Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk wirft dem Westen vor, in Ägypten die eigenen Werte zu verraten.
Die türkische Tageszeitung Hürriyet veröffentlichte in ihrer Sonntagsausgabe (18. August) ein Vorabdruck aus Orhan Pamuks neuem, noch unvollendetem Roman. Eingeleitet wird dieser Vorabdruck mit einem Interview, in dem der 61 Jahre alte Schriftsteller auch auf die jüngsten Ereignisse in Ägypten eingeht. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erläutert Orhan Pamuk, was ihn dabei so irritiert.
Literaturnobelpreisträger Orham Pamuk
SZ: Wie nahe sind Ihnen die Ereignisse in Ägypten, was empört Sie so sehr daran?
Orhan Pamuk: Mir ist die ganze Zeit gegenwärtig, was da geschieht. Ich sitze an meinem Schreibtisch, aber dann gehe ich immer wieder hinüber zum Computer oder zum Fernseher und verfolge die Berichterstattung zu Ägypten. Und immer ist da ein Gefühl von Schuld. Abdel Fattah al-Sisi, der Oberbefehlshaber der Armee, hat ja etwas getan, was man nach dem Titel eines berühmten Romans von Gabriel García Márquez die 'Chronik eines angekündigten Todes' nennen könnte. Zwei Tage, bevor das Militär die Macht übernahm, kündigte er der ganzen Welt seinen Coup an. Und die ganze Welt drehte die Köpfe weg, allen voran der Westen, und wollte nichts wissen. Und jetzt tötet die Armee und tötet, und nicht nur die Regierungen der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, sondern auch die öffentliche Meinung in den westlichen Ländern tut so, als gäbe es da gar keine Verantwortung.
Das könnte ja etwas damit zu tun haben, dass die Möglichkeiten, etwas zu verändern, begrenzt sind, auch für die Vereinigten Staaten. Der ganze Nahe Osten befindet sich ja in Aufruhr.
Es kann schon sein, dass der Westen nach dem sogenannten arabischen Frühling weniger Einfluss in den arabischen Ländern besitzt. Aber das ist nicht der Punkt. Manhätte wenigstens 'Nein' sagen können, laut und deutlich, 'Nein, ein Militärputsch darf kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein'. Stattdessen waren die wichtigsten politischen Institutionen des Westens nicht einmal zwei Tage nach dem Putsch in der Lage zu sagen, dass die Machtübernahme durch das Militär eben ein solcher war.
Nun, man demonstriert seine Machtlosigkeit, wenn man etwas öffentlich missbilligt und der Kritik dann keine Taten folgen.
So kann man schlecht argumentieren. Lassen Sie uns die Sache ganz altmodisch betrachten: Entweder gibt es so etwas wie westliche Werte, wie die Ideale von Demokratie, Meinungsfreiheit und so fort, oder es gibt sie nicht, weil sie immer wieder politischen oder ökonomischen Kalkülen unterworfen werden.
Und warum soll diese Unterscheidung so wichtig sein?
Weil etwas auf dem Spiel steht. Denn hinter diesem Problem erhebt sich die Frage, ob die Ideale von Demokratie und freier Meinungsäußerung noch etwas gelten, wenn sich die Bevölkerung eines Landes gegen eine politische Nähe zu den westlichen Ländern entscheidet. Kann der Westen eine Demokratie dulden, in der sich die Wähler für eine nicht-westlich gesonnene Partei entscheiden? Um diese Frage ging es ja auch in meinem Roman 'Schnee', nur bezogen auf türkische Verhältnisse. Jetzt aber existiert dieses Problem global, dieses Missverhältnis zwischen demokratischen Idealen auf der einen, den westlichen Interessen auf der anderen Seite.
Die türkische Tageszeitung Hürriyet veröffentlichte in ihrer Sonntagsausgabe (18. August) ein Vorabdruck aus Orhan Pamuks neuem, noch unvollendetem Roman. Eingeleitet wird dieser Vorabdruck mit einem Interview, in dem der 61 Jahre alte Schriftsteller auch auf die jüngsten Ereignisse in Ägypten eingeht. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erläutert Orhan Pamuk, was ihn dabei so irritiert.
Literaturnobelpreisträger Orham Pamuk
SZ: Wie nahe sind Ihnen die Ereignisse in Ägypten, was empört Sie so sehr daran?
Orhan Pamuk: Mir ist die ganze Zeit gegenwärtig, was da geschieht. Ich sitze an meinem Schreibtisch, aber dann gehe ich immer wieder hinüber zum Computer oder zum Fernseher und verfolge die Berichterstattung zu Ägypten. Und immer ist da ein Gefühl von Schuld. Abdel Fattah al-Sisi, der Oberbefehlshaber der Armee, hat ja etwas getan, was man nach dem Titel eines berühmten Romans von Gabriel García Márquez die 'Chronik eines angekündigten Todes' nennen könnte. Zwei Tage, bevor das Militär die Macht übernahm, kündigte er der ganzen Welt seinen Coup an. Und die ganze Welt drehte die Köpfe weg, allen voran der Westen, und wollte nichts wissen. Und jetzt tötet die Armee und tötet, und nicht nur die Regierungen der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, sondern auch die öffentliche Meinung in den westlichen Ländern tut so, als gäbe es da gar keine Verantwortung.
Das könnte ja etwas damit zu tun haben, dass die Möglichkeiten, etwas zu verändern, begrenzt sind, auch für die Vereinigten Staaten. Der ganze Nahe Osten befindet sich ja in Aufruhr.
Es kann schon sein, dass der Westen nach dem sogenannten arabischen Frühling weniger Einfluss in den arabischen Ländern besitzt. Aber das ist nicht der Punkt. Manhätte wenigstens 'Nein' sagen können, laut und deutlich, 'Nein, ein Militärputsch darf kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein'. Stattdessen waren die wichtigsten politischen Institutionen des Westens nicht einmal zwei Tage nach dem Putsch in der Lage zu sagen, dass die Machtübernahme durch das Militär eben ein solcher war.
Nun, man demonstriert seine Machtlosigkeit, wenn man etwas öffentlich missbilligt und der Kritik dann keine Taten folgen.
So kann man schlecht argumentieren. Lassen Sie uns die Sache ganz altmodisch betrachten: Entweder gibt es so etwas wie westliche Werte, wie die Ideale von Demokratie, Meinungsfreiheit und so fort, oder es gibt sie nicht, weil sie immer wieder politischen oder ökonomischen Kalkülen unterworfen werden.
Und warum soll diese Unterscheidung so wichtig sein?
Weil etwas auf dem Spiel steht. Denn hinter diesem Problem erhebt sich die Frage, ob die Ideale von Demokratie und freier Meinungsäußerung noch etwas gelten, wenn sich die Bevölkerung eines Landes gegen eine politische Nähe zu den westlichen Ländern entscheidet. Kann der Westen eine Demokratie dulden, in der sich die Wähler für eine nicht-westlich gesonnene Partei entscheiden? Um diese Frage ging es ja auch in meinem Roman 'Schnee', nur bezogen auf türkische Verhältnisse. Jetzt aber existiert dieses Problem global, dieses Missverhältnis zwischen demokratischen Idealen auf der einen, den westlichen Interessen auf der anderen Seite.