bleierne Zeit der ersten Nachkriegsjahre an ihr glücklich Ende.
Enzensberger und seine Freunde hatten sich seinerzeit aber nicht nur bei den meinungsfreudigen Franzosen bedient, ihr Manifest war auch eine Wiedergutmachung für den Journalisten Carl von Ossietzky, der für seinen echten Verrat militärischer Geheimnisse ins Konzentrationslager musste und zu Tode gefoltert wurde.
2013 droht in Deutschland niemandem das KZ. Es braucht keinen Mut vor Königsthronen, und eine Resolution ist schnell geschrieben. Selten aber gab es eine, die derart staatsfromm daherkam. Statt die Bundesregierung zum Verrat am Bündnisfreund aufzufordern und dazu, dem ehrbaren Verräter Edward Snowden politisches oder meinetwegen Kirchenasyl anzubieten, begnügen sich Juli Zeh und ihre Kombattanten mit so grundstürzenden Beobachtungen, es gebe einen 'historischen Angriff auf unseren demokratischen Rechtsstatt'.
Muss die Bundeskanzlerin wirklich aufgefordert werden, die 'volle Wahrheit' zu sagen? Ist nicht längst bekannt, wie gründlich jedermann und jede Frau mit der Nutzung von Google und Facebook seine/ihre Persönlichkeit preisgibt? Ist denn nicht durch das Flugverbot für den bolivianischen Präsidenten Evo Morales erwiesen, dass sich Spanien und Frankreich wie Satellitenstaaten der Kolonialmacht USA verhalten? 'Es wächst der Eindruck', so formuliert es Juli Zeh in ihrer treuherzigen Art, 'dass das Vorgehen der amerikanischen und britischen Behörden von der deutschen Regierung billigend in Kauf genommen wird'. Was gibt es da noch zu wachsen?
Frau Bundeskanzlerin, so endet die Botschaft an die Herrschaft, 'Frau Bundeskanzlerin, wie sieht Ihre Strategie aus?' Die staatliche Macht in Gestalt der Uckermärkerin wird bei diesen Worten sehr fein gelächelt haben.
Der verdienstvolle Enzensberger hat diese staatstragende Resolution immerhin nicht unterschrieben. Dafür erzürnt ihn heute mehr der Werbemüll im Briefkasten und im Internet, und das in einer Zeit, die den Krieg als Mittel der Politik unbrauchbar gemacht, aber die Total-Überwachung als neue Lebenswelt geschaffen hat.
Die Unterzeichneten drücken Edward Snowden ihre Achtung aus und sind mit ihm solidarisch. In einer Zeit, die den Krieg als Mittel der Politik unbrauchbar gemacht hat, halten sie die Unterrichtung der Öffentlichkeit über sogenannte militärische Geheimnisse für eine sittliche Pflicht, die sie jederzeit erfüllen würden. Die Unterzeichneten bedauern es, dass die Politik des amerikanischen Präsidenten sie zu einem so scharfen Konflikt mit den Anschauungen der staatlichen Macht zwingt. Sie fordern die politisch, gesellschaftlich und persönlich diskreditierte Bundeskanzlerin auf, jetzt endlich zurückzutreten.
So könnte eine Resolution lauten, der von Joachim Gauck bis Margot Käßmann alle Empörungsfähigen im Land zustimmen müssten. Es hat sie nur keiner aufgesetzt, sie zirkuliert auch nicht im Netz, es gibt sie nicht. Stattdessen gibt es einen Offenen Brief an die 'Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin', den die Schriftstellerin und promovierte Juristin Juli Zeh formuliert hat und dem sich von Ingo Schulze bis Eva Menasse einige Dutzend Autoren angeschlossen haben. Die Resolution bebt vor Mut, wenn die Bundeskanzlerin im besten Politiker-Sprech aufgefordert wird, 'den Menschen im Land die volle Wahrheit über die Spähangriffe zu sagen'. Die Website www.change.org/nsa meldet stolz, dass im Internet bereits dreißigtausend Solidaritanten und -innen das Begehren unterstützen.
Auslöser für den offenen Brief an die Kanzlerin: Edward SnowdensEnthüllungen der NSA-Ausspähungs-Praktiken.
Das ist natürlich sehr schön.
Die deutschen Schriftsteller, die als gute Volksvertreter seit je mehr an eine Resolution als an eine Revolution glauben, waren allerdings schon mal ein bisschen mutiger. Noch an dem Wochenende, an dem der Verteidigungsminister seine staatliche Macht bis ins spätfaschistische Spanien ausdehnte, um den Redakteur Conrad Ahlers verhaften zu lassen und in Hamburg ein von einem ehemaligen Gestapo-Offizier geführtes Kommando die Redaktion des Spiegel besetzte, noch an jenem Wochenende setzten sich im ummauerten Berlin Hans Magnus Enzensberger, Alfred Andersch, Uwe Johnson und der Kabarettist Wolfgang Neuss zusammen, um (statt Edward Snowden) den Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein ihrer Solidarität zu versichern und den Rücktritt (nicht der amtierenden Bundeskanzlerin, sondern) des allseitig diskreditierten Verteidigungsministers Franz Josef Strauß zu verlangen.
Rücktrittsforderungen sind Tagesgeschäft und weiterer Rede nicht wert. Das Einmalige an der im Herbst 1962 auch von den Verlegern Unseld und Ledig-Rowohlt und den Schauspielern O. E. Hasse und Curd Jürgens unterzeichneten Resolution war die Aufforderung zum Geheimnisverrat, mit der sich die 49 Schriftsteller und Künstler vorwagten. 'In einer Zeit, die den Krieg als Mittel der Politik unbrauchbar gemacht hat, halten sie die Unterrichtung der Öffentlichkeit über sogenannte militärische Geheimnisse für eine sittliche Pflicht, die sie jederzeit erfüllen würden.'
