Für Freier in Zürich gilt nun: Bretterverschlag statt Straße
Romantik sieht anders aus, aber vielleicht gewinnt der Ort ja wenigstens nachts ein wenig an Charme, wenn er bengalisch bunt beleuchtet werden soll. Im harten Licht der Augustsonne erinnert der Platz eher an einen Garagenhinterhof in einer Vorstadt: ein lieblos aufgeworfener Erdhügel, hinter dem sich notdürftig ein paar Bretterverschläge mit Plastikplane verstecken. Zudem stellt sich die Frage, warum diese Baracken die stolze Summe von 2,4 Millionen Schweizer Franken (knapp zwei Millionen Euro) verschlungen haben. Denn so viel war den Bürgern von Zürich ein radikaler Umbau der Straßenprostitution in ihrer Stadt wert.
Vor mehr als zwei Jahren hatten die Wähler der Limmatstadt einem sogenannten Strichplatz zugestimmt, mit dem die Sex-Arbeiterinnen von ihrer bisherigen Flaniermeile am Sihlquai gleich hinter dem Hauptbahnhof weggeholt werden sollten. Nun ist das Werk vollbracht: An diesem Samstagnachmittag sind die Zürcher zu einem Tag der offenen Tür eingeladen. Begutachten können sie freilich nur die Arbeitsstätte der Freudenmädchen und nicht die Damen selber. Am Montag ab 19 Uhr ist die Lokalität dann "open for business".
Sexboxen in Zürich
Die Unterstände, die im Beamtendeutsch den lustzerstörenden Namen Verrichtungsboxen tragen, liegen nicht weit vom bisherigen Straßenstrich entfernt - gleich hinter der Grenze zu Zürichs hippem, modernem Businessdistrikt Kreis 5. Ein ganz neues Verkehrsschild mit einem roten aufgeklappten Schirm weist den Freiern den Weg zum Strichplatz, der zwischen Bahnanlagen und Stadtautobahnen eingebettet liegt. Aber eine schöne Aussicht wird beim bezahlten Sex ja nicht nur in Zürich eher kleingeschrieben. Der Schirm übrigens, teilte die Zürcher Presse ihren neugierig-erstaunten Lesern mit, sei in Osteuropa ein Symbol für Sex gegen Geld.
Der Umzug an diesen abgeschirmten Ort war notwendig geworden, weil die Zustände am alten Straßenstrich immer häufiger aus dem Ruder gelaufen waren. Gaffer und Gruppen alkoholisierter Jugendlicher belästigten die Prostituierten und ihre Kunden. Anwohner regten sich auf, vor allem aber auch mögliche Investoren, denen es schon lange ein Dorn im Auge war, dass käufliche Liebe diese Vorzugslage mit großem Immobilienpotenzial ruinierte.
Strikt sind die Regeln, die nun für den neuen Strichplatz gelten und die schön übersichtlich in klaren Piktogrammen plakatiert werden. Vorbild waren ähnliche Einrichtungen in Utrecht, Köln und Essen. Fußgänger und Radfahrer haben keinen Zutritt zu dem 200 Meter Rundkurs, der ein wenig angelegt ist, wie das Drive-in eines McDonald"s-Restaurants. Der Kunde steuert zunächst eine Art von Bushaltestelle an, wo die Damen warten, und handelt die Einzelheiten aus. Dann fährt er zusammen mit der Sex-Arbeiterin in einen der zehn Bretterverschläge. Ein Pflock zwingt ihn dazu, so nahe an die Wand zu fahren, dass er den Wagen nicht verlassen kann. Die Prostituierte hingegen hat eine Fluchtmöglichkeit und obendrein einen Alarmknopf, mit dem sie Hilfe herbeirufen kann. Die Einfahrt in die Sexbox ist so knapp bemessen, dass sich Autolackierbetriebe in der Umgebung vermutlich auf Umsatzzuwächse freuen können wegen all der Wagentüren, die beim Ein- und Ausparken zerkratzt werden. Pro Fahrzeug ist nur ein Freier erlaubt, Essen und Trinken sind auf dem ganzen Gelände verboten, außerdem jedes Wegwerfen von Abfall. Gebrauchte Kondome muss man also, wie es scheint, mit nach Hause nehmen und in der entsprechenden Tonne entsorgen. Wer es gleichwohl lieber ein wenig gemütlicher hat, kann sich mit einem Mädchen in eines der vier Wohnmobile zurückziehen, für die es eigens abgetrennte Stellplätze gibt.
Alles andere als begeistert von der Neuerung ist die wohl wichtigste Personengruppe: die Sex-Arbeiterinnen. "Die Sexbox taugt nichts", zitierte die Pendlerzeitung 20 Minuten eine Prostituierte, die für viele Kolleginnen sprach. Am Sihlquai hätten Freier häufig eine ganze Nacht bei sich zu Hause gebucht: "Ein gutes Geschäft." Das aber falle hier weg. Außerdem würden die Regeln schüchterne Freier abschrecken.
Weil man sich mit dem Strichplatz schon auf einem richtigen Weg wähnte, erließen die Zürcher Stadtväter dann auch gleich noch eine Reihe von Vorschriften, mit denen die Prostitution generell geregelt werden soll. Betroffen davon sind vor allem die Bordelle, von denen im Stadtgebiet mehr als 200 gemeldet sind. Doch obwohl das neue Regelwerk schon in wenigen Monaten 2014 in Kraft tritt, hat bisher nur ein einziges Freudenhaus die künftig notwendige Betriebsbewilligung erhalten. Die Puff-Betreiber - meist sind es Prostituierte selber - müssen in einem aufwendigen und teuren Verfahren nachweisen, dass der Anteil der Wohnbevölkerung in ihrer Nachbarschaft unter 50 Prozent liegt. Das gelingt den wenigsten, die meisten scheuen ohnehin den Aufwand und werden folglich Anfang nächsten Jahres schließen und in andere Gemeinden umziehen oder illegal weiter arbeiten.
Das mag manche erfreuen in einer Stadt, die nicht immer ganz verleugnen kann, dass in ihren Mauern einmal der Puritaner Ulrich Zwingli predigte. Doch unfreiwillig durchkreuzt sie mit dem engherzigen Regelwerk ihre eigene Politik, die eigentlich darauf abzielt, käuflichen Sex von der Straße weg und in Bordelle zu verlegen. Denn künftig soll es in der schweizerischen Finanz- und Wirtschaftsmetropole nur noch zwei Straßenstriche geben.
Immerhin ist eine Verschönerung für den Strichplatz geplant. Der Erdhügel soll von der Stadtgärtnerei bepflanzt werden. Für Blümchensex.
Romantik sieht anders aus, aber vielleicht gewinnt der Ort ja wenigstens nachts ein wenig an Charme, wenn er bengalisch bunt beleuchtet werden soll. Im harten Licht der Augustsonne erinnert der Platz eher an einen Garagenhinterhof in einer Vorstadt: ein lieblos aufgeworfener Erdhügel, hinter dem sich notdürftig ein paar Bretterverschläge mit Plastikplane verstecken. Zudem stellt sich die Frage, warum diese Baracken die stolze Summe von 2,4 Millionen Schweizer Franken (knapp zwei Millionen Euro) verschlungen haben. Denn so viel war den Bürgern von Zürich ein radikaler Umbau der Straßenprostitution in ihrer Stadt wert.
Vor mehr als zwei Jahren hatten die Wähler der Limmatstadt einem sogenannten Strichplatz zugestimmt, mit dem die Sex-Arbeiterinnen von ihrer bisherigen Flaniermeile am Sihlquai gleich hinter dem Hauptbahnhof weggeholt werden sollten. Nun ist das Werk vollbracht: An diesem Samstagnachmittag sind die Zürcher zu einem Tag der offenen Tür eingeladen. Begutachten können sie freilich nur die Arbeitsstätte der Freudenmädchen und nicht die Damen selber. Am Montag ab 19 Uhr ist die Lokalität dann "open for business".
Sexboxen in Zürich
Die Unterstände, die im Beamtendeutsch den lustzerstörenden Namen Verrichtungsboxen tragen, liegen nicht weit vom bisherigen Straßenstrich entfernt - gleich hinter der Grenze zu Zürichs hippem, modernem Businessdistrikt Kreis 5. Ein ganz neues Verkehrsschild mit einem roten aufgeklappten Schirm weist den Freiern den Weg zum Strichplatz, der zwischen Bahnanlagen und Stadtautobahnen eingebettet liegt. Aber eine schöne Aussicht wird beim bezahlten Sex ja nicht nur in Zürich eher kleingeschrieben. Der Schirm übrigens, teilte die Zürcher Presse ihren neugierig-erstaunten Lesern mit, sei in Osteuropa ein Symbol für Sex gegen Geld.
Der Umzug an diesen abgeschirmten Ort war notwendig geworden, weil die Zustände am alten Straßenstrich immer häufiger aus dem Ruder gelaufen waren. Gaffer und Gruppen alkoholisierter Jugendlicher belästigten die Prostituierten und ihre Kunden. Anwohner regten sich auf, vor allem aber auch mögliche Investoren, denen es schon lange ein Dorn im Auge war, dass käufliche Liebe diese Vorzugslage mit großem Immobilienpotenzial ruinierte.
Strikt sind die Regeln, die nun für den neuen Strichplatz gelten und die schön übersichtlich in klaren Piktogrammen plakatiert werden. Vorbild waren ähnliche Einrichtungen in Utrecht, Köln und Essen. Fußgänger und Radfahrer haben keinen Zutritt zu dem 200 Meter Rundkurs, der ein wenig angelegt ist, wie das Drive-in eines McDonald"s-Restaurants. Der Kunde steuert zunächst eine Art von Bushaltestelle an, wo die Damen warten, und handelt die Einzelheiten aus. Dann fährt er zusammen mit der Sex-Arbeiterin in einen der zehn Bretterverschläge. Ein Pflock zwingt ihn dazu, so nahe an die Wand zu fahren, dass er den Wagen nicht verlassen kann. Die Prostituierte hingegen hat eine Fluchtmöglichkeit und obendrein einen Alarmknopf, mit dem sie Hilfe herbeirufen kann. Die Einfahrt in die Sexbox ist so knapp bemessen, dass sich Autolackierbetriebe in der Umgebung vermutlich auf Umsatzzuwächse freuen können wegen all der Wagentüren, die beim Ein- und Ausparken zerkratzt werden. Pro Fahrzeug ist nur ein Freier erlaubt, Essen und Trinken sind auf dem ganzen Gelände verboten, außerdem jedes Wegwerfen von Abfall. Gebrauchte Kondome muss man also, wie es scheint, mit nach Hause nehmen und in der entsprechenden Tonne entsorgen. Wer es gleichwohl lieber ein wenig gemütlicher hat, kann sich mit einem Mädchen in eines der vier Wohnmobile zurückziehen, für die es eigens abgetrennte Stellplätze gibt.
Alles andere als begeistert von der Neuerung ist die wohl wichtigste Personengruppe: die Sex-Arbeiterinnen. "Die Sexbox taugt nichts", zitierte die Pendlerzeitung 20 Minuten eine Prostituierte, die für viele Kolleginnen sprach. Am Sihlquai hätten Freier häufig eine ganze Nacht bei sich zu Hause gebucht: "Ein gutes Geschäft." Das aber falle hier weg. Außerdem würden die Regeln schüchterne Freier abschrecken.
Weil man sich mit dem Strichplatz schon auf einem richtigen Weg wähnte, erließen die Zürcher Stadtväter dann auch gleich noch eine Reihe von Vorschriften, mit denen die Prostitution generell geregelt werden soll. Betroffen davon sind vor allem die Bordelle, von denen im Stadtgebiet mehr als 200 gemeldet sind. Doch obwohl das neue Regelwerk schon in wenigen Monaten 2014 in Kraft tritt, hat bisher nur ein einziges Freudenhaus die künftig notwendige Betriebsbewilligung erhalten. Die Puff-Betreiber - meist sind es Prostituierte selber - müssen in einem aufwendigen und teuren Verfahren nachweisen, dass der Anteil der Wohnbevölkerung in ihrer Nachbarschaft unter 50 Prozent liegt. Das gelingt den wenigsten, die meisten scheuen ohnehin den Aufwand und werden folglich Anfang nächsten Jahres schließen und in andere Gemeinden umziehen oder illegal weiter arbeiten.
Das mag manche erfreuen in einer Stadt, die nicht immer ganz verleugnen kann, dass in ihren Mauern einmal der Puritaner Ulrich Zwingli predigte. Doch unfreiwillig durchkreuzt sie mit dem engherzigen Regelwerk ihre eigene Politik, die eigentlich darauf abzielt, käuflichen Sex von der Straße weg und in Bordelle zu verlegen. Denn künftig soll es in der schweizerischen Finanz- und Wirtschaftsmetropole nur noch zwei Straßenstriche geben.
Immerhin ist eine Verschönerung für den Strichplatz geplant. Der Erdhügel soll von der Stadtgärtnerei bepflanzt werden. Für Blümchensex.