Jordi Évole schließt eine Lücke im spanischen Fernsehen - mit kritischem Journalismus. Seine Sendung deckt auf, was so alles schiefgeht im Land. Gerade wurde er zum besten TV-Reporter ernannt
Jordi Évole ist immer nett. Nie wirkt er gestresst, nie kommt ein böses Wort über seine Lippen. Und doch ist er überaus gefürchtet - bei den Politikern. Wenn Évole mit seinem Kamerateam in einem Rathaus auftaucht oder gar vor dem Parlament, ziehen es die meisten gewählten Volksvertreter vor, in Deckung zu gehen. Die Medien müssten, so Évole, mehr dafür tun, Skandale aufzudecken. Während Spaniens Boomjahre hätten sie so einiges übersehen. Seine einstündige Sendung mit dem mehrdeutigen Titel Salvados (Die Geretteten), ausgestrahlt jeden Sonntagabend auf dem kleinen privaten Kanal La Sexta, ist deshalb Kult. Im vergangenen Jahr hat sich seine Zuschauerschaft auf 2,9 Millionen fast verdoppelt.
Der rote Faden durch seine Sendungen ist ganz schlicht die Krise. Doch führt er keine Suppenküchen und Obdachlose vor, Schlangen vor dem Arbeitsamt oder Hochschulabsolventen mit doppeltem Master, die im Supermarkt die Regale einräumen. Vielmehr hat er seinen Dokumentationen den Titel gegeben, der an die Anfänge der Märchen erinnert: "Als wir einmal reich waren."
Kritischer Fernsehjournalismus? Der ist in Spanien selten. Umso wichtiger ist deshalb die Sendung von Jordi Évole.
Noch vor fünf Jahren dachten die Spanier, sie seien reich. Ihre Volkswirtschaft sei unaufhaltsam auf dem Weg an die Spitze in Europa. Und weil sie dieses Märchen glaubten, so Évole, musste alles vom Besten und Feinsten sein: jeder Großstadt ein Kongress- und Ausstellungszentrum, ein Flughafen, extravagante Brücken und Museen, Anschluss an die Autobahn und die Höchstgeschwindigkeitstrassen der Bahn. Es waren märchenhafte Zeiten für Architekten und Baufirmen. Dann platzte 2008 die Immobilienblase, ein gigantisches Konjunkturprogramm der damaligen sozialistischen Regierung verpuffte - und es begann die Zeit des Jordi Évole, der seinen Landsleuten genau erzählt, warum alles doch nicht ein Märchen war, denn jetzt werden die Rechnungen präsentiert.
In seinen Geschichten kommt kein Internationaler Währungsfonds vor, keine Europäische Zentralbank, nicht einmal die spanische Nationalbank. Seine Protagonisten sind die Leute von nebenan: der Dorfbürgermeister, der Bahnhofsvorsteher, der Sicherheitschef des Flughafens, die Kellnerin im Restaurant auf dem Messegelände. Er ist auch kein Detektiv, der kriminelle Machenschaften recherchiert, Veruntreuung, Bilanzfälschung, Korruption. Sein Thema sind die Dinge, die legal waren und von allen gesehen wurden, die Verschwendung und die Prunksucht.
Jede Dokumentation beginnt mit Lobpreisungen: Die AVE-Hochgeschwindigkeitszüge, 350 Kilometer schnell, das sicherste Verkehrsmittel Europas (der in Santiago de Compostela entgleiste Zug gehörte nicht in diese Superkategorie). Bei seinen Gesprächen zoomt die Kamera nah an die Gesichter heran, schnelle Schnitte wechseln die Perspektive, Pausen werden mit dramatischer Musik unterlegt - das einzige ironische Stilmittel, das Évole einsetzt.
