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Soulkönig der Nervensägen

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Dieses Maul ist groß, sehr groß: das erste Album von King Krule

Man kennt Burschen wie Archy Marshall aus dem britischen Sozialdramenkino. Bei Ken Loach oder Shane Meadows tritt oft irgendwann ein dünner, blasser, rothaariger Teenager auf und zeigt den anderen, wo es langgeht. Sein Maul ist groß und jede seiner unzähligen Sommersprossen steht für ein kleines Delikt. Zugleich neunmalklug und naiv ist dieser Typ, außerdem ungeheuer selbstbewusst. Sogar belanglose Regeln bricht er gerne. So erscheint auch "6 Feet Beneath The Moon", Archy Marshalls erstes Album unter dem Künstlernamen King Krule, nicht wie in Großbritannien üblich an einem Montag, sondern am kommenden Samstag. Weil er da 19 Jahre alt wird.



Der britische Soulünstler King Krule hast sein Debutalbum veröffentlicht.

King Krule darf also noch ein Jahr lang Teenager bleiben. Dass er als Kreativer längst reifer ist, beweisen diese 14 Songs. Man hört die Musik eines Kerls, der sich schon als Kind Vorbilder aussuchte, auf die herkömmliche Heranwachsende erst stoßen, wenn sie im Studium zum ersten Mal ins "Merkheft" des gehobenen Musiklieferanten Zweitausendeins schauen: Fela Kuti, Chet Baker, Gene Vincent, Django Reinhardt. So zeigt der Sohn einer Künstlerfamilie aus Süd-London, dass man dem Hype auch diesmal wieder nicht glauben muss: Man kann auch heute, im Jahr 2013, noch eine Jugend zu Ende leben, in der das Digitale und Virtuelle nur eine Nebenrolle spielen - wenn überhaupt.

Was Krule da ohne Effekte singt, erinnert an Joe Strummer, den heiseren Vorkämpfer der legendären Punkband The Clash. Statt modisch zu schrammeln, behandelt er seine Gitarre eher wie ein Folksänger. Manchmal klingt das wie sein Landsmann Billy Bragg auf den frühen Platten von Anfang der Achtziger, also nach einer sehr eigenen Mischung aus Soul, Klassenkampf und Straßenräudigkeit. Häufiger reist Marshall mit seinem Instrument sogar noch weiter in die Vergangenheit, bis in die Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre, als die elegant ins Echo hineingespielte E-Gitarre noch das bevorzugte Medium des Gefühlsausdrucks war. Wer nur den Saitenspuren lauscht, sieht King Krule in Eissalons und Burger-Restaurants sitzen, um ihn herum Mädchen in Petticoats und neidische Jungs in zu großen Lederjacken.

Seine Plattenfirma würde sich wahrscheinlich freuen, hätte er es bei dieser Nostalgienummer belassen. Der Markt wäre für diese sozialrealistisch britische Antithese zur Amerikanerin Lana Del Rey bereit. Doch King Krule hat nicht nur einen eigenen Kopf, sondern auch andere Interessen. Unter den Pseudonymen DJ JD Sports und Edgar The Beatmaker nimmt er schon seit Jahren elektronische Musik auf und verbreitet sie übers Internet. Zu hören gibt es dilettantischen Hip Hop und holprigen Trip-Hop, verregneten Dubstep und digitalen Jazz. All diesen kleinen Leidenschaften hat er nun auch auf seiner Platte nachgegeben. Das Lied "Has This It" klingt wie der Remix eines Clash-Songs mit Motown-Samples; "A Lizard State" atmet den Geist einer gemeinsamen Session von britischen Helden wie Ian Dury und The Style Council mit dem afro-radikalen Art Ensemble of Chicago.

Je tiefer man sich in "6 Feet Beneath The Moon" hinein gräbt, desto dunkler wird die Stimmung. Nein, dieser Rotschopf ist kein Tagträumer, sondern eine Nachtgestalt. So wie der Ideengeber für sein Pseudonym, das cholerische Krokodil King K. Rool aus den "Donkey Kong"-Videospielen. Ein Bösewicht ist dieser Archy Marshall nicht. Eine krähende Nervensäge manchmal schon, der aber der Himmel den Soul geschenkt hat. Viele große Dichter haben so begonnen.

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