Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Die sicherste Großstadt der USA

$
0
0
Vor der Bürgermeisterwahl im November denken die New Yorker darüber nach, was die vielen Jahre unter Michael Bloomberg für die Stadt, für die einzelnen Quartiere und für die Bevölkerung erbracht haben

Dass Michael Bloombergs Tage als Bürgermeister von New York gezählt sind, ist ein Gedanke, an den man sich nach zwölf Jahren erst einmal gewöhnen muss. Er selbst hat ja zur Erinnerung seine berühmten Countdown-Uhren im Rathaus anbringen lassen, die ihm sagen, wie viele Monate, Tage, Stunden und Sekunden es noch sind, bis er am 31. Dezember um Mitternacht aus dem Amt scheidet. Das war natürlich immer vor allem als Fingerzeig an seine Mitarbeiter gedacht: Dies, liebe Leute, ist die Zeit, die bleibt, in dieser Stadt das Unmögliche zu vollbringen. Bloomberg war schon in seinen früheren Amtszeiten berüchtigt dafür, seinen Leuten, wie Gevatter Tod auf einem barocken Vanitas-Gemälde, mit dem Stundenglas in der Hand Beine zu machen, Konferenzen durch den Einsatz von Stoppuhren zu verkürzen und ganz allgemein seine eigene Betriebsamkeit auf die Umwelt zu übertragen. Während nun die Aspiranten auf seine Nachfolge nach einem bisher eher müden Wahlkampf demnächst in ihre innerparteilichen Vorwahlen müssen, reiben sich die New Yorker in den ersten Rückblicken die Augen, wie sehr Bloomberg mit seiner Geschäftigkeit die Stadt verändert hat.



Zwölf Jahre lang war Michael Bloomberg Bürgermeister in New York – in dieser Zeit hat er vieles in der Stadt verändert.

"Drei Amtszeiten, 750 000 Bäume,450 Meilen Fahrradspuren, fünf Millionen willkürliche Personendurchsuchungen durch die Polizei und eine gescheiterte Kampagne gegen Softdrinks": Das ist die Bilanz der New York Times. Und das alles hat sich auf das Antlitz der Stadt niedergeschlagen. In gewisser Weise gilt das sogar für den Versuch, die New Yorker vor zu viel zuckerhaltigen Limonaden zu schützen, denn der war ja nur ein Beispiel für eine allgemein verhasste, aber trotzdem nicht so ganz unwirksame Politik krankenschwesternhafter Zwangsfürsorglichkeiten, zu denen umfangreiche Rauchverbote genauso gehörten wie die Propagierung des Fahrrads als Transportmittel für den Alltag. Das Gefährlichste, was einem heute in einem New Yorker Park widerfahren kann, ist von der Polizei mit einer Zigarette erwischt zu werden.

Die meisten New Yorker können sich noch an die Zeiten erinnern, als es nicht unwahrscheinlich war, da, wo ein paar Bäume zusammenstanden, sein Geld oder sein Leben an Räuber zu verlieren. Der öffentliche Raum ist mit einer Rigidität durchreglementiert, dass man vor Ver- und Gebotsschildern manchmal das Grün schon nicht mehr sieht, aber er scheint tatsächlich auch benutzbarer geworden zu sein. Die Klage, dass der harte, romantische Zauber vom Leben im gefährlichen New York unter Bloombergs Nanny-Politik dahin sei, wird tendenziell an Orten geäußert, wo man früher nach Sonnenuntergang besser nicht mehr herumirrte.

Ähnlich ambivalent beurteilen die New Yorker deshalb auch die Ergebnisse der rabiaten Durchgriffsstrategien der Polizei. Speziell die Taktik des "Stop and Frisk", des Anhaltens und Durchsuchens von Personen ohne besondere Angabe von Gründen, war immer schon umstritten. Jetzt hat ein Bundesgericht entschieden, dass es gegen die verfassungsmäßigen Rechte von Minderheiten verstößt. Denn die Opfer waren in der Regel schwarze und hispanische Jugendliche. Der Demokrat Bill de Blasio ist derjenige Bürgermeisterkandidat, der sich am vehementesten gegen diese Praxis ausgesprochen hat, was ihm zu Wählerstimmen in den schwarzen Communities verhelfen könnte. Bloomberg hingegen

beruft sich darauf, mit Mitteln wie diesen New York zur sichersten Großstadt der USA gemacht zu haben.

Tatsächlich gibt es kaum noch echte No-go-Areas. Weiße Mittelstandsfamilien siedeln heute völlig selbstverständlich in Straßen, aus deren blutdurchtränkten Namen bis vor Kurzem noch Gangsterrapper ihre Art der Kredibilität bezogen. Mit der Folge, dass etwa in Bedford-Stuyvesant, Brooklyn, wo Leute wie Notorious B.I.G. aufwuchsen, demnächst eher die bürgerliche Klavierstunde der Normalfall sein wird.