Er gibt sich nicht ironisch, geschweige denn sarkastisch. Wie ein Kind stellt er den Politikern Warum-Fragen nach dem Sinn all ihrer Millionenprojekte. Dabei liebt er es, seine Recherchen theatralisch zu inszenieren. Auf dem Bahnhof von Tardienta in der Region Aragón wartet er im Rahmen eines Selbstversuchs auf den AVE. Er hat bereits erfahren, dass hier im Durchschnitt nur 1,5 Passagiere zu- oder aussteigen. Dieses Mal sind es zwei. Er begrüßt sie mit Blumen und lässt für sie die Musikkapelle des Dorfes aufmarschieren. Denn Tardienta ist ein Dorf, weniger als 1000 Einwohner. Die Steuerzahler müssen für das Defizit der Staatsbahn mit ihren oft fast leeren Fernzügen und überflüssigen Bahnhöfen aufkommen. Doch der Stationsvorsteher und die Barfrau, alle verteidigen sie ihre Jobs.
Das ist einer dieser Momente, in denen Évole die Botschaft vermittelt: "Die Krise haben wir alle gemeinsam verschuldet." Die Bürger haben ja gesehen, welche Verkehrswege, Museen und Sportarenen die Politiker sich ausgedacht haben. Und fast alle haben damals Beifall geklatscht, obwohl sie wussten, wie viele sich dabei ihre Taschen füllen. Sie haben die Caja Mágica bejubelt, eine hypermoderne Mehrzweckhalle in Madrid, in der im vergangenen Jahr nur an neun Tagen Veranstaltungen stattfanden. Oder das Weltausstellungsgelände von Zaragoza, wo mehr als eine Milliarde Euro buchstäblich in den Sumpf eines Biotops am Ufer des Ebros gesetzt wurde. Oder den Flughafen im katalanischen Lleida: Eine halbe Million Passagiere pro Jahr wurden vorausgesagt, nun sind es vier Maschinen pro Woche. Évole hat für seine Dokumentation eine Liveschaltung zu anderen neu erbauten Provinzflughäfen inszeniert. Diese haben ebenfalls Hunderte von Millionen gekostet, doch in ihnen sieht es noch sehr viel schlechter aus: Es gibt dort überhaupt keine Flugbewegungen.
Er betreibe schlicht politische Bildung, sagt er. Die Gesellschaft soll aber nicht nur aus dem Schaden klüger werden, sie soll auch toleranter werden gegenüber Homosexuellen oder Ausländern. Vorsichtig arbeitet er Themen wie Schwulenfeindlichkeit oder Rassismus heraus, nicht anklagend, nicht moralisierend, sondern
mit scheinbar harmlosen Fragen, bei denen er alle im üblichen leichten Umgangston duzt.
Keineswegs schreckt er vor der harten Politik zurück, er nähert sich ihr auf seine Weise. Was wollen eigentlich die baskischen Politiker, die schon allein wegen ihrer Sprache den anderen Spaniern unheimlich sind? Sein vorerst beruhigender Befund, belegt durch kleine Momentaufnahmen: Sie haben sich mit den Privilegien und Subventionen, die ihnen Madrid gewährt, bestens arrangiert. Oder das heißeste politische Thema: die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien. Er fragt dazu einen Schäfer, der wie seine Familie aus dem armen Süden in die Region Barcelona gekommen ist.
Évole wuchs in einer Arbeitersiedlung auf. Doch schaffte er das Abitur, studierte Journalistik und fand seinen ersten Job als Fußballreporter für die Kreisklasse. Seine Schlagfertigkeit fiel auf, er wurde als Sidekick für einen bekannten Politiktalk eingestellt. Seine Rolle: Als Mann aus dem Publikum mit Zwischenrufen die Prominenten zu provozieren. Das machte er so gut, dass La Sexta ihm seine eigene Sendung gab, die nun mitunter 20 Prozent Zuschauerbeteiligung erreicht. Hier gibt der 38-Jährige den soften Gesprächspartner, seine Jungenhaftigkeit hat schon einige Politiker leichtsinnig gemacht und sie Dinge sagen lassen, die sie besser verschwiegen hätten. Die spanische Fernsehakademie wählte ihn gerade zum besten Reporter und Salvados zur besten Nachrichtensendung. Immer wieder wurde er in jüngster Zeit gefragt, ob er nicht auf der Welle seiner Popularität selbst in die Politik gehen wolle. Er weist solche Gedankenspiele zurück: "Ich möchte weiter vom Leben erzählen", sagt Évole.
Jordi Évole ist immer nett. Nie wirkt er gestresst, nie kommt ein böses Wort über seine Lippen. Und doch ist er überaus gefürchtet - bei den Politikern. Wenn Évole mit seinem Kamerateam in einem Rathaus auftaucht oder gar vor dem Parlament, ziehen es die meisten gewählten Volksvertreter vor, in Deckung zu gehen. Die Medien müssten, so Évole, mehr dafür tun, Skandale aufzudecken. Während Spaniens Boomjahre hätten sie so einiges übersehen. Seine einstündige Sendung mit dem mehrdeutigen Titel Salvados (Die Geretteten), ausgestrahlt jeden Sonntagabend auf dem kleinen privaten Kanal La Sexta, ist deshalb Kult. Im vergangenen Jahr hat sich seine Zuschauerschaft auf 2,9 Millionen fast verdoppelt.
Der rote Faden durch seine Sendungen ist ganz schlicht die Krise. Doch führt er keine Suppenküchen und Obdachlose vor, Schlangen vor dem Arbeitsamt oder Hochschulabsolventen mit doppeltem Master, die im Supermarkt die Regale einräumen. Vielmehr hat er seinen Dokumentationen den Titel gegeben, der an die Anfänge der Märchen erinnert: "Als wir einmal reich waren."
Kritischer Fernsehjournalismus? Der ist in Spanien selten. Umso wichtiger ist deshalb die Sendung von Jordi Évole.
Noch vor fünf Jahren dachten die Spanier, sie seien reich. Ihre Volkswirtschaft sei unaufhaltsam auf dem Weg an die Spitze in Europa. Und weil sie dieses Märchen glaubten, so Évole, musste alles vom Besten und Feinsten sein: jeder Großstadt ein Kongress- und Ausstellungszentrum, ein Flughafen, extravagante Brücken und Museen, Anschluss an die Autobahn und die Höchstgeschwindigkeitstrassen der Bahn. Es waren märchenhafte Zeiten für Architekten und Baufirmen. Dann platzte 2008 die Immobilienblase, ein gigantisches Konjunkturprogramm der damaligen sozialistischen Regierung verpuffte - und es begann die Zeit des Jordi Évole, der seinen Landsleuten genau erzählt, warum alles doch nicht ein Märchen war, denn jetzt werden die Rechnungen präsentiert.
In seinen Geschichten kommt kein Internationaler Währungsfonds vor, keine Europäische Zentralbank, nicht einmal die spanische Nationalbank. Seine Protagonisten sind die Leute von nebenan: der Dorfbürgermeister, der Bahnhofsvorsteher, der Sicherheitschef des Flughafens, die Kellnerin im Restaurant auf dem Messegelände. Er ist auch kein Detektiv, der kriminelle Machenschaften recherchiert, Veruntreuung, Bilanzfälschung, Korruption. Sein Thema sind die Dinge, die legal waren und von allen gesehen wurden, die Verschwendung und die Prunksucht.
Jede Dokumentation beginnt mit Lobpreisungen: Die AVE-Hochgeschwindigkeitszüge, 350 Kilometer schnell, das sicherste Verkehrsmittel Europas (der in Santiago de Compostela entgleiste Zug gehörte nicht in diese Superkategorie). Bei seinen Gesprächen zoomt die Kamera nah an die Gesichter heran, schnelle Schnitte wechseln die Perspektive, Pausen werden mit dramatischer Musik unterlegt - das einzige ironische Stilmittel, das Évole einsetzt.
Er gibt sich nicht ironisch, geschweige denn sarkastisch. Wie ein Kind stellt er den Politikern Warum-Fragen nach dem Sinn all ihrer Millionenprojekte. Dabei liebt er es, seine Recherchen theatralisch zu inszenieren. Auf dem Bahnhof von Tardienta in der Region Aragón wartet er im Rahmen eines Selbstversuchs auf den AVE. Er hat bereits erfahren, dass hier im Durchschnitt nur 1,5 Passagiere zu- oder aussteigen. Dieses Mal sind es zwei. Er begrüßt sie mit Blumen und lässt für sie die Musikkapelle des Dorfes aufmarschieren. Denn Tardienta ist ein Dorf, weniger als 1000 Einwohner. Die Steuerzahler müssen für das Defizit der Staatsbahn mit ihren oft fast leeren Fernzügen und überflüssigen Bahnhöfen aufkommen. Doch der Stationsvorsteher und die Barfrau, alle verteidigen sie ihre Jobs.
Das ist einer dieser Momente, in denen Évole die Botschaft vermittelt: "Die Krise haben wir alle gemeinsam verschuldet." Die Bürger haben ja gesehen, welche Verkehrswege, Museen und Sportarenen die Politiker sich ausgedacht haben. Und fast alle haben damals Beifall geklatscht, obwohl sie wussten, wie viele sich dabei ihre Taschen füllen. Sie haben die Caja Mágica bejubelt, eine hypermoderne Mehrzweckhalle in Madrid, in der im vergangenen Jahr nur an neun Tagen Veranstaltungen stattfanden. Oder das Weltausstellungsgelände von Zaragoza, wo mehr als eine Milliarde Euro buchstäblich in den Sumpf eines Biotops am Ufer des Ebros gesetzt wurde. Oder den Flughafen im katalanischen Lleida: Eine halbe Million Passagiere pro Jahr wurden vorausgesagt, nun sind es vier Maschinen pro Woche. Évole hat für seine Dokumentation eine Liveschaltung zu anderen neu erbauten Provinzflughäfen inszeniert. Diese haben ebenfalls Hunderte von Millionen gekostet, doch in ihnen sieht es noch sehr viel schlechter aus: Es gibt dort überhaupt keine Flugbewegungen.
Er betreibe schlicht politische Bildung, sagt er. Die Gesellschaft soll aber nicht nur aus dem Schaden klüger werden, sie soll auch toleranter werden gegenüber Homosexuellen oder Ausländern. Vorsichtig arbeitet er Themen wie Schwulenfeindlichkeit oder Rassismus heraus, nicht anklagend, nicht moralisierend, sondern
mit scheinbar harmlosen Fragen, bei denen er alle im üblichen leichten Umgangston duzt.
Keineswegs schreckt er vor der harten Politik zurück, er nähert sich ihr auf seine Weise. Was wollen eigentlich die baskischen Politiker, die schon allein wegen ihrer Sprache den anderen Spaniern unheimlich sind? Sein vorerst beruhigender Befund, belegt durch kleine Momentaufnahmen: Sie haben sich mit den Privilegien und Subventionen, die ihnen Madrid gewährt, bestens arrangiert. Oder das heißeste politische Thema: die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien. Er fragt dazu einen Schäfer, der wie seine Familie aus dem armen Süden in die Region Barcelona gekommen ist.
Évole wuchs in einer Arbeitersiedlung auf. Doch schaffte er das Abitur, studierte Journalistik und fand seinen ersten Job als Fußballreporter für die Kreisklasse. Seine Schlagfertigkeit fiel auf, er wurde als Sidekick für einen bekannten Politiktalk eingestellt. Seine Rolle: Als Mann aus dem Publikum mit Zwischenrufen die Prominenten zu provozieren. Das machte er so gut, dass La Sexta ihm seine eigene Sendung gab, die nun mitunter 20 Prozent Zuschauerbeteiligung erreicht. Hier gibt der 38-Jährige den soften Gesprächspartner, seine Jungenhaftigkeit hat schon einige Politiker leichtsinnig gemacht und sie Dinge sagen lassen, die sie besser verschwiegen hätten. Die spanische Fernsehakademie wählte ihn gerade zum besten Reporter und Salvados zur besten Nachrichtensendung. Immer wieder wurde er in jüngster Zeit gefragt, ob er nicht auf der Welle seiner Popularität selbst in die Politik gehen wolle. Er weist solche Gedankenspiele zurück: "Ich möchte weiter vom Leben erzählen", sagt Évole.