Die sittliche Pflicht - das war eine gemeinsame Erfindung von Andersch und Enzensberger, Deserteur im Zweiten Weltkrieg der eine und der andere überlebensschlauer Volkssturmjungmann. Strauß und Adenauer warfen dem Spiegel bekanntlich ein eigenes sittliches Vergehen vor, als sie auf einen 'Abgrund von Landesverrat' erkannt haben wollten, und im demagogischen Tremolo von Strauß war Augstein mitsamt den gestohlenen militärischen Geheimnissen bereits nach Kuba zu Fidel Castro durchgebrannt.
Die Schriftsteller zu Berlin wurden im Namen der sittlichen Pflicht zu Verrätern. Ein Staatsanwalt schritt sogleich ein, der Leitartikler der einst recht nazifreundlichen Celleschen Zeitung empörte sich brav über die 'Landesverräter' und forderte die Wiedereinführung der Todesstrafe für das Delikt Landesverrat, und im Tagesspiegel bezeichnete Wolf Jobst Siedler, 1943 selber wegen 'Wehrkraftzersetzung' verurteilt, die vaterlandsverräterischen Autoren als 'Narren'.
Es war der Beginn der politischen Schriftstellerei in Deutschland.
Sie war natürlich alles andere als deutsch, sondern importiert aus Frankreich. Im September 1960 hatten sich 121 Schriftsteller zu einer 'Erklärung über das Recht zur Dienstpflichtverweigerung im Algerienkrieg' zusammengefunden. Simone de Beauvoir, Claude Lanzmann, André Breton, Sartre und den anderen drohte für diesen Verrat am französischen Staat tatsächlich das Gefängnis, aber zwei Jahre später war Algerien frei, in die Unabhängigkeit entlassen von jenem General de Gaulle, der sich zum Präsidenten der Republik hatte bestellen lassen, um genau das zu verhindern.
Im damaligen Westdeutschland gab es herzlich wenig Interesse an diesem Kolonialkrieg. Als der 31-jährige Hans Magnus Enzensberger, der in Paris studiert hatte, in Frankfurt eine Ausstellung zum Algerienkrieg eröffnete, sah er eine 'Feuerschrift an unserer Wand'. Er wählte einen 1961 noch ungewohnten Vergleich: 'Schon einmal haben wir alle miteinander nichts wissen wollen. Wir haben von sechs Millionen ermordeten Juden nichts wissen wollen.' Enzensberger und einige weitere Autoren solidarisierten sich mit den französischen Kollegen. Friedrich Sieburg, in seinen besten Jahren ein Kollaborateur von einigen Graden, außerdem geschworener Feind der Gruppe 47, empörte sich sogleich über die Trittbrettfahrer, die sich gefälligst nicht in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes einzumischen hätten. Aber die Herrschaft der alten Männer ging trotzdem allmählich zu Ende. Die Spiegel-Affäre änderte alles: Der Eifer der in Berlin versammelten Autoren, vor allem auch die dadurch entstandene Erregung brachte endlich auch die chronisch feige SPD in Opposition zur wilhelminischen Machtpolitik von Adenauer und Strauß und schließlich die bleierne Zeit der ersten Nachkriegsjahre an ihr glücklich Ende.
Enzensberger und seine Freunde hatten sich seinerzeit aber nicht nur bei den meinungsfreudigen Franzosen bedient, ihr Manifest war auch eine Wiedergutmachung für den Journalisten Carl von Ossietzky, der für seinen echten Verrat militärischer Geheimnisse ins Konzentrationslager musste und zu Tode gefoltert wurde.
2013 droht in Deutschland niemandem das KZ. Es braucht keinen Mut vor Königsthronen, und eine Resolution ist schnell geschrieben. Selten aber gab es eine, die derart staatsfromm daherkam. Statt die Bundesregierung zum Verrat am Bündnisfreund aufzufordern und dazu, dem ehrbaren Verräter Edward Snowden politisches oder meinetwegen Kirchenasyl anzubieten, begnügen sich Juli Zeh und ihre Kombattanten mit so grundstürzenden Beobachtungen, es gebe einen 'historischen Angriff auf unseren demokratischen Rechtsstatt'.
Muss die Bundeskanzlerin wirklich aufgefordert werden, die 'volle Wahrheit' zu sagen? Ist nicht längst bekannt, wie gründlich jedermann und jede Frau mit der Nutzung von Google und Facebook seine/ihre Persönlichkeit preisgibt? Ist denn nicht durch das Flugverbot für den bolivianischen Präsidenten Evo Morales erwiesen, dass sich Spanien und Frankreich wie Satellitenstaaten der Kolonialmacht USA verhalten? 'Es wächst der Eindruck', so formuliert es Juli Zeh in ihrer treuherzigen Art, 'dass das Vorgehen der amerikanischen und britischen Behörden von der deutschen Regierung billigend in Kauf genommen wird'. Was gibt es da noch zu wachsen?
Frau Bundeskanzlerin, so endet die Botschaft an die Herrschaft, 'Frau Bundeskanzlerin, wie sieht Ihre Strategie aus?' Die staatliche Macht in Gestalt der Uckermärkerin wird bei diesen Worten sehr fein gelächelt haben.
Der verdienstvolle Enzensberger hat diese staatstragende Resolution immerhin nicht unterschrieben. Dafür erzürnt ihn heute mehr der Werbemüll im Briefkasten und im Internet, und das in einer Zeit, die den Krieg als Mittel der Politik unbrauchbar gemacht, aber die Total-Überwachung als neue Lebenswelt geschaffen hat.