Gentrifizierung folgt ihren eigenen Gesetzen, aber es gibt schon auch ein paar politische Stellschrauben, die dabei eine Rolle spielen. Bloombergs robuste Pazifizierung der Stadt hat dem Immobilienmarkt in vielen Gegenden erst den Weg freigemacht. Der Rest sind baupolitische Entscheidungen: Unter Bloomberg sind auf einem Drittel der Stadtfläche die Bebauungspläne neu geschrieben worden. In Williamsburg und in Long Island City wuchs am Ufer des East River eine zweite Skyline aus Hochhäusern empor. Die Idee war, die Stadt entlang bestehender U-Bahn-Stränge zu verdichten. Bloomberg weist auf den Wohnraum hin, der geschaffen wurde. Kritiker beklagen den Wohnraum, der immer noch fehlt. Eine Initiative mit dem Namen "Save Greenpoint" benutzt fast die gleichen Renderings wie die Baufirma, die am dortigen Flussufer Hochhäuser errichtet hat - allerdings um davor zu warnen: Wie eine Armee von Gerichtsvollziehern stehen die da den flachen alten Häuschen des traditionellen Polen-Viertels gegenüber und winken praktisch schon langfristig mit dem Räumungsbescheid. Für alles, was nicht Manhattan heißt, ist die Zeit der Abgeschiedenheit jedenfalls vorbei. In den Bloomberg-Jahren sind Brooklyn und zum Teil auch Queens attraktivere Alternativen zum engen, stickigen, Tag wie Nacht herumlärmenden, überdeterminierten Manhattan geworden. Diese Öffnung der Stadt zu ihren Landmassen hin wird sicher das bleibende Vermächtnis sein, genauso wie die Rückeroberung der Flussufer in Form von Parks. Eine architektonische Offenbarung sind allerdings die wenigsten der neuen Gebäude.

Das gilt sogar, leider, für vieles, was in dieser Zeit in Manhattan entstanden ist. Aber das kann man nicht unbedingt Bloomberg anlasten. Auch unter einem anderen Bürgermeister wäre Daniel Libeskind die Planung für den Neubau des World Trade Centers entzogen worden, auch unter jemand anderem wäre es zu jenem etwas langweiligen Hochhaus gekommen, das David Childs in den nächsten Monaten fertigstellen wird. Und auch wenn der Bürgermeister anders hieße, hätte es eine Finanzkrise gegeben, in deren Folge interessante Projekte wie das von Rem Koolhaas am Union Square leider ungebaut blieben.

Dafür hat es ja in Midtown ordentlich gebrummt. Vielleicht ist Fosters Hearst Tower exakt die paar Stockwerke zu niedrig, die ihn großartig gemacht hätten. Vielleicht ist Renzo Pianos neues Hochhaus für die New York Times ein paar Stockwerke zu hoch für das brave Haus, das es ist. Aber das meiste ist ansehnlicher als das, was drumherum so steht und seine Qualität aus nichts anderem als aus schierer Vertikalität bezieht. Ein neues Chrysler Building, ein Haus, das als Wahrzeichen in die Herzen finden würde, ist nicht wirklich darunter. Deswegen irritiert es selbst Wohlmeinende in der Stadt jetzt so, dass Bloomberg vor Ablauf seiner Amtszeit unbedingt noch dies auf den Weg bringen wollte: Die östlichen Teile von Midtown, vom Grand Central Terminal nördlich, sind als ein Gebiet ausgeschrieben worden, in dem massiv mit neuen Hochhäusern nachverdichtet werden darf. Ausgerechnet eine Ecke von Manhattan, von der man dachte, dass sie dichter, urbaner, dramatischer gar nicht mehr vorstellbar ist. Jetzt dürften dort im Prinzip Häuser gebaut werden, die höher sind als das Empire State Building.

Die Denkmalschützer von der Municipal Arts Society of New York sorgen sich, dass Wahrzeichen wie der Bahnhof, das PanAm Building und tja, New Yorks schönstes Hochhaus, eben das Chrysler Building, aus dem Stadtbild geschluckt werden könnten - und haben dieser Tage laut Protest eingelegt. Die Kritiker von New York Magazin bis New York Times griffen sich über diese Entscheidung entsetzt an den Kopf. Und Robert A. M. Stern, der Dean der Yale School of Architecture stellte die noch viel elementarere Frage, wie dieser Zuwachs infrastrukturell verkraftet werden soll, wenn man jetzt schon Ewigkeiten braucht, um sich aus überfüllten U-Bahn-Ausgängen ins Tageslicht zu quetschen.

Die Bloomberg-Administration kann solche fast schon nostalgischen, die Endlichkeit des Wachstums anerkennenden Argumente natürlich schon aus Prinzip nicht gelten lassen und behauptet, New York würde seine Wettbewerbsfähigkeit als Standort an Städte wie Hongkong oder Shanghai verlieren, wenn nicht auch Midtown East zu Hongkong und Shanghai umgebaut würden. Selbstverständlich wird auf allen Kanälen nun gerätselt, wem genau damit ein letzter Gefallen getan werden soll. Denn insgesamt scheint nicht einmal bei großen Firmen ein besonders großes Interesse an der Ecke zu bestehen.

Woran stattdessen sehr großes Interesse besteht, wo jetzt alle hinziehen, das ist die Westside von Manhattan, das Ufer des Hudson River. Die Westside - das ist im Grunde die eigentliche Erfolgsgeschichte der Bloomberg-Jahre. Hat es mit der Begrünung der stillgelegten Industriebahngleise der Highline angefangen? Oder mit den Galerien im Meatpacking District? Sogar ein Gigant wie Time Warner will jedenfalls Hals über Kopf auf einmal seine eben erst bezogenen Bauten am Columbus Circle verlassen und an den Hudson umziehen. Die Nähe zum Wasser, der lässigere Takt hier am Rand von Manhattan, der Umbau bestehender Industriearchitekturen, die Nachnutzung von Wirtschaftsgeschichte als Energiereservoir - das sind alles Dinge, die Bloomberg in seinem Plan, die Konzernzentralen dieser Welt nagelneue Hochhausnadeln rund ums Waldorf Astoria errichten zu lassen, irgendwie nicht so ganz auf dem Zettel gehabt hat. Seine Midtown-East-Pläne haben gegenüber dem, was von sich aus passiert, etwas Saurierhaftes. Und das zeigt, dass es vielleicht doch allmählich mal Zeit wird für einen neuen Bürgermeister in New York.